Unter der Lupe

«Gendern» in Gesetzen

Markus Nussbaumer
Markus Nussbaumer
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Citazione: Markus Nussbaumer, «Gendern» in Gesetzen, LeGes 29 (2018) 1


Indice

1. Einleitung

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Darf man, soll man und wenn ja: wie soll man Gesetze sogenannt «geschlechtergerecht» formulieren? Also «gendern», wie man in Deutschland sagt.1 Für uns, die wir in der Rechtsetzung des Bundes tätig sind, schienen mir diese Fragen – jedenfalls für das Deutsche – seit Längerem geklärt. Letztes Jahr bekam ich an meine Dienstadresse unbestellte Post von einem deutschen Verlag. Darin fand ich dieses Buch: Antje Baumann / André Meinunger (Hrsg.), Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2017. Es enthält unter anderem einen Beitrag von Antje Baumann zur eingangs gestellten Frage: «Gendern in Gesetzen?». Ich möchte im vorliegenden Beitrag, in Form einer Rezension dieses Buches und vor allem des Beitrags von Baumann, die Frage des «Genderns» in Gesetzen «unter die Lupe» nehmen und meinen Standpunkt dazu darstellen.

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Bücher haben zwar auch – und manchmal fast nur – eine dekorative Funktion, eigentlich aber sind sie zum Lesen da. Darum ist es seltsam, dass es im Deutschen das Wort «Lesebuch» gibt, als wäre ein Buch nicht per se zum Lesen. Das von Antje Baumann und André Meinunger herausgegebene Buch ist so ein Lesebuch – ein «Reader» –, also eine Zusammenstellung von Texten zu einem bestimmten Thema, und hier «zur Debatte um Gender und Sprache». Aha, denke ich, da gibt es also eine Debatte? Die muss etwas an mir vorbeigerauscht sein. Gewiss, ab und an springt mich aus den Zeitungen ein Artikel über PC (political correctness) an, worunter auch die «geschlechtergerechte Sprache» gerne abgehandelt wird. Aber eine eigentliche Debatte dazu habe ich in den letzten Jahren nicht mehr beobachtet. Vielmehr schien mir die Sache – salopp gesagt – gegessen: Man macht es, will sagen: Man bemüht sich um geschlechtergerechte Sprache, mündlich wie schriftlich, mehr oder weniger konsequent, mehr oder weniger gut, mehr oder weniger gern, aber man macht es: Eigentlich hat sich der Sprachgebrauch diesbezüglich in einen ziemlich stabilen neuen Zustand gewandelt, und ein Zurück scheint weder möglich noch gewollt. Man spricht und schreibt Frauen und Männer explizit an oder meidet jedenfalls allzu krasse Verwendungen des sogenannten «generischen Maskulinums». Wer heute seine Belegschaft, die aus Männern und Frauen besteht, mit Liebe Mitarbeiter anspricht oder anschreibt, macht sich unmöglich, und das ist gut so.

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Hat meine Ahnungslosigkeit über diese angebliche Debatte vielleicht mit dem (deutsch-) schweizerischen Standpunkt zu tun? Findet andernorts tatsächlich eine solche Debatte statt – die wir vielleicht schon geführt haben oder die uns vielleicht noch und wieder bevorsteht? Ich gebe zu, in den letzten Jahren habe ich gelegentlich vernommen, gerade jüngere Frauen zeigten zunehmend Widerstände gegen diese neue sprachliche Normalität.2 Und seit Kürzerem beschleichen mich manchmal Vorahnungen eines Gewitters: Haben wir uns doch so bemüht, dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht in der Sprache in gleicher Weise gerecht zu werden, und nun hört man immer lauter von einem dritten, vierten, fünften oder gar keinem «Geschlecht». Stichwort: LGBTQQIAAAAP3. Wie sollen wir das in der Sprache angemessen zum Ausdruck bringen?

