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Die öffentliche Politik kann bei Interventionen auf einen Werkzeugkasten mit vielen Instrumenten zurückgreifen. Diese lassen sich grob in vier Typen zusammenfassen: regulative Instrumente, finanzielle Anreize, strukturierende oder prozedurale Instrumente und persuasive Interventionen (z.B. Information, Beratung, Weiterbildung und verschiedenes mehr; vgl. Braun/Giraud, 2003: 150). Während die vier Typen von Steuerungsinstrumenten in den letzten Jahren relativ stabil geblieben sind, hat sich bei der konkreten Ausgestaltung der Instrumente viel getan.
Am Jahreskongress 2021 der SEVAL wurden ausgewählte Entwicklungen bei der Ausgestaltung von Steuerungsinstrumenten in sechs Workshops vorgestellt und besprochen. Drei Aspekte standen im Zentrum:
- Pilotprojekte und Steuererleichterungen: Bei diesen beiden Instrumenten handelt es sich um zwei Klassiker der politischen Steuerung. Pilotprojekte dienen oftmals als Experimentierfeld, um die Wirkung von Instrumenten auf neue gesellschaftliche Phänomene testen zu können. Bei den Steuererleichterungen handelt es sich um ein auf breiter Front eingesetztes Instrument, das wegen Mitnahmeeffekten aber durchaus umstritten ist.
- Prozedurale Aspekte und Instrumentenmix: Die Umsetzung von politischen Instrumenten kann unterschiedlich gestaltet werden: So können politische Interventionen mit einem Ablaufdatum versehen werden. Dieser als «Sunset-Legislation» bezeichnete Instrumenteneinsatz wurde mit der «Sunshine-Legislation» verglichen, welche statt auf zeitliche Begrenzung auf eine erhöhte Transparenz setzt. Der zweite prozedurale Aspekt, der in den Workshops diskutiert wurde, betrifft die Kombination von Instrumenten: Während der Umsetzung werden Instrumente gleichzeitig und in Kombination eingesetzt. Durch diese Koppelung verändert sich der Umsetzungsprozess und die Instrumente können in Kombination im Idealfall eine grössere Wirksamkeit entfalten.
- Neue persuasive Instrumente: Es wurden zwei neue Ausprägungen von persuasiven Instrumenten besprochen. Beim ersten Instrument handelt es sich um die sogenannten «Nudges». Dies sind kleine Interventionen, welche das Verhalten von Zielgruppen in eine bestimmte Richtung lenken sollen, ohne dass mit Reglementierung oder umfangreichen finanziellen Anreizen interveniert werden muss. Verhältnismässig neu ist auch der Einsatz Sozialer Medien. Sie dienen dazu, den Einsatz persuasiver Instrumente zu erweitern und zu unterstützen.
Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt. Die Ausführungen stützen sich auf Beiträge der Vortragenden sowie auf die Zusammenfassungen der Workshop-Leitenden. Es waren dies Stephanie Bade, Dirk Baier, Linda Burkhalter, Ricarda Ettlin, Carlo Fabian, Kurt Frei, Giada Gianola, Cornelia Hänsli Marrei, Claude Jeanrenaud, Wolfram Kägi, Deborah Maccarinelli, Marcello Martinoni, Corinne Moser, Roger Nordmann, Claudia Peter, Emmanuel Sangra, Lukas Schmid, Renato Tami sowie Martin Wicki.
