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In der Schweiz sind zwei Wahlsysteme üblich: Einerseits die Proporz-, anderseits die Majorzwahl. In Proporzwahlen (Verhältniswahlen) werden die zu vergebenden Mandate im Verhältnis der auf einzelne politische Gruppierungen abgegebenen Stimmen aufgeteilt (vgl. Auer/Malinverni/Hottelier 2013, N 702–708; Glaser in: Biaggini/Gächter/Kiener 2015, § 3 N 48–53; Kiener, ebenda, § 18 N 16; Kley, ebenda, § 24 N 81–84; Mahon 2014, n°133, S. 166; Nohlen 2014, S. 142, 152–154, 578; Weber 2016, N 184-190). Majorzwahlen (Mehrheitswahlen) ähneln demgegenüber Abstimmungen – wer mehr Stimmen erhält, setzt sich durch (vgl. Hinweise in Marbach 2016, Fn. 3, sowie ausführlich nachfolgend). Kantonale Exekutiven werden (genauso wie Ständeratsmitglieder) überwiegend nach Majorz gewählt (vgl. Buser 2011, N 439; Kölz 1987, S. 3; Linder/Mueller 2017, S. 116; Poledna in: Thürer/Aubert/Müller 2001, § 23 N 22 und 24; Töndury 2004, S. 275–276; Vatter 2016, S. 223–225; Weber 2016, N 178), während dies bei kantonalen Parlamenten selten der Fall ist (vgl. Marbach 2016, Rz. 3 m. H.).
Die vorliegende Abhandlung beschäftigt sich nicht in erster Linie mit der Zulässigkeit von Majorzwahlen, sondern damit, wie Majorzwahlen verfassungsgemäss auszugestalten sind. Im Zentrum stehen Fragen betreffend den zweiten Wahlgang in Majorzwahlen, die anhand kantonaler und kommunaler Exekutivwahlen behandelt werden. Ergänzend und soweit sinnvoll wird auch auf Wahlen in den Ständerat sowie kantonale Parlamentswahlen eingegangen. Ausländische Beispiele sowie nicht an der Urne durchgeführte Wahlen werden zu Vergleichszwecken beigezogen.
Der Beitrag beginnt mit einer Übersicht über verschiedene mögliche Majorzformen, wodurch das in der Schweiz übliche System der absoluten Mehrheitswahl in zwei Wahlgänge in einen breiteren Kontext eingeordnet werden kann (Ziff. 2). Anschliessend geht er auf die verfassungsrechtliche Grundlage ein, d. h. auf Art. 34 BV und darauf, was dieser hinsichtlich Wahlrechtsfreiheit und -gleichheit fordert (Ziff. 3). Diese Anforderungen werden daraufhin auf drei ausgewählte juristische Fragen angewendet, die auch in Gerichtsurteilen der letzten Jahre behandelt wurden: 1. Sind Kantone und Gemeinden verpflichtet, bei Majorzwahlen die Möglichkeit eines zweiten Wahlgangs vorzusehen, oder können sie auch nur einen einzigen Wahlgang vorsehen (Ziff. 4)? 2. Gibt es verfassungsrechtliche Vorschriften, wie das absolute Mehr zu berechnen ist (Ziff. 5)? 3. Inwiefern darf die Teilnahme am zweiten Wahlgang beschränkt werden (Ziff. 6)? Während die letzten zwei Fragen die Wahlsysteme diverser Kantone betreffen, stellte sich die erste Frage bisher hauptsächlich im Rahmen rechtspolitischer Diskussionen. Sie ist jedoch für die weiteren Erwägungen von Bedeutung. Die Fragen sollen dabei jeweils systematisch aufgegliedert, die in Rechtsprechung und Literatur vorhandenen Positionen eingeordnet und darauf basierend soll Stellung bezogen werden. Eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse (Ziff. 7) rundet die Abhandlung ab.
Bei der in der Schweiz üblichen Majorzform müssen Kandidierende in einem ersten Wahlgang ein unterschiedlich berechnetes «absolutes Mehr» erreichen, ansonsten findet ein zweiter Wahlgang statt, in dem das «relative Mehr» gilt, d. h. die stimmenstärksten Personen werden gewählt (Glaser in: Biaggini/Gächter/Kiener 2015, § 3 N 47; Hangartner/Kley 2000, N 1469; Kölz 1987, S. 3; Lutz/Strohmann 1998, S. 36–37, 80; Poledna in: Thürer/Aubert/Müller 2001, § 23 N 22 und 24; Vatter 2016, S. 224). International wird dieses Verfahren u. a. als absolute Mehrheitswahl, majority system, double ballot oder Zwei-Runden-System bezeichnet (vgl. Farrell 2011, S. 45; Garrone 1991, S. 67; Nohlen 2014, S. 205; Sartori 1994, S. 11–12, 61–69). In vielen Staaten wird der Staatspräsident bzw. die Staatspräsidentin so gewählt (Farrell 2011, S. 45; Gallagher/ Mitchell 2005, S. 582), in Frankreich auch die Nationalversammlung (s. hierzu unten Rz. 70).
Neben der absoluten Mehrheitswahl existieren auch andere Formen des Majorzes. Diese zu kennen, kann einen nicht nur auf neue rechtspolitische Optionen aufmerksam machen, sondern auch bei der Analyse umstrittener Fragen zum Majorz in zwei Wahlgängen helfen.
Eine Möglichkeit besteht darin, nur einen einzigen Wahlgang durchzuführen, in dem gewählt ist, wer am meisten Stimmen erhalten hat. Da allein das relative Mehr gilt, spricht man diesfalls von einer relativen Mehrheitswahl, international auch von einem plurality system oder dem Prinzip first past the post. Relative Mehrheitswahlen für mehrere Sitze werden auch als block voting bezeichnet (wohl nach der – für die Schweiz unzutreffenden – Vorstellung, die Wählenden würden diesfalls en bloc für die Kandidierenden einer Liste stimmen). Das klassische Beispiel eines in relativer Mehrheitswahl gewählten Parlaments ist das britische Unterhaus. Daneben gilt der relative Majorz in vielen ehemaligen britischen Kolonien wie Indien oder Kanada sowie (wenn man die primaries ausser Acht lässt) bei den meisten US-amerikanischen Urnengängen (vgl. zur relativen Mehrheitswahl allgemein: Farrell 2011, S. 13–43; Gallagher/Mitchell 2005, S. 579–580; Nohlen 2014, S. 204, 576). In der Schweiz besetzt die Stadt Burgdorf ihre Exekutive und das Stadtpräsidium in einem einzigen Wahlgang (Art. 43 Abs. 2 Gemeindeordnung [GO] Burgdorf vom 26. Nov. 2000).
Systeme mit mehr als zwei Wahlgängen eignen sich für Wahlen unter physisch (allenfalls auch online) Anwesenden. So muss bei Wahlen in der Bundesversammlung der Name einer Person zwingend auf mehr als der Hälfte der gültigen Wahlzettel stehen, damit diese gewählt ist (Art. 130 Abs. 2 ParlG). Ab dem dritten Wahlgang sind keine neuen Kandidaturen zulässig, und jene Kandidatur, die am wenigsten Stimmen erhalten hat, fällt jeweils aus der Wahl, bis sich nur noch zwei Personen gegenüberstehen, von denen eine naturgemäss das absolute Mehr erreichen wird (vgl. Art. 132 Abs. 3 und 4, 137 Abs. 3 und 4 sowie Art. 139 ParlG). Mehrere Sitze werden bei Bundesratswahlen einzeln und nacheinander besetzt, bei Ergänzungswahlen in die eidgenössischen Gerichte dagegen gemeinsam (Art. 132 Abs. 2 sowie Art. 137 Abs. 2 und Art. 138 ParlG). Ähnlich gehen die Landsgemeinden von Glarus und Appenzell Innerrhoden vor, wenn man von den Spezifika absieht, die sich daraus ergeben, dass dort ein offenes Handmehr geschätzt werden muss (vgl. Art. 33 Abs. 4–5 GPR-GL, GS I D/22/2; Art. 9 VLGV-AI, Gesetzessammlung AI 160.410; Lutz/Strohmann 1998, S. 37). Schliesslich sind entsprechende Wahlverfahren auch in Vereins- und anderen privaten Versammlungen üblich (vgl. Ernst 2011, N 232–240 zu wahlähnlichen Abstimmungen). Für Wahlen an der Urne sind diese Systeme in ihrer Reinform hingegen aufgrund der gegebenenfalls sehr hohen Anzahl Wahlgänge nicht praktikabel. Immerhin wurde der Nationalrat von 1850 bis 1900 in einem Majorzsystem mit drei Wahlgängen gewählt (Garrone 1991, S. 211 m. H.), und auch andere Staaten kannten im 19. Jahrhundert analoge Regelungen (vgl. Braunias 1932, S. 179–181; dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich Urnenwahlen historisch aus dem Versammlungssystem entwickelt haben, vgl. Poledna 1988, S. 59 m. H. in Fn. 149).
Ein Verfahren wie dasjenige für die Wahl des Bundesrates lässt sich bei Volkswahlen nicht umsetzten – man kann es jedoch simulieren, und zwar durch Verfahren mit Alternativ- bzw. Eventualstimme. Solche «packen» gewissermassen «mehrere Wahlgänge in einen» (vgl. Garrone 1991, S. 204). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Wählenden eine Rangliste aller Kandidierenden erstellen. Ist nur ein Sitz zu besetzen, spricht man von alternative vote, und die Auszählung läuft folgendermassen ab: Wurde eine kandidierende Person von einer absolute Mehrheit der Wählenden auf den ersten Platz gesetzt, ist sie gewählt. Ansonsten scheidet die Person mit den wenigsten Erstpräferenzen aus, und die entsprechenden Wahlzettel zählen als Stimmen für die jeweils zweitrangierte Person. Liegt immer noch niemand über dem absoluten Mehr, scheidet auch die zweitletzte Person aus und so weiter, bis nur noch die relative Beliebtheit zweier Kandidierender verglichen wird. Alternative vote wird für die Wahlen in das australische Repräsentantenhaus angewandt (vgl. zum System des alternative vote insgesamt Farrell 2011, S. 50–55; Gallagher/Mitchell 2005, S. 580–581; Garrone 1991, S. 193–194, 204). Das analoge System für Mehrpersonenwahlen heisst vote alternative pluriel bzw. preferential block voting. Hierbei wird das Alternative-vote-Verfahren einfach so viele Male wiederholt, wie Sitze zu vergeben sind; Stimmen für bereits Gewählte zählen logischerweise für die nächstrangierten Kandidierenden. Man könnte sagen, preferential block voting übertrage den Modus einer Bundesrats-Gesamterneuerungswahl auf einen einzigen Wahlgang. Der australische Senat wurde zwischen 1919 und 1948 in preferential block voting gewählt (vgl. Farrell/McAllister in: Gallagher/Mitchell 2005, S. 83–84, insb. Fn. 7; Gallagher/Mitchell 2005, S. 596; Garrone 1991, S. 197, 204).
Ebenfalls auf einer Rangierung basiert das System single transferable vote (STV), bei dem es sich jedoch um keine Majorzvariante handelt, sondern um einen «Proporz ohne Parteien». Der wesentliche Unterschied zum preferential block voting besteht darin, dass nachgeordnete Präferenzen nur so weit zählen, als dass vorgeordnete nicht zur Wahl eines oder einer Kandidierenden beigetragen haben. STV gilt in Irland, Nordirland und Malta sowie seit 1948 für den australischen Senat (vgl. Farrell 2011, S. 119–152; Gallagher/Mitchell 2005, S. 593–596; Garrone 1991, S. 194–197; Marbach 2016, Rz. 65–69). Seine Einführung würde es Gemeinwesen, in denen Parteien unbedeutend sind, ermöglichen, ihr Parlament erfolgswertgleich (und damit nach Ansicht des Autors verfassungskonform) zu wählen (vgl. Marbach 2017; Ders. 2016, Rz. 67–69, 94). Aufgrund seiner Persönlichkeitsorientierung könnte STV auch eine gute Alternative für Gemeinden darstellen, die ihre Exekutive im Proporz wählen.
