Rezensionen DOI: 10.38023/f5129942-3efa-40b4-a268-616171101740

Rezension: Georg Müller/Felix Uhlmann/Stefan Höfler, Elemente einer Rechtssetzungslehre, 4. Auflage

Unter Mitarbeit von Pia Hunkemöller und Serdar Bayana. Schulthess Juristische Medien AG, Zürich/Genf 2024, 372 S.

Bernhard Waldmann
Bernhard Waldmann

Zitiervorschlag: Bernhard Waldmann, Rezension: Georg Müller/Felix Uhlmann/Stefan Höfler, Elemente einer Rechtssetzungslehre, 4. Auflage, LeGes 35 (2024) 2


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Vor rund 25 Jahren veröffentlichte Georg Müller ein Buch zur «Rechtssetzungslehre», welches die gleichnamige Vorlesung unterlegen und gleichzeitig der Rechtsetzungspraxis dienen sowie zur Weiterentwicklung der Wissenschaft auf dem Gebiet der Rechtsetzung beitragen sollte. Inzwischen ist das Werk in der 4. Auflage erschienen. Obwohl das Autorenteam im Laufe der Jahre verstärkt (Felix Uhlmann stiess für die 3. Auflage und Stefan Höfler für die vorliegende 4. Auflage hinzu) und das Werk ständig ausgebaut und verdichtet wurde, sind die genannten Zielsetzungen weitgehend unverändert geblieben. Mit dem Linguisten Stefan Höfler, der heute die Sektion Deutsch der Zentralen Sprachdienste der Bundeskanzlei sowie die verwaltungsinterne Redaktionskommission des Bundes (VIRK) leitet, ist die Neuauflage interdisziplinärer und transdisziplinärer geworden. Dennoch liegt der Fokus des Buchs weiterhin auf einer Betrachtung der juristischen Elemente der Rechtsetzung bzw. der Rechtsetzungslehre.

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Das Buch besteht bereits seit der 2. Auflage aus vier Teilen, wobei die Teile im Lauf der Jahre immer wieder umbenannt wurden und leichte Umstellungen erfahren haben. In der vorliegenden Neuauflage sind die Einleitung in den ersten und der Ausblick in den letzten (vierten) Teil integriert und der Paragraf zur Qualitätssicherung vom zweiten in den ersten Teil verschoben worden. Ausserdem wurde der vierte Teil um einen Paragrafen zu den Einwirkungen des EU-Rechts auf die Rechtsetzung in der Schweiz ergänzt. Im Übrigen haben sich Struktur und Inhalt des Buches aber nicht grundlegend verändert.

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Der erste Teil ist einigen Grundfragen der Rechtsetzungslehre gewidmet. Einleitend (§ 1) wird das Wesen der Rechtsetzung als interdisziplinäre Aufgabe umschrieben (Rz. 4), die aber dennoch in allen Phasen massgeblich von Juristinnen und Juristen geprägt sei (Rz. 5). Obwohl sich rund um die Rechtsetzung verschiedene Forschungs- und Lehrdisziplinen versammeln, halten die Autoren mit guten Gründen am in der Deutschschweiz eingebürgerten Begriff der «Recht[s]setzungslehre» fest (Rz. 1) und verstehen diesen als «Bestandteil einer allgemeinen juristischen Regelungstheorie» (Rz. 13). In einem kurzen Paragrafen (§ 2) fragen die Autoren – ausgehend vom heutigen Staatsbild – nach den Erwartungen an die Rechtsetzung, bevor sie in § 3 näher auf den Begriff der Rechtsetzung als Staatsfunktion eingehen (Rz. 13) und dabei die aus dem Rechtsetzungsverfahren hervorgehenden Rechtsnormen vom sog. Soft Law abgrenzen (Rz. 14 ff.). Anschliessend kommen die verschiedenen Funktionen der Rechtsetzung zur Sprache (§ 4); dabei liessen sich die (materiellen) Funktionen des Rechts bzw. der Rechtsnormen einerseits und die Funktionen des Rechtsetzungsverfahrens andererseits durchaus noch etwas präziser in der Systematik der Darstellung widerspiegeln. In einem weiteren Paragrafen (§ 5) wird die Gegenüberstellung der beiden Staatsfunktionen «Rechtsetzung» und «Rechtsanwendung» zurecht in mehrfacher Weise relativiert (Rz. 32 f.), um schliesslich dennoch auf die Notwendigkeit der Unterscheidung in der Praxis hinzuweisen (Rz. 34). Des Weiteren wird die Rechtsetzung im Zusammenspiel mit anderen Staatsfunktionen (§ 6) beleuchtet und dabei festgehalten, dass der Lenkungs-, Leistungs- und Gewährleistungsstaat seine Aufgaben nur erfüllen könne, wenn er die verschiedenen Staatsfunktionen richtig kombiniere (Rz. 41). Schliesslich wurde der Paragraf zur Qualitätssicherung in der Rechtsetzung neu in den Grundlagenteil verschoben (§ 7). Ausgehend vom allgemein verbreiteten Klagelied des «schlechten Gesetzes» (Rz. 42) werden zunächst die Elemente der Qualität umschrieben (Rz. 44 ff.), bevor auf die Organe und einzelne Instrumente der Qualitätssicherung (wie etwa die Regulierungsfolgenabschätzung [RFA], diverse Checklisten oder die Anwendung von KI), eingegangen wird (Rz. 53 ff.).