Pilotprojekte und Steuererleichterungen zählen zu den klassischen Instrumenten öffentlicher Politik und werden bereits sehr lange eingesetzt. Folgende Erkenntnisse lassen sich zu ihrem Einsatz festhalten:
Dirk Baier (ZHAW) und Carlo Fabian (FHNW) haben Erfahrungen aus der Evaluation von zwei Pilotprojekten präsentiert. Die von Baier vorgestellte formativ wie auch summativ angelegte Evaluationsstudie zur «Prävention von Radikalisierungen von Jugendlichen im Netz» (Baier et al., 2019) untersuchte vier zeitlich begrenzte Pilotprojekte, die im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus durchgeführt wurden. Die vier Pilotprojekte verwendeten jeweils mehrere persuasive Elemente wie Botschaften gegen Hassreden, kurze Motion-Comics, Kurzvideos, Artikel und Zeichnungen, die über soziale Netzwerke verbreitet wurden und gegen islamistische Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen sollten. Die Jugendlichen wurden an der Entwicklung alternativer Narrative aktiv beteiligt, die ein breites Spektrum an Stories und Darstellungsformen abbildeten. Baier kommt zum Schluss, dass mit den Projekten Vorurteile abgebaut und Toleranz und Vielfalt gefördert werden könnten. Er empfahl eine begleitete Weiterführung der Projekte.
Die im Auftrag des BAG erarbeitete und von Fabian präsentierte Evaluationsstudie zu den «Drug-Checking»-Angeboten in der Schweiz (La Mantia et al., 2020) befasste sich mit der Möglichkeit, illegal erworbene Substanzen anonym – aber in Verbindung mit einem obligatorischen persönlichen Beratungsgespräch – chemisch auf ihre Wirkstoffe analysieren zu lassen. Im Sinne der Schadensminderung soll damit vor unbekannten, gefährlichen Inhalts- oder Zusatzstoffen gewarnt und eine Risikoabschätzung über den Konsum abgegeben werden. Gleichzeitig dienen die Informationen auch dazu, allfällige Substanzwarnungen zu veröffentlichen (safezone.ch). Die Evaluation fokussierte in erster Linie auf Output und Outcome der Angebote, also auf die Leistungen und die schadensmindernden Wirkungen auf die Zielgruppen. Die Beurteilung durch die Nutzenden fiel sehr positiv aus, ebenso der Bekanntheitsgrad des Online-Tools safezone. Die beiden unterschiedlichen Formen des Drug-Checkings (Walk-In und Mobil) weisen je spezifische Vorteile und Nutzen auf. Der Anteil der Nutzenden, die wegen des Angebots weniger riskant konsumieren, ist gut viermal grösser als der Anteil jener, die aufgrund des Checkings mehr konsumieren, weil sie sich sicherer fühlen. Hinweise auf Missbrauch der Angebote durch Dealer (im Sinne der «Qualitätssicherung») wurden nicht gefunden. Die Autorinnen und Autoren der Studie gaben Empfehlungen zur differenzierten Weiterführung und Optimierung der Angebote ab.
Bei der Diskussion der beiden Pilotprojekte wurden folgende Aspekte besonders hervorgehoben:
- Bei der Beurteilung von Pilotprojekten sollte deren Grundidee immer wieder in Erinnerung gerufen werden: Pilotmassnahmen oder Pilotprojekte sind Instrumente der experimentellen Gesetzgebung. Sie werden für Innovationen in verschiedenen Politikbereichen genutzt, um die Eignung einer neuen Massnahme oder einer neuen Leistung und deren Wirkungen auf verschiedene Akteure abzuklären und Kostenfolgen abzuschätzen. Sind Pilotprojekte erfolgreich, kann eine Weiterführung einer Massnahme erwogen werden. Anderenfalls sind Pilotmassnahmen wieder einzustellen. Pilotprojekte sind daher zeitlich, geografisch oder auf Personengruppen begrenzt und sie erfordern eine eigene gesetzliche Grundlage.
- Pilotprojekte werfen oft rechtliche wie ethische Fragen auf: Einerseits werden die Grenzen des bestehenden Rechts teilweise überschritten. Andererseits erhalten ausgewählte Personen eine «Sonderbehandlung», die anderen vorenthalten wird.
