Wissenschaftliche Beiträge

Elektronische Stimmauszählung im Spannungsfeld zwischen kantonaler Souveränität und Aufsicht des Bundes

Felix Strebel
Felix Strebel
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Zitiervorschlag: Felix Strebel, Elektronische Stimmauszählung im Spannungsfeld zwischen kantonaler Souveränität und Aufsicht des Bundes, LeGes 1

Verschiedene Schweizer Städte und Gemeinden setzen zunehmend auf die elektronische Auszählung von Stimmen (E-Counting). Die Stimmzettel werden dabei weiter auf Papier abgegeben, im Anschluss jedoch von einem Scanner eingelesen und von einer Software ausgewertet. Der Beitrag zeigt die Problematik der Technologie hinsichtlich der Wahl- und Abstimmungsfreiheit auf. Anschliessend werden die Anforderungen des Bundes zur Sicherstellung einer korrekten Auszählung durch Kantone und Gemeinden bewertet und im föderalistischen Spannungsfeld diskutiert. Die Thematik wird basierend auf den Ergebnissen einer Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) behandelt.


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

[1]

In den Kantonen Genf und Basel-Stadt sowie in verschiedenen Schweizer Städten wie Bern, Lausanne, Freiburg und St. Gallen werden die Stimmen nicht mehr von Hand ausgezählt, sondern gescannt und elektronisch ausgewertet. Der Städteverband weist darauf hin, dass bei der elektronischen Auszählung die Stimmzettel im Vergleich zu den herkömmlichen Stimmzetteln einfacher auszufüllen sind (alle Vorlagen auf einem Zettel), die Auszählung schneller und effizienter abgewickelt werden kann sowie die Sicherheit und Genauigkeit garantiert seien. Die elektronische Auszählung stelle folglich eine kostengünstigere und übersichtlichere Lösung dar (Schweizer Städteverband 2017).

[2]

Das sorgfältige und ordnungsgemässe Auszählen von Stimm- und Wahlzetteln ist eines der grundlegenden Verfahren in einer Demokratie und gehört zu den politischen Rechten. Artikel 34 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV) hält fest, dass die Garantie der politischen Rechte die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe schützt (Steinmann 2014). Gemäss Artikel 84 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR) muss der Bundesrat die Verwendung technischer Hilfsmittel bei Wahl- und Abstimmungsverfahren genehmigen. Bei der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 wurden in der Stadt Bern bei der elektronischen Auszählung in einer Stichprobenkontrolle Fehlinterpretationen entdeckt. Die Stadt Bern verwies darauf, dass die Bundeskanzlei (BK) das Verfahren genehmigt habe. Ein vermehrtes Auftreten von Fehlern kann sich auf die demokratische Legitimation und Glaubwürdigkeit des Abstimmungssystems auswirken. Nicht nur in der Schweiz werden die Manipulierbarkeit der elektronischen Auszählung und dadurch letztlich der Abstimmungsergebnisse thematisiert.1

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Die Erkenntnisse aus der Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) zur elektronischen Auszählung von Stimmen (PVK 2017) dienen als Diskussionsgrundlage für den vorliegenden Beitrag. Die PVK wurde von den Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) für die erwähnte Evaluation im Januar 2015 mandatiert.2 Ziel der Evaluation war es, die Zweckmässigkeit der elektronischen Auszählung zu beurteilen. Im vorliegenden Beitrag wird folgenden Fragen nachgegangen:

  • Welche Herausforderungen stellen sich bei der elektronischen Auszählung hinsichtlich der Garantie der Wahl- und Abstimmungsfreiheit?
  • Wie ist die Rolle des Bundes als Genehmigungsinstanz für die elektronische Auszählung zu beurteilen?
  • Wie sind die Anforderungen des Bundes an die elektronische Auszählung zu beurteilen und wie werden diese umgesetzt?

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Die Erkenntnisse zu diesen Fragen stammen aus einer technischen Analyse, einem Rechtsgutachten und einer Analyse der Behandlung der Gesuche. Die Evaluation hat die rechtlichen Zuständigkeiten für die Genehmigung beim Bund, die Anforderungen an die elektronische Auszählung und deren Einhaltung im Rahmen der Genehmigung sowie die Genauigkeit dieser Auszählungsart ins Zentrum gerückt. Die technische Analyse wurde von Robert Krimmer und Dirk-Hinnerk Fischer von der Technischen Universität Tallinn durchgeführt. Erstellt wurde eine Kriterienliste, die den Stand der Technik bzw. die internationale Good Practice für die elektronische Auszählung abbildet und als Basis für die Beurteilung der Anforderungen der BK diente. Von Andreas Glaser und Corina Fuhrer vom Zentrum für Demokratie in Aarau wurde das Rechtsgutachten erstellt. Ziel des Mandats war die Evaluation der normativen Qualität und Kohärenz der Beurteilungskriterien zur Bewilligung der elektronischen Auszählung sowie der verfassungsrechtlichen Bestimmung der Kompetenzen des Bundes bei der Erteilung von Bewilligungen. Beide Gutachten vergleichen zudem die Anforderungen an die elektronische Auszählung mit jenen an die elektronische Stimmabgabe (Vote électronique/E-Voting). Die Einhaltung der Anforderungen durch den Bund im Genehmigungsverfahren wurde durch die PVK basierend auf den von den Kantonen bei der BK eingereichten Dossiers geprüft. Ergänzend wurden leitfadengestützte Interviews mit Personen der BK und mit Vertretern jener drei Kantone geführt, in welchen die Ermöglichung der elektronischen Auszählung von Stimmen am wenigsten weit zurückliegt. Die Frage nach der Genauigkeit der elektronischen Auszählung wurde anhand einer vergleichenden Auszählung von Stimmzetteln eruiert. Im Rahmen der eidgenössischen Abstimmung vom 5. Juni 2016 hat die PVK bei drei ausgewählten Kantonen3 und Gemeinden die elektronisch ausgezählten Stimmzettel manuell nachgezählt und den offiziell ermittelten Ergebnissen gegenübergestellt. Zum Vergleich wurden zudem Stimmzettel bei vier Kantonen und Gemeinden mit Handauszählung der Stimmen manuell nachgezählt. Die Teilnahme an der Untersuchung war für die Kantone und Gemeinden freiwillig; sie werden im Bericht nicht namentlich genannt.