Zentrale Verfassungsbestimmung ist vorliegend die Garantie der politischen Rechte in Art. 34 BV. Diese schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV).
Hinsichtlich des Rechts auf freie Willensbildung ist der Majorz heikel, weil unter ihm Stimmen für unterlegene Kandidierende wirkungslos sind und er insofern Wählende, welche tatsächlich die Regierungszusammensetzung (bzw. jene des Ständerates oder eines nach Majorz gewählten Parlaments) beeinflussen wollen, dazu zwingt, anstelle der von ihnen bevorzugten Kandierenden das «kleinere Übel» zu wählen (vgl. Farrell 2011, S. 169; Gallagher/Mitchell 2005, S. 579-580; Marbach 2016, Rz. 21; Töndury 2017, S. 602; Ders. 2012a, N 20–21; Ders. 2012b, N 14–15, 43).
Neben der Wahlrechtsfreiheit garantiert Art. 34 BV unbestrittenermassen auch die Wahlrechtsgleichheit. Diese lässt sich weiter in Zählwertgleichheit (jede Stimme wird innerhalb des Wahlkreises gleich gezählt), Stimmkraftgleichheit (zwischen den verschiedenen Wahlkreisen muss das Stimmen-Sitze-Verhältnis vergleichbar sein) und Erfolgswertgleichheit (jede Stimme soll sich möglichst gleich auf das Wahlergebnis auswirken) unterteilen (vgl. BGE 143 I 92, E. 3.4–3.5; BGE 140 I 394, E. 8.2–8.3; BGE 129 I 185, E. 7.2–7.3; Auer/Malinverni/Hottelier 2013, N 901–905; Glaser in: Biaggini/Gächter/Kiener 2015, § 3 N 42–43; Kiener/Kälin 2013, § 26, S. 294–295; Marbach 2016, Rz. 17–18 m. H.; Töndury 2004, S. 247; Tschannen 1995, N 746; Weber 2016, N 202–213). Hinzu kommt das Prinzip der Chancengleichheit aller kandidierenden Personen und Gruppierungen (Poledna 1988, S. 23, 31; Weber 2016, N 214).
Ob das (aktuell geltende) Verfassungsrecht erlaubt, kantonale Parlamentswahlen im Majorz durchzuführen, ist wissenschaftlich umstritten, da das Majorzsystem der Erfolgswertgleichheit widerspricht (vgl. Marbach 2016, passim, zur juristischen und politischen Diskussion Rz. 10–16 m. H., zur grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Majorz und Erfolgswertgleichheit Rz. 19–20; Ders. 2017; ebenfalls für Verfassungswidrigkeit Weber 2016, N 179; zur Lage in einzelnen Kantonen Raess 2016, S. 98–111). Auch das Bundesgericht hat deshalb in zwei Entscheiden den Majorz bei kantonalen Parlamentswahlen für begründungsbedürftig gehalten, das System aber in den konkreten Fällen jeweils durch die örtlichen Umstände gerechtfertigt gesehen (BGE 143 I 92, E. 3, 5.; BGer 1C_59/2012 vom 26. Sept. 2014, E. 8 ff, nur teilweise publ. in BGE 140 I 394). In der Literatur wird hiergegen und für die traditionelle Ansicht, die Kantone seien frei, ob sie nach Proporz oder Majorz wählen wollen, eingewendet, das Konzept der Erfolgswertgleichheit sei eng mit dem Proporzverfahren verbunden, auf Majorzwahlen sei es systembedingt nicht anwendbar (Biaggini 2016; Müller 2015).
Der Autor ist der Meinung, dass die Erfolgswertgleichheit als integraler Teil des Prinzips der gleichen Wahl betrachtet werden sollte (und nicht bloss als Anforderung an Proporzwahlen). Es entspricht einer folgerichtigen Umsetzung der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), wenn man verlangt, dass die Stimme einer Mehrheitswählerin sich nicht anders auswirke als jene eines Minderheitswählers. Die Meinungsäusserungen der Wählenden sind nach Massgabe ihrer (zahlenmässigen) Ungleichheit ungleich zu behandeln, aber nicht ungleicher. Die (angeblichen) Vorteile des Parlamentsmajorzes, welche Lehre, Rechtsprechung und Politik erwähnen, vermögen diese Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen (für eine ausführliche Begründung dieser Position s. Marbach 2016, passim; Ders. 2017).
Für Exekutivwahlen ist die Mehrheitswahl dagegen unbestrittenermassen zulässig. Regierungsmitglieder müssen nicht nur kollektiv entscheiden, sondern (zumindest in den Kantonen und den Gemeinden mit Ressortsystem) als Departementsvorstehende Mehrheitsentscheide (des Volks, des Parlaments oder des Regierungskollegiums) auch persönlich umsetzen. Es lässt sich daher gut vertreten, dass das Vertrauen einer Volksmehrheit haben solle, wer das staatliche Handeln in einem ganzen Sachbereich prägt. Aus demselben Grund sollte das Wahlsystem Exekutivmitgliedern keinen übermässigen Anreiz setzen, den Mehrheitswillen zu unterlaufen. Insofern besteht – besonders in polarisierten Politkulturen – ein legitimes Interesse daran, dass niemand allein dank der Unterstützung einer fundamentaloppositionellen Minderheit der Exekutive angehört, was beim Regierungsproporz möglich ist (vgl. Hangartner/Kley 2000, N 1552; Marbach 2016, Rz. 4 Fn. 14).
Hinzuweisen ist schliesslich darauf, dass der Ständerat die Einführung eines neuen Art. 39 Abs. 1bis BV vorschlägt, wonach Parlamentswahlen im Majorzsystem explizit erlaubt wären (Bericht: BBl 2018 1; Entwurf: BBl 2018 19; Verzicht des Bundesrats auf eine Stellungnahme: BBl 2018 777; Plenum Ständerat: AB 2018 S 226–235; Ablehnung durch SPK-N: Medienmitteilung vom 04. Mai 2018). Sollte eine derartige Verfassungsänderung den parlamentarischen Prozess überstehen (das Nationalratsplenum behandelte die Vorlage in der Herbstsession 2018; Entscheid nach Redaktionsschluss) und von Volk und Ständen angenommen werden, könnte dies auch Einfluss auf die vorliegend zu behandelnden Fragen haben. Mit der diesfalls kodifizierten «freien Ausgestaltung der Wahlverfahren» wären umstrittene Regelungen eher als zulässig zu betrachten als heute. Inwiefern die nachfolgenden Ausführungen unter einem neuen Art. 39 Abs. 1bis BV bundesverfassungsrechtlich noch gelten würden, müsste vertieft analysiert werden und würde auch vom genauen Wortlaut der neuen Verfassungsbestimmung abhängen. Untenstehende Gedanken werden aber in jedem Fall kantonalrechtlich von Bedeutung bleiben, soweit die jeweilige Kantonsverfassung eine Art. 34 BV gleichkommende Garantie enthält und gleichzeitig zu bestimmten Ausgestaltungsfragen (wie der Anzahl Wahlgänge oder der Berechnung des absoluten Mehrs) schweigt. Schliesslich können die zu unternehmenden Analysen auch rechtspolitisch von Interesse sein: Ein juristisches Argument gegen die (gegenwärtige) Verfassungsmässigkeit einer Regel ist meist zugleich (und zwar auch zukünftig) auch ein inhaltliches Argument gegen deren Einführung oder Beibehaltung.
Staatsrechtlich fragt sich als erstes, ob die Kantone bei Majorzwahlen einen zweiten Wahlgang vorsehen müssen oder ob sie darauf verzichten können, d. h. ob Schweizer Behörden auch in einer relativen Mehrheitswahl nach dem First-past-the-post-Verfahren bestimmt werden könnten, wie dies gegenwärtig bei der Stadtregierung von Burgdorf der Fall ist. Praktisch bedeutsam wurde diese Frage, als anfangs dieses Jahrzehnts Volksinitiativen in Nidwalden und Schwyz verlangten, für die Wahl ihrer jeweiligen Parlamente die relative Mehrheitswahl einzuführen (vgl. Landratssitzung NW vom 24.Okt. 2012, S. 1000–1011; Bericht und Antrag Regierungsrat SZ vom 17. Juni 2014, Ziff. 3.4.4; Kantonsrat SZ vom 19. Nov. 2014, S. 994–995). Beide Vorlagen wurden allerdings vom Stimmvolk abgelehnt (Abstimmungsergebnisse NW vom 22. Sept. 2013, Amtsblatt NW Nr. 39 vom 25. Sept. 2013, S. 1535; Abstimmungsergebnisse SZ vom 30. Aug. 2013, Amtsblatt SZ Nr. 11 vom 13. März 2015, S. 628). Die These, wonach die relative Mehrheitswahl verfassungswidrig sei, wird insbesondere von Andrea Töndury vertreten (Töndury 2017, S. 580; Ders. 2012a N 50–51; Ders. 2012b, N 42–43). Ansonsten äussert sich die Literatur nur selten zu dieser Frage. Als das Nidwaldner Verfassungsgericht über die Gültigkeit der dortigen Majorzinitiative zu befinden hatte, kam es zum Schluss, aus der Bundesverfassung lasse sich kein Anspruch auf einen zweiten Wahlgang ableiten (VG NW vom 15. März 2013, VG 12 1, E. 4.4). Auch das Berner Verwaltungsgericht ging jüngst in einem obiter dictum von der Zulässigkeit des Burgdorfer Systems aus (VG BE vom 10. März 2017, VGE 100.2017.2/100.2016.371, E. 5.6, publ. in BVR 2017, S. 451).
Töndury sieht bei der relativen Mehrheitswahl im Wesentlichen drei Probleme: Erstens verstosse sie gegen das Recht auf gleiche Wahl. Nur ein System mit zwei Wahlgängen (besser noch eines mit Eventual- bzw. Alternativstimme) garantiere im Majorz nämlich eine zumindest minimale Erfolgswertgleichheit (Töndury 2017, S. 580; Ders. 2012b, N 43). Diese Aussage gründet darauf, dass, wenn bei einer absoluten Mehrheitswahl im ersten Wahlgang niemand das absolute Mehr erreicht hat, alle Stimmen erfolgswertgleich zum Zustandekommen des zweiten Wahlgangs beigetragen haben (vgl. Marbach 2016, Rz. 20).
Zweitens könne eine relative Mehrheitswahl auch das Recht auf freie Wahl nicht gewährleisten (Töndury 2017, S. 579–580 602; Ders. 2012b, N 43). Hintergrund hierfür ist der oben (Rz. 11) erwähnten Anreiz, «nützlich» zu stimmen. Einen solchen Anreiz setzt zwar auch die absolute Mehrheitswahl – aber immerhin erst im zweiten Wahlgang; im ersten können sich die Stimmenden dagegen frei an ihren eigentlichen Präferenzen orientieren (vgl. Chantebout 2012, S. 196; Töndury 2017, S. 579–580; Ders. 2012b, N 43).
