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Das Adjektiv geschäftsmäßig ist ein vielfach gebrauchter Ausdruck in der juristischen Fachkommunikation in Deutschland1. Er findet sich unter anderem auch in einer Vorschrift des deutschen Strafgesetzbuches (§ 217 StGB) zur Geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 03. Dez. 2015 eingesetzt und trat mit Verkündung in Kraft (BGBl. 2015, I, S. 21772) wie folgt:
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
Sowohl während als auch im Anschluss des Gesetzgebungsvorgangs wurde und wird wiederholt die Frage nach der Auslegung (und Auslegbarkeit) des Ausdrucks geschäftsmäßig aufgeworfen. Geäußert wurde vor allem die Sorge, das Handeln von Ärzten und Angehörigen einem Graubereich strafrechtlicher Verfolgung zu überlassen.
Das Problem der neuen Norm wird in der Praxis sein, den Begriff «geschäftsmäßig» auszulegen und zwar auf eine Art und Weise, dass, wie die meisten Abgeordneten betont haben, das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis nicht belastet wird. Aber bis dahin werden Ärzte das Strafbarkeitsrisiko scheuen. Und die Betroffenen werden ausweichen – ins Ausland oder in eine unsichere Suizid-Variante (Müller 2015).
Der Fall ist ein aktuelles Beispiel für wiederkehrende Auslegungsschwierigkeiten in der juristischen Praxis. Die damit verbundene, grundlegende Frage lautet: wie lässt sich die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke angemessen erfassen, wenn die üblichen Verfahren juristischer Methodik (Kanones der Auslegung u.ä.) zu keiner hinreichenden Lösung führen? In der Rechtsprechung ist diese Frage evident – es sind schließlich unterschiedliche vertretbare Lesarten einer Vorschrift, die eine Auseinandersetzung als juristischen Streitfall vor Gericht begründen. Aber auch in der Rechtsetzung stehen Legisten regelmäßig vor der Herausforderung, Lesarten zukünftiger oder gerade zu formulierender Vorschriften zu antizipieren. Die Interpretation sprachlicher Ausdrücke ist in beiden Fällen von den sprachlichen Quellen oder Materialien abhängig, die zur Kontextualisierung herangezogen werden. Doch welche Quellen sind prinzipiell geeignet und zudem relevant? In der Praxis finden sich unterschiedlichste Routinen (von einer Methodik im Sinne strukturierter oder gar standardisierter Verfahren kann keine Rede sein):
- Das Berufen auf den allgemeinen Sprachgebrauch (zu diesem Topos vgl. Hamann 2015);
- die (oft mit dem «allgemeinen Sprachgebrauch» einhergehende) explizite oder auch nur implizite Berufung auf das eigene Sprachgefühl der Richter bzw. des Legisten;
- das Nachschlagen der Bedeutungsparaphrase eines Ausdrucks in einem Rechtswörterbuch (Fachsprachenwörterbuch) und/oder in einem Gemeinsprach-Wörterbuch und/oder in einer Enzyklopädie (also eines Sachwörterbuchs anstelle eines Sprachwörterbuchs);
- seltener die Sammlung eigener Belege in juristischen Datenbanken (Juris, Beck Online u.ä.) oder Internet-Suchmaschinen verbunden mit dem Versuch einer eigenen Deutungsklärung (so etwa in der gesetzesredaktorischen Arbeit beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMVJ);
- die systematische Heranziehung und Auswertung von Belegen in linguistisch aufbereiteten, also systematisch erhobenen und mit Zusatzinformationen (z.B. Wortarten) angereicherten Textsammlungen (dies jedoch bislang nur selten in der wissenschaftlichen Literatur und seit wenigen Jahren vereinzelt in amerikanischer Rechtsprechung, vgl. Vogel/Hamann/Gauer 2017).