2. Das Buch

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Ich greife also mit Neugier und etwas Unruhe nach dem Band von Baumann und Meinunger (2017). Das Buch hat eine längere Einleitung, zwei Hauptteile und ein Autorenverzeichnis. Hauptteil 1 versammelt 19 «Diskursfragmente», die «exemplarisch andeuten sollen, wer […] in welcher Art von Texten etwas zu Geschlecht und Sprache sagt». Da findet sich so Verschiedenartiges wie ein Auszug aus dem «Wustmann» von 1903 (einem berühmten sprachpflegerischen Stilratgeber), etwas aus der «Bibel in gerechter Sprache», ein Firmenprospekt, der sich um geschlechtergerechte Sprache bemüht, einige Paragrafen aus dem Preussischen Landrecht von 1794 über das Geschlecht natürlicher Personen, die 58 Genderoptionen beim Einrichten eines Facebook-Profils, Dokumente zur Diskussion um die Grundordnung der Universität Leipzig, die 2013 auf Antrag eines über die ewigen Diskussionen über geschlechtergerechte Sprache entnervten Professors kurzerhand im generischen Femininum verfasst wurde, Auszüge aus Leitfäden zum geschlechtergerechten Formulieren usw. Die Fragmente sind faksimileartig abgebildet und von der Herausgeberin und dem Herausgeber kommentiert. Das hat eindeutig Lesebuchcharakter und soll, wie es in der Einleitung heisst, uns dazu einladen, dass wir in unserem Alltag Augen und Ohren offen haben für Texte, die das Thema in irgendeiner Form aufgreifen, und dass wir uns damit kritisch auseinandersetzen. Diese Aufforderung, sich dem Thema offen, unvoreingenommen, neugierig, sachlich und nicht aufgeregt-polemisch zu stellen – sie zieht sich durch die ganze Einleitung, und diese Zugangsweise ist auch die erklärte Absicht des Buches. Das macht das Buch zugleich gehaltvoll und sympathisch.

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Hauptteil 2 versammelt vierzehn zu unterschiedlichen Zeiten (also nicht immer eigens für dieses Buch) und aus unterschiedlichen Gründen verfasste Beiträge. Einige sind kontradiktorisch aufeinander bezogen, etwa die Beiträge von Hans-Martin Gauger (emeritierter Professor für romanistische Sprachwissenschaft) und Luise Pusch (graue Eminenz der feministischen Linguistik in Deutschland). In der Tendenz sind die meisten Beiträge kritisch bis ablehnend eingestellt gegenüber dem «Gendern» und insbesondere gegenüber der Bewertung des sogenannten generischen Maskulinums (die Verwendung der maskulinen Form – die Arbeitnehmer – mit der Intention, beide Geschlechter damit zu meinen) als nicht geschlechtergerechte Ausdrucksform. Dennoch ergibt sich ein reichhaltiges Bild der linguistischen und soziolinguistischen Diskussion und ihrer Argumentationslinien. Die Beiträge handeln nicht von der Gesetzessprache, abgesehen von einem sehr polemischen Beitrag von Daniel Scholten über die angeblich völlig missratene «gendersensible Strassenverkehrsordnung» Deutschlands, und abgesehen vom Beitrag von Antje Baumann, Referentin für Sprachberatung im Bundesjustizministerium in Berlin und als solche hauptberuflich mit Gesetzesredaktion (eine in die präventive Rechtsprüfung von Gesetzesentwürfen integrierte sog. «Sprachprüfung») befasst. Der Beitrag trägt den Titel «Gendern in Gesetzen? – Eine spezielle Textsorte und ihre Grenzen», und um diesen Beitrag soll es im Folgenden gehen.

