Resoconti di convegni DOI: 10.38023/585d5e28-bd44-4e4a-af72-60d1da923eac

Bericht wissenschaftliche Jahrestagung SGG vom 2.9.2021

Patrick Fischer
Patrick Fischer
Isabel Zeller
Isabel Zeller

Citazione: Patrick Fischer / Isabel Zeller, Bericht wissenschaftliche Jahrestagung SGG vom 2.9.2021, LeGes 32 (2021) 3


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Die wissenschaftliche Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Gesetzgebung (SGG) fand unter dem Titel «Legiferieren im Blindflug» statt. Ziel der Veranstaltung war es, die Möglichkeiten und Grenzen der evidenzbasierten Rechtssetzung während Notsituationen zu diskutieren, ausgehend von der These, dass gute Gesetzgebung auf dem jeweils aktuellen Stand wissenschaftlicher Evidenz basiert.

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Im Frühjahr 2020, als die Covid-19-Pandemie sich weltweit auszubreiten begann, musste die Wissenschaft das neue Virus zuerst erforschen. Insbesondere die Übertragungswege waren umstritten. Einige der wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden im Laufe Zeit gefestigt, andere hingegen stellten sich nachträglich als falsch heraus. Politisch gesehen bestand jedoch dringender Handlungsbedarf, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die Bevölkerung zu schützen.

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Die sechs geladenen Referentinnen und Referenten aus Lehre und Praxis haben ihre persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer wissenschaftlichen Disziplin vorgetragen und somit die Betrachtung der Thematik aus unterschiedlichen Sichtweisen ermöglicht.

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Alexandre Flückiger, Prof. Dr. iur., Université de Genève, brachte die evidenzbasierte Rechtssetzung aus juristischer Perspektive näher. Die empirische Fundierung des Rechts ist ein Ausdruck seiner Rationalität, die seine Akzeptanz und Wirksamkeit fördert. Ziel soll es sein, das Recht bei herrschender Ungewissheit aus Trial-and-Error weiterzuentwickeln, damit es empirisch begründet ist. Das momentane Notrecht sollte in das allgemeine Recht einfliessen, damit es auch für zukünftige Pandemien anwendbar ist.

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Fritz Sager, Prof. Dr., Universität Bern, KPM Center for Public Management, beleuchtete das Thema aus der Perspektive der Evaluationswissenschaften. Gemäss seinen Ausführungen ist das politische System primär auf die Schaffung von Akzeptanz politischer Entscheide ausgerichtet und nicht auf Evidenzbasierung. Die Politik hatte während der Covid-19-Krise aufgrund fehlender Routine Mühe, die bestehenden ausserparteilichen Kommissionen in die Entscheidungsfindung zu integrieren. Für künftige Krisen müsste die Rolle der ausserparteilichen Kommissionen geklärt werden. Befragungen hätten ausserdem gezeigt, dass der Gesetzgeber die Evaluationsevidenz nur teilweise berücksichtigt, im Gegensatz zu den Verwaltungsbehörden, die deutlich häufiger mit Elementen der Evaluationsevidenz arbeiteten.

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Samia Hurst-Majno, Prof. Dr., Université de Genève, Directrice de l'Institut Éthique Histoire Humanités (IEH2), berichtete über evidenzbasierte Empfehlungen von Expertenseite zuhanden der politischen Entscheidungsträger. Sie verdeutlichte die Wichtigkeit des Vertrauens, die während Krisenzeiten zunimmt, aber gleichzeitig zerbrechlicher wird. Das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Entscheidungsträger basiert auf Erwartungen an sie. Diese Erwartungen können auch unerfüllt bleiben.

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Colette Rossat-Favre, Office fédéral de la justice, Bern, sprach als Vertreterin des Bundesamts für Justiz über die Covid-19-Gesetzgebung auf Bundesebene. Ihr ging es darum, die Sicht «einer Insiderin» aufzuzeigen, die von Anfang an in den Erarbeitungsprozess der Covid-19-Gesetzgebung involviert war. Persönlich beobachtete sie die rasante Entwicklung der Lage sowie die Kommunikation mit der Bevölkerung als Herausforderung für das Bundesamt für Justiz.

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Christoph Auer, Staatsschreiber des Kantons Bern, trug seine Erfahrungen zur Covid-19-Gesetzgebung im Kanton Bern vor. Seiner Ansicht nach wurden gute Erfahrungen gemacht mit generell-abstraktem Verordnungsrecht und «Master-Verordnungen» anstelle von mehreren Einzelerlassen. Soweit es ging, versuchte die Staatskanzlei Bern sich an ordentlichen und bewährten Prozessen zu orientieren. Die Krise führte zur Etablierung einer «Taskforce GSK» als Koordinationsgremium und dem Einbezug weiterer Krisenstäbe. Als positiv empfand er, dass nicht zu differenzierte Regelungen getroffen wurden, die einfach zu vollziehen und zu kommunizieren waren.

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Dennoch gab es einige Knackpunkte, die aus seiner Sicht in einer nächsten Krise im Auge behalten werden sollten. Zu Beginn war der Umgang mit Notrecht nicht einfach, da es wenig Praxis und Erfahrung damit gab. Die Staatskanzlei musste ohne vorbestehende und etablierte Prozesse unter Zeitdruck legiferieren. Ausserdem war die Rolle des Parlaments nicht immer eindeutig, dies, gepaart mit dem grossen Zeitdruck bei sehr kurzfristigen Anpassungen an das Bundesrecht, war eine Herausforderung. Möglicherweise führte das teilweise dazu, dass während der Krise die betroffenen Normadressaten sowie die Gemeinden und Städte nicht optimal in den Gesetzgebungsprozess einbezogen wurden.