- An Pilotprojekte werden oft übertriebene Erwartungen geknüpft, die sich bei der Umsetzung nicht erfüllen lassen. Pilotprojekte sind daher als das zu sehen, was sie bereits vom Namen her versprechen: Sie sind ein Test für neue Interventionen, die je nach Testergebnissen wieder eingestellt oder weiterentwickelt werden müssen. Pilotprojekte können umgekehrt keine finale Problemlösung bieten, sondern nur mithelfen, diese zu entwickeln.
- Pilotprojekte helfen mit, Informationen über Wirkungszusammenhänge zu sammeln, die es anschliessend erlauben, neue und innovative Massnahmen präziser auf die jeweiligen Zielgruppen zuzuschneiden. Eingeschränkt wird dieser Nutzen durch die Tatsache, dass die Beteiligung an Pilotprojekten oft freiwillig ist und die Ergebnisse daher nur für einen bestimmten Teil der Zielgruppen Gültigkeit hat. Entsprechend ist es wichtig, Pilotprojekte in Bezug auf die Selektion der Zielgruppen möglichst präzise zu gestalten, um die Aussagekraft der Resultate anschliessend korrekt einordnen zu können.
- Schliesslich wird oft vergessen, die Verbreitung und Vermittlung der Resultate zu planen und die Ergebnisse transparent zu vermitteln, insbesondere gegenüber den politischen Entscheidungsträgern.
Steuererleichterungen sind bei der Politik sehr beliebt: Sie stehen im Ruf, einfach handhabbar zu sein, geringe Vollzugskosten zu verursachen und gleichzeitig eine hohe Wirkung zu erzielen. Allerdings werden Steuererleichterungen wegen ihrer hohen Mitnahmeeffekte auch stark kritisiert. Lukas Schmid (Fellow Avenir Suisse) und Claude Jeanrenaud (Professeur émérite, Université de Neuchâtel) haben ihre Evaluationsergebnisse zu Steuererleichterungen für Firmen vorgetragen (Kägi et al., 2013). Wolfram Kägi (Geschäftsführer BSS) hat die anschliessende Diskussion moderiert. Deren Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Steuererleichterungen als Instrument zur Ansiedelung von Unternehmen haben eine Wirkung: Sie helfen mit, Firmen anzuziehen respektive die Firmen am bestehenden Standort zu halten. Somit tragen sie dazu bei, dass Arbeitsplätze entstehen oder gehalten werden können. In der Tat ist die Wirkung dabei nicht nur kurzfristiger Natur, sondern auch langfristig.
- Steuererleichterungen sind allerdings auch ein teures Instrument: Die Kosten (entgangene Steuereinnahmen) sind häufig im Vergleich zum Nutzen (mehr Arbeitsplätze und langfristig auch mehr Steuereinnahmen) relativ hoch. Die Kosten können namentlich für Kantone hoch sein, weil sich die Transferzahlungen im Rahmen des Finanzausgleichs unter anderem anhand des Potenzials der Steuereinnahmen bemessen und nicht anhand der effektiven Steuererträge.
Die Wirkung von Steuererleichterungen zu messen ist komplex. Die potenziellen Effekte sind zahlreich und interdependent. Berücksichtigt werden müssen die notorisch schwierig zu messenden Mitnahmeeffekte sowie die Wirkungen von Steuererleichterungen auf die Unternehmensgewinnsteuern. Steuererleichterungen tangieren aber auch die im Rahmen des Finanzausgleichs fliessenden Transferzahlungen und wirken sich (im Idealfall positiv) auf die Zahl der Arbeitsplätze aus, welche wiederum die öffentlichen Finanzen tangieren.
Zwei Aspekte lassen sich unter obigem Titel zusammenfassen, die in den Workshops des SEVAL-Kongresses diskutiert worden sind: Die Befristung von Interventionen und die Kombination verschiedener Instrumente.