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Kern des Buches bildet der zweite Teil, in welchem Grundfragen der Rechtsetzungsmethodik, des Rechtsetzungsverfahrens und der Rechtsetzungstechnik eingehend behandelt werden. Diese Begriffe und ihre Zusammenhänge werden zunächst in einem eigenen Paragrafen vorangestellt (§ 8).

  1. Unter der Überschrift «Phasen des Rechtssetzungsprozesses» (§ 9) wird dargestellt, wie ein Rechtsetzungsprozess organisiert werden kann, um die Qualität des Erlasses zu sichern und seiner Erarbeitung ein methodisches Vorgehen zugrunde zu legen. Dazu dienen die Etappierung des Rechtsetzungsprozesses in verschiedene Phasen, in welchen jeweils Problem- und Situationsanalysen durchgeführt, Ziele formuliert, präzisiert oder korrigiert oder Lösungen entschieden werden (sog. «Problemlösungszyklus» [Rz. 103]). In der Einleitung wird eine Gliederung des Prozesses in mehrere Etappen (Impulsgebung, konzeptionelle Vorarbeiten, Regulierungsfolgenabschätzung, Redaktion und Überprüfung des Entwurfs, Beschlussfassung, Publikation, Inkraftsetzung, Kontrolle der Wirkungen und Korrektur von Mängeln) angekündigt (Rz. 104) – eine Aufteilung, die Elemente des «äusseren» und des «inneren» Gesetzgebungsverfahrens (Hermann Hill) kombiniert. Eine solche Darstellung trägt dem Umstand Rechnung, dass mit Blick auf ein methodisches Vorgehen nötige und nützliche Arbeitsschritte wirksamer sind, wenn sie auch institutionell hinreichend abgestützt werden. Allerdings erweist sich die von den Autoren gewählte Systematik nach eigenen Erfahrungen für Studierende teilweise etwas schwer zugänglich. Vielleicht könnte hier die eine oder andere Visualisierung nützlich sein. Umso mehr hilft die Vertiefung der einzelnen Etappen weiter: Nach einer Übersicht über die verschiedenen Arten von Anstössen für die Schaffung neuer Rechtsnormen (Rz. 105 ff.) folgen Arbeitsschritte (wie die Aufnahme des Ist-Zustandes [Rz. 116 ff.], die Präzisierung der Zielsetzungen bzw. die Prüfung der Notwendigkeit einer Regelung [Rz. 119 ff.]), die vor den eigentlichen konzeptionellen Arbeiten durchzuführen, aber gegebenenfalls im weiteren Verlauf des Prozesses zu vertiefen sind. Die eigentlichen konzeptionellen Arbeiten («Konzepthase»), die in die Erstellung eines Normkonzepts münden, kommen in einem eigenen Abschnitt zur Sprache (Rz. 130 ff.); dazu gehören insbesondere Entscheide über rechtsetzungstechnische Grundfragen (Rz. 136 ff.), Entscheide über inhaltliche Grundsatzfragen (Rz. 139 f.), aber auch Grundsatzentscheide über die einzusetzenden Instrumente (Rz. 141 ff.). Die Darstellung setzt sich mit der Etappe der RFA (Rz. 160), der Redaktions- und Überprüfungsphase (Rz. 161 ff.), der Phase der Beschlussfassung (Rz. 184), der Publikation (Rz. 185 ff.), der Inkraftsetzung (Rz. 191 ff.) und der Kontrolle der Wirkungen bzw. der Korrektur von Mängeln (Rz. 195) fort.
     