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Ursula Münch, Prof. Dr., Akademie für politische Bildung/Universität der Bundeswehr München, spannte den Bogen nach Deutschland, um ihre Eindrücke aus dem nördlichen Nachbarland zu schildern. Die Rahmenbedingungen im politischen Entscheidungsprozess haben sich in Deutschland feststellbar verändert. Die Politik war zunehmend abhängig vom wissenschaftlichen Sachverstand. Das löste in weiten Teilen der Bevölkerung das Empfinden aus, dass die Politik zu stark durch die Wissenschaft beeinflusst werde, da teilweise die Unabhängigkeit der Wissenschaftler angezweifelt wurde. Die Vorbehalte wurden verstärkt durch populistische Argumentationen und deren Verbreitung auf sozialen Netzwerken. Die Forderung der Bürger nach partizipativer Einbindung in den Entscheidprozess wuchs im Verlauf der Krise.

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Im Anschluss an die Vorträge fand eine Podiumsdiskussion unter der Mitwirkung von Andrea Caroni, Dr. iur., RA, Ständerat AR, Cesla Amarelle, Conseillère d’Etat VD, professeure titulaire à la faculté de droit de l’Université de Neuchâtel, Daniel Gerny, Journalist NZZ, und Susanne Schaffner, lic.iur., RA, Notarin, Regierungsrätin Kanton SO, moderiert von Felix Uhlmann, Professor an der Universität Zürich für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Rechtsetzungslehre, statt. Neben der Diskussion betreffend die vorangegangenen Referate haben die Mitwirkenden von ihrem persönlichen Umgang mit den wissenschaftlichen Informationen in der Corona-Krise berichtet. Wurde das Expertenwissen wichtiger oder gar unwichtiger, zum Beispiel wegen Zeitmangels und Symbolpolitik? Diskutiert wurde die Veränderung des Beizugs von Experten und die Nachhaltigkeit des Einflusses des Expertenwissens auf die Gesetzgebung.

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Allgemein haben die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion den Gesetzgebungsprozess der Schweiz während der Corona-Krise positiv wahrgenommen. Normen mussten in der Regel zeitknapp geschaffen werden, weshalb die Vernehmlassungen unter Zeitdruck schwierig waren. Insbesondere die Konsultationen zwischen Kantonen und Gemeinden wurde als ungenügend bemängelt.

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Auch in Deutschland war die Einholung sämtlicher Meinungen unter besagtem Zeitdruck nicht möglich. Beispielhaft zu nennen wäre etwa das Vorgehen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach sie, nachdem sie einen Grundsatzentscheid gefällt hatte, Expertenmeinungen selektiv anhörte und Meinungen, die diesem Grundsatzentscheid widersprachen, nicht mehr eingehend konsultierte.

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Von den Anwesenden wurde an der Gesetzgebung in der Schweiz kritisiert, dass Gesetze zu stark im Hinblick auf mögliche Referenden entworfen werden. Dadurch würde die wissenschaftliche Evidenzbasis teilweise in den Hintergrund treten.

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Unabhängig von Krisenzeiten basieren gute Gesetze auf guten Grundlagen. Sie steigern Akzeptanz und Effektivität. Aus diesem Grund sollen die Erfahrungen dieser Krise genutzt werden. Die geeigneten Normen des Notrechts sollten dauerhaft im Gesetz festgehalten werden, um für ähnliche zukünftige Ereignisse gewappnet zu sein.

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Mehrfach erwähnt wurde die strittige Rolle der Covid-19 Task Force. Eigentlich sollte die Expertengruppe den Bundesrat über wissenschaftliche Erkenntnisse informieren. Trotzdem hat die Gruppe vor den Medien in den gleichen Räumlichkeiten, aber zu unterschiedlichen Zeiten, gesprochen und nicht zuletzt auch die Entscheide des Bundesrates kritisiert, was für die Bevölkerung irreführend war. Besser wäre eine klare und einfach ersichtliche Abgrenzung gewesen. Zu erwähnen wäre ebenfalls, dass Vertreter verschiedener Fachrichtungen andere Ansichten und Herangehensweisen haben. Dies führt dazu, dass keine einheitliche Sicht etwa in Bezug auf die Bewältigungsstrategie der Covid-19-Pandemie bestand. Aus epidemiologischer Sicht macht es möglicherweise Sinn, ein Land für lange Zeit unter strengsten Lockdown zu stellen. Aus wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Sicht gibt es jedoch möglicherweise abweichende Interessen und Abwägungen.

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Der diesjährige Anlass weckt Vorfreude für die wissenschaftliche Tagung 2022. Die SGG feiert kommendes Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum. Sie nimmt dies zum Anlass, die Entwicklung unterschiedlicher Gebiete der Gesetzgebung der letzten 40 Jahre Revue passieren zu lassen. Wie haben sich etwa Methodik, Gesetzessprache oder Projektorganisation verändert? Was wird heute anders gemacht und weshalb? Und welche Entwicklungen können in Zukunft erwartet werden? Diese und weitere Fragen werden an der wissenschaftlichen Tagung am Freitag, 24. Juni 2022, im Rathaus Bern diskutiert.


MLaw Patrick Fischer, Junior Associate, Wenger Plattner Basel.

MLaw Isabel Zeller, Junior Associate, Wenger Plattner Basel.

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