Politische Instrumente können prozedural unterschiedlich eingesetzt werden. Es stellt sich etwa die Frage, ob Massnahmen besser wirken, wenn sie zeitlich begrenzt sind (Sunset-Legislation). Dies war beispielsweise bei der Kostendeckenden Einspeisevergütung für die Stromproduktion auf erneuerbare Energien der Fall. Oder ist eine Massnahme wirksamer, wenn sie über eine «Sunshine»-Politik besonders transparent vollzogen wird, indem alle Grundlagen, Verhandlungen, Zwischenergebnisse, Leistungen wie Wirkungen mittels geeigneter Indikatoren und Benchmarking öffentlich zugänglich werden? Eine solche Politik verfolgt beispielsweise die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom als Regulator auf dem Strommarkt.
Unter der Leitung von Claudia Peter von ecoplan wurden Erfahrungen aus der Energiepolitik diskutiert, die von Roger Nordmann (Nationalrat SP) und Renato Tami (ehemaliger Geschäftsführer der Elektrizitätskommission ElCom) präsentiert wurden. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Die Wirksamkeit von Sunshine- oder Sunset-Gesetzgebung hängt ab vom Kontext der Gesetzesvorlage und dem Massnahmenbündel, das diese umfasst. Somit lässt sich nicht von vorneherein sagen, ob ein Konzept dem anderen vorgezogen werden kann.
- Sunset-Legislation wird von der Politik oft dann gewählt, wenn Unsicherheit über die Notwendigkeit und die notwendige Dauer einer Intervention besteht. Es wird angenommen (oder gehofft), dass die Intervention mit der Zeit entfallen kann, weil ihre Funktion vom Markt übernommen wird. Die Erfahrungen im Energiemarkt zeigen aber, dass diese Vorstellung oft auf Fehlannahmen beruht, weil sich zum Beispiel Investitionskosten nicht wie erwartet absenken. Entsprechend besteht die Tendenz, zeitlich limitierte Fördermassnahmen entgegen der ursprünglichen Absicht zu verlängern.
- Oftmals wird eine Sunset-Regulierung wider besseren Wissens eingesetzt: Um eine Förderung politisch akzeptabel zu machen, wird eine Befristung versprochen, obwohl klar ist, dass einmal eingeführte Fördermassnahmen schwer abzuschaffen sind. Allerdings gibt es je nach politischem Standpunkt eine positive Auslegung zu diesem Punkt: Sunset-Regelungen ermöglichen es, gewisse Politiken überhaupt konsensfähig zu gestalten, Neuerungen zu testen oder Entwicklungen zu beschleunigen.
Eine Alternative zur Sunset-Legislation stellen Pilotmassnahmen dar, wenn ihr Zweck klar deklariert wird, sie ergebnisoffen angelegt und nach Ablauf der Pilotdauer unabhängig evaluiert werden (vgl. oben).
Wie verhält es sich mit aber mit der sogenannten Sunshine-Politik? Sie kommt idealerweise bei komplexen Interventionen zum Einsatz, wie es beispielsweise die Regulierung des schweizerischen Strommarktes darstellt. Die Idee der Intervention besteht nun darin, mittels der erhöhten Transparenz Wirkungen bei den Zielgruppen auszulösen: Wird die Komplexität eines Problems beim Start der Intervention deutlich, reagieren die betroffenen Zielgruppen möglicherweise von selbst. Ein solcher Effekt konnte bei der internationalen Messung von Schulleistungen (Pisa-Studie) beobachtet werden und liess sich gemäss Renato Tami auch bei der Regulierung des Stromnetzes in der Schweiz beobachten: Die Informationspolitik der Elcom hat den Wettbewerb unter den Netzbetreibern gefördert und sich positiv auf den Markt ausgewirkt. Allerdings reicht die Sunshine-Politik alleine nicht aus: Es braucht gleichzeitig auch griffige Sanktionsmöglichkeiten bei Marktverstössen, ansonsten bleibt die Sunshine-Gesetzgebung wirkungslos.