Die vorliegende Fallstudie schließt an eine sowohl in Deutschland (Vogel 2012b; Hamann/Vogel 2017; Baumann 2015; Vogel/Pötters/Christensen 2015, Vogel/Hamann/Gauer 2017) als auch in den USA (Mourtisen 2010, 2011; Mourtisen/Lee 2018) laufende Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen korpuslinguistischer Expertise als Ergänzung juristischer Auslegungsmethoden in Rechtsetzung und Rechtsprechung an. Die damit verbundene Literatur hat gezeigt, dass die Berufung auf die individuelle Sprachintuition häufig mangel- oder sogar fehlerhaft ist und dass Sprachwörterbücher in den meisten Fällen nur eine sehr beschränkte Aussagekraft für juristische Auslegungsprobleme haben und/oder bei fehlendem lexikographischen Hintergrundwissen (etwa zu Entstehung und Aufbau von Sprachwörterbüchern) zu eklatanten Fehlurteilen führen können.
Vor diesem Hintergrund illustrieren wir die Möglichkeiten und Grenzen einer korpuslinguistischen Auswertung zu der exemplarischen, aber aktuellen Frage, wie Fachjuristen und juristische Laien (hier Sprecher-Schreiber im massenmedialen Diskurs von Zeitungen und Zeitschriften) den Ausdruck geschäftsmäßig verwenden und welche prototypischen und damit sowohl in der Auslegung als auch in der Legistik (Vogel 2012a) zu antizipierenden Bedeutungsvarianten sich finden lassen.
Zunächst erläutern wir unseren methodischen Zugang und die zugrunde gelegte Datenbasis (Kap. 2) und fassen die Bedeutungsangaben zum Ausdruck geschäftsmäßig in einschlägigen Sprachwörterbüchern zusammen (Kap. 3). Im Anschluss stellen wir die Ergebnisse der Analyse vor, zunächst in einem quantitativen Überblick (Kap. 4), dann die prototypischen Lesarten des Ausdrucks in juristischer Fachkommunikation (Kap. 5) und Gemeinsprachgebrauch (Kap. 6). Das Ergebnis fassen wir abschließend pointiert zusammen (Kap. 7).
Zur Bedeutungsanalyse des Ausdrucks geschäftsmäßig greifen wir auf den Ansatz der computergestützten Rechtslinguistik (Vogel 2012b, Vogel/Hamann/Gauer 2017) zurück. Dieser Ansatz geht im Anschluss an Wittgenstein und einem sprachhandlungstheoretischen Rahmen davon aus, dass die prototypische Bedeutung eines Ausdrucks identisch ist mit dem durch Kommunikationserfahrung sedimentierten Wissen um seinen rekurrenten Gebrauch in sozialen Gruppen und Situationen (mit Bezug zum Recht ausführlich: Busse 1989, 2001; Vogel 2015). Entsprechend kann es mehrere konkurrierende prototypische Lesarten eines Ausdrucks geben, sowohl innerhalb einer Varietät (z.B. innerhalb der juristischen Fachsprache) als auch über verschiedene Varietäten hinweg (z.B. konkurrierende Lesarten in juristischer Fach- vs. Laienkommunikation). Um sowohl prototypische als auch periphere Verwendungsweisen eines Ausdrucks ermitteln zu können, bedarf es daher einer kontrollierten und transparenten Sammlung von Texten aus verschiedenen (aber ausgewählten) Domänen sowie einer Analyse der Sprachgebrauchsmuster (wiederkehrende Wörter im Umfeld und explizite Zuschreibungen) des Zielausdrucks. Computergestützte Verfahren und digital aufbereitete Sprachdaten ermöglichen eine solche effektive Sprachgebrauchsanalyse (grundlegend zur Korpuslinguistik im Recht: Vogel/Christensen/Pötters 2015; Vogel/Hamann/Gauer 2017).
Der Analyse hier zugrunde lag zum einen das Deutsche Referenzkorpus am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (DeReKo), das vornehmlich nicht-fachsprachliche Texte (vor allem Pressetexte) in unterschiedlicher Zusammensetzung für die Forschung bereithält; zum anderen das juristische Referenzkorpus (JuReKo), das im Rahmen eines Projektes unter Leitung von Hanjo Hamann und Friedemann Vogel an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften entstanden ist und Entscheidungstexte, juristische Aufsatzliteratur sowie Normtexte von 1980 bis 2015 enthält. Beide Korpora sind für ihre jeweilige Domäne die weltweit größten Sammlungen linguistisch aufbereiteter Sprachdaten des Deutschen. Im Fokus dieser Studie liegt der Sprachgebrauch in Deutschland.