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Im anschliessenden Abschnitt wird das Instrument der elektronischen Auszählung vorgestellt und gegenüber Vote électronique abgegrenzt. Im dritten Abschnitt werden die Herausforderungen der elektronischen Auszählung hinsichtlich der Garantie der Wahl- und Abstimmungsfreiheit diskutiert. Die Anforderungen des Bundes an die Gesuche zur elektronischen Auszählung von Stimmen wie auch deren Durchsetzung werden im vierten Abschnitt beurteilt. Im letzten Abschnitt werden die Schlussfolgerungen gezogen und die politischen Folgerungen der GPK des Nationalrates kurz erläutert.

2. Elektronische Auszählung von Stimmen

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Stimmzettel können über drei verschiedene Kanäle abgegeben werden: an der Urne, brieflich oder in einzelnen Kantonen via Internet.4 Die Stimmabgabe via Post und direkt an der Urne erfolgt auf Papier. Die Stimmen werden im Anschluss traditionell von Hand gezählt (Nuspliger/Mäder 2013). Um das Verfahren zu beschleunigen und die Fehleranfälligkeit zu verringern, kommen inzwischen verschiedene technische Hilfsmittel zur Anwendung. Dazu zählen in erster Linie Präzisionswaagen und Zählmaschinen, wie sie von Geldinstituten verwendet werden, aber auch Scanner zur elektronischen Auszählung der Stimmen. Während bei Präzisionswaagen oder Zählmaschinen die Stimmzettel manuell vorsortiert werden, wird bei der elektronischen Auszählung nach der Erfassung durch den Scanner eine Software eingesetzt, welche den Willen der Stimmenden (Kreuz auf dem Stimmzettel) erkennt, zuordnet und anschliessend das Resultat ermittelt. Dafür kommen in der Schweiz zwei Verfahren zum Einsatz: Intelligent Mark Recognition (IMR) und Optical Mark Recognition (OMR). Beide Technologien ermöglichen die Erkennung von Markierungen (Kästchen, Kreuz, Strichcode) und werden beispielsweise auch für die Auswertung von Fragebögen eingesetzt.

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Für die Stimmberechtigten ergeben sich, abgesehen von neuen Stimmzetteln, auf denen Ja oder Nein nur noch angekreuzt werden müssen, keine direkten Änderungen, wenn von der Handauszählung auf die elektronische Auszählung gewechselt wird. Sie können ihren Stimmzettel weiterhin über die beiden gängigen Stimmkanäle (per Post oder durch Abgabe im Wahllokal) einreichen.

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Die elektronische Auszählung wurde bisher von einzelnen Gemeinden bzw. Kantonen (Genf und Basel-Stadt) eingeführt. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Städte. Insgesamt werden gegenwärtig über die ganze Schweiz gesehen die Stimmen von über zehn Prozent der Stimmberechtigten elektronisch ausgezählt (siehe Anhang).

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Die elektronische Auszählung steht in der Schweiz im Schatten von Vote électronique, das eine grössere Aufmerksamkeit erfährt. Dies zeigt sich u. a. in der Anzahl parlamentarischer Vorstösse und im Umfang der medialen Berichterstattung. Unter Vote électronique wird die elektronische Stimmabgabe verstanden, die von der Stimmbürgerin bzw. vom Stimmbürger von einem Computer aus – und daher unabhängig vom individuellen Aufenthaltsort – durchgeführt wird. Die Kantone sind wie bei der elektronischen Auszählung frei, Vote électronique einzuführen. Es bedarf aber ebenfalls der Bewilligung durch den Bundesrat. Dabei ist dieser ermächtigt, örtlich, zeitlich und sachlich begrenzte Versuche für interessierte Kantone und Gemeinden zuzulassen (Art. 8a Abs. 1 BPR). Vote électronique unterscheidet sich fundamental von den beiden bisher gebräuchlichen Stimmkanälen (Urne, brieflich), da das gesamte Verfahren von der Stimmabgabe über die Entgegennahme der Stimmen bis zu deren Auszählung auf elektronischem Weg erfolgt. Die Plausibilisierung – die Überprüfung, ob ein Resultat nachvollziehbar und richtig sein kann – bezieht sich bei Vote électronique auf drei technische Schritte: (1) Die Abgabe der Stimme via Internet gemäss Absicht («cast-as-intended»), (2) die Ablage der Stimme im Sinn ihrer Abgabe («recorded-as-cast») und (3) die Zählung der Stimme im Sinn der Ablage («counted-as-recorded»). Im Unterschied dazu gelangen beim E-Counting technische Hilfsmittel erst auf der dritten Stufe der «Ermittlung der Wahl- und Abstimmungsergebnisse» zum Einsatz, während die Stimmzettel weiterhin auf Papier vorliegen.