3. Der Beitrag von Antje Baumann

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Baumann beginnt mit einem Hinweis auf die gesetzliche Regelung. So bestimmt das deutsche Bundesgleichstellungsgesetz (§ 4 Abs. 3): «Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen.» Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) besagt sodann in Paragraf 42 Absatz 5: «Gesetzesentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein. Gesetzesentwürfe sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern sprachlich zum Ausdruck bringen.» Bemerkenswert ist die abgeschwächte Verpflichtungsform «sollen» (vs. das stärkere «müssen»). Das erinnert uns in der Schweiz an den einschlägigen Artikel 7 des eidgenössischen Sprachengesetzes (SpG)4, wo es unter der Sachüberschrift «Verständlichkeit» in Absatz 1 heisst: «Die Bundesbehörden bemühen sich um eine sachgerechte, klare und bürgerfreundliche Sprache und achten auf geschlechtergerechte Formulierungen.» Auch diese gesetzliche Bestimmung vermeidet die ganz zwingende Formulierung. Vergleichbar der schweizerischen Regelung ist auch die Tatsache, dass die Regelung in Deutschland sich darüber ausschweigt, wie die Gleichstellung von Frauen und Männern denn sprachlich zum Ausdruck gebracht werden soll. Dies betont auch Baumann mit Nachdruck. Aufhorchen lässt, dass sie dabei ausdrücklich darauf hinweist, dass mit dieser gesetzlichen Regelung das generische Maskulinum (die Arbeitnehmer für Männer und Frauen) nicht ausgeschlossen werde und dass ihm auch keine andere Ausdrucksform, etwa die sog. «Beidnennung» – wir nennen das Paarformen (die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) – vorzuziehen sei. Damit sind wir natürlich schon mitten drin in der eigentlichen «Debatte», geht es in dieser doch nicht so sehr darum, ob oder ob nicht geschlechtergerecht formuliert werden soll, sondern darum, was denn als geschlechtergerecht zu gelten hat. Vor dem Hintergrund der jüngeren Sprachentwicklung im Deutschen darf hier zur Position von Baumann ein erstes grosses Fragezeichen gesetzt werden.

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Und in der Tat ist, was nun im Beitrag von Baumann folgt, ein langes und teilweise etwas verschlungenes und redundantes Plädoyer gegen verschiedene Formen des «Genderns» und schliesslich für die strikte Verwendung des generischen Maskulinums in Gesetzen. Dabei fährt Baumann eine ganze Batterie schweren Geschützes auf: Fachsprachlichkeit, Intertextualität, Rechtssystematik, Rechtsförmlichkeit, linguistische Grenzen und Probleme, Verständlichkeit und so weiter; sie alle, so Baumann, würden für das generische Maskulinum in Gesetzestexten und gegen andere – oder eben eigentliche – Formen geschlechtergerechter Sprache sprechen. Da scheint sich einiges an Ärger und Frustration über das seit ein paar Jahren auch in Deutschland vermehrt praktizierte «Gendern» in der Gesetzessprache angestaut zu haben.

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Im Zentrum der Argumentation gegen das «Gendern» und für das generische Maskulinum steht die These, dass juristische Normsätze da, wo sie mit Personenbezeichnungen operieren – und das tun sie oftmals extensiv –, mit diesen Ausdrücken in allererster Linie juristische Rollen benennen, die in rechtliche Beziehung gesetzt werden zu andern juristischen Rollen. Die Personenbezeichnungen sind demnach «Verhältniswörter» – Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Mieter und Vermieter, Schuldner und Gläubiger, Gesuchsteller und Bewilligungsbehörde und so weiter. Sehr viele dieser Personenbezeichnungen sind im Deutschen sog. Nomina agentis, also von Verben mit der Endung -er abgeleitete Substantive mit maskulinem Genus. Manchmal bezeichnen die Ausdrücke nur juristische Personen, manchmal nur natürliche, manchmal sowohl als auch. In den allermeisten Fällen aber, so die Argumentation von Baumann, spiele dabei das natürliche Geschlecht der bezeichneten Personen juristisch keine Rolle. Werde jedoch bei diesen Personenbezeichnungen etwa mit Paarformen das natürliche Geschlecht bezeichnet (die Mieterin oder der Mieter), so verstosse das, sprachwissenschaftlich gesprochen, gegen das Kooperationsprinzip und genauer gegen die sogenannten Grice’schen Konversationsmaximen der Quantität («Sag nur so viel wie nötig und sag nichts, was nicht nötig ist») und der Relevanz («Sag nur, was relevant ist») – denn ob es sich, um im Beispiel zu bleiben, um eine Mieterin oder einen Mieter handelt, ist bei der Festlegung der mietrechtlichen Normen (zumeist oder gar immer) irrelevant und lenkt bloss ab von der Festlegung des juristischen Verhältnisses oder des Tatbestands-Rechtsfolge-Gefüges in mietrechtlichen Angelegenheiten. Es sei, als würde man bei diesen Bezeichnungen der Personen in der Rolle des Mieters zum Beispiel immer auch gleich noch sagen, ob die Person französisch- oder deutschsprachig, blond oder dunkelhaarig oder glatzköpfig, katholisch oder reformiert oder konfessionslos ist. Anders gesagt: Personenbezeichnungen in juristischen Normtexten seien festgefügte Rechtsbegriffe, die eine juristische Rolle und nur diese bezeichnen und damit von allem Irrelevanten abstrahieren, also auch vom natürlichen Geschlecht der Inhaberin oder des Inhabers einer solchen juristischen Rolle.