Die Analyse wurde aufgrund vorliegender Datenbestandsbeschränkungen eingegrenzt und in zwei aneinanderschließende Zeitintervalle (1985–1999 sowie 2000–2015) aufgesplittet, um auch älteren und neueren Sprachgebrauch untersuchen zu können. Alle Korpusquellen (DeReKo / JuReKo) wurden mithilfe der Software «CorpusExplorer»3 statistisch vorausgewertet. Dazu wurden für beide Korpora und Zeitintervalle die Kookkurrenzprofile4 zu geschäftsmäßig berechnet und den Belegstellen zugeordnet.
Tabelle 1 zeigt eine Auswahl von Belegstellen (als Konkordanzen5) – fett hervorgehoben sind die für geschäftsmäßig ermittelten Kookkurrenzpartner; dies erlaubt eine effiziente Sondierung semantisch besonders eng gebundener Wortverbindungen.
Satzanfang | Suchwort | Satzende |
Die Stimmung ist | geschäftsmäßig | und kühl. |
Die Verabschiedung war nicht herzlich, eher | geschäftsmäßig | kühl. |
Diese Treffen sind sehr | geschäftsmäßig | , technisch und professionell. |
«Wir werden | geschäftsmäßig | korrekt mit Ihnen umgehen», meinte McAllister an die Adresse der Linken. |
Die Konkordanzen wurden anschließend qualitativ-hermeneutisch ausgewertet und wiederkehrende Bedeutungen anhand prototypischer Belege als Deutungshypothesen paraphrasiert.
Ehe wir die Ergebnisse unserer Korpusanalyse vorstellen, lohnt ein Blick in die Bedeutungsangaben einschlägiger Sprachgebrauchswörterbücher und lexikologischen Quellen.
Das aktuelle Duden-Bedeutungswörterbuch (2018) gibt zum Gebrauch des Adjektivs geschäftsmäßig drei Bedeutungsvarianten an:
- im Rahmen von Geschäften; geschäftlich(es) Handeln
- im Rahmen des Geschäftlichen bleibend; sachlich, objektiv
- unpersönlich, kühl
Das Duden-Synonymwörterbuch (2019) dokumentiert geschäftsmäßig zusätzlich als Synonym zu geschäftlich. Ob dabei ausschließlich von gewerblichen Tätigkeiten oder Geschäften im Sinne sich wiederholender Handlungen ausgegangen wird, bleibt offen. Der Eintrag zu geschäftsmäßig im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS6) führt entgeltlich als typische Wortverbindung auf, jedoch stammen die (wenigen) Belege aus dem Zeitraum 1961–1981, der vor dem relevanten Untersuchungszeitraum liegt.
Das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm (Leipzig 1971; Online-Version vom 27. Juni 20197) paraphrasiert die Bedeutung geschäftsmäszig als dem geschäftsbrauch gemäsz: mit ihnen (polnischen juden) war der verkehr am wenigsten geschäftsmäszig. Freytag werke 4, 59.
Das Goethe-Wörterbuch (1978) benennt geschäftlich als Synonym zu geschäftsmäßig und zitiert einen Beleg aus einem Briefwechsel von 1829: Mich ... zum allerbesten empfehlend, füge auf einem besondern Blatte noch einiges Geschäftsmäßige bey.8
Creifelds Rechtswörterbuch (2017) verweist für die Bedeutung von geschäftsmäßig auf Geschäftsmäßiges Handeln, das als Tatbestandsmerkmal vorliege,
wenn der Täter […] beabsichtigt, die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung zu machen, auch wenn er damit keine Erwerbsabsicht verbindet.
Weiterhin wird geschäftsmäßig im Eintrag Sammelstraftat abgegrenzt von gewerbsmäßig als Eigenschaft erwerbsorientierten Handelns und von gewohnheitsmäßig als durch Übung erfolgten, wiederholten Handlungen.