Relative Mehrheitswahlen verletzten drittens, so Töndury, auch das demokratische Mehrheitsprinzip (zu diesem allgemein: Töndury 2017, S. 576–580; Tschannen 1995, N 312–327). Gewählte müssten nämlich die Mehrheit der Wählenden hinter sich haben, aber auch die Parlamentsmehrheit – der Gedanke lässt sich zwangslos auf die Exekutive übertragen – solle sich auf die Mehrheit der Wählenden stützen können (Töndury 2017, S. 579–580; Ders. 2012a, N 51; Ders. 2012b, N 39–41). Unter dem First-past-the-post-System sei es hingegen möglich, dass die relativ stärkste Partei die absolute Mehrheit der Sitze erhalte (Töndury 2012b, N 41), d. h. die stärkste Minderheit könne sich gegenüber den restlichen Stimmenden durchsetzen und alleine regieren (Töndury 2017, S. 580). Das bei relativen Mehrheitswahlen anstelle des Mehrheitsprinzips geltende Prinzip des Stärkeren (vgl. Garrone 1991, S. 67) entspreche damit einem «dezisionistischen», auf eindeutige Mehrheiten bezogenen Demokratieverständnis, nicht aber dem schweizerischen, in welchem die demokratische Legitimität im Vordergrund stehe (Töndury 2012b, N 41; dazu, weshalb die Schaffung klarer und handlungsfähiger Regierungen unter schweizerischen Verhältnissen kein gültiges Ziel darstellt, vgl. Marbach 2016, Rz. 70–72 m. H.). In anderen Worten: Dass der oder die Gewählte das Vertrauen der Mehrheit der Wählenden besitzen sollte, ist – folgt man dieser Überlegung – nicht nur Grundidee des Majorzes (so Hangartner/Kley 2000, N 1469), sondern Vorschrift der Bundesverfassung.
Das Nidwaldner Verfassungsgericht wollte das Argument des Mehrheitsprinzips freilich nicht gelten lassen. Auch in einem Zwei-Wahlgang-System könne sich schliesslich nur ein Teil der Gewählten auf die mehrheitliche Unterstützung des Stimmvolks berufen (es bezog sich dabei darauf, dass man in einem zweiten Wahlgang mit weniger als 50 Prozent der Stimmen gewählt werden kann), schon gar nicht, wenn man auch die Nichtwählenden miteinbeziehe. Die demokratische Legitimation der gewählten Personen unterscheide sich daher in absoluten und in relativen Mehrheitswahlen nicht wesentlich (VG NW vom 15. März 2013, VG 12 1, E. 4.5.1).
Dem Argument, die absolute Mehrheitswahl garantiere eine minimale Erfolgswertgleichheit, kann m. E. keine entscheidende Bedeutung zukommen. Es bezieht sich – wie erwähnt – nur auf die Frage, ob ein zweiter Wahlgang stattfindet, nicht jedoch auf die eigentliche Wahl. Stehen sich dort zwei Kandidierende gegenüber, haben im Extremfall nur gerade 50,1 Prozent der Wählenden Erfolg, während die übrigen 49,9 Prozent gerade so gut auf ihre Stimmabgabe hätten verzichten können (dasselbe gilt unter dem System alternative vote). Treten in der Stichwahl drei oder mehr Kandidierende an, kann sogar weit mehr als die Hälfte der Stimmen wirkungslos bleiben, wofür auch reale Beispiele existieren.1 Internationale Vergleiche zeigen denn auch, dass Majorzwahlsysteme mit zwei Wahlgängen ähnlich disproportionale Ergebnisse produzieren wie solche mit einem einzigen (vgl. Chantebout 2012, S. 196; Farrell 2011, S. 60, 63). Majorzstimmen wirken sich letztlich immer extrem ungleich (nämlich ganz oder gar nicht) auf die Zusammensetzung der gewählten Behörde aus. Die fehlende Erfolgswertgleichheit im Majorz macht diesen folglich entweder unzulässig (so m. E. bei kantonalen Parlamentswahlen nach geltendem Recht) oder ist hinzunehmen (m. E. bei Exekutivwahlen, folgt man der traditionellen Position überall; grundsätzlich a. M. ist Töndury 2017, S. 579).
Dem Mehrheitsprinzip kann klarerweise besser Rechnung getragen werden, wenn man einen zweiten Wahlgang abhält. Zwar trifft es zu, dass in fast jedem System jemand in eine Behörde gewählt werden kann, den oder die eine Mehrheit der Stimmberechtigten negativ einschätzt – schliesslich können bei einer Wahl auch alle Kandidierenden unbeliebt sein. Die absolute Mehrheitswahl erhöht jedoch massgeblich die Wahrscheinlichkeit, dass die gewählten Personen einer Mehrheit der Stimmenden zumindest als «kleineres Übel» unter den bestehenden Alternativen erscheint. Nicht von ungefähr existiert in Frankreich die Redensart «au premier tour, on choisit; au second, on élimine» (vgl. Baedermann 2007, S. 187 Fn. 1125 m. H.; Chantebout 2012, S. 196; Elgie in: Gallagher/Mitchell 2005, S. 128).
Schwieriger (und nicht im Rahmen dieser Arbeit zu beantworten) ist die Frage, ob das so verstandene Mehrheitsprinzip wirklich einen verfassungsrechtlich gebotenen Ausfluss des Demokratiegrundsatzes bildet. Eine politisch geschlossene, durchsetzungsfähige Regierung britischen Musters wird man in der Schweiz zwar tatsächlich selten anstreben. Was aber, wenn ein Kanton oder eine Gemeinde bewusst nur darauf abstellen möchte, wie viele Personen die einzelnen Bewerbenden jeweils positiv unterstützen, nicht aber wie viele diese ablehnen, um so «faule Kompromisskandidierende» zu verhindern? Freilich hätte ein Gemeinwesen, das die relative Mehrheitswahl in dieser Absicht einführen würde, nur teilweise Erfolg: Wen primär die Abneigung gegen einzelne Bewerbende motiviert, der wird in einer relativen Mehrheitswahl einfach bereits im ersten (bzw. einzigen) Wahlgang für die aussichtsreichsten Alternativkandidierenden stimmen. Die Frage spitzt sich letztlich auf das Problem der freien Stimmabgabe zu.
Bei der Stimmrechtsfreiheit beziehungsweise dem Recht auf unverfälschte Stimmabgabe handelt es sich denn auch um die eigentliche Achillesferse des First-past-the-post-Systems. Und dies nicht allein deshalb, weil die Wählenden sich wenigstens anfangs frei für ihre bevorzugten Kandidierenden entscheiden können sollten. Noch in einer weiteren Hinsicht garantiert die absolute Mehrheitswahl eher eine unverfälschte Stimmabgabe als die relative (und sogar eher als das Alternativstimm-Verfahren): Die Wählenden können vor einem zweiten Wahlgang zuverlässiger schätzen, wer tatsächlich Wahlchancen hat, weil sie ja die Ergebnisse der ersten Runde kennen. Werden sie hingegen nur ein einziges Mal zur Urne gerufen, müssen sie die Ausgangslage «nach Bauchgefühl» bzw. aufgrund von Medienberichten erraten. Treffen hierbei genügend viele Stimmberechtigte die gleiche Annahme, kann dies das Wahlresultat schlimmstenfalls im Sinne einer «selbsterfüllenden Prophezeiung» verfälschen. Um den Wahlsystemexperten Sartori zu zitieren: «[..] the double ballot […] is a two-shot-system. With one shot the voter shoots very much in the dark; with two shots he or she shoots, the second time, in full daylight» (Sartori 1994, S. 63).
Ein System mit zwei Wahlgängen ist nach Ansicht des Autors rechtspolitisch klarerweise vorzuziehen. Juristisch lautet demzufolge die entscheidende Frage, mit welcher sich Rechtsanwendende auseinandersetzen müssen, ob in einem Kanton oder einer Gemeinde bestimmte öffentliche Interessen den mit der relativen Mehrheitswahl verbundenen Eingriff in die Stimmrechtsfreiheit rechtfertigen.
Besser noch als die absolute Mehrheitswahl wahren Systeme mit Alternativ- bzw. Eventualstimme die Freiheit der Stimmabgabe, d. h. alternative vote in Einpersonen-, preferential block voting in Mehrpersonenwahlkreisen (s. oben Rz. 8; Töndury 2017, S. 580 hält solche Systeme denn auch für vorzugswürdig). Will man auf den «second shot in full daylight», die Bedenkzeit zwischen den beiden Runden (vgl. zu diesem Aspekt der absoluten Mehrheitswahl Gallagher/Mitchell 2005, S. 582; Sartori 1994, S. 62–64), nicht verzichten, könnte man im ersten Wahlgang klassisch wählen, im zweiten mit Alternativstimme. Der Autor vertritt die Ansicht, Kantone und Gemeinden, die ihr Parlament nicht im klassischen Proporz wählen möchten, da in ihrer Politkultur Persönlichkeiten wichtiger sind als Parteien, müssten zumindest single transferable vote oder ein vergleichbares System einführen (Marbach 2016, Rz. 67, 94).2 Vorliegend liegt die Situation jedoch anders: Die graduellen Unterschiede bezüglich Stimmrechtsfreiheit zwischen verschiedenen Varianten der Mehrheitswahl wiegen deutlich weniger schwer als die vollständige Missachtung des Rechts auf Erfolgswertgleichheit durch den Parlamentsmajorz. Das Interesse, kein unbekanntes System einführen zu müssen, rechtfertigt im ersten Fall einen Eingriff, im zweiten hingegen nicht.
Wie bereits kurz erwähnt, gibt es verschiedene Methoden, das absolute Mehr zu berechnen. Die Unterschiede mögen eher technisch erscheinen (Steinmann 2016, S. 501), können aber erhebliche Auswirkungen auf die Wahlergebnisse und somit die kantonale oder kommunale Regierungsarbeit (bzw. die politischen Mehrheiten im Ständerat) haben: Kandidierende, die mit einer Berechnungsart das absolute Mehr erreicht hätten und bereits im ersten Wahlgang gewählt worden wären, müssen sich, wird eine andere Methode angewendet, einem zweiten Wahlgang stellen, dessen Ausgang naturgemäss offen ist. Das Thema wird entsprechend auch verschiedentlich (und kontrovers) in der staatsrechtlichen Literatur aufgegriffen. Das Bundesgericht hat es bisher abgelehnt, eine bestimmte Rechenweise vorzuschreiben, letztmals in einem Entscheid vom 31. März 2016 betreffend eine Ersatzwahl in den Berner Regierungsrat (BGer 1C_210/2016 vom 24. Aug. 2016, E. 3.4 basierend auf VG BE vom 31. März 2016, VGE 100.2016.67, beide publiziert in BVR 2016, S. 487–506; BGer 1C_217/2008 vom 03. Dez. 2008, E. 3.4; BGE 108 Ia 243, E. 3).
Literatur und Rechtsprechung zu dieser Problematik beziehen sich meist auf Mehrpersonenwahlen. Um die verschiedenen Aspekte besser auseinanderzuhalten, wird nachfolgend jedoch differenziert: Zuerst werden jene Probleme besprochen, die sich auch bei Einpersonenwahlen stellen, erst danach wird darauf eingegangen, inwiefern sich die Situation anders präsentiert, wenn mehrere Personen zu wählen sind.
Bei Einpersonenwahlen (z. B. Gemeindepräsidentin/Gemeindepräsident, Ständeratsmitglieder in Kantonen mit halber Standesstimme sowie Ersatzwahlen nach Einzelrücktritten) lässt sich das absolute Mehr im Wesentlichen auf zwei verschiedene Arten definieren: Entweder erreicht es, wer «mehr Stimmen als alle anderen Alternativen» oder aber wer «mehr als 50 % der Stimmen» erhält (Nohlen 2014, S. 576). Letztere Definition bezieht auch die Stimmen jener Wählenden mit ein, die niemanden unterstützen, sondern leer einlegen. Leere Stimmen beeinflussen das absolute Mehr etwa in den Kantonen Basel-Stadt, Genf, Solothurn oder Waadt (§ 70 Wahlgesetz-BS, SG 132.100; Art. 65A Abs. 4 LEDP-GE, rs/GE A 5 05; § 113 Abs. 2 GpR-SO, BGS 113.111; Art. 41a Abs. 3 LEDP-VD, rslvd 160.01).