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Ausnahmen, in denen das natürliche Geschlecht rechtlich eine Rolle spielt, gebe es sehr wohl, so Baumann, und dort sei die Bezeichnung des natürlichen Geschlechts selbstverständlich wichtig und nötig. Das geschehe dann aber in aller Regel mit Wörtern, denen das natürliche Geschlecht bedeutungsinhärent ist, wie etwa bei Mann, Frau, Vater, Mutter, männlich, weiblich.

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Ergänzend zu dieser rechtslinguistisch begründeten Fundamentalkritik am «Gendern» in Gesetzen führt Baumann weitere Argumente dagegen ins Feld: So würden es die extreme Intertextualität (die Verwobenheit eines Erlasses mit zahlreichen andern, über-, neben- und untergeordneten Erlassen) und die Rechtssystematik streng verbieten, Personenbezeichnungen im einen Gesetzestext – etwa dem untergeordneten oder jüngeren – zu «gendern», während sie im andern – etwa im übergeordneten oder zeitlich früheren – nicht «gegendert» sind. Die Regeln der «Rechtsförmlichkeit» würden zudem die sprachlichen Mittel des «Genderns» stark einschränken (so seien etwa Sparschreibungen mit Binnen-Gross-I oder Schrägstrich (ArbeitnehmerInnen, Arbeitnehmer/innen) nicht erlaubt). Und vor allem: Es gebe riesige sprachliche Probleme mit den erlaubten Formen des Genderns: bei der «Beidnennung» (Paarformen) die Verkomplizierung des Textes durch die Häufung der Personenbezeichnungen, Kongruenzprobleme bei der pronominalen Wiederaufnahme; bei Rückgriff auf Abstrakta (Leitung statt Leiterin oder Leiter; Lehrkraft statt Lehrerin oder Lehrer) die Bedeutungsverschiebung oder Entpersönlichung; bei Neutralisierungen (die Lernenden statt die Schülerinnen und Schüler) analoge Probleme.

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Baumanns Gesamtbefund: Das zunehmende «Gendern» in Gesetzestexten der Bundesrepublik Deutschland führe zu einem Chaos in den Personenbezeichnungen, bringe massive sprachliche Probleme und Unstimmigkeiten in die Texte, beeinträchtige die Verständlichkeit stark, tangiere die Rechtssystematik und die Rechtssicherheit empfindlich. Es würden bei der Sprachprüfung der Entwürfe Kräfte am völlig falschen Ort gebunden zulasten anderer, für die Verständlichkeit tatsächlich wichtiger redaktioneller Bereiche. Baumanns Vorschlag darum für die Gesetzgebung: ein konsequentes Zurück zum generischen Maskulinum in allen Gesetzestexten, mit Ausnahme der Normsätze, in denen das natürliche Geschlecht rechtlich eine Rolle spielt. Etwas anderes seien Begleittexte zu den juristischen Normtexten – in der Schweiz wären das etwa bundesrätliche Botschaften: Da könne das «Gendern freigestellt werden», da könne man Verschiedenes ausprobieren, Strömungen innerhalb der Allgemeinsprache aufnehmen; diese Texte könnten durchaus «Einfallstore des sich wandelnden Sprachgebrauchs sein».