3. Herausforderungen bei der Wahl- und Abstimmungsfreiheit

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Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts gibt die in Artikel 34 Absatz 2 BV verankerte Wahl- und Abstimmungsfreiheit den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass «kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt» (BGE 141 II 297). Darunter fällt insbesondere die korrekte Stimmenverwertung, Auszählung und Ermittlung des Wahl- und Abstimmungsergebnisses. Diese werden durch institutionelle Vorkehren wie die Einsetzung eines Stimmbüros oder Stimmausschusses unterstützt. Durch die Vertretung verschiedener Personen, Parteien oder Gruppierungen wird eine gegenseitige Kontrolle der Mitglieder ermöglicht (Hangartner/Kley 2000). Der einzelne Stimmberechtigte besitzt dementsprechend ein Recht auf ordnungsgemässe und sorgfältige Auszählung der Stimmen, woraus ein allfälliger Anspruch auf Nachzählung abzuleiten ist (Glaser/Fuhrer 2016, 6). Ein sehr knappes Abstimmungsergebnis erfordert nach Artikel 13 Absatz 3 BPR jedoch nur dann eine Nachzählung, wenn Unregelmässigkeiten glaubhaft gemacht worden sind, die nach Art und Umfang geeignet waren, das Bundesergebnis wesentlich zu beeinflussen. Das alleinige Vorliegen eines sehr knappen Abstimmungsergebnisses genügt demnach für eine Anfechtung des Resultats durch die Stimmberechtigten nicht (Glaser/Fuhrer 2016, 9). Die Akzeptanz knapper Abstimmungsergebnisse hängt massgeblich davon ab, dass das Auszählungsverfahren Gewähr für eine sorgfältige Ermittlung der Abstimmungsergebnisse bietet (BGE 141 II 297).

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In Bezug auf die korrekte Ermittlung des Abstimmungsergebnisses stellen sich bei der elektronischen Auszählung vergleichbare Fragen wie beim Vote électronique. Zwar unterscheiden sich die ersten beiden Schritte («cast-as-intended», «recorded-as-cast»), da diese bei der elektronischen Auszählung manuell und beim Vote électronique elektronisch durchgeführt werden. Der letzte Schritt jedoch, die Summierung aller elektronisch erfassten Stimmen zum finalen Resultat («counted-as-recorded»), ist bei beiden Varianten gleichermassen der Manipulation ausgesetzt und nur schwer überprüfbar. Da der elektronische Vorgang der Auszählung und insbesondere die Addierung der Stimmen durch die Stimmberechtigten praktisch nicht überprüfbar sind, schliesst dies zugleich den Nachweis von Unregelmässigkeiten aus, was eine Anfechtung des elektronisch ausgezählten Resultats praktisch verunmöglicht (Glaser/Fuhrer 2016, 9). Bei der elektronischen Auszählung wird eine Plausibilisierung gegenüber Vote électronique durch das Vorliegen von Papierstimmzetteln (sogenannter «paper trail») erleichtert.

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Die hohen Anforderungen an die Geltendmachung von Unregelmässigkeiten sind daher in Anbetracht der erschwerten Erkennbarkeit im Vergleich zur vollständig manuellen Auszählung für Verfahren der elektronischen Auszählung wie auch für Vote électronique erheblich herabgesenkt. Die grösste Aufmerksamkeit ist beim Einsatz technischer Hilfsmittel auf die rechtliche Verankerung von Transparenz und Plausibilisierung zu legen (Glaser/Fuhrer 2016, 22).

4. Kompetenzen des Bundes bei der elektronischen Auszählung

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Der Bund verfügt im Bereich von Wahlen und Abstimmungen nur über geringe Kompetenzen und setzt in erster Linie die Rahmenbedingungen (u. a. Bereitstellen der Stimmzettel, Veröffentlichung der Ergebnisse). Die Abstimmungen über nationale Vorlagen werden von den Kantonen auf ihrem Gebiet gemäss Artikel 10 Absatz 2 BPR selbst durchgeführt. Zudem erlassen die Kantone die erforderlichen Anordnungen, die eine korrekte Auszählung garantieren und eine Beschwerdemöglichkeit schaffen. Soweit die BV, das BPR und die Ausführungserlasse des Bundes keine Bestimmungen enthalten, gilt kantonales Recht. Folglich liegt es in der Verantwortung der Kantone, wie die Stimmen ausgezählt werden. So werden die Stimmzettel in gewissen Gemeinden von einem nichtständigen Stimmausschuss ohne Bezahlung ausgezählt, während in anderen Gemeinden Parteimitglieder oder auch bezahlte Bürgerinnen und Bürger das Auszählen übernehmen.

[14]

Gemäss Artikel 91 Absatz 2 erster Satz BPR bedürfen die kantonalen Ausführungsbestimmungen zur Ausübung des eidgenössischen Stimmrechts einer Genehmigung seitens des Bundes. Demnach müssen sowohl Bestimmungen zur manuellen Auszählung als auch Normen, welche die elektronische Auszählung und Vote électronique regeln, durch den Bund genehmigt werden. Für Vote électronique und die elektronische Auszählung gelten gegenüber dem konventionellen Zählverfahren gewisse zusätzliche Regelungen. So muss für beide eine gesonderte Genehmigung des Bundesrates vorliegen. Der Genehmigungsvorbehalt für die technischen Hilfsmittel wird in Artikel 84 BPR explizit aufgeführt. Das Gesuch für die elektronische Auszählung in einzelnen Gemeinden muss beim Bund immer vom jeweiligen Kanton eingereicht werden. Für die Einführung sind Änderungen in den gesetzlichen Grundlagen der Kantone und jeweiligen Gemeinden erforderlich. Durch das Genehmigungsverfahren wird ein gewisses Mindestmass an Homogenität zwischen den kantonalen Bestimmungen und damit indirekt auch bezüglich der verwendeten elektronischen Hilfsmittel gewährleistet. Der Bund trägt dabei den in den Kantonen gewachsenen Traditionen bei der Ausübung politischer Rechte Rechnung (Glaser/Fuhrer 2016, 25).