Die Meinungen divergieren schon in der Frage, welcher Wille durch leere Stimmen ausgedrückt werden oder ob sich in ihnen überhaupt irgendein Wille manifestiere. Giacometti verneinte Letzteres 1941 kategorisch (wobei er sich freilich nicht nur auf Wahlen, sondern auch auf Volksabstimmungen bezog). Die Nichtberücksichtigung der leeren Stimmzettel erscheine selbstverständlich, «denn stimmberechtigte Personen, die leer einlegen, haben materiell nicht gestimmt» (Giacometti 1941/1979, S. 261). Ähnlich sah dies das Nidwaldner Verfassungsgericht im bereits erwähnten Entscheid zur dortigen Majorzinitiative. Wer leer stimme, solle gleich behandelt werden, wie wer der Wahl ganz fern bleibe (VG NW vom 15. März 2013, VG 12 1, E. 6.2).
Eine ganze Reihe von Autoren interpretiert leere Stimmen grundlegend anders: Wer leer einlege, bekunde seinen Willen, an der Wahl teilzunehmen, wolle aber gleichzeitig ausdrücken, dass er oder sie mit den Kandidierenden nicht einverstanden sei (Felder 1993, S. 101–102; Haller/Kölz/Gächter 2013, N 792; Töndury 2004, S. 277; Tschannen 1995, N 209). Insofern sei die Stimmenthaltung eine materielle Aussage, zumal sich die Majorzwahl idealtypisch der Sachabstimmung annähere (Tschannen 1995, N 209). Die Nichtberücksichtigung der leeren Stimmen verletze folglich die Zählwertgleichheit und verstosse somit gegen Art. 34 BV (vgl. Haller/Kölz/Gächter 2013, N 792; Töndury 2004, S. 277; Tschannen 1995, N 209). Andere Autoren bewerten die fehlende Berücksichtigung leerer Stimmzettel als zumindest «nicht unproblematisch» (Maag 2004, S. 213) oder sehen den Willen der Wählenden besser respektiert, wenn man ihnen die Möglichkeit gebe, sich gegen die vorgeschlagenen Kandidierenden auszusprechen (Tanquerel 2011, S. 322, mit Verweis auf Biaggini 2010, S. 172, der sich für den Fall stiller Wahlen entsprechend äussert).
Poledna weist demgegenüber darauf hin, dass die genannte Interpretation den Leerwählenden einen Willen zurechnet, den sie unter Umständen gar nicht haben – leere Stimmen können sowohl Ablehnung als auch Enthaltung ausdrücken (Poledna 1988, S. 63–64, insb. Fn. 161; diesbezüglich zustimmend Garrone 1991, S. 211). Gleich hat das Bundesgericht jüngst argumentiert, indem es auf die Möglichkeit hinwies, dass Wählende ihre leere Stimmen nicht als Votum gegen die Kandidierenden verstehen, sondern die Entscheidung vielmehr der restlichen Wählerschaft überlassen wollen (BGer 1C_210/2016 vom 24. Aug. 2016, E. 3.5). Um dieses Dilemma zu beheben, hält es Poledna für verfassungsrechtlich geboten, den Wählenden – etwa durch Einführung von «Nein»-Stimmen gegen einzelne Kandidierende – zu ermöglichen, ihren Willen unmissverständlich auszudrücken (Poledna 1988, S. 63–64, insb. Fn. 161 m. H. auf BGE 96 I 59e; Tanquerel 2011, S. 322, äussert sich ebenfalls positiv zur Einführung einer Kandidierende ausdrücklich ablehnenden Stimme).
Die mit letzterem Vorschlag verbundene Ablehnung sämtlicher etablierter Majorzsysteme lehnt Garrone wiederum als «audacieuse» ab. Abstimmungen und Wahlen dürften nicht verwechselt werden. Tatsächlich könne in allen Wahlsystemen jemand gewählt werden, den oder die eine Mehrheit der Stimmenden lieber nicht im Amt sähe (Garrone 1991, S. 211). Auch Steinmann hält eine zu grosse Differenzierung in den Willensäusserungsmöglichkeiten für problematisch. Er dreht stattdessen den Spiess um: Bei Wahlen solle konsequenterweise bloss eine Stimmenthaltung zugelassen werden. Die Interpretation von leeren Stimmen als «Nein» sei hingegen nicht mit der Wahl- und Abstimmungsfreiheit vereinbar (Steinmann 2016, S. 505).
Auch wenn eine leere Stimme als Wunsch verstanden wird, im ersten Wahlgang möge niemand gewählt werden, fragt sich, ob diese Willensäusserung einen Anspruch begründet, das Resultat des ersten Wahlgangs zu beeinflussen. Das Bundesgericht hielt in BGE 108 Ia 243 dafür, eine Stimmabgabe in der Absicht, einen zweiten Wahlgang zu provozieren, laufe dem Ziel jeder Wahl zuwider, die freien Sitze in einer staatlichen Behörde nach Möglichkeit zu besetzen. Sie entspreche nicht dem Verhalten eines loyalen Stimmbürgers (BGE 108 Ia 243, E. 3e).
Kölz kritisierte diese Ausführungen: Der ersten Wahlgang habe auch eine Qualifikationsfunktion; es gehe nicht nur darum, wer gewählt, sondern auch darum, wessen Wahl in den zweiten Wahlgang verschoben werden soll (Kölz 1987, S. 57). Verschiedene Stimmen in der Literatur haben ihm beigepflichtet und teilen die Ansicht, Wählende sollten einen zweiten Wahlgang herbeiführen können (Poledna in: Thürer/Aubert/Müller 2001, § 23 N 24; Ders. 1988, S. 56–57; Töndury 2004, S. 276–277). Ohnehin liesse sich nicht verhindern, dass Unzufriedene in entsprechender Absicht für chancenlose Kandidierende (bzw. in gewissen Kantonen sogar für irgendwelche Stimmberechtigten) stimmen würden (vgl. Poledna 1988, S. 62).
Differenziert äussert sich Martenet. Er ist nur dann für die Berücksichtigung (ganz) leerer Stimmzettel, wenn das jeweilige Wahlrecht erlaubt, im zweiten Wahlgang neue Kandidierende vorzuschlagen, nicht aber, wenn ohnehin nur Teilnehmende des ersten Wahlgangs gewählt werden können (Martenet 1999, S. 360–361). In diesem Sinne hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 24. August 2016 argumentiert, die Absicht, einen zweiten Wahlgang herbeizuführen, verdiene im konkreten Fall u. a. deshalb keinen Schutz, weil im Kanton Bern ein Wahlanmeldeverfahren gilt (BGer 1C_210/2016 vom 24. Aug. 2016, E. 3.5).
Bei Einpersonenwahlen ist dem Bundesgericht (im Ergebnis) uneingeschränkt zuzustimmen. In einer leeren Stimme kann sich sowohl die Ablehnung aller Kandidierenden als auch eine eigentliche Enthaltung ausdrücken. Die Bundesverfassung vermittelt weder einen Anspruch auf die eine noch auf die andere Interpretation.
Tatsächlich gibt es sogar legitime Gründe dafür, entweder die Ablehnungen oder die Enthaltungen zu ignorieren: Werden die leeren Stimmen in die Berechnung des absoluten Mehrs einbezogen, sollen im ersten Wahlgang nur Politikerinnen und Politiker gewählt werden, denen eine Mehrheit derjenigen, die durch eine Stimmabgabe ihr Interesse an der Wahl bekundet haben (ihr also nicht einfach aufgrund mangelnden Wissens, Desinteressens oder Nachlässigkeit fernblieben), aktiv ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Berücksichtigt ein Kanton die leeren Stimmen dagegen nicht, handelt er nach dem Motto «Wählen heisst Auswählen», dem Gedanken, dass Behörden nun mal mit irgendjemandem besetzt werden müssen (vgl. zu dieser Idee Felder 1993, S. 101; BGE 108 Ia 243, E. 3e). Wer niemanden (Wählbares) für ein Amt geeignet hält und dies zum Ausdruck bringen möchte, handelt zwar nicht illoyal; Gemeinwesen sind jedoch nicht verpflichtet, wahlrechtliche Folgen an eine solche Meinungsäusserung zu knüpfen (diesbezüglich gl. M. Steinmann 2016, S. 506; zum Sonderproblem des Anmeldeverfahrens s. unten Rz. 54–58). Welche der beiden Philosophien einen Kanton mehr überzeugt, ist eine rein politische Frage.
In Mehrpersonenwahlen (z. B. kantonale und kommunale Exekutivwahlen, Ständeratswahlen in Vollkantonen) können Wählende auch teilweise leer einlegen. Sind in einem Kanton sieben Regierungsratsmitglieder zu wählen, können die Wählenden beispielsweise auch nur drei oder sechs Namen auf den Zettel schreiben. Im Umgang mit solchen teilweise leeren Stimmzetteln unterscheiden sich die zwei am weitesten verbreiteten Berechnungsarten: Die «klassische Methode» (angewandt beispielsweise in Genf [Art. 95 LEDP-GE], Luzern [§ 88 Abs. 2 StRG-LU, SRL 10] oder St. Gallen [Art. 33 Abs. 1 UAG-SG, sGS 125.3]) geht von Wahlzetteln aus, d. h. sie zählt die wählenden Einzelpersonen. Eine Stimmberechtigte, die nur einen einzigen Namen aufschreibt, beeinflusst diesfalls das absolute Mehr gleich stark wie ein Wähler, der sämtliche Linien ausfüllt. Dienen demgegenüber die Kandidierendenstimmen als Basis (wie in den Kantonen Aargau [§ 22 Abs. 2 GPR-AG, SAR 131.100], Bern [Art. 30 Abs. 1 PRG-BE, BSG 141.1] und Zürich [§ 78 Abs. 1 GPR-ZH, LS 161]), gelten leere Linien als nicht zu berücksichtigende Enthaltungen. Eine Aargauerin, die bei Regierungsratswahlen nur drei ihrer fünf Stimmen gebraucht, gilt in ihrem Wahlrecht also als «40-prozentige Nichtwählerin». In dieser Logik entspricht das absolute Mehr der Hälfte aller Kandiderendenstimmen, geteilt durch die Anzahl zu vergebender Mandate, da die einzelnen Wählenden ja jeweils so viele Stimmen haben, wie Sitze zu vergeben sind (vgl. zu den beiden (und weiteren) Berechnungsmethoden allgemein: BGer 1C_210/2016 vom 24. Aug. 2016, E. 3.1; BGE 108 Ia 243, E. 3b; Garrone 1991, S. 208–209; Hangartner/Kley 2000, N 1553; Kölz 1987, S. 52–56; Lutz/Strohmann 1998, S. 36–37, 163–164; Poledna in: Thürer/Aubert/Müller 2001, § 23 N 24; Vatter 2016, S. 224).