Die Diskussion hat auch gezeigt, dass das Konzept der Sunshine-Politik theoretisch zwar wohl definiert ist, in der Praxis aber nur schwer von anderen Interventionen (wie z.B. Information und Beratung) abzugrenzen ist. Letztendlich könnte man den Begriff auch sehr breit fassen, womit Sunshine-Legislation Bestandteil jeder Intervention werden müsste: Jedes Gebot und Verbot, jede Subvention oder Kampagne müsste gegenüber der Öffentlichkeit transparent, nachvollziehbar und verständlich begründet und kommuniziert werden.
Kann der Mix von Massnahmen deren Wirkungen erhöhen? Auf Basis des Beitrags von Emmanuel Sangra (Eidgenössische Finanzkontrolle, EFK) und Ricarda Ettlin (Socialdesign) wurde diese Frage zu beantworten versucht. Gegenstand war eine Evaluation der EFK im Gesundheitsbereich (EFK 2021). Sie untersuchte, wie und mit welchen Massnahmen unnötige chirurgische Eingriffe vermieden und entsprechend Kosten reduziert werden könnten. Konkret wurde die Wirksamkeit eines Mix von total 15 Massnahmen beurteilt, die von Vorgaben, finanziellen Anreizen bis hin zu Empfehlungen und Selbstregulierungen der Spitäler reichten. Ein Schwergewicht bildeten die sogenannten persuasiven Massnahmen. Für die Umsetzung der Massnahmen sind zahlreiche Akteure verantwortlich, und zwar Behörden des Bundes, kantonale Stellen wie auch die Spitäler.
Welches sind die Erfahrungen bei einem solch breiten Massnahmenmix? Die Ergebnisse der Diskussion lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Es ist schwierig, bei einem breiten Massnahmenmix, der durch mehrere Vollzugsakteure umgesetzt wird, die Übersicht zu behalten. Nötig wäre an sich eine Stelle, die in der Lage wäre, den Massnahmeneinsatz zu koordinieren und zu überwachen.
- Trotz des Vorteils des Massnahmenmix gilt es, die klassischen Instrumente – im vorliegenden Fall die Tarife für die medizinischen Leistungen – und deren Wirkungen nicht zu unterschätzen.
- Verschiedene Massnahmen, insbesondere persuasive Massnahmen (Empfehlungen, Hinweise), werden von den Vollzugsinstanzen und Zielgruppen bevorzugt, weil sie einen grossen Handlungsspielraum erlauben und symbolisch eingesetzt werden können.
- Im Falle der chirurgischen Eingriffe gibt es zudem einen Zielkonflikt bei der Ausgestaltung der Massnahmen: Meist sind diese primär auf die Qualität und Sicherheit der Eingriffe fokussiert und weniger auf die (Senkung der) Kosten. Entsprechend erlauben es Evaluationen, diesen Zielkonflikt zu thematisieren.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich für den Massnahmenmix aus der Diskussion ableiten? Zunächst lässt sich festhalten, dass eine Kombination von unterschiedlichen Typen von Massnahmen immer zu prüfen ist. So etwa bilden Information und Beratung kombiniert mit finanziellen Anreizen ein gutes Gespann. Weiter sind Qualitätszirkel geeignet, die Wirkung von Massnahmen zu verstärken. Qualitätszirkel können helfen, die Anwendung und Bekanntheit bestehender Richtlinien zu verbessern. Schliesslich lässt sich durch den Einbezug eines breiten Kreises von Betroffenen die Wirkung der Instrumente erhöhen. Im Falle der chirurgischen Eingriffe ist der stärkere Einbezug der Stakeholder wie Patientenorganisationen, Hausärzte/‑innen und weiterer Akteure über die Bildung von entsprechenden Strukturen prüfenswert.
Mit den «Nudges» und den neuen Sozialen Medien stehen im Bereich der persuasiven Massnahmen neue Möglichkeiten der Intervention zur Verfügung. Während die «Nudges» einen spezifischen Wirkungsmechanismus adressieren, bieten die neuen Medien zusätzliche Kanäle zum Einsatz persuasiver Instrumente, die insbesondere ein neues Niveau bei der Partizipation und der Reaktion der Zielgruppen erlauben.