  2. Ein nächster Paragraf (§ 10) ist der Ausgestaltung von Regelungen gewidmet: Die Ausgestaltung einer Regelung bildet eine konzeptionelle Frage, wird aber auch von Regeln oder Prinzipien der Rechtsetzungstechnik beherrscht (Rz. 196 f.). Die Darstellung der konzeptionellen Festlegung der Regelung beginnt mit der Regelungsarchitektur: Darin einbettet sind Fragen nach dem Regelungsgegenstand (Rz. 198 ff.), nach der Integrierung in die bestehende Rechtsordnung (Teilrevision oder Totalrevision [Rz. 202 ff.]), die Normierung des Geltungsbereichs (Rz. 204 ff.) oder Fragen der Systematik (allgemeiner Teil und gemeinsame Bestimmungen [Rz. 210 ff.], Vermeidung von Widersprüchen [Rz. 216 ff.]). Vertieft werden sodann die Erlassformen und die bei der Wahl der jeweiligen Erlassform massgebenden Kriterien (Rz. 224 ff.), ferner die Festlegung der gewünschten oder erforderlichen (Un-)Bestimmtheit der zu schaffenden Normierung (Rz. 252 ff.) oder die Bestimmung der Regelungsart (Rz. 266). Der Abschnitt schliesst mit dem Postulat nach einer praktikablen Regelung (Rz. 267 ff.).
     
  3. In der Neuauflage wird der Erlassredaktion – die bisher im Rahmen der Ausgestaltung von Regelungen zur Sprache gekommen ist – ein eigener Paragraf (§ 11) gewidmet, dies im Bestreben, «die konzeptionellen und legistischen Fragen noch klarer zu trennen» (Vorwort, S. V). Ausgangspunkt der Analyse bilden die allgemeinen Anforderungen, an denen sich die Formulierung von Erlasstexten auszurichten hat; dazu gehören das (auch rechtlich begründete) Postulat der Verständlichkeit (Rz. 282 ff.) sowie die Erfordernisse der Normativität (Rz. 291 ff.), der Abstraktion (Rz. 300 f.) und der Kohärenz (Rz. 302) von Erlasstexten. Im daran anschliessenden Abschnitt zur Gliederung von Erlassen werden nicht nur die Textelemente (Titel, Ingress, Erlasskörper mit Einleitungs-, Haupt- und Schlussteil, Unterschriftenblock, Anhänge) mit ihren spezifischen Funktionen beschrieben (Rz. 303 ff.), sondern auch die regelmässig im Einleitungsteil (Rz. 313 ff.) und im Schlussteil (Rz. 325 ff.) anzutreffenden Normtypen behandelt sowie Prinzipien und Hilfsmittel zur Gliederung des Hauptteils von Erlassen diskutiert (Rz. 318 ff.). Schliesslich wird der Fokus auf die Formulierung der zentralen Textbausteine von Erlassen – die Artikel – gelegt, wobei die Anforderungen an die Artikelstruktur (Rz. 355 ff.), den Satzbau (Rz. 359 ff.) und die Wortwahl (Rz. 367 ff.) vertieft und dabei insbesondere auch auf das Erfordernis geschlechtergerechter Formulierungen (Rz. 372 f.) eingegangen wird.