Die Argumente, weshalb es verfassungsrechtlich geboten oder nicht geboten sei, leere Stimmzettel bei der Berechnung des absoluten Mehrs zu berücksichtigen, gelten auch für die «klassische Methode» bei Mehrpersonenwahlen. Viele Kantone, welche diese anwenden, berücksichtigen jedoch lediglich die teilweise, nicht aber die ganz leeren Wahlzettel (vgl. Kölz 1987, S. 52; Lutz/Strohmann 1998, S. 163; § 79 Abs. 1 i.V.m. § 78 Abs. 2 Bst. a StRG-LU). Diese Differenzierung erschien dem Bundesgericht 1982 «wenig logisch» (BGE 108 Ia 243, E. 3d). Auf den ersten Blick muss ihm zugestimmt werden. Tatsächlich ist nämlich die Unsicherheit, welcher Willen hinter einer leeren Stimme steht (s. oben Rz. 31–39), bei teilweise ausgefüllten Wahlzetteln sogar besonders gross: Während ein völlig leerer Stimmzettel wohl in den meisten Fällen ein Protestvotum darstellt, ist es bei einem teilweise ausgefüllten sehr gut möglich, dass die wählende Person die Entscheidung, wer neben ihren bevorzugten Kandidierenden sonst noch in der Regierung (oder dem Ständerat) sitzen soll, schlicht dem restlichen Stimmvolk überlassen wollte.
Nun findet sich bei Kölz allerdings eine subtile Argumentation, weshalb die leeren Linien auf einem teilweise ausgefüllten Stimmzettel dennoch als ablehnende Stimmen zu werten seien: Wer für bestimmte Kandidierende stimme, spreche sich damit nämlich – zumindest im Sinne einer wertenden Auswahl – immer «gegen» alle anderen aus. Werde das absolute Mehr anhand der Kandidierendenstimmen berechnet, behandle man die (so verstandene) Ablehnung von Wählenden, die teilweise leer und von solchen, die «voll» stimmen, ungleich. Dies verstosse gegen die Stimmkraftgleichheit (vgl. Kölz 1987, S. 57; zust.: Töndury 2012b, N 48; Ders. 2004, S. 276–277). Diese Argumentation läuft letztlich auf ein Plädoyer für die Anwendung der «klassischen Methode» hinaus.3
5.2.2. Die Berechnungsmethoden in der Praxis: Das absolute Mehr ist (manchmal) auch nur ein relatives
Bei Mehrpersonenwahlen in Majorz ist es möglich, dass mehr Kandidierende das absolute Mehr erreichen als Sitze zu vergeben sind (vgl. zum Ganzen Poledna 1988, S. 58–59). Diese Besonderheit lässt sich gut an folgendem Beispiel illustrieren: Bei einer Wahl sind zwei Sitze zu vergeben. Es stehen sich die drei Kandidierenden A, B und C gegenüber. Von 300 Wählenden stimmen 100 für A und B, 100 für A und C und ebenfalls 100 für B und C. Die drei Kandidierenden erhalten also je 200 Stimmen und übertreffen somit alle das absolute Mehr von 150 Stimmen (da im Beispiel sämtliche Wählenden ihren Stimmzettel voll ausgefüllt haben, spielen die unterschiedlichen Berechnungsmethoden keine Rolle). Die kantonalen Wahlgesetze sehen denn auch meist vor, dass in einem solchen Fall nur die Kandidierenden mit den höchsten Stimmenzahlen gewählt sind, während die anderen als «Überzählige» trotz Erreichen des absoluten Mehrs erfolglos bleiben (Poledna 1988, S. 58–59; vgl. beispielsweise Art. 29 Abs. 2 PRG-BE, Art. 34 Abs. 1 UAG-SG, § 77 Abs. 2 GPR-ZH).
Die Möglichkeit «überzähliger Gewählter» führt dazu, dass Wählende, denen die Wahl bestimmter Personen ein besonderes Anliegen ist, ein Interesse haben, dass andere Kandidierende das absolute Mehr nicht erreichen, auch wenn sie an sich nichts gegen deren Einzug in die Exekutive hätten. Mehrpersonenwahlen setzen somit einen taktischen Anreiz, teilweise leer zu stimmen (vgl. Martenet 1999, S. 360; Milic/Vatter/Bucher 2012, S. 16, mit empirischen Hinweisen für solch ein taktisches Stimmverhalten). Wer nicht alle Linien seines Stimmzettels ausfüllt, verhält sich häufig schlichtweg rational.
Überzählige Gewählte können bei beiden gebräuchlichen Methoden zur Berechnung des absoluten Mehrs vorkommen. Felder lehnt deshalb die eine wie die andere ab und fordert stattdessen ein System, in welchem mathematisch garantiert nur gerade so viele Personen das absolute Mehr erreichen können, wie Sitze zu vergeben sind (Felder 1993, S. 103).
In der Realität sind «Überzählige» freilich sehr viel wahrscheinlicher, wenn das absolute Mehr auf Basis der Kandidierendenstimmen berechnet wird. Da es bei jeder Wahl teilweise leere Stimmen gibt, fällt das absolut Mehr gemäss dieser Berechnungsart nämlich immer deutlich tiefer aus, als wenn die «klassische Methode» angewandt wird (vgl. Hangartner/Kley 2000, N 1553; Milic/Vatter/Bucher 2012, S. 11–12; Vatter 2016, S. 224). Bei Exekutivwahlen kommt hinzu, dass im schweizerischen «freiwilligen Proporz» (vgl. zu diesem Auer/Malinverni/Hottelier 2013, N 710; Buser 2011, N 486; Linder/Mueller 2017, S. 121; Maag 2004, S. 162; Vatter 2016, S. 224) Parteien bzw. politische Lager kaum je vollständige Listen aufstellen, die Wählenden aber im ersten Wahlgang dennoch häufig (und wie gesehen rationalerweise) nur für die «eigenen» Kandidierenden stimmen (vgl. Milic/Vatter/Bucher 2012, S. 16, 51, u. a. dazu, dass unter dem System der Kandidierendenstimmen das absolute Mehr deshalb gerade bei konfliktreichen Wahlen besonders einfach zu erreichen ist). Schliesslich lassen die Wählenden erfahrungsgemäss eher Linien leer, wenn sie mehr Stimmen haben. Praktisch wird in der Schweiz das absolute Mehr daher desto einfacher erreicht, je mehr Sitze zu vergeben sind (vgl. Milic/Vatter/Bucher 2012, S. 15; Vortrag des Regierungsrats BE vom 04. April 2018, Ziff. 3.1.3, S. 5). Bei Gesamterneuerungswahlen von Kantonsregierungen, in denen das absolute Mehr auf Basis der Kandidierendenstimmen berechnet wird, sind zweite Wahlgänge denn auch sehr selten, in Kantonen mit sieben Regierungsratsmitgliedern noch seltener als in solchen mit fünf (vgl. Milic/Vatter/Bucher 2012, S. 15, 51–52). Wird das absolute Mehr in solchen Konstellationen aufgrund der Kandidierendenstimmen berechnet, nähert es sich stark dem relativen Mehr an (Töndury 2012a, N 16) und ist folglich ähnlichen Bedenken ausgesetzt, namentlich was die Stimmrechtsfreiheit angeht (vgl. Töndury 2012a, N 51).
Diese Konsequenz des Abstellens auf die Kandidierendenstimmen kann im Übrigen durchaus gewollt sein. So begründete der Berner Regierungsrat 1955 den Wechsel der Berechnungsart damit, die vorher angewandte «klassische Methode» habe allzu oft unnötige zweite Wahlgänge erfordert (Tagblatt des Grossen Rates des Kantons Bern 1955, Beilage 11, S. 50–51). Nuspliger rechtfertigt das System der Kandidierendenstimmen seinerseits damit, das Ziel einer Wahl bestehe darin, die freien Sitze in einem einzigen Akt zu besetzten. Damit werde auch der Gedanken der Einheit des Kollegiums und der Gleichrangigkeit seiner Mitglieder zum Ausdruck gebracht (Nuspliger in: Kälin/Bolz 1995, S. 167).
Was die Interpretation teilweise leerer Stimmen angeht, ist Kölz zuzustimmen. Entscheidend ist weder die «Ablehnung» der Nicht-Gewählten als solche (die man juristisch ja nicht unbedingt schützen müsste) noch ein allfälliges Stimmenthaltungsmotiv (d. h. das Motiv, abgesehen von den eigenen Präferenzen die anderen Wählenden entscheiden zu lassen), sondern, dass Wählende, die teilweise leer einlegen, einige Kandidierende anderen vorziehen. Insofern sind teilweise ausgefüllte Majorzwahlzettel auch nicht mit ganz leeren vergleichbar. Nicht gefolgt wird Kölz jedoch vorliegend, wenn er daraus einen Anspruch ableitet, «voll» gezählt zu werden. Kantone dürfen m. E. nämlich prinzipiell vom Ideal einer kompletten Wahl ausgehen. Sie dürfen von den Wählenden grundsätzlich verlangen, eine Erklärung abzugeben, wie sich die Regierung (oder die Ständeratsdelegation des jeweiligen Kantons) ihrer Meinung nach angesichts der konkret bestehenden Alternativen zusammensetzen soll.
Wenn über die Verfassungsmässigkeit der verschiedenen Berechnungsarten entschieden wird, sollte freilich auch beachtet werden, wie sich diese praktisch auswirken und zu welchem Stimmverhalten sie Anreize setzen. Eine derartige Betrachtungsweise hat gezeigt, dass die Berechnung des absoluten Mehrs anhand der Kandidierendenstimmen bei grösseren Exekutiven faktisch einer relativen Mehrheitswahl gleichkommt (oben Rz. 46). Die Stimmenden sind schon im ersten Wahlgang gezwungen, taktisch zu stimmen; es erscheint (unter geltendem Verfassungsrecht) fraglich, ob das Recht auf freie Stimmabgabe gewahrt ist. Die obenstehenden Überlegungen zur relativen Mehrheitswahl (Rz. 18–27) erweisen sich als anwendbar.
Die Argumentation von Nuspliger, die Wahl in einem einzigen Akt sei vorzugswürdig, weil die Gleichrangigkeit der Regierungsmitglieder symbolisch besser gewahrt werde, spricht – wenn schon – für die Einführung der relativen Mehrheitswahl. Schon die Grundannahme ist jedoch diskutabel: Auch wenn nur ein Wahlgang stattfindet, wird es doch Regierungsmitglieder geben, die komfortabel und andere, die nur ganz knapp gewählt werden. Wahrscheinlich ist die Legitimität von Magistratinnen und Magistraten, zu denen sich das Volk im zweiten Wahlgang klar und deutlich bekannt hat, sogar höher als jene von solchen, die ihre Wahl im ersten Wahlgang einem Zufallsvorsprung gegenüber anderen Kandidierenden verdanken, besonders wenn Letztere gleichfalls das absolute Mehr erreicht haben.
Die Berechnung des absoluten Mehrs nach der «klassischen Methode» kann theoretisch auch zur Wahl von «Überzähligen» führen und garantiert die Stimmrechtsfreiheit insofern auch nicht optimal. Dennoch geht die Ansicht von Felder zu weit, wonach das absolute Mehr nur dann verfassungskonform berechnet wird, wenn es von maximal so vielen Personen erreicht werden kann, wie Sitze zu vergeben sind. Diesfalls müsste nämlich bei fast jeder noch so unumstrittenen Mehrpersonenwahl (zumindest ab einer gewissen Anzahl zu vergebender Sitze) ein zweiter Wahlgang stattfinden. Graubünden, das zeitweise ein solches System verwendete, kam denn auch wieder davon ab (vgl. Garrone 1991, S. 209; Kölz 1987, S. 55–56; Töndury 2012a, N 16; Vatter 2016, S. 224). Zwar sind demokratietheoretische und grundrechtliche Überlegungen grundsätzlich höher zu gewichten als das Interesse an einem sparsamen Umgang mit staatlichen Ressourcen (Weber 2016, N 1178), dies kann jedoch nicht schrankenlos gelten. In der Praxis reicht die «klassische Methode» aus, um jenes Ausmass an Stimmrechtsfreiheit zu sichern, das unter Majorzverhältnissen überhaupt möglich ist. Wer darüber hinausgehen will, sollte konsequenterweise die Einführung von preferential block voting fordern (wie oben, Rz. 27, erwähnt ist dies allerdings nicht die Ansicht des Autors).