Das Deutsche Etymologische Rechtswörterbuch (Köbler 1995)9 vermutet den Ursprung des Ausdrucks Geschäftsmäßigkeit schließlich im 19. Jahrhundert und paraphrasiert dessen fachsprachliche Bedeutung
als Qualifikation einer Handlung welche voraussetzt daß der Täter bei der Tat die Absicht hat die Wiederholung gleichartiger Taten zu einem dauernden oder mindestens wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen [...].
Für das Lemma geschäftsmäßig existieren unterschiedliche Flexionsformen10, die in den untersuchten Korpora (DeReko und JuReKo) unterschiedlich häufig11 verwendet werden:
Aufgeschlüsselt nach Jahren ergibt sich die folgende Zeitreihe:
1985 | 1986 | 1987 | 1988 | 1989 | 1990 | 1991 | 1992 | 1993 | 1994 | 1995 | |
DeReKo | 3514,6 | 3474,4 | 3965,5 | 3392,7 | 2582,1 | 3022,9 | 4131,5 | 3546,1 | 3896,4 | 3969,5 | 3739,6 |
JuReKo | 778,7 | 272,2 | 1041,3 | 483,8 | 261,0 | 610,1 | 334,6 | 316,7 | 317,3 | 181,6 | 529,2 |
1996 | 1997 | 1998 | 1999 | 2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | |
DeReKo | 4233,0 | 3981,9 | 4040,8 | 3785,0 | 3977,6 | 3978,2 | 3871,1 | 3967,9 | 4335,3 | 3823,0 | 3877,3 |
JuReKo | 239,3 | 366,1 | 175,3 | 310,8 | 423,9 | 269,4 | 463,7 | 450,7 | 392,3 | 450,6 | 468,2 |
2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | |||
DeReKo | 4405,6 | 3850,4 | 4707,8 | 3926,6 | 4123,6 | 4188,0 | 4293,5 | 4102,5 | 4432,7 | ||
JuReKo | 456,1 | 511,4 | 374,8 | 402,0 | 491,4 | 583,4 | 423,6 | 390,9 | 208,2 |
Die Schwankungen der relativen Frequenz im Zeitabschnitt 1985–2000 lassen sich durch einige geringere Textmenge erklären, wie die folgende Auswertung über die Gesamt-Token-Anzahl zeigt12:
Tendenziell findet sich jedoch in unseren präferierten (weil kontrollierbaren) Textsammlungen eine diachrone Zunahme in der Verwendung des Ausdrucks geschäftsmäßig (inklusive aller Flexionsformen).
In der Google-ngram-Datenbank13, die umfassende Wort- und Mehrwort-Frequenzlisten der von Google digitalisierten Bücher (Google Books) enthält14, findet sich folgende Verteilung über die Zeit:
Der Ausdruck geschäftsmäßig findet offenbar auch hier erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts regelmäßig Gebrauch; diesen Eindruck bestätigen auch die Verlaufskurven des DWDS (nachfolgend). Für das 20. Jahrhundert lässt sich ein kontinuierlicher Gebrauch nachweisen, der sich in recht gleichbleibenden Frequenzen niederschlägt.
Für die Analyse des fachsprachlichen Gebrauchs des Ausdrucks geschäftsmäßig in Deutschland wurde als Datengrundlage das Juristische Referenzkorpus des deutschsprachigen Rechts (JuReKo) herangezogen.
In fachsprachlichen Kontexten und konkret in Gesetzestexten wird der Ausdruck bereits seit langem gebraucht (vgl. auch oben). Auch in der aktuellen Fassung des § 217 StGB wurde geschäftsmäßig unter expliziter Bezugnahme auf bestehende Konventionen eingefügt. Der Ausdruck stand hierbei in Konkurrenz zum Ausdruck gewerbsmäßig, der in einigen früheren Gesetzesentwürfen präferiert wurde. Im Ergebnis bedeutet die Wahl von geschäftsmäßig im schließlich angenommenen Text eine deutliche Verschärfung, da Geschäftsmäßigkeit nach übereinstimmender Lesart (im Unterschied zur Gewerbsmäßigkeit) gerade keiner (finanziellen) Gewinnabsicht bedarf. Erst durch diese semantische Verschiebung erlangte § 217 Relevanz für den gesamten Bereich des Ehrenamtes und nicht zwangsläufig auf finanziellen Gewinn abzielender Vereine und sorgte zudem für Klärungsbedarf im Hinblick auf ärztliche Beteiligung an (begleiteten) Selbsttötungen.