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Der dritte Teil des Buches wendet sich der Frage zu, wer in der Schweiz Gesetze erlässt. Bereits die Überschrift «Organe der Rechtssetzung» verrät, dass es verschiedene Akteure sind, welche mit Rechtsetzungsaufgaben betraut sind. Entsprechend wird die Rechtsetzung in § 12 als «Verbundaufgabe» beschrieben: Im föderalen Verhältnis sind die Rechtsetzungskompetenzen zwischen Bund und Kantonen (und Gemeinden) aufgeteilt, wobei die Kantone an der Rechtsetzung des Bundes mitwirken (Rz. 377 ff.) und in der Regel mit der Umsetzung des Bundesrechts beauftragt sind (Rz. 384 ff.). Innerhalb von Bund, Kantonen und Gemeinden sind Regelungen oftmals das Ergebnis eines Zusammenwirkens von Parlament, Regierung und Verwaltung unter direkten Einflussmöglichkeiten des Volkes (Rz. 390 ff.). Das vorliegende Werk greift auf die Grundzüge des Bundesstaatsrechts und des Behördenorganisationsrechts zurück und arbeitet Fragestellungen der Rechtsetzungslehre heraus, wie etwa die spezifischen Rollen von Parlament, Regierung und Verwaltung in Theorie und Praxis (Rz. 392 ff.) oder das Lobbying (Rz. 433 ff.). Dabei wird zurecht betont, dass den einzelnen Gewalten in der Rechtsetzung verschiedene Rollen und Verantwortlichkeiten zukommen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verwendung des Begriffs der «Verbundaufgabe» missverständlich, da es sich gerade nicht um eine gemeinschaftliche (gesamthandschaftliche) Verantwortung handelt. Die Instrumente und Verfahren des Parlaments sowie seine Funktionen in ausserordentlichen Lagen werden in einem separaten Paragrafen (§ 13) vertieft. Daran anschliessend werden die Rolle von Regierung und Verwaltung bei der Vorbereitung von parlamentarischen Erlassen sowie das Verfahren der Verordnungsgebung behandelt (§ 14). Ein separater Paragraf (§ 16) ist der Rechtsetzung durch private Akteure und den verschiedenen Formen gesteuerter Selbstregulierung gewidmet. Etwas überraschend erscheint der dazwischen geschobene Paragraf (§ 15) zum Soft Law als «Mittel der Steuerung durch Überzeugung», handelt es sich doch beim Erlass von «Soft Law» gerade nicht um Rechtsetzung i.e.S., sondern eher um eine alternative Möglichkeit zur Verhaltenssteuerung. Die Autoren rücken die Erfahrungen mit den «weichen Instrumenten» während der Covid-19-Pandemie in den Fokus und ziehen daraus erste Schlüsse (Rz. 496 ff.).

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Der vierte Teil befasst sich mit dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden internationalen und interkantonalen Recht. In § 17 werden zunächst Begriff und Arten der internationalen bzw. interkantonalen Rechtsetzung vorgestellt, wobei zwischen vertraglich gesetztem Recht (Staatsverträge im internationalen Kontext, interkantonale Verträge im Bundesstaat) und dem sog. Sekundärrecht (Rechtsetzung durch internationale Organisationen und durch interkantonale Organe) unterschieden wird. Anschliessend wird auf die Besonderheiten des Verfahrens eingegangen, die sich v.a. aus dem Vertragscharakter des internationalen bzw. interkantonalen Rechts und damit aus dem Konsenserfordernis für die Ausgestaltung der jeweiligen Regelungen ergeben (§ 18). Ein eigener Paragraf (§ 19) geht neu auf legistische Herausforderungen ein, welche die Übernahme von EU-Recht mit sich bringt. Diese zeigen sich etwa in der unterschiedlichen Normentypologie (Rz. 586) oder in Unterschieden bezüglich Normstufe (Rz. 589), Systematik (Rz. 590) oder Formulierungsstil (Rz. 592 ff.).

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In einem Ausblick halten die Autoren fest, dass die Rechtsetzung auch in einem modernen Gewährleistungsstaat, in welchem sich der Staat in vielen Bereichen auf eine «Auffangverantwortung» zurückzieht, von zentraler Bedeutung bleibt. Sie konstatieren allerdings in der jüngsten, von Krisen geprägten Zeit eine Gegentendenz hin zu einem stärkeren Staat und erachten es zurecht als eine «vordringliche Aufgabe der Rechtswissenschaft», den vermehrten Einsatz von Notrecht der Exekutiven «kritisch im Auge zu behalten» (Rz. 604). Die Ausführungen enden mit drei Postulaten für die Rechtsetzung. Diese muss erstens methodisch, zweitens geplant und drittens nach rationalen Kriterien erfolgen (Rz. 605).

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Das vorliegende Buch hat sich in der Schweiz und darüber hinaus auch im angrenzenden deutschsprachigen Raum als Standardwerk etabliert: Es stellt den Studierenden, die sich für das (leider noch nicht obligatorische) Fach der Rechtsetzungslehre interessieren, ein hervorragendes Lehrmittel zur Verfügung. Darüber hinaus liefert es den Praktikerinnen und Praktikern gleichzeitig das theoretische Fundament sowie praxisrelevante Empfehlungen für ihre tägliche Arbeit. Schliesslich leistet das Buch einen unverzichtbaren Beitrag zur wissenschaftlichen Durchdringung der Rechtsetzung. Mit der vorliegenden Neuauflage ist dieses breite Profil des Buches weiter gestärkt worden. Ich werde es meinen Studierenden und Doktorierenden auch in Zukunft sehr gerne empfehlen.


Bernhard Waldmann, Prof. Dr. iur., RA, Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Freiburg i.Ue. und Co-Direktor des Instituts für Föderalismus.

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