Kommt es zu einem zweiten Wahlgang, fragt sich, für wen in diesem gestimmt werden kann. Der Zugang zum zweiten Wahlgang kann im Wesentlichen auf vier Arten geregelt werden:
- Der zweite Wahlgang ist frei. Entweder sind alle Stimmberechtigten wählbar oder zumindest kann jedermann seine Kandidatur anmelden.
- Die Kandidierenden müssen bereits am ersten Wahlgang teilgenommen haben.
- Zugelassen wird nur, wer im ersten Wahlgang einen bestimmten Mindeststimmenanteil erzielt hat.
- Die Teilnehmendenzahl ist beschränkt, typischerweise (bei Einpersonenwahlen) auf die zwei Bestplatzierten der ersten Runde (Stichwahl im engeren Sinne, run-off; vgl. Gallagher/Mitchell 2005, S. 582; Garrone 1991, S. 204–205; Hangartner/Kley 2000, N 1553; Kölz 1987, S. 51–52). Dieses System war jüngst Gegenstand eines Urteils des Berner Verwaltungsgerichts (Wahl der Gemeindepräsidentin von Spiez; VG BE vom 10. März 2017, VGE 100.2017.2/100.2016.371, publ. in BVR 2017, S. 437–452; bestätigt durch BGer 1C_218/2017 vom 23. Juni 2017).
Zum System des freien Zugangs, welches etwa im Kanton Zürich gilt (§ 84 b Abs. 2 GPR-ZH), gibt es aus staatsrechtlicher Sicht wenig zu sagen. Die anderen drei Varianten beschränken hingegen das passive Wahlrecht der Personen, die nicht kandidieren dürfen, und damit indirekt das aktive Wahlrecht aller, die gerne für diese gestimmt hätten. Sie werden daher nachfolgend genauer geprüft.
Der zweite Wahlgang kann nur dann auf Teilnehmende des ersten Wahlgangs beschränkt werden, wenn sich diese überhaupt bestimmen lassen, d. h. wenn vor dem ersten Wahlgang ein obligatorisches Anmeldeverfahren durchgeführt wird. Sind dagegen im ersten Wahlgang sämtliche Stimmberechtigte wählbar, ist höchstens ein Mindeststimmenanteil praktikabel.
Die Anmeldepflicht wird gewöhnlich ohne Weiteres für verfassungskonform befunden. Dies gilt für das ansonsten kaum durchführbare Proporzverfahren, zu welchem ein entsprechender Entscheid schon vor über hundert Jahren erging (zum Fall Karl Jahn s. Garrone 1991, S. 106; Marbach 2016, Rz. 48), ebenso wie für das Majorzsystem (vgl. BGer 1C_217/2008 vom 03. Dez. 2008, E. 2.1; VG BE vom 10. März 2017, VGE 100.2017.2/100.2016.371, E. 5.5–5.6, publ. in BVR 2017, S. 450–451; gl. M. Marbach 2016, Rz. 49). Fundiert kritisiert wurde diese Ansicht jedoch jüngst von Weber im Kontext der Diskussion um stille Wahlen (vgl. Weber 2016, N 1177, 1186–1189, 1220, 1260–1268): Die meisten Wahlberechtigten setzten sich erst kurz vor der Wahl mit dieser auseinander (Weber 2016, N 1188). Eine Anmeldepflicht nehme ihnen deshalb die Möglichkeit, spontan neue Kandidierende vorzuschlagen, wenn ihnen die Angemeldeten nicht genehm seien (Weber 2016, N 1186). Die Gewissheit, dass eine gewählte Person die Wahl annehmen werde, sei angenehm, aber nicht erforderlich; ausserdem sei die Annahme des Amtes auch seitens von Personen wahrscheinlich, die nicht offiziell vorgeschlagen worden seien (Weber 2016, N 1260). Ein obligatorisches Anmeldeverfahren bei Majorzwahlen sei deshalb verfassungswidrig.
Spezifisch in Bezug auf den zweiten Wahlgang fragt sich, ob den Stimmberechtigten ermöglicht werden muss, als Reaktion auf (unerwartete) Ergebnisse des ersten Wahlgangs oder den Rückzug einer Kandidatur neue Kandidierende vorzuschlagen beziehungsweise selbst zu kandidieren. Sofern man ein Anmeldeobligatorium im ersten Wahlgang für zulässig erklärt, lässt sich dagegen jedoch einwenden, beide Wahlgänge würden eine Einheit bilden und die entsprechende Freiheit sei nur über den ganzen Wahlprozess gesehen zu gewährleisten (so VG BE vom 10. März 2017, VGE 100.2017.2/100.2016.371, E. 5.6).
Weber bringt gewichtige Argumente gegen ein obligatorisches Anmeldeverfahren vor. In einem entscheidenden Punkt wird ihr vorliegend jedoch nicht gefolgt: Das öffentliche Interesse daran, dass nur Kandidierende gewählt werden, welche die Wahl tatsächlich annehmen wollen, hat nämlich m. E. durchaus Gewicht (vgl. Tschannen 1995, N 102). Lehnt die gewählte Person das Amt ab und bleibt dieses deshalb zeitweise vakant, beeinträchtigt dies die Funktionsfähigkeit der zu wählenden Behörde. Dieses Szenario ist auch durchaus realistisch: Man kann sich gut vorstellen, dass eine Gemeinde (in der kein Amtszwang gilt) jemanden Unwilliges in der Hoffnung wählt, er oder sie werde das Amt letztlich schon annehmen, der oder die Auserkorene jedoch an der Ablehnung festhält. Zudem lässt sich durchaus die Position vertreten, Exekutivkandidierende sollten sich einer ausführlichen Diskussion über ihre Person aussetzen müssen. Parteien sollen nicht in letzterer Minute Kandidierende nominieren, die das Stimmvolk bei ausführlicher Betrachtung vielleicht nicht wählen würde (vgl. zu einer verwandten Argumentation Laely 1951, S. 9). Personen, die sich für ein verantwortungsvolles Amt interessieren, ist zudem zumutbar, sich rechtzeitig anzumelden (zumindest im Fall von Kantonsregierungen wird sich die gegenteilige Ansicht schwer vertreten lassen). Ein Kanton darf deshalb vom Prinzip «Wählen heisst Auswählen» ausgehen und das kantonale Wahlrecht so ausgestalten, dass nur formell Angemeldete wählbar sind.
Weiter ist m. E. auch die Regelung zulässig, wonach die Anmeldung nur vor dem ersten Wahlgang möglich ist, nicht aber zwischen den beiden Wahlgängen. Zwar sprechen gute Gründe dafür, dass Parteien und Privatpersonen auf den ersten Wahlgang mit neuen Kandidaturen reagieren dürfen sollen – aber ebenso gute dagegen. Ein Vorteil der absoluten Mehrheitswahl besteht nämlich wie erwähnt darin, dass die Wählenden im zweiten Wahlgang, in welchem sie zu taktischen Überlegungen gezwungen sind, ihre Entscheidung wenigstens «in full daylight», d. h. in Kenntnis der Ausgangslage, treffen können. Diesem Aspekt der freien Stimmabgabe schadet es, wenn sich neue Kandidierende unbekannten Potenzials in den zweiten Wahlgang einzumischen beginnen. Beide Runden bilden eben doch zwei Akte einer Wahl.
Verschiedene Kantone, welche die Teilnahme am zweiten Wahlgang beschränken, kennen Regelungen, wonach die jeweiligen Gruppierungen und Parteien oder die Unterzeichnenden eines Wahlvorschlags Kandidierende ersetzen können, die sich zwar für den zweiten Wahlgang qualifiziert haben, aber nicht mehr daran teilnehmen können oder wollen (Vortrag des Regierungsrats BE vom 04. April 2018, Ziff. 3.2.2, S. 7-8). Wenn sich jemand nach dem ersten Wahlgang überraschend zurückzieht oder stirbt, ist so garantiert, dass sein oder ihr politisches Lager weiter im Rennen bleibt und nicht einfach die Gegenkandidatur gewählt wird. Dies erscheint nachvollziehbar, erlaubt allerdings auch politisch motivierte Wechsel (aufgrund unerwartet schlechten Abschneidens im ersten Wahlgang) und setzt somit das Konzept einer einheitlichen Wahl, bei der die Wählenden im zweiten Wahlgang die Ausgangslage kennen, inkonsequent um. Im Kanton Neuenburg (Art. 82 Abs. 2 LDP-NE, RSN 141) können Kandidierende folglich nur ersetzt werden, wenn sie unwählbar geworden sind (d. h. insbesondere im Todesfall). Eine solche Lösung kann sich allerdings unter Umständen als zu restriktiv erweisen, etwa bei Rückzügen aus persönlichen Gründen (z. B. unerwartete Krankheitsdiagnose, schwerer Unfall).
Einen gewissen Mindeststimmenanteil, um am zweiten Wahlgang teilnehmen zu können, verlangen der Kanton Solothurn (§ 46 Abs. 1 GpR-SO) und verschiedene Westschweizer Kantone (üblicherweise 5 Prozent der Wahllisten bzw. Stimmen). Auch im Kanton Bern ist gegenwärtig die Einführung einer solchen Hürde geplant (vgl. Vortrag des Regierungsrats BE vom 04. April 2018, passim, zum Rechtsvergleich Ziff. 3.1.2, S. 3). Die juristische Literatur äussert sich, soweit ersichtlich, selten zu dieser Anforderung.
Mindeststimmenhürden wollen den Zugang zum zweiten Wahlgang auf Kandidierende beschränken, die sich tatsächlich gewisse Chancen ausrechnen können, gewählt zu werden. Sie sollen «überflüssige» Urnengänge verhindern und so insbesondere die finanziellen und zeitlichen Ressourcen des Staates, der politischen Akteure (Parteien und Kandidierende) sowie der Wählerschaft schonen (vgl. die Begründungen der Berner Motionen M 260–2015, M 266–2015 und M 307–2015, Gemeinsame Antwort des Regierungsrates vom 27. April 2016).
Es ist plausibel, dass wer im ersten Wahlgang sehr wenige Stimmen erhalten hat, im zweiten nicht plötzlich gewählt wird. Auch das Ressourcen-Argument wird vorliegend grundsätzlich als legitim betrachtet (vgl. oben Rz. 51; diesbezüglich kritisch Weber 2016, N 1178, 1211). Voraussetzung ist allerdings, dass die Hürde wirklich nur Kandidierende ausschliesst, deren Wahl nach menschlichem Ermessen unmöglich erscheint. Für Mindesthürden sprechen schliesslich gewisse paternalistische Überlegungen: Solche Quoren bewahren nämlich Wählende, die nicht auf das Ergebnis des ersten Wahlgangs geachtet haben, davor, ihre Stimmen unbeabsichtigterweise an chancenlose Kandidierende zu «verschwenden»; es wird insofern Gleichheit zwischen politisch mehr und politisch weniger gebildeten Stimmberechtigten hergestellt. Schliesslich gilt es auch zu vermeiden, dass chancenlose Kandidierende mit dem Aufrechterhalten ihrer Kandidatur drohen, um (politische) Gegenleistungen zu erpressen. Deshalb favorisiert der wichtigste Anhänger der absoluten Mehrheitswahl unter den internationalen Wahlrechtsexperten und Wahlrechtsexpertinnen, Sartori, auch ein System, in dem (bei einer Einpersonenwahl) ungefähr drei bis vier Kandidierende zum zweiten Wahlgang zugelassen werden (Sartori 1994, S. 66).