Diese weitgehend konsensuelle Auslegung von geschäftsmäßig und gewerbsmäßig in der juristischen Fachsprache orientiert sich – soweit wir sehen – immer noch an einer Definition in einem Buch zum Reichsstrafrecht von Franz von Liszt aus dem Jahr 1881. In diesem Buch findet sich der früheste recherchierbare Beleg des Ausdrucks. Geschäftsmäßig wird hier nicht nur gegen gewerbsmäßig, sondern auch gegen gewohnheitsmäßig abgegrenzt:
a) Die Gewerbsmäßigkeit charakteriſiert ſich einerſeits durch die auf öftere Wiederholung gerichtete Abſicht, andrerſeits durch die Abſicht des Thäters, ſich durch dieſe Wiederholung eine, wenn auch nicht regelmäßig oder dauernd fließende Einnahmsquelle zu verſchaffen [...].
b) Die Geſchäftsmäßigkeit teilt mit der Gewerbsmäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete Abſicht, dagegen fehlt die Abſicht, ſich eine ſtändige Einnahmsquelle zu eröffnen. Ob die einzelnen Handlungen honoriert werden oder nicht, iſt gleichgültig.
c) Gewohnheit läßt ſich am anſchaulichſten definieren als der Zuſtand des labilen pſychiſchen Gleichgewichtes, in welchem ein dem Durchſchnittsmenſchen gegenüber nicht motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt; oder als abnorm geſchwächte Widerſtandskraft gegenüber gewiſſen Reizen. (von Liszt 1881: S. 161f.)
Mit seiner Definition der Geschäftsmäßigkeit nimmt von Liszt Bezug auf zwei zeitgenössische Normtexte, nämlich auf § 22 des Sozialistengesetzes von 1878 und auf § 144 des Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) von 187115. Ersteres richtet sich
[g]egen Personen, welche sich die Agitation für die im § 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen[= sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen] zum Geschäfte machen. (§ 22 Sozialistengesetz, 1878)
Im Reichsstrafgesetzbuch heißt es:
Wer es sich zum Geschäfte macht, Deutsche unter Vorspiegelung falscher Thatsachen oder wissentlich mit unbegründeten Angaben zur Auswanderung zu verleiten, wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. (§ 144 RStGB, 1871).
Die durch von Liszt (zumindest nachweisbar) eingeführte Begriffsbestimmung findet sich im Fachsprachgebrauch fast durchgehend bis heute, wobei in letzter Zeit vor allem die Fernmeldegesetzlichkeit zum vielzitierten Orientierungspunkt geworden ist. In der Debatte um eine gesetzliche Regulierung der Sterbehilfe, die in den frühen 2000er Jahren geführt wurde, brachte wohl zuerst der Nationale Ethikrat diese Begriffe in die Debatte ein, wandte sich aber in einer vielbeachteten Stellungnahme gegen eine gewerbsmäßige Sterbehilfe, womit konkret einer befürchteten Kommerzialisierung dieses Bereiches ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Die Wahl von geschäftsmäßig in folgenden Gesetzesentwürfen ist demgegenüber angesichts der etablierten Auslegungspraxis als dezidierte Verschärfung der vorherigen Formulierungen zu verstehen (vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 217 auch ausführlich: Rudlof 2018: 208 ff.).