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In der Botschaft vom 1. September 1993 zur Änderung des BPR wurde die Bestimmung, dass technische Hilfsmittel (Art. 84 BPR) durch den Bundesrat genehmigt werden müssen, mit dem Hinweis auf die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung begründet (Bundesrat 1993). Als Voraussetzungen für die Genehmigung solcher Hilfsmittel durch den Bundesrat wurden aufgeführt, dass die Eignung und Zuverlässigkeit der technischen Mittel und namentlich auch die Wahrung des Stimmgeheimnisses gewährleistet sind. Das Gesetz wurde zwar durch keine Verordnung, jedoch durch ein Kreisschreiben des Bundesrates vom 15. Januar 2003 an die Kantonsregierungen zur Resultatermittlung mit technischen Geräten bei eidgenössischen Volksabstimmungen (BBl 2003 419) konkretisiert. Die aufgeführten Anforderungen betrafen insbesondere Präzisionswaagen. Hingegen entwickelte dieses Kreisschreiben keine Anforderungen an die elektronische Auszählung. Erst mit dem am 18. Mai 2016 neu in Kraft getretenen Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen über die Ermittlung der Ergebnisse eidgenössischer Volksabstimmungen mit technischen Mitteln (BBl 2016 4099) wurden Anforderungen an maschinenlesbare Stimmzettel speziell zur Gewährleistung der Vertrauenswürdigkeit festgehalten. Zudem müssen die speziell für die elektronische Auszählung angefertigten Stimmzetteln für jeden eidgenössischen Urnengang von der BK genehmigt werden.5 Dabei wird darauf geachtet, dass es sich um exakt denselben Text (inkl. Zeilenumbrüchen, Fettgedrucktes etc.) handelt wie auf den herkömmlichen Stimmzetteln der BK.

[16]

Genehmigungsvorbehalte, wie sie Artikel 91 Absatz 2 BPR und Artikel 84 Absatz 2 BPR statuieren, sind unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich und schlüssig (Glaser/Fuhrer 2016, 27). Der Bundesrat verfügt folglich über die rechtliche Grundlage, die Transparenz und die Plausibilisierung bei der elektronischen Auszählung einzufordern. Wie die Anforderungen ausgestaltet sind, wird im folgenden Abschnitt diskutiert.

5. Anforderungen des Bundes an die elektronische Auszählung

5.1. Defizite bei den Anforderungen des Bundes an die Gesuche

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Die BK basierte ihre Beurteilung der kantonalen Gesuche bisher auf drei Säulen: dem BPR, dem Kreisschreiben und der Kommunikation mit den Kantonen. Die darin enthaltenen Anforderungen werden in der Folge mit Blick auf die technischen Anforderungen und die Befristung der Bewilligung beurteilt.

[18]

In Artikel 84 Absatz 2 BPR sind keine materiellen Vorgaben an die Zuverlässigkeit der bei der Ergebnisermittlung einzusetzenden technischen Mittel verankert. Es handelt sich vielmehr um eine Blanko-Ermächtigung an den Bundesrat, die Vorgaben zu konkretisieren. Das Gesetz beinhaltet bei isolierter Betrachtung keine hinreichende Bestimmtheit (Glaser/Fuhrer 2016, 19). Ebenso beinhaltet Artikel 84 Absatz 2 BPR keine Gesetzesdelegation, und weder in einer Verordnung noch im Kreisschreiben 2003 wurden die Anforderungen an die elektronische Auszählung definiert. Als Hilfestellung für die Einreichung von Gesuchen um eine Genehmigung für den Einsatz von Verfahren der elektronischen Auszählung wurde den interessierten Kantonen bislang durch die Sektion Politische Rechte der BK per E-Mail eine Anleitung zur Verfügung gestellt. Darin werden primär die einzureichenden Dokumente und Nachweise benannt und erläutert.

[19]

Das von der PVK in Auftrag gegebene technische Gutachten zeigt auf, dass auch mit der Konkretisierung durch diese Hilfestellung die Anforderungen des Bundes vor dem Erlass des Kreisschreibens 2016 im Vergleich mit der internationalen Good Practice zur elektronischen Auszählung grössere Defizite aufweisen (Krimmer/Fischer 2016).6 So fehlen in den Anforderungen an das Betriebskonzept, das ein Sicherheits- und ein Technikkonzept umfassen soll, beispielsweise zentrale Aspekte wie technische Hilfestellungen für die Wahlhelfer durch den Hersteller sowie Risiko- beziehungsweise Krisenmanagementkonzepte. Ebenfalls fordert der Bund keine Auseinandersetzung mit der Problematik der Abhängigkeit vom Hersteller. Bei den Genehmigungsprozessen wird vom Bund nicht durchgehend ein Vier-Augen-Prinzip eingefordert. Ebenso sind Anforderungen an den Aus- sowie Nachzählungsprozess gering. So fehlt beispielsweise das Erfordernis, dass eine statistisch relevante Stichprobe zur Plausibilisierung der Zählergebnisse erhoben wird.