Nudging – ein Konzept, das im Marketing schon lange etabliert ist – wird zunehmend Teil des Instrumenten-Mix im staatlichen Instrumentenkasten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die «Default»-Einstellung beim Strommix, womit einige Energieversorgungsunternehmen ihre Kunden/-innen zur Wahl eines ökologischen Stromprodukts «anstupsen». Was für die einen ein erfolgsversprechender Ansatz ist, um ressourcenschonendes, gesundheitsförderndes oder anderweitig gesellschaftlich erwünschtes Verhalten zu fördern, ist für die anderen eine fragwürdige Massnahme mit manipulativen Elementen.
Das erste Referat von Verena Berger (ZHAW) fokussierte auf die Anwendung von Nudges zur Förderung von gesundem und ressourcenschonendem Verhalten, namentlich bei der Ernährung. Nudges wurden erprobt bei der Verpflegung ausser Haus in Restaurants und Kantinen. Die Absicht bestand darin, die Gerichte mit einer günstigen Energiebilanz zu fördern (z.B. Gerichte mit weniger Fleisch). Das zweite Referat von Stephanie Bade (econcept) fokussierte auf den Einsatz von Nudges im Rahmen der Energiepolitik am Beispiel der Stadt Zürich. Hier wurde der Einsatz von Nudges in vielen Bereichen des Energieverbrauchs (vom Strom bis hin zum Heizungs- und Wasserverbrauch) analysiert (Montanarie et al., 2017). Corinne Moser (econcept AG) hat die Diskussion moderiert und die Ergebnisse zusammengefasst.
Die Präsentation der Erfahrungen und die anschliessende Diskussion hat zunächst folgendes verdeutlicht:
- Das Design eines wirkungsvollen Nudges ist komplex. Es erfordert ein tiefgreifendes Verständnis über Entscheidungsprozesse von Zielgruppen und muss an den jeweiligen Kontext angepasst werden. Zielgruppen sind dabei nicht nur Endkonsumenten/-innen, sondern auch Mittler/-innen, die im Rahmen einer Organisation eine Entscheidung treffen, beispielsweise Verantwortliche in Betrieben und Organisationen. Mit anderen Worten: Der Staat braucht viele Informationen über Endkunden/-innen und Mittler/-innen, um Nudges richtig einsetzen zu können.
- Neben den genannten Herausforderungen bietet Nudging aber auch die Chance, mit kleinen, umsetzbaren und kostengünstigen Massnahmen eine grosse Wirkung zu erzielen. Gerade im Hinblick auf nachhaltigen Konsum oder Gesundheitsverhalten kann Nudging einen positiven Beitrag leisten. Voraussetzung ist allerdings, dass genügend Informationen zu den Zielgruppen vorliegen.
- Die Akzeptanz von Nudging hat verschiedene Dimensionen mit je eigenen Herausforderungen: Die Akzeptanz der Zielgruppen beziehungsweise der Gesellschaft, «genudged» zu werden, die Akzeptanz beziehungsweise Bereitschaft der Entscheidungsträger/-innen in einer bestimmten Situation einen Nudge einzusetzen, sowie die Akzeptanz der Umsetzer/-innen, den Nudge in einem bestimmten Kontext (z.B. in der Mensa) zu implementieren und über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
- Nudging ergänzt den bestehenden Instrumenten-Mix und kann eingesetzt werden, um die Wirkung anderer Instrumente zu verstärken. Es vermag aber bestehende Instrumente nicht zu ersetzen.
- Der Einbezug von Nudging als mögliches Instrument fördert die Auseinandersetzung mit den Entscheidungsprozessen der Zielgruppen. Dies ist eine wichtige Basis nicht nur für die Gestaltung von wirkungsvollen Nudges, sondern auch für die Entwicklung anderer Politikinstrumente.