4. Kritik

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So weit also der Standpunkt und die Argumentation von Antje Baumann! Und was soll man dazu sagen? Ich sage: Zwar …, aber …

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Das Zwar: Ich habe aus streng rechtslinguistischer Perspektive ein gewisses Verständnis und einige Sympathien für dieses Plädoyer für das generische Maskulinum in der Gesetzessprache. Das Argument der juristischen Rollen und der grundsätzlichen Irrelevanz des natürlichen Geschlechts der im Gesetz benannten Personen hat viel für sich. Ich anerkenne, dass die Abstraktion von allem Irrelevanten ein Grundprinzip der Rechtsetzung ist, und weiss um die wichtige Rolle, die dieses Prinzip gerade für die Verständlichkeit juristischer Normtexte spielt, und dass es der Verständlichkeit schaden kann, wenn Irrelevantes gesagt wird. Nicht zuletzt muss ich zugeben, dass uns diese «puristische» Haltung in der Frage der geschlechtergerechten Gesetzessprache in der Schweiz sehr wohl bekannt ist: Es ist dies bis heute die dominante Haltung, was die französisch- und die italienischsprachige Rechtsetzung des Bundes betrifft.5

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Das Aber: Diese Sicht der Dinge hat etwas Rigides, Puristisches, ja Dogmatisches. Und ganz besonders: Sie trennt die Sprache der Gesetze von allen andern Sprachgebrauchsdomänen, reserviert der Gesetzessprache einen besonderen Status und stellt sie in einen geschützten Raum, in dem sie immunisiert ist gegen Entwicklungen der Allgemeinsprache. Es war und ist uns in der Schweiz, vor allem was das Deutsche anbelangt, jedoch stets ein grosses Anliegen, diese strikte Trennung, die vor allem gewissen Juristinnen und Juristen wichtig ist, nicht zuzulassen. Das sind die Traditionen eines Eugen Huber und seines Zivilgesetzbuch (ZGB) in Absetzung vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in Deutschland.6 Das ist der Verständlichkeitsansatz in der Rechtsetzung, den wir verfolgen und der es nicht zulässt, die Sprache der Gesetze in ein Reservat des ausschliesslichen generischen Maskulinums zu verbannen, wohingegen in der Sprache um diese Rechtsdomäne herum in den letzten zwanzig Jahren eine Sprachentwicklung stattgefunden hat, die nicht mehr ignoriert und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wir könnten unmöglich zurück.

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Aber wir wollen auch nicht zurück, wir sehen keinen Anlass dazu. Denn – und da muss ich nun Baumann ebenfalls deutlich widersprechen: Es geht doch! Die sprachlichen und die rechtlichen Probleme, die das «Gendern» angeblich zuhauf schafft, sie sind meines Erachtens massiv aufgebauscht. Selbst Juristinnen und Juristen, die keine Gelegenheit auslassen zu betonen, dass sie nicht Freund, nicht Freundin dieser «Genderei» seien (sie gibt es sehr wohl auch in der Schweiz), sagen kaum je, wir würden rechtssystematische Probleme schaffen und die Rechtssicherheit gefährden. In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf hingewiesen, dass wir in der deutschen Fassung im Bundesrecht eine andere Linie fahren als in der französischen und in der italienischen Fassung, und selbst dies führt nicht zu Problemen. Als man Mitte der 1990er-Jahre in der Bundesrechtsetzung die geschlechtergerechten Formulierungen für das Deutsche eingeführt hat7, hat man sogar ein Rechtsgutachten anfertigen lassen, das zum Schluss kam, dass es materiell unerheblich sei, wenn im Deutschen «gegendert» werde und in den beiden andern Amtssprachen nicht oder anders. Und auch sprachlich geht es: Die Texte werden sprachlich nicht falsch, wenn man es richtig macht (man verzeihe mir diesen Kalauer), und sie werden nur ganz selten schwerer verständlich, und an wirkliche sprachliche Grenzen kommt man fast nie, wenn auch nicht ganz nie. «Wenn man es richtig macht», heisst: mit den vielen Möglichkeiten situativ angemessen und wirklich kreativ umgehen und sich nicht mit Verweis auf Rechtssystematik und Fachsprachlichkeit und Rechtsförmlichkeit zum Vornherein gewisse Möglichkeiten verbieten lassen. Da haben wir in Bern auch ein anderes Verständnis von «kreativer Lösung» als Baumann, die darunter (S. 209) nur die Strategie der Vermeidung von Personenbezeichnungen versteht (Rat eines Arztes > ärztlicher Rat).