[20]

Im Unterschied zum Kreisschreiben 2003 regelt das am 18. Mai 2016 erlassene Kreisschreiben des Bundesrates erstmals explizit die Bewilligung von Verfahren zur elektronischen Auszählung. Gemäss Ziffer 3.1 des Kreisschreibens 2016 gelten zwei Verfahren mit elektronischer Erfassung und Auszählung von Stimmzetteln als bewilligt, sodass für den Einsatz derselben Verfahren in weiteren Kantonen und Gemeinden nicht erneut ein Gesuch beim Bundesrat gestellt werden muss. Die Kantone müssen den Einsatz von bewilligten Verfahren oder deren Ausdehnung auf weitere Gemeinden des Kantonsgebiets vor dem erstmaligen Einsatz der Bundeskanzlei lediglich melden (Ziff. 3.2). Die Kantone sichern gegenüber der BK explizit die Erfüllung sämtlicher Kriterien in Bezug auf die maschinenlesbaren Stimmzettel und die Gewährleistung der Vertrauenswürdigkeit zu. Gleichzeitig kann die BK Belege einfordern. Problematisch ist hier jedoch, dass die BK über eines der beiden Betriebskonzepte, das als Referenz gilt, nicht verfügt. Für diesen Kanton wurden nur die Rechtsgrundlagen zur Genehmigung geprüft, und auch später wurde kein Betriebskonzept nachgereicht. Dadurch können Belege von Kantonen, die sich bei der Einführung auf dieses Verfahren stützen, nicht mit dessen Betriebskonzept verglichen werden. Im Lichte der rasanten technischen Entwicklung erscheint die einfache Meldung beim Einsatz von bereits durch den Bundesrat genehmigten Verfahren als ein sehr weitgehender Schritt. Dieser impliziert, dass die derzeit im Einsatz befindlichen Verfahren (ursprünglich in den Jahren 2001 und 2008 erstmals eingeführt) der aktuellen internationalen Good Practice entsprechen (Krimmer/Fischer 2016, 28). Trotz der Möglichkeit, Belege einzufordern, findet keine systematische Prüfung statt.

[21]

Demgegenüber konkretisierte der Bundesrat entsprechend der Delegation in Artikel 8a Absatz 4 BPR die Modalitäten von Vote électronique ausführlich auf Verordnungsstufe. Die Kantone müssen im Hinblick auf die Zuverlässigkeit von Vote électronique alle wirksamen und angemessenen Massnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass der Urnengang korrekt durchgeführt und abgeschlossen werden kann (Art. 27j Abs. 1 der Verordnung über die politischen Rechte [VPR]). Weiter werden insbesondere Anforderungen an die Plausibilisierung des Ergebnisses gestellt (Art. 27i VPR). Die Plausibilisierung erweist sich als Schlüsselinstrument zur Gewährleistung der Verfassungskonformität des Vote électronique, lassen sich doch auf diese Weise durch Softwarefehler, menschliche Fehlleistungen oder vorsätzliche Manipulationen verursachte systematische Fehlfunktionen im Abstimmungsablauf vor der Publikation des Abstimmungsergebnisses mutmasslich entdecken (Glaser 2015).

[22]

Ein tiefgreifender Unterschied zwischen den Anforderungen des Bundes an Vote électronique gegenüber jenen an die elektronische Auszählung stellt die Tatsache einer einmaligen und unbefristeten Bewilligung dar. Die Genehmigung für Vote électronique unterliegt einem differenzierteren zweistufigen Verfahren. Dieses besteht aus einer vom Bundesrat zu erteilenden Grundbewilligung (Art. 27a Abs. 1 VPR) und einer generellen Bewilligung, die nach fünf Urnengängen nicht mehr an bestimmte Urnengänge gebunden ist (Art. 27a Abs. 3 VPR) (Glaser 2015, 17). Hat ein Kanton die bundesrätliche Grundbewilligung erhalten, überprüft die BK zusätzlich pro Urnengang, ob die Voraussetzungen für die Durchführung weiterhin gegeben sind. Die BK stützt ihren Entscheid pro Urnengang auf eine formale Überprüfung. Erhoben wird, ob alle verlangten Dokumente und Zertifikate den aktuellen Anforderungen entsprechen (Bundesrat 2013, 5196).

[23]

Da die elektronische Auszählung im Unterschied zum Vote électronique nur die Auszählung der Stimmen, nicht aber deren Abgabe und deren Übermittlung betrifft, rechtfertigen sich gewisse Vereinfachungen bei der Bewilligungserteilung, insbesondere weil bei der elektronischen Auszählung die manuelle Nachzählung von Stimmzetteln möglich ist. Auf der letzten Stufe der Auszählung der Stimmen in Form der Auswertung der Stimmzettel mithilfe technischer Geräte sollten demgegenüber ähnliche Standards gelten wie beim Vote électronique (Glaser/Fuhrer 2016, 31).

5.2. Durchsetzung der Anforderungen des Bundes

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Bei allen bisher eingereichten und bewilligten Gesuchen wurden die Anpassungen der kantonalen rechtlichen Grundlagen durch die BK im Detail geprüft. In erster Linie hat die BK beurteilt, ob neue technische Mittel und eigene Stimmzettel zum Ankreuzen ermöglicht werden. Speziell bei den neueren Fällen wurde der Austausch mit der BK vonseiten der Kantone jeweils früh gesucht, um offene Fragen zu klären respektive eine erste Rückmeldung zu den geplanten Anpassungen zu erhalten. Die Prüfung der rechtlichen Grundlagen durch die Sektion Politische Rechte der BK kann als adäquat bezeichnet werden.