Für den Zeitraum von 1985–1999 weist das JuReKo für den Ausdruck geschäftsmäßig insgesamt 215 Belegstellen auf, die aufgrund ihrer überschaubaren Anzahl alle einer qualitativen Analyse unterzogen wurden. Zusammenfassend lassen sich folgende Ergebnisse festhalten:
Anhand der Belege lässt sich eine Reihe typischer Gebrauchskontexte identifizieren, in denen der Ausdruck geschäftsmäßig immer wieder vorkommt. Hierzu zählt vor allem der Rekurs auf folgende Normtexte:
- Das Rechtsberatergesetz (RBerG) – hier vor allem die Frage nach der Zulässigkeit geschäftsmäßiger Vertretung fremder Rechtsangelegenheiten
- Das Telekommunikationsgesetz (TKG) – hier vor allem die Frage der Pflicht zur Datenherausgabe von geschäftsmäßig Telekommunikationsdienstleistungen anbietenden Organisationen an Sicherheitsbehörden
- Das Aktienrecht (AktG) – hier vor allem die Frage der geschäftsmäßigen Vertretung von Aktionären bei Jahreshauptversammlungen
- Das Postgesetz (PostG)
- Die Preisangabenverordnung (PAngV)
Durch die qualitative Analyse der Belegstellen konnten außerdem die im Fachsprachgebrauch dominanten Bedeutungsaspekte des Ausdrucks herausgearbeitet werden. Hierfür waren vor allem jene Belege besonders interessant, in denen der Ausdruck metasprachlich thematisiert wurde. Wie die untenstehende Auswahl exemplarischer Belege zeigt, gehören zu den dominanten Bedeutungskomponenten die Aspekte der «Wiederholungsabsicht», «Regelmäßigkeit», das Merkmal einer «auf Dauer angelegten Tätigkeit» sowie der «Selbstständigkeit».
Eine Rechtsbesorgung wird bereits beim ersten Mal geschäftsmäßig betrieben, wenn der Handelnde beabsichtigt, sie – sei es auch nur bei sich bietender Gelegenheit – in gleicher Weise zu wiederholen und sie dadurch zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen. (4d8e5902b0274a528eefbea8006728ab)
Dabei meint geschäftsmäßig nicht gewerbsmäßig im Sinne berufsmäßiger Beratungstätigkeit , sondern eine mit Wiederholungsabsicht erfolgende selbständige Tätigkeit , die nicht nur aus besonderen Gründen der Gefälligkeit ausgeübt wird. (1631474aaa47409a97128660abc1f828)
Ebenso geht aus den Belegstellen hervor, dass die Bedeutungskomponenten «Gewinnerzielungsabsicht», «entgeltlich» und «beruflich» keine notwendigen Teilbedeutungen von geschäftsmäßig sind:
[…] 3 GG erforderliche ökonomische Grundbezug selbst dann vorliegt, wenn eine Tätigkeit bei einem als gemeinnützig anerkannten Rechtssubjekt nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden darf, diese Tätigkeit aber gleichwohl geschäftsmäßig und mit dem Ziel der Kostendeckung betrieben wird. (e1e30baf59a44f61a6da45d15f3863cf)
Auf der Ebene der Mehrworteinheiten lassen sich einige musterhaft wiederkehrenden Wortverbindungen identifizieren, in denen der Ausdruck geschäftsmäßig auftritt. Zu diesen zählen Verbindungen wie gewerbs- oder geschäftsmäßig, geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise, geschäftsmäßig oder für berufliche oder gewerbliche Zwecke und entgeltlich und geschäftsmäßig. Auch hier zeigen sich «Wiederholung» und «Regelmäßigkeit» als zentrale Bedeutungskomponenten (geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise), während die Ausdrücke gewerblich, beruflich und entgeltlich durch die Mehrwortverbindungen als semantisch nicht deckungsgleich mit geschäftsmäßig zu verstehen sind.
Die Analyse der Belegstellen von 1985 bis 1999 legt also insgesamt den Schluss nahe, dass es sich bei den Aspekten der «Wiederholungsabsicht» und «Regelmäßigkeit» um zentrale Bedeutungskomponenten des Ausdrucks geschäftsmäßig handelt, die im Fachsprachgebrauch immer evoziert werden und somit zur prototypischen Bedeutung des Ausdrucks gehören.
Andere Bedeutungskomponenten wie die der «entgeltlichen Tätigkeit» oder der «Gewinnerzielungsabsicht» können in manchen Fällen zwar mitgemeint sein, sie scheinen aber nicht zur Kernbedeutung des Ausdrucks zu gehören.
Eine entgeltliche, gewerbliche oder berufliche Tätigkeit setzt zwar in den allermeisten Fällen auch Geschäftsmäßigkeit voraus (d.h. diese Ausdrücke evozieren auf mentaler Ebene typischerweise auch die Konzepte «Wiederholungsabsicht», «Dauer» und «Regelmäßigkeit»); eine geschäftsmäßige Tätigkeit muss in der juristischen Fachsprache jedoch gerade nicht zwingend in Zusammenhang stehen mit den Bedeutungsaspekten «entgeltlich», «Gewinnerzielungsabsicht» oder «gewerblich».