Soziale Medien spielen auch in der Gesundheitsförderung eine immer wichtigere Rolle. Posts, Tweets und Stories können genutzt werden, um wichtige Themen der Gesundheitsförderung zu kommunizieren. Alle Sozialen Medien verfügen über Statistik-Tools, welche die wichtigsten Daten anzeigen, zum Beispiel wie viele Personen den Beitrag angesehen haben, wie viele Likes es gibt, welche Art von Nutzern erreicht wurde. Aber was messen diese statistischen Werkzeuge eigentlich? Wie können sie im Rahmen einer Evaluation einer Massnahme zur Gesundheitsförderung eingesetzt werden? Kurt Frei (Ufficio del Medico TI) und Deborah Maccarinelli (RADIX) haben ihre Erfahrungen zum Thema geteilt. Marcello Martignoni und Giada Gianola haben die Diskussion geleitet und die Ergebnisse festgehalten. Diese lassen sich wie folgt umschreiben:
- Statistische Instrumente in den Sozialen Medien ermöglichen die Messung der Aufmerksamkeit und der emotionalen Wahrnehmung, die sich aus dem Einsatz klassischer Kommunikationsmassnahmen ergeben. In diesem Sinne gehen sie über die klassischen Informations- und Kommunikationsinstrumente hinaus und schaffen neue Instrumente des Monitorings von Kampagnen.
- Die Nutzenden von Sozialen Medien repräsentieren nicht die gesamte Bevölkerung: Vielmehr sind junge und technikaffine Personen übervertreten. Es ist daher notwendig, Social-Media-Kennzahlen in Kombination mit anderen klassischen quantitativen und qualitativen Messmethoden einzusetzen, um die Wirksamkeit einer Kommunikationsmassnahme zu messen.
- Um eine wirksame Gesundheitsförderung zu betreiben, reicht es nicht aus, nur Soziale Medien zu nutzen. Um die gesamte Zielgruppe zu erreichen, müssen klassische Massnahmen und Kommunikationskanäle wie Websites, Broschüren usw. integriert und mit Sozialen Medien kombiniert werden.
- Soziale Medien ersetzen nicht den persönlichen Kontakt. Dieser ist nach wie vor entscheidend, damit eine Intervention tatsächlich Effekte erzeugt und nachhaltig wirken kann.
Die Diskussion ausgewählter Instrumente lässt einige generelle Schlussfolgerungen zum Instrumenteneinsatz in öffentlicher Politik zu:
- Der Staat braucht (viele) Informationen: Ein wirksamer Instrumenteneinsatz ist dann wahrscheinlich, wenn der Staat über ausführliche Informationen über die Zielgruppen verfügt. Dies ist auch bei neuen Instrumenten sehr ausgeprägt der Fall: So zeigte die Diskussion, dass der Einsatz von Nudges nur dann erfolgreich sein kann, wenn deren Wirkungsweise gut begriffen wird, das Kalkül der Zielgruppen bekannt ist und der Einsatz entsprechend massgeschneidert erfolgt.
- Neue Instrumente helfen, Informationen zu sammeln: Neue Soziale Medien können helfen, die Reichweite, die Akzeptanz und die Reaktion von Zielgruppen auf staatliche Interventionen besser zu erfassen. Allerdings gilt auch hier: Es braucht gute Kenntnis über den Einsatz und die Grenzen beim Einsatz Sozialer Medien, um die daraus resultierenden Resultate korrekt interpretieren zu können. Weiter können richtig konzipierte und eingesetzte Pilotprojekte helfen, Informationen über Wirkungszusammenhänge zu sammeln.