[25]

Mit Blick auf die technischen Aspekte wurden nach Aussagen von Mitarbeitenden der Sektion Politische Rechte der BK im Rahmen der Gesuche, die vor dem Jahr 2005 eingereicht wurden, jedoch fast ausschliesslich die Anpassung der rechtlichen Grundlagen zur Ermöglichung elektronischer Auszählung geprüft. Gleichzeitig haben sich im Rahmen der Untersuchung Zweifel erhärtet, dass nicht in allen Fällen überhaupt ein Betriebskonzept besteht, womit einheitliche Abläufe garantiert werden können. Dies kann u. a. dazu führen, dass eine Vorprüfung der Stimmzettel nicht systematisch durchgeführt wird, was sich im Rahmen der Genauigkeitsprüfung der PVK auch herauskristallisiert hat.

[26]

Ab dem Jahr 2007 wurde zur Beurteilung der Gesuche eine grössere Zahl von Bewertungskriterien beigezogen. Als Grundlage für die Genehmigung dienten dem Bund verschiedene durch den Kanton eingereichte vertrauliche Dokumente. Es wurde eine sogenannte Prozessdokumentation verwendet, um die neu geschaffenen Rechtsgrundlagen sowie den konkreten Vorgang der Auszählung maschinenlesbarer Stimmzettel aufzuzeigen. Zusätzlich wurden mittels einer technischen Dokumentation die zu verwendende Soft- und Hardware sowie die Handhabung des geplanten Scanners dargelegt. Ebenfalls eingereicht wurden Musterbeispiele künftiger Stimmzettel. Insoweit ist ein Paradigmenwechsel feststellbar.

[27]

In allen bisher eingereichten und vom Bund genehmigten Verfahren wird dagegen nur sehr knapp oder überhaupt nicht darauf eingegangen, wie die Plausibilisierung der Ergebnisse gehandhabt werden soll respektive wann und in welchem Umfang eine Stichprobe gezogen wird. Die Betriebskonzepte gehen in diesem für die Sicherstellung der Korrektheit einer Auszählung zentralen Punkt folglich nicht über die minimalen Anforderungen des Bundes hinaus. Ansonsten sind die nach 2007 eingereichten Betriebskonzepte in den weiteren Bereichen meist einiges detaillierter, als dies die Anforderungen des Bundes erwarten liessen.

[28]

Die Sektion Politische Rechte der BK hat verschiedentlich die gesuchstellenden Kantone dazu angehalten, hohe Standards anzuwenden; insbesondere sollten zufällige und repräsentative Stichproben am Ende des Auszählungsprozesses gezogen werden. Ebenfalls versuchte die BK, die Kantone zu höheren Standards bei der Aufbewahrung der Computer respektive der Sicherheit bei der Datenspeicherung zu bewegen. Am sichersten wäre die Durchführung der Auszählung mit Hardware, die ausschliesslich zum Zweck der Stimmenauszählung eingesetzt würde, was nur punktuell gemacht wird. Ähnliches kann für die Veröffentlichung der Betriebskonzepte zur Schaffung von Transparenz angemerkt werden. Nicht in allen Fällen sind die Kantone auf die Hinweise der BK eingetreten. Aus zwei Kantonen wurde auch vernommen, dass eine Verkleinerung der Stichprobengrösse im Raum stehe, was an der nötigen Skepsis gegenüber der Sicherheit der Systeme zweifeln lässt. Dies unterstreicht, dass zwar eine Skepsis gegenüber der korrekten Erfassung durch die Scanner besteht, bei genügend positiver Erfahrung jedoch in den Hintergrund rückt, dass die elektronische Auszählung auch einer möglichen Manipulation ausgesetzt ist.

[29]

Ganz allgemein sieht sich die BK im Genehmigungsprozess als Instanz, die Mindeststandards durchsetzt und die Kantone unterstützt. Man erachtet es als sinnvoller, wenn Kantone oder Gemeinden selbstständig, allenfalls mit Unterstützung der BK, auf zweckmässige Lösungen kommen und diese verinnerlichen. In einem internen Papier hält die Sektion Politische Rechte fest: «zentral […] ist, dass die digitale Ergebnisermittlung mittels manueller Nachzählung einer Stichprobe validiert wird. Die Grösse der Stichprobe – und somit die statistische Aussagekraft – bestimmen jedoch die Kantone. Wichtig ist, dass sich die Kantone bzw. Gemeinden darüber im Klaren sind, welche Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Stimmzettel aufgrund der gewählten Stichprobengrösse zulässig sind». Zentral wäre aber, dass alle Aspekte der Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit in einem Betriebskonzept festgehalten werden, da die Sensibilisierung gerade bei Wechseln der zuständigen Personen schnell verloren gehen kann. Letztlich gründe die zurückhaltende Rolle der BK nach eigenen Aussagen in der allgemeinen Zurückhaltung des Bundes bei der Regelung der Durchführung von Wahlen und Abstimmungen. Aufgrund des expliziten Genehmigungsvorbehaltes des Bundes in Artikel 84 Absatz 2 BPR trägt dieser auch eine grössere Verantwortung als im Bereich der manuellen Auszählung, bei welcher der Bund nur im Rahmen der Genehmigung der kantonalen Ausführungsbestimmungen auf die Rechtsgrundlagen Einfluss nehmen kann. Daher wird die Anwendung der Anforderungen durch die BK nur als bedingt zweckmässig beurteilt.