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Unsere Herangehensweise ist also die, dass wir Personen, die wir ausserhalb von juristischen Normtexten als Mieterinnen und Mieter bezeichnen, auch innerhalb des Normtextes so bezeichnen, auch wenn es im betreffenden Normsatz um die Bezeichnung der juristischen Rolle der einen Partei in einem Mietverhältnis geht. In diesem Zusammenhang sei auch die Behauptung gewagt, dass es in juristischen Normsätzen auch ganz viele Personenbezeichnungen gibt, die nicht so sehr juristische Rollen bezeichnen, sondern eine Bezeichnungsfunktion ausüben, die derjenigen ausserhalb der juristischen Normsätze gleichkommt. Etwa wenn eine Norm bestimmt, dass für Ärztinnen und Ärzte und andere Berufe ein Berufsgeheimnis gilt, dass ein Betrieb einen Verantwortlichen oder eine Verantwortliche (eine verantwortliche Person) für dieses oder jenes benennen muss, dass ein Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Sozialpartner zusammengesetzt sein muss und so weiter. Zu denken ist zum Beispiel auch an die zahlreichen Bildungserlasse, die die Bildungsgänge, deren Abschlüsse und die geschützten Titel regeln – das war übrigens in der Schweizer Bundesgesetzgebung derjenige Bereich8, in dem zum ersten Mal «gegendert» wurde, und das ist auch ein Bereich, wo selbst in der französischen und der italienischen Fassung «gegendert» wird. Abgesehen davon, dass es nicht einfach sein dürfte, die Grenze zu ziehen zwischen Personenbezeichnungen im Recht, die juristische Rollen bezeichnen, und solchen, die dies nicht tun, würde das zu einem verwirrenden Bild führen, würde man die juristischen Rollen mit generischem Maskulinum bezeichnen, die andern Bezeichnungen aber wie ausserhalb der Gesetzessprache «gendern».

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Man kann den Spiess im Übrigen auch umdrehen und sagen: Auch in der Sprache ausserhalb juristischer Normtexte ist die Bezeichnung von Personen sehr oft eine Bezeichnung von Rollen, bei denen das natürliche Geschlecht eigentlich irrelevant ist, und doch geht die jüngere Sprachentwicklung klar dahin, dass man «gendert»: An unserer Schule arbeiten 17 Lehrerinnen und Lehrer, eine Schulleiterin, zwei administrative Mitarbeiterinnen und ein Hauswart, und es werden 294 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Die Zeiten, wo man sagte Sie ist von Beruf Primarlehrer sind vorbei. Ausserhalb des Rechts wie auch – und dies ist unsere Haltung – innerhalb der Gesetzessprache. Es stimmt, dass das natürliche Geschlecht sehr oft irrelevant ist, wie es irrelevant ist, ob jemand dick oder dünn ist, aber in Personenbezeichnungen im Deutschen kann man nun mal das natürliche Geschlecht morphologisch markieren, den Bauchumfang und die Haarfarbe nicht.