Die Auswertung von 100 über Signifikanz gewichteten Konkordanzen – also derjenigen 100 Belege des JuReKo, die die meisten signifikanten Kookkurrenzen enthielten – aus dem Zeitraum 2000–2015 ergibt ein analoges Bedeutungsspektrum wie im vorangegangenen Zeitintervall. Die prototypische Bedeutung konturiert einen «in erwartbarer Weise wiederkehrenden Vorgang» (als Ereignis oder Tätigkeit), der mit einer Gewinnerziehlungsabsicht einher gehen kann, aber nicht muss. Letzteres macht eine rein textbasierte Abgrenzung in den meisten Fällen schwierig bzw. man benötigte deutlich mehr Kontextinformationen. Dass die prototypische Verwendung keine «auf Gewinnschöpfung zielende Tätigkeit» voraussetzt, ist wie schon in den Daten des vorangegangenen Zeitintervalls an musterhaften Mehrworteinheiten zu erkennen – insb. an der disjunktiven Formulierung erwerbs- oder geschäftsmäßig bzw. gewerbs- oder geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise.
Die drei häufigsten Normbereiche (und Normtexte), an die die hier untersuchten Konkordanzen anknüpfen sind die Preisangabenverordnung (§1 PAbgV), das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) sowie das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (§ 33 ErbStG).
Zur Gegenprobe wurden ferner 20 zufällig gewählte Konkordanzen (des gleichen Zeitintervalls) ausgewertet, die keine signifikanten Kookkurrenzen enthielten und damit potentiell nicht-prototypischen Ko(n)texten angehören. In vielen dieser Fälle ließ sich jedoch keine andere als die o.g. prototypische Lesart rekonstruieren (geschäftsmäßig im Sinne von «wiederkehrendes», «regelhaftes», «wie übliches / erwartbares Tun oder Lassen») oder die Bedeutung blieb ohne weitere Recherche unklar. Allerdings fand sich – im Unterschied zu den gewichteten Konkordanzen – zumindest vereinzelt auch eine nicht-fachsprachliche Verwendung, nämlich geschäftsmäßig im Sinne eines pejorativ konnotierten (lediglich) «leidenschaftslosen, nüchternen Tuns», hier auch paraphrasierbar als «Dienst nach Vorschrift»:
Erfahrungsgemäß ist der Richter, dem immerhin die Verletzung rechtlichen Gehörs vorgeworfen wird, eher geneigt, die Rüge lediglich geschäftsmäßig zu erledigen. (cb878849f05740deb72e90d0a2aa8e0d)
Damit findet sich im bisherigen juristischen Schrifttum eine durchgängige, klare prototypische Verwendung des Ausdrucks geschäftsmäßig quer zu Zeit und Textsorten.