[30]

Aufgrund der tiefen Anforderungen und des frühzeitigen Austausches zwischen den gesuchstellenden Kantonen und der Sektion Politische Rechte der BK musste in der Vergangenheit kein Gesuch zurückgewiesen werden. Vereinzelt hat die BK die Genehmigung mit zusätzlichen Auflagen respektive Vorbehalten versehen. Die Kontrolle der kantonalen Umsetzung der Vorbehalte funktioniere nach Aussagen der befragten Personen der Sektion Politische Rechte der BK aufgrund regelmässiger Kontakte zu den Verantwortlichen gut. Wie bei Anpassungen der Betriebskonzepte setzt die BK stark auf die selbstständige Meldung durch die Kantone, was in den meisten Fällen aufgrund des regelmässigen Austausches der Sektion Politische Rechte der BK mit den Wahl- und Abstimmungsleitern der Kantone sehr gut funktioniere.

6. Schlussfolgerungen

[31]

Die zuverlässige Ergebnisermittlung bei Abstimmungen wird durch die Möglichkeit einer Nachzählung abgesichert. Ein sehr knappes Abstimmungsergebnis erfordert jedoch nach Artikel 13 Absatz 3 BPR nur dann eine Nachzählung, wenn Unregelmässigkeiten glaubhaft gemacht werden können. Dies gestaltet sich bei den Verfahren der elektronischen Auszählung gegenüber der herkömmlichen Handauszählung umso schwieriger, da die Ergebnisermittlung aufgrund der angewendeten Technik weniger transparent ist und am Auszählungsprozess nur noch eine geringe Zahl an Personen teilnimmt. Erhöhte Anforderungen zur Garantie der Wahl- und Abstimmungsfreiheit sind daher erforderlich. Folglich ist der Erlass erhöhter Anforderungen durch den Bund für die Genehmigung von Verfahren der elektronischen Auszählung angemessen, obwohl er die Regelungskompetenz bezüglich eidgenössischer Abstimmungen generell zurückhaltend ausübt.

[32]

Zwar konnte die PVK bei der Überprüfung der Genauigkeit bei der elektronischen wie auch der manuellen Auszählung nur sehr geringe Abweichungen von den offiziell ermittelten Resultaten feststellen. Trotzdem zeigen sich Defizite in den Anforderungen des Bundes. Dies kann zu Fehlern führen oder Manipulationen erleichtern. So fehlen in den Anforderungen an das Betriebskonzept beispielsweise zentrale Aspekte wie die durchgehende Anwendung eines Vier-Augen-Prinzips oder das Erfordernis, die Zählergebnisse anhand einer statistisch relevanten Stichprobe zu überprüfen. Auf diese Weise liessen sich durch Softwarefehler, menschliche Fehlleistungen oder vorsätzliche Manipulationen verursachte systematische Fehlfunktionen im Abstimmungsablauf mutmasslich entdecken. Will ein Kanton bzw. eine Gemeinde ein vom Bundesrat bereits genehmigtes Verfahren zur elektronischen Auszählung einführen, bedarf es gemäss dem Kreisschreiben 2016 keiner erneuten Genehmigung. Der Kanton muss dessen Einsatz nur noch melden. Der Verzicht auf eine erneute Prüfung setzt voraus, dass diese beiden Verfahren dem aktuellen Stand der Technik bzw. der internationalen Good Practice entsprechen. Die Vorgaben des Bundesrates stehen in klarem Gegensatz zu jenen bei Vote électronique, bei dem ein mehrstufiges Einführungsverfahren vorgesehen ist. Ein weiterer tiefgreifender Unterschied zwischen den Anforderungen an Vote électronique und an die elektronische Auszählung stellt die Tatsache dar, dass eine Genehmigung für die Durchführung elektronischer Auszählung unbefristet Gültigkeit hat, ungeachtet dessen, dass sich die Technik weiterentwickelt. Obwohl die technischen Anforderungen an ein sicheres Verfahren bei Vote électronique gegenüber der elektronischen Auszählung wegen der Informatiksicherheit höher sind, ist dieser grosse Unterschied in den Genehmigungsprozessen nicht angemessen.

[33]

Weil die Anforderungen an die elektronische Auszählung in den rechtlichen Grundlagen sehr unspezifisch sind, verfügt die BK bei der Prüfung von diesbezüglichen Gesuchen über erheblichen Spielraum. Tatsächlich nimmt sie eine zurückhaltende Rolle ein, wie sie dies, abgesehen von Vote électronique, bei Wahlen und Abstimmungen grundsätzlich tut. Die BK will im Genehmigungsprozess die Kantone mit ihrem Knowhow unterstützen und Minimalstandards durchsetzen. Die Sektion Politische Rechte der BK erachtet es als sinnvoller, wenn Kantone oder Gemeinden selbstständig zweckmässige Lösungen erarbeiten, diese verinnerlichen und letztlich auch umsetzen. Folglich wird aber auch in Kauf genommen, dass nicht die höchsten Sicherheitsstandards Anwendung finden.