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Ich habe einleitend gesagt, dass mir an diesem Buch gefällt, dass es zu einer sachlichen Diskussion anregen will und nicht aufgeregt-polemisch daherkommt, auch wenn es in der Gesamttendenz dem «Gendern» kritisch gegenübersteht. Das gilt im grossen Ganzen auch für den Beitrag von Baumann, auch wenn ich, wie gesagt, die Schilderung der Problemlage für aufgebauscht und die Geschützbatterie gegen das «Gendern» für übertrieben halte. Eine Argumentation von Baumann ganz am Ende finde ich allerdings derart unfair, dass ich sie nicht schweigend übergehen kann: «Man sollte auch Folgendes bedenken. […] Sprache ist nicht das Mittel, um Gleichstellung zu erreichen.» (223) Ja, wer bitte schön von denjenigen, denen geschlechtergerechte Sprache wichtig ist, hat das denn je behauptet? Und mit Verweis auf das angeblich unwirksame Prostitutionsgesetz Deutschlands schreibt Baumann: «Die derzeitige Gender-Praxis ist kontraproduktiv, weil sie zu oft die sprachlichen Formen statt der tatsächlichen Gleichstellung in den Fokus rückt.» Hier wird also der Vorwurf erhoben, das «Gendern» diene der Symbolpolitik, man formuliere lieber ein sprachlich geschlechtergerechtes als ein materiell geschlechtergerechtes Gesetz. Da nach meiner Erfahrung die Verantwortlichkeiten für den materiellen Gehalt und für die sprachliche Form der Gesetze ziemlich geteilt sind, kann ich nicht glauben, dass da etwas dran ist.

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Kommen wir schliesslich zu einem letzten Punkt, der im ganzen Band und auch im Beitrag von Baumann nur punktuell angesprochen, nicht aber ausführlich behandelt wird: die einleitend schon angesprochene Thematik des dritten, vierten … Geschlechts und damit die Kritik am binären Geschlechtersystem. Baumann verwendet, was naheliegend ist, diesen Punkt als weiteres Argument gegen das bisherige «Gendern» in Gesetzen und für die Verwendung des generischen Maskulinums. Zu Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes (GG) schreibt Baumann: «Die Norm des Grundgesetzes kann atmen, lässt Platz für künftige Entwicklung, Sichtweisen und Auslegungen und ist damit verbindlich zeitlos und – anders als das ständige Beharren auf der Gleichstellung von Frauen und Männern – auch gerechter, denn sie bezieht sich auch auf diejenigen, die sich weder als Mann noch als Frau verstehen. Und dass das Grundgesetz und alle anderen Gesetze auch für diejenigen Menschen gleichermassen gelten, die sich nicht in dieser […] Zweiteilung wiederfinden, das ist vom Gesetzgeber ausdrücklich so gewollt.» Das scheint mir eine ziemlich gewagte Behauptung. Auf Absatz 1 GG «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich» trifft ja sicher zu, dass sich jegliche geschlechtliche Ausrichtung darin wiederfinden kann. Dass dies «vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt» war, widerlegt aber schon Absatz 2: «Männer und Frauen sind gleichberechtigt. […]»; da treffen wir doch die traditionelle Binarität an, die man dann in Absatz 3 als wieder aufgehoben betrachten kann, wenn es heisst: «Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.» Absatz 2 ist ein starkes Indiz dafür, dass «der Gesetzgeber» beim deutschen Grundgesetz nicht an LGBTQIAAAAP gedacht hat. Gewiss, man kann die in den letzten Jahren etablierte «Beidnennung» der Geschlechter im Lichte von LGBTQIAAAAP problematisch finden. Ein Zurück zum generischen Maskulinum scheint mir jedoch auch unter diesem Gesichtspunkt kein Ausweg. Es wird nicht möglich sein, dem dritten, vierten … Geschlecht, der Intersexualität oder der Geschlechtslosigkeit sprachlich vollständig gerecht zu werden. Was neuerdings an kreativen Schreibformen mit Unterstrich oder Leerstelle oder Asterisk versucht wird, sehe ich sehr kritisch, wie wir es auch immer abgelehnt haben, im Fliesstext Sparschreibungen zuzulassen: Sie unterbrechen den Lesefluss, weil mit solchen Elementen der Grundsatz unseres Schriftsystems durchbrochen wird, dass die Schriftzeichen für Laute oder ganze Begriffe stehen, die man sofort still oder laut auflösen kann; das kann man bei diesen diversen Sonderzeichen, die alle wie Ausrufezeichen daherkommen und wirken sollen, nicht. Ich sehe die Problematik relativ gelassen und denke, auch angesichts dieser berechtigten Infragestellung des binären Geschlechtersystems9 ist die «Beidnennung» der Geschlechter Mann und Frau, und damit der mit riesigem Abstand weiterhin grossen Mehrheit der Geschlechtsidentitäten, in der Sprache ein taugliches Zeichen, um Diversität zu markieren. Auch in juristischen Normtexten, wenngleich dort diese Diversität, das sei zugegeben, streng juristisch gesehen oftmals irrelevant ist. Das Maskulinum bei Personenbezeichnungen hat diese Fähigkeit in der jüngsten Sprachgeschichte verloren. Unwiederbringlich. Und seine Tauglichkeit für Gesetzestexte auch.