- Information als Intervention: Die Sunshine-Legislation zeigt, dass bereits die Transparenz über die staatliche Intervention Wirkung erzielen kann. Das bedeutet verallgemeinert, dass nicht nur die Information über die Zielgruppe zentraler Bestandteil einer erfolgreichen Information ist. Auch Informationen an die Zielgruppen zur Schaffung von Transparenz über den Instrumenteneinsatz sollte an sich zum Standard guter Politik gehören.
- Missbrauch von Instrumenten: Pilotprojekte und Sunset-Legislation haben eine eigene Programmlogik. Diese wird aber oft nicht beachtet respektive die Instrumente werden missbraucht: Sie sollen den politischen Widerstand bei der Einführung von Interventionen tief halten («es geht ja nur um eine begrenzte Intervention oder nur um einen Test») und verschleiern, dass ein langfristiger Instrumenteneinsatz geplant wird.
Vor dem Hintergrund dieser Schlussfolgerungen wird die wichtige Rolle der Politikevaluation deutlich: Sie soll einerseits belastbare Informationen über Wirkungszusammenhänge liefern, die mithelfen, eine möglichst angemessene Gestaltung von Interventionen zu ermöglichen. Der Informationsbedarf hat dabei eher zu- als abgenommen. Dies nicht zuletzt in Folge stärkerer Interdependenz von Politiken und steigender Komplexität derselben. Evaluationen sollen aber auch auf Grenzen der Intervention respektive auf Misserfolge hinweisen. Falsch eingesetzte Pilotprojekte, Sunset-Legislationen, die nicht als solche gehandhabt werden, hohe Kosten von Interventionen (Steuererleichterungen) und hoher Informationsbedarf (Nudges) müssen von der Evaluation benannt und kritisiert werden. Dies ist mit eine der zentralen Funktionen der Evaluation.
Dr. rer. Pol. Stefan Rieder, Mitinhaber und Geschäftsführer von Interface Politikstudien Forschung und Beratung in Luzern und Lausanne; Präsident der der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft (SEVAL); Ständiger Lehrbeauftragter für Policy-Analyse an der Universität Luzern; Dozent an verschiedenen Fachhochschulen zu den Themen Evaluation, Politikwissenschaften und Energie.
- Baier, Dirk / Kamenowski, Maria / Curty, Gaël / Eser Haymoz, Sandrine / Manzoni, Patrik / Rether, Ayesha / Wegel, Melanie (2019): Evaluation der Pilotprojekte Gegennarrative und Alternative Narrative zur Prävention von Radikalisierung im Netz, die zu gewalttätigem Extremismus führt, Beiträge zur sozialen Sicherheit, Forschungsbericht Nr. 3/19, Bundesamt für Sozialversicherungen, Bern.
- Braun, Dietmar / Giraud, Oliver (2003): Steuerungsinstrumente, in: Schubert, Klaus / Bandelow, Nils C. (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse, Oldenbourg Verlag, München/Wien, 147–174.
- Eidgenössische Finanzkontrolle (2021): Evaluation der Massnahmen zur Förderung oder Begrenzung der Anzahl chirurgischer Eingriffe, EFK Bern.
- Kägi, Wolfram / Frey, Miriam / Liechti, David / Meier, Harald / Morlok, Michael / Oswald, Andrea / Meisinger, Markus / Jeanrenaud, Claude / Voillat, Françoise / Frey, René L. (2013): Evaluation der Steuererleichterungen im Rahmen der Regionalpolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern.
- La Mantia, Alexandra / Oechslin, Lukas / Duarte, Marcelo / Laubereau, Birgit / Fabian, Carlo (2020): Studie zu den Effekten der Drug-Checking-Angebote in der Schweiz. Bericht zuhanden des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Interface Politikstudien Forschung Beratung und Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Luzern/Muttenz.
- Montanari, Daniel / Bade, Stephanie / von Grünigen, Stefan / Koebel, Kathrin (2017): Nudges als Beitrag zur Erreichung der 2000-Watt-Gesellschaft. Energieforschung Stadt Zürich. Bericht Nr. 36, Forschungsprojekt FP-1.13.