[34]

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates hat aufgrund der Ergebnisse der Evaluation drei Empfehlungen an den Bundesrat gerichtet (GPK 2017). Die GPK respektiert dabei die Rolle der Kantone als durchführende Instanz der Abstimmungen, beabsichtigt aber gleichzeitig, die BK in ihrer Rolle und die Sicherheit der elektronischen Auszählung zu stärken. So fordert die Kommission den Bundesrat auf, die Betriebskonzepte sämtlicher heute im Einsatz stehender technischer Hilfsmittel bei der elektronischen Auszählung zu kontrollieren bzw. nachzuprüfen, ob sämtliche betroffenen Kantone und Gemeinden über ein Betriebskonzept verfügen. Zudem soll der Bundesrat sicherstellen, dass die Kantone bei der Verwendung technischer Hilfsmittel zum Zwecke der Bestimmung eines Abstimmungs- bzw. Wahlergebnisses statistisch relevante Stichproben erheben, die zufällig und unabhängig erfolgen. Letztlich soll der Bundesrat sicherstellen, dass in den Betriebskonzepten eine Überprüfung der ausgefüllten Stimmzettel vorgesehen ist, bevor diese elektronisch ausgezählt werden.

7. Anhang: Einsatz elektronischer Auszählung bei eidgenössischen Volksabstimmungen

Kanton im Einsatz seit Einsatz bei folgenden Gemeinden/Wählergruppen Anteil an den Stimmberechtigten der Schweiz
Genf 2001 Alle Gemeinden und Auslandschweizer/-innen (zentralisierte Durchführung) 2,9 %
Freiburg 2004 Stadt Freiburg 0,4 %
Waadt 2005 Lausanne, Ecublens, La Tour-de-Peilz, Lutry, Montreux, Morges, Nyon, Prilly, Renens, Vevey, Yverdon-les-Bains, Auslandschweizer/-innen 3,1 %
St. Gallen 2008 Stadt St. Gallen, Rapperswil-Jona, Auslandschweizer/-innen (zentralisierte Durchführung) 1,3 %
Bern 2014 Stadt Bern 1,6 %
Basel-Stadt 2015 Alle Gemeinden und Auslandschweizer/-innen (dezentrale Durchführung in den Gemeinden) 2,0 %
Total     11,3 %

Anmerkung: Stand der Stimmberechtigten am 5. Juni 2016
Quelle: Bundeskanzlei, Bundesamt für Statistik


Felix Strebel, Dr. phil., Projektleiter, Parlamentarische Verwaltungskontrolle, Parlamentsdienste, Bern

8. Literaturverzeichnis

  • Bundesrat (1993): Botschaft vom 1. September 1993 über eine Teilrevision der Bundes­gesetzgebung über die politischen Rechte, BBl 1993 III 445.
  • Bundesrat (2013): Bericht des Bundesrates zu Vote électronique. Auswertung der Einführung von Vote électronique (2006–2012) und Grundlagen zur Weiterentwicklung, BBI 2013 5069.
  • Glaser, Andreas (2015): Der elektronisch handelnde Staat, E-Legislation, E-Government, EJustice, in: ZSR 134 II, S. 259–333.
  • Glaser, Andreas/Fuhrer, Corina (2016): Rechtsgrundlagen für die elektronische Auszählung von Stimmen (E-Counting): Rechtsgutachten, Studie im Auftrag der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK).
  • GPK (2017): Elektronische Auszählung von Stimmen (E-Counting), Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 5. September 2017.
  • Hangartner, Yvo/Kley, Andreas (2000): Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich.
  • Krimmer, Robert/Fischer, Dirk-Hinnerk (2016): Evaluation zur elektronischen Auszählung von Stimmen (E-Counting): Technisches Expertenmandat. Im Auftrag der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK).
  • Nuspliger, Kurt/Mäder, Jana (2013): Präzision in der Demokratie, in: ZBl 114/2013, S. 183–205.
  • OSZE / BDIMR (2013): Handbook for the Observation of New Voting Technologies, Warsaw.
  • PVK (2017): Evaluation der Elektronischen Auszählung von Stimmen, Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 9. Februar 2017.
  • Schweizer Städteverband (2017): Merkblatt erleichtertes Stimmen und effizientes Auszählen dank scanbaren Stimmzetteln, Bern.
  • Steinmann, Gerold (2014): Art. 34 Politische Rechte, in: Ehrenzeller, Bernhard/Schindler, Benjamin/Schweizer, Rainer J./Vallender, Klaus A. (Hrsg.), Die schweize­rische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Zürich, S. 776–792.


  1. 1 Open rights group https://www.openrightsgroup.org/ (Stand 17. Aug. 2015).
  2. 2 Die PVK wird von den parlamentarischen Kommissionen mit Evaluationen beauftragt, bleibt in ihrer Arbeit jedoch unabhängig.
  3. 3 In der Regel zählen in der Schweiz die Gemeinden die Stimmzettel aus. Verschiedentlich werden die Stimmen der Auslandschweizerinnen und -schweizer zentral (vom Kanton) ausgezählt.
  4. 4 Die elektronische Auszählung ist bei Abstimmungen wie auch bei Wahlen möglich. Für Wahlen auf eidgenössischer Ebene – den Nationalratswahlen – wurde bisher jedoch noch kein Gesuch zur elektronischen Auszählung gestellt.
  5. 5 Die herkömmlichen Stimmzettel für eidgenössische Abstimmungen werden von der BK bereitgestellt. Für die elektronische Auszählung müssen jedoch von den Gemeinden/Kantonen auf den Scanner angepasste Stimmzettel geschaffen werden.
  6. 6 Hauptsächlich Handbuch für die Beobachtung neuer Wahltechnologie der OSZE (OSZE/BDIMR 2013).
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