 

Markus Nussbaumer, Bundeskanzlei


  1. 1 Vgl. den unlängst im Dudenverlag erschienenen Ratgeber: Gabriele Diewald und Anja Steinhauer: Duden. Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin: Dudenverlag 2017. Das Buch soll dem Vernehmen nach in gewissen sozialen Medien und in sprachpflegerischen Kreisen einen gewaltigen Shitstorm ausgelöst haben.
  2. 2 Juliane Schröter / Angelika Linke / Noah Bubenhofer: «Ich als Linguist» – Eine empirische Studie zur Einschätzung und Verwendung des generischen Maskulinums. In: Susanne Günthner et al. (Hrsg.): Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktion von Geschlechtsidentität. Berlin, S. 359–379.; Lars Bülow / Matthias Herz: Undoing Gender? Ein Abgleich sprachpolitischer Massnahmen in Rechtstexten mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch junger Frauen. Muttersprache 125 (2015), S. 133–155.
  3. 3 Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Questioning, Intersex, Asexual, Agender, Aromantic, Allies, Pansexual.
  4. 4 Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften (SpG; SR 441.1)
  5. 5 Das geht auch deutlich aus dem folgenden Forschungsbericht hervor: Daniel Elmiger / Verena Tunger / Eva Schaeffer-Lacroix: Geschlechtergerechte Behördentexte. Linguistische Untersuchungen und Stimmen zur Umsetzung in der mehrsprachigen Schweiz. Forschungsbericht [zum SNF-Forschungsprojekt Nr. 143585]. Université de Genève 2017. Das Forschungsprojekt untersuchte mit linguistischen Korpusanalysen und mit strukturierten Interviews mit Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern die Praxis geschlechtergerechter Formulierung von Behördentexten im Bund sowie in mehr- und in einsprachigen Kantonen.
  6. 6 Vgl. z. B. Markus Nussbaumer: »… was man die volkstümliche Redaktion eines Gesetzes zu nennen pflegt». Einblicke in die schweizerische Gesetzessprache. In: Sprachspiegel 2/2008, 38–49 und 3/2008, 89–97; Markus Nussbaumer: Die deutsche Gesetzessprache in der Schweiz. In: Marina Brambilla / Joachim Gerdes / Chiara Messina (Hrsg.): Diatopische Variation in der deutschen Rechtssprache (= Forum für Fachsprachen-Forschung / FFF 113), Berlin: Frank & Timme 2013, 117–152.
  7. 7 Vgl. zur Geschichte der Einführung geschlechtergerechter Sprache in die Gesetzesprache des Bundes: Schweizerische Bundeskanzlei, in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: Geschlechtergerechte Sprache. Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren im Deutschen. 2., vollständig überarb. Aufl. 2009.
  8. 8 Ich denke z. B. an über die über 200 Verordnungen des SBFI über die berufliche Grundbildungen (SR 412.101.220 ff).
  9. 9 Die materiell-juristischen Probleme, die diese Infragestellung des binären Geschlechtersystems aufwirft, sind ungleich viel grösser.
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