Wie hoch ist nun ein allfälliger Mindeststimmenanteil anzusetzen? Und auf welche Art Stimmen sollte sich dieser Anteil beziehen? Bei Einpersonenwahlen ist die Ausgangslage relativ einfach: Entweder zählen Kantone und Gemeinden die leeren Stimmen mit (was den Zugang zum zweiten Wahlgang erschwert) oder nicht (was ihn erleichtert), wobei sie sinnvollerweise denselben Ansatz wählen wie beim absoluten Mehr (s. oben Rz. 40–51). Zahlenmässig sollte die Hürde nach Ansicht des Autors höchstens 15 Prozent betragen, besser noch weniger – es erscheint nämlich durchaus möglich, dass Kandidierende, die im ersten Wahlgang um die 20 Prozent erzielt haben, schlussendlich doch noch gewählt werden, gerade bei einem zersplitterten Kandidierendenfeld. Indes bedürfte es politikwissenschaftlicher bzw. statistischer Untersuchungen, um genau zu bestimmten, unterhalb welchen Stimmenanteils aus dem ersten Wahlgang Kandidierende auch bei Vorliegen aussergewöhnlicher Umständen als chancenlos betrachtet werden müssen.
Bei Mehrpersonenwahlen stellt sich demgegenüber ähnlich wie bei der Berechnung des absoluten Mehrs die Frage, wie man teilleere Stimmen berücksichtigt, ob man also die Wahlzettel oder die Kandidierendenstimmen als Grundlage nimmt. Anderseits ist auch zu prüfen, welche Variante praktisch ihr Ziel erreichen kann, d. h. welche chancenlose Kandidaturen und nur chancenlose Kandidaturen vom zweiten Wahlgang ausschliesst.
Jüngst hat sich die Staatskanzlei des Kantons Bern in ihrem Bericht zur Einführung einer Hürde ausführlich mit verschiedenen Möglichkeiten, eine solche bei Mehrpersonenwahlen zu berechnen, befasst (Vortrag des Regierungsrats BE vom 04. April 2018, Ziff. 3.1.3–3.1.5, S. 3–7). Ihr Bericht führt im Wesentlichen drei Varianten auf: Zuerst kann ein Anteil der Wahlzettel definiert werden, analog der «klassischen Methode» beim absoluten Mehr. Die zweite Option besteht darin, die Hürde anhand des auf Kandidierendenstimmen basierenden absoluten Mehrs festzusetzten, d. h. erst die Summe aller Kandidierendenstimmen durch die Anzahl der zu vergebenden Mandate zu teilen, bevor man den Mindestanteil berechnet. Drittens lässt sich auch auf das «rohe» Kandidierendenstimmen-Total abstellen (also ohne die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Stimmenden je nach Wahl unterschiedlich viele Kandidierendenstimmen – so viele, wie Sitze zu vergeben sind – haben).
Aus theoretischer Sicht kann nicht allen Überlegungen der Staatskanzlei zugestimmt werden. Sie argumentiert beispielsweise zirkulär, wenn sie die Berechnung aufgrund der Kandidierendenstimmen anhand des Wahlzettelanteils kritisiert (die Hürde steige, je mehr Sitze zu vergeben sind), die Berechnung aufgrund der Wahlzettel jedoch anhand des Kandidierendenstimmenanteils (die Hürde sinke, je mehr Sitze zu vergeben sind; Vortrag des Regierungsrats BE vom 04. April 2018, Ziff. 3.1.b–3.1.c, S. 4–5). Dass sich unter der Wahlzettel-Methode chancenlose Kandidierende eher für den zweiten Wahlgang qualifizieren, wenn mehr Sitze zu vergeben sind, hat denn auch nichts mit deren Kandidierendenstimmenanteil zu tun, sondern liegt schlicht am Stimmverhalten: So traten im Kanton Bern bei den Regierungsratswahlen 2014 und den Ständeratswahlen 2015 dieselben zwei «Aussenseiter» an. Bei den Regierungsratswahlen stand der Name des einen auf jedem neunten, derjenige des anderen auf jedem elften Wahlzettel. Bei den Ständeratswahlen konnten beide hingegen nur je eine von neunzig wählenden Personen überzeugen (vgl. ebenda, Anhang). Offensichtlich «verschenken» die Wählenden lieber eine von sieben als eine von zwei Stimmen, zumal Lager und Parteien bei Exekutivwahlen gewöhnlich ja keine «vollen Listen» präsentieren (s. oben Rz. 46).
Welche Formel ist nun vorzugswürdig? Gemeinwesen, die das absolute Mehr nach der «klassischen Methode» bestimmen, berechnen sinnvollerweise auch allfällige Mindesthürden anhand des Wahlzetteltotals. Dass mehr Kandidierende in den zweiten Wahlgang einziehen, wenn mehr Mandate zu vergeben sind, ist diesfalls in Kauf zu nehmen, zumal diese Kandidierenden auch von einem entsprechend grossen Anteil der Wählenden unterstützt werden. Unter der Wahlzettel-Methode kann der Prozentsatz gleich hoch festgelegt werden wie bei der Einpersonenwahl, er sollte nach Schätzung des Autors (vgl. oben Rz. 63) also maximal 15 Prozent betragen.
Abzuraten ist demgegenüber von der zweiten oben dargelegten Methode, einen Anteil am auf den Kandidierendenstimmen basierenden absoluten Mehr festzulegen. Die Nachteile dieser Berechnungsart des absoluten Mehrs würden diesfalls durch das erwähnte Wahlverhalten noch verstärkt – die Hürde fiele bei wenigen zu vergebenden Sitzen klar zu hoch aus, bei vielen klar zu niedrig. Im Kanton Bern wir demzufolge auch ein Mindestanteil von 3 Prozent der «rohen» Kandidierendenstimmen vorgeschlagen (Vortrag des Regierungsrats BE vom 04. April 2018, Ziff. 3.1.4–3.1.5, S. 6–7; der Grosse Rat hat dieser Lösung in erster Lesung am 03. September 2018 oppositionslos zugestimmt). Diese Lösung steht theoretisch auf ausgesprochen schwachem Fundament, da sie nicht berücksichtigt, wie viele Stimmen die einzelnen Wählenden bei der jeweiligen Wahl vergeben können, produziert allerdings den gegenwärtigen Berner Verhältnissen angemessene Ergebnisse (vgl. ebenda, Ziff. 3.1.b–3.1.4, S. 4–6 sowie Anhang). Letzteres muss jedoch nicht immer und überall der Fall sein: Hätte dieselbe Hürde etwa bei den Bündner Grossratswahlen 2014 gegolten, hätten sich im Kreis Chur (20 zu vergebende Sitze) selbst einige Gewählte (!) nicht für den zweiten Wahlgang qualifiziert (eigene Berechnungen aufgrund der Resultate der Kreiswahlen vom 18. Mai 2014; bei den Grossratswahlen vom 10. Juni 2018 wäre dies knapp nicht der Fall gewesen, jedoch hätte die 3-Prozent-Hürde immer noch höher gelegen als das absolute Mehr).
Im letzten Jahr urteilten sowohl das Berner Verwaltungsgericht als auch das Bundesgericht, die Gemeinde Spiez dürfe den zweiten Wahlgang ums Gemeindepräsidium als Stichwahl der beiden stimmenstärksten Kandidierenden ausgestalten (VG BE vom 10. März 2017, VGE 100.2017.2/100.2016.371, E. 5, publ. in BVR 2017, S. 438–452; BGer 1C_218/2017 vom 23. Juni 2017). Eine ähnliche Regelung wie Spiez kennt der Kanton Freiburg, der ausserdem bei Mehrpersonenwahlen maximal doppelt so viele Kandidierende zum zweiten Wahlgang zulässt wie Sitze zu besetzen sind (Art. 90 Abs. 2 PRG-FR, SGF 115.1). Früher scheinen entsprechende Bestimmungen noch verbreiteter gewesen zu sein (vgl. Giacometti 1941/1979, S. 262 m. H. in Fn. 169).
International sind Zweier-Stichwahlen üblicher. Das hierzulande bekannteste Beispiel dürften die französischen Präsidentschaftswahlen sein (Art. 7 Abs.1 Constitution de la République française). Bei den Wahlen in die französische Nationalversammlung (durchgeführt in Einerwahlkreisen) qualifizieren sich hingegen grundsätzlich neben den beiden Bestplatzierten auch weitere Kandidierende, wenn sie von 12,5 Prozent der Stimmberechtigten gewählt wurden (vgl. Baedermann 2007, S. 184–185; Chantebout 2012, S. 438–440; Elgie in: Gallagher/Mitchell 2005, S. 121–122; Farrell 2011, S. 47). Anlässlich der letzten Gesamterneuerungswahlen von 2017 kam es jedoch – auch aufgrund der vergleichsweise geringen Wahlbeteiligung – nur in einem der 577 Wahlkreise zu einer «triangulaire», während sich in 572 Wahlkreisen nur zwei Kandidierende gegenüber standen (Boichot, Le Figaro, 12. Juni 2017, vgl. offizielle Wahlergebnisse des französischen Innenministeriums; in vier Wahlkreisen war bereits im ersten Wahlgang eine Entscheidung gefallen). Das französische Parlamentswahlsystem entspricht somit faktisch weitgehend dem Run-off-Modell und kann bei dessen nachfolgender Analyse einbezogen werden.
Das Berner Verwaltungsgericht (und mit ihm das Bundesgericht) prüfte die Zweier-Stichwahl im Spiezer Fall unter dem Gesichtspunkt der Auswahlfreiheit, die es als Freiheit verstand, überhaupt für jemanden zu stimmen beziehungsweise sich zur Wahl zu stellen. Diese sei kaum beeinträchtigt, da beide Wahlgänge als Einheit zu sehen seien, zudem entspreche die alleinige Zulassung der beiden stimmenstärksten Kandidierenden dem Mehrheitsprinzip (VG BE vom 10. März 2017, VGE 100.2017.2/100.2016.371, E. 5.5–5.6, publ. in BVR 2017, S. 450–452; BGer 1C_218/2017 vom 23. Juni 2017, E. 4.2). Die schweizerische wahlrechtliche Doktrin äussert sich kaum zum Run-off-System (wohl auch aufgrund von dessen Seltenheit), nur Töndury nimmt am Rande dahingehend Stellung, eine Stichwahl zwischen den beiden besten Kandidierenden könne bei Parlamentswahlen im Majorz «wohl am besten» garantieren, dass die Parlamentsmehrheit mit der Volksmehrheit übereinstimme (Töndury 2017, S. 580; Ders. 2012a, N 51; Ders. 2012b, N 43).
Das Run-off-System weist zwei (zumindest unter geltendem Recht) verfassungsrechtlich heikle Aspekte auf. Beide haben die Gerichte im Fall der Spiezer Gemeindepräsidentinnenwahl nicht angesprochen.
Zum einen ist fraglich, ob die Durchführung einer Zweier-Stichwahl die Kandidierenden rechtsgleich behandelt. Immerhin wird privaten Vereinen von analogen Abstimmungsmodi abgeraten, da sie Zufallsergebnisse produzieren können (vgl. Ernst 2011, N 233). Lässt sich demgegenüber bei Volkswahlen, zugespitzt gefragt, die Ungleichbehandlung von Zweit- und Drittplatzierten rechtfertigen? Die absolute Mehrheitswahl zielt ja darauf ab, dass die schlussendlich Gewählten eine möglichst breite Unterstützung im Stimmvolk vorweisen können. Es lässt sich aber bezweifeln, ob sich daraus, dass eine Kandidatin 26 Prozent der Stimmen erzielt und ihr Konkurrent nur 25 Prozent, wirklich ableiten lässt, sie werde im zweiten Wahlgang eher gewählt als er. Entscheidender für die Wahlchancen wird wohl eher sein, wer näher beim Durchschnitt des jeweiligen Gemeinwesens politisiert oder wessen Persönlichkeit mehr Leute anspricht. Reale Beispiele bestätigen dies: So zog sich bei den Zürcher Ständeratswahlen 2007 die sozialdemokratische Kandidatin zugunsten einer Grünliberalen mit leicht weniger Stimmen zurück, die dann tatsächlich den im ersten Wahlgang noch vorne liegenden SVP-Kandidaten besiegte (vgl. Année politique 2007, S. 63). Hätte eine strikte Run-off-Regel gegolten, wäre dies nicht möglich gewesen. Und auch für französische Politikerinnen und Politiker macht es einen bedeuten Unterschied, ob sie in der Stichwahl Kandidierenden des rechtsextremen Front National (seit Juni 2018: Rassemblement national) oder einer weniger umstrittenen Formation gegenüberstehen (vgl. zur Präsidentschaftswahl von 2002, als dieser Effekt noch ausgeprägter war als heute: Elgie in: Gallagher/Mitchell 2005, S. 128; Farrell 2011, S. 50).
Zum anderen umfasst das Recht auf freie Stimmabgabe – wie erwähnt – auch die Möglichkeit, frei gemäss seinen wirklichen Präferenzen zu stimmen, ohne taktische Mutmassungen anstellen zu müssen (s. oben Rz. 11, 25–27). Eine Zweier-Stichwahl schränkt die entsprechende Wahlfreiheit bereits im ersten Wahlgang deutlich ein: Sie setzt erhebliche Anreize, taktisch zu stimmen, damit wenigstens irgendjemand aus dem eigenen politischen Lager in den zweiten Wahlgang einzieht. Mehr noch: Die Wählenden müssen zusätzlich in Betracht ziehen, wer bessere Chancen hat, den zweiten Wahlgang auch zu gewinnen. Mit anderen Worten: Wer im ersten Wahlgang nicht wirkungslos oder kontraproduktiv stimmen will, muss zweifach spekulieren (zur geringeren Wahlfreiheit in Run-off-System im Vergleich zu anderen Varianten der absoluten Mehrheitswahl Sartori 1994, S. 66; zu entsprechendem taktischen Wahlverhalten in Frankreich Baedermann 2007, S. 187, m. H. auf Ysmal 1986, S. 83–85).
Demgegenüber können für das Run-off-System auch Vorteile aufgeführt werden. Es verhindert, dass der Rückzug einer Kandidatur zum Gegenstand fragwürdiger Abmachungen, ja eigentlicher «Kuhhändel» verkommt (zu diesem Nachteil offener Zugangsregeln vgl. Braunias 1932, S. 185–186; Elgie in: Gallagher/Mitchell 2005, S. 123; Sartori 1994, S. 64–67). Ferner scheint es die freie Stimmabgabe für den zweiten Wahlgang zu optimieren: Bei zwei Kandidierenden können alle unbesorgt für ihre bevorzugte Person stimmen – wenn sie dieser damit nicht zur Wahl verhelfen, hätte auch kein anderes Stimmverhalten die Niederlage verhindern können. In diesem Sinne wird schliesslich auch das Mehrheitsprinzip besser gewahrt als bei allen anderen Zugangsregelungen: Es ist garantiert, dass eine Mehrheit der Stimmberechtigten die gewählte Person nicht für das «allergrösste Übel» hält – niemand bekommt ein Amt bloss deshalb, weil sich seine oder ihre Gegnerschaft partout nicht auf eine gemeinsame Kandidatur einigen konnten (vgl. zur Tatsache, dass die in einer Zweier-Stichwahl obsiegende Person die absolute Mehrheit hinter sich hat; Farrell 2011, S. 47; Gallagher/Mitchell 2005, S. 582).
Die ersten beiden dieser Argumente überzeugen nur äusserst beschränkt: Zwischenparteiliche Abmachungen müssen nicht nur negativ sein. Sie können auch den «freiwilligen Proporz» stärken und insofern zur Konkordanzdemokratie beitragen (vgl. Sartori 1994, S. 64–65, im Kontext eines Systems von Regierung und Opposition). Wenn nur zwei Kandidierende antreten, befreit dies die Wählenden zwar vom Zwang, taktisch stimmen zu müssen – setzt sie aber demjenigen aus, sich nur zwischen zwei (möglicherweise durch einen Zufallsunterschied bestimmten) Alternativen entscheiden zu müssen. Das paternalistische Motiv (s. oben Rz. 62) wird so derart auf die Spitze getrieben, dass es sich einer eigentlichen Bevormundung der Stimmberechtigten annähert. Durchaus bedenkenswert erscheint demgegenüber das Ziel, das Mehrheitsprinzip aufrechtzuerhalten, also die Wahl von Kandidierenden zu verhindern, die der Mehrheit als «grösstes Übel» erscheinen. Offen bleibt aber, ob dieses Interesse die mangelnde Rechtsgleichheit unter den Kandidierenden und die eingeschränkte Wahlfreiheit im ersten Wahlgang rechtfertigen kann. Falls ein Gemeinwesen dennoch eine Zweier-Stichwahl vorsehen will, sollte es den beiden Qualifizierten m. E. zumindest die Möglichkeit einräumen, zugunsten der Drittplatzierten auf eine Teilnahme am zweiten Wahlgang zu verzichten.
Noch kritischer zu sehen ist die Beschränkung der Teilnehmendenanzahl bei Mehrpersonenwahlen, die alle Nachteile der Zweier-Stichwahl aufweist, aber keinen ihrer Vorteile. Wenn sich beispielsweise bei zwei freien Sitzen vier Personen für den zweiten Wahlgang qualifizieren, kann sich die politisch relevante Auseinandersetzung durchaus nur zwischen den ersten drei abspielen. Wer diesfalls für die chancenlose vierte Kandidatur stimmt, «verschenkt» eine seiner Stimmen. Diejenigen unter den drei Bestplatzierten, die besonders gefährdet sind, so Stimmen zu verlieren, besitzen zudem einen Anreiz, mit der vierten Person über deren Rückzug zu verhandeln und gegebenenfalls auch einen «Kuhhandel» abzuschliessen. Bei einer unglücklichen Stimmverteilung können schliesslich auch Kandidierende, die von einer Mehrheit abgelehnt werden, auf einem der beiden führenden Plätze landen und somit gewählt werden. Je mehr Sitze zu vergeben sind, desto arbiträrer wirkt die Beschränkung der Teilnehmerzahl. So ist kaum ersichtlich, weshalb bei vier zu vergebenden Mandaten gerade acht Personen im zweiten Wahlgang zuzulassen sind und nicht etwa sieben oder neun. Ob Art. 90 Abs. 2 des Freiburger Gesetzes über die Ausübung der politischen Rechte mit dem geltenden Verfassungsrecht vereinbar ist, erscheint daher zumindest bei Mehrpersonenwahlen sehr fraglich.
In der Schweiz werden Exekutiven üblicherweise im Majorzsystem mit zwei Wahlgängen besetzt. Kandidierende müssen in einem ersten Wahlgang ein «absolutes Mehr» erreichen, ansonsten findet ein zweiter Wahlgang statt, in welchem das «relative Mehr» gilt (d. h. die Personen mit den meisten Stimmen sind gewählt). Während fraglich ist, ob das (aktuell geltende) Verfassungsrecht erlaubt, kantonale Parlamentswahlen im Majorz durchzuführen, ist dies bei Exekutivwahlen unbestrittenermassen und aus guten Gründen zulässig. Ob Kantone und Gemeinden auch die relative Mehrheitswahl einführen dürften (bei welcher das relative Mehr schon im ersten Wahlgang reicht) ist fraglich, da sich dieses System schlecht mit dem Recht auf freie Stimmabgabe verträgt. Falls sich der Majorz in einem Wahlgang indes als rechtlich zulässig erweisen sollte, ist aus demselben Grund davon abzuraten. Grundsätzlich sind verschiedene Berechnungsmethoden für das absolute Mehr zulässig. Insbesondere können die Kantone frei entscheiden, wie sie ganz oder teilweise leere Wahlzettel werten wollen. Die verbreitete Berechnung anhand der Kandidierendenstimmen wirkt sich bei einer grösseren Anzahl zu vergebender Sitze (namentlich anlässlich der Gesamterneuerung von Exekutiven) jedoch ähnlich aus wie eine relative Mehrheitswahl und ist daher gleich zu beurteilen wie diese. Kantone und Gemeinden können die Teilnahme am zweiten Wahlgang auf Kandidierende beschränken, die sich schon am ersten beteiligt haben. Sie können hierfür auch Mindeststimmenanteile festlegen. Bei Einpersonenwahlen sollten diese nicht mehr als 15 Prozent betragen, sinnvollerweise weniger. Bei Mehrpersonenwahlen können die Hürden anhand der Wahlzettel festgelegt werden. Die Hürde von 3 Prozent der «rohen» Kandidierendenstimmen, welche der Kanton Bern vermutlich bald einführt, ist demgegenüber zwar für die dortigen Regierungs- und Ständeratswahlen angemessen; diese Aussage lässt sich jedoch nicht verallgemeinern. Den zweiten Wahlgang als Stichwahl der beiden Bestplatzierten auszugestalten, erscheint schliesslich unter dem Gesichtspunkt von Rechtsgleichheit und freier Stimmabgabe problematisch. Entsprechende Beschränkungen bei Mehrpersonenwahlen (zum Beispiel auf die doppelte Anzahl der freien Sitze) sind kaum zu rechtfertigen.
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MLaw Julian Marbach ist Jurist und absolviert momentan im Rahmen seiner Anwaltsausbildung ein Praktikum bei der Anwaltskanzlei «AD!VOCATE» in Bern.
- 1 Aargauer Regierungsratswahlen vom 27. Nov. 2016: 61,6 % wirkungslose Stimme (vgl. Internetseite des Kantons AG, Amtsblatt AG Nr. 47.1 vom 29. Nov. 2016, Beilage); Schwyzer Ständeratswahlen vom 27. Nov. 2011: 62,6 % wirkungslose Stimmabgaben (vgl. Internetseite des Kantons SZ, Amtsblatt SZ Nr. 48 vom 02. Dez. 2011, S. 2498–2499).
- 2 Der gegen diese Position von Ehrat/Eigenmann (in Glaser 2018, S. 183 Fn. 70) vorgebrachte Einwand, STV sei in Wahlkreisen mit weniger als fünf Sitzen nicht anwendbar und bilde deshalb für viele Parlamentsmajorzkreise keine Lösung, trägt nicht. Zwar funktioniert STV am besten, wenn mindestens fünf Sitze zu vergeben sind (Farrell 2011, S. 144), es ist aber auch in kleineren Wahlkreisen anwendbar (bspw. wählen mehrere irische Parlamentswahlbezirke nur drei oder vier Abgeordnete, vgl. Electoral (Amendment) (Dáil Constituencies) Act 2013, Schedule). Auch in solchen ist STV noch minderheitenfreundlicher als der Majorz.
- 3 Diesbezüglich erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, dass sich Kölz (1987, S. 55) für die Berechnung des absoluten Mehrs anhand der Kandidierendenstimmen und nicht anhand der Wahlzettel ausspricht. Werden leere Linien den Kandidierendenstimmen gleichgestellt, läuft dies auf die «klassische Methode» hinaus. Eventuell schwebte Kölz ein abstimmungsähnliches Prozedere im Sinne von Polednas Vorschlag vor (s. oben Rz. 33).