Der qualitativen Auswertung dieses Zeitraums liegen insgesamt 100 nach Signifikanz gewichtete Konkordanzen sowie weitere 100 zufällige Textbelege zugrunde. Gemeinsprachlich zeigt der Ausdruck geschäftsmäßig dabei drei dominante Gebrauchsweisen im Textkorpus der Jahre 1985–1999:
(1) Typisch ist zunächst die Verwendung in Kontexten, in denen gewerbliche bzw. entgeltlich entlohnte Tätigkeiten beschrieben werden oder aber zumindest finanzielle Interessen an den Entscheidungen bestimmter Personen(gruppen) vermutet oder unterstellt werden:
Doch bei der heutigen Hektik und dem Profitdenken wird in einer Postagentur der menschliche Kontakt zwangsläufig auf die geschäftsmäßige Abwicklung beschränkt bleiben – auch hier handelt es sich ja nur um Geschäfte. (Rhein Zeitung, 08. Juni 1997)
(2) Häufig finden sich außerdem Belegstellen in überregionalen Zeitungen, in denen geschäftsmäßig der Markierung von öffentlich-politischen Handlungen als (den LeserInnen) bekannte und in ihren Ergebnissen als vorhersehbar (institutionell) geltenden Routinen dient, wie etwa Amtsübergaben, Spitzentreffen und Verhandlungen:
Diesmal stand ein geschäftsmäßiger Dialog der Supermächtigen an erster Stelle der Tagesordnung. (DieZeit, 12. Nov. 1987)
Da wurde auf dem jüngsten Landesparteitag in Nürnberg nüchtern und schon fast geschäftsmäßig vom demnächst anstehenden Regierungswechsel in Bayern gesprochen. (26. April 1993, Süddeutsche Zeitung)
(3) Die Kookkurrenzpartner kühl und nüchtern treten zu geschäftsmäßig am häufigsten auf. Dies signalisiert, dass geschäftsmäßig im Gemeinsprachgebrauch zumeist persönliche, politische und unternehmerische Beziehungen zwischen mindestens zwei Gruppen oder Personen, die als «sachlich», «rational» oder «distanziert» attribuiert werden, bezeichnet. Gebraucht werden diese vor allem dann, wenn die Absicht vorliegt, emotionsloses, unpersönliches Auftreten zu beschreiben, aber auch professionelle Außenwirkung und mit dieser verbundene Sprecherhaltungen zu akzentuieren:
Erst ein bißchen Small talk und dann sehr geschäftsmäßig . (28. Okt. 1996, Der Spiegel)
Ihre persönliche Beziehung bezeichnen Insider als «bestenfalls geschäftsmäßig kühl ». (19. Dez. 1997, Die Presse)
Insgesamt scheint ein notwendiger Zusammenhang mit «regelmäßigen» Tätigkeiten im Sinne des Ausdrucks geschäftsmäßig im Allgemeinsprachgebrauch durchaus erkennbar, ist aber nicht prototypisch. Die ausgewerteten Belege suggerieren zwar, dass sich Akteure zu bestimmten Ereignissen und Zeitpunkten durchaus «geschäftsmäßig» verhalten, es steht dabei aber meist eine habituelle Vergleichbarkeit («sich (nach außen) wie ein distanzierter Geschäftsmann verhalten») im Vordergrund. Gerade in Kontexten, in denen es nicht (explizit) um Einkommenserwerb oder Finanzen geht, wird dies deutlich:
Inzwischen ist das Verhältnis kühl und geschäftsmäßig geworden, zu einer Art Zwangsehe, in der es immer wieder zu Ausfällen kommt. (Die Zeit, 31. Dez. 1993)
Auch in jüngerer Zeit dominieren in Pressetexten weiterhin Verwendungsweisen, die sich sehr stark von den Konventionen in fachsprachlichen Kontexten unterscheiden:
(1) In der häufigsten Verwendungsweise wird geschäftsmäßig im Sinne von «ohne Engagement», «routinemäßig», «ohne Emotion» gebraucht:
CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer trat eher geschäftsmäßig vor das Mikrofon, sprach davon, dass man mit dem Ergebnis der Bremer Landtagswahl nicht zufrieden sein könne- auch wenn dort die Große Koalition aus SPD und CDU weiteren Bestand haben werde.
Wenn er auf der Hauptversammlung der Deutschen Telekom als deren Aufsichtsratsvorsitzender durchs Programm führte, redete er ebenso geschäftsmäßig, erfüllte nach genauen Regeln eine Rolle, bei der Emotionen nicht gefragt sind.
Statt geschäftsmäßig über zu wenig Geld zu klagen , müssen Bund, Länder und Kommunen bei der Kinderbetreuung endlich an einem Strang ziehen.
Interessant ist, dass das Adverb eher bei dieser Verwendungsweise der typischste Kookkurrenzpartner von geschäftsmäßig ist. Dies zeigt zuverlässig an, dass geschäftsmäßig in diesem Sinne primär dazu gebraucht wird, eine Tendenz zu artikulieren, die graduell und diffus bleibt, und nicht um einen absoluten Zustand zu markieren:
Deshalb wirkt auch die Zugabe, unter anderem mit dem Kate-Bush-Cover «Running Up That Hill», eher geschäftsmäßig als euphorisch, bis Placebo die Tausenden mit dem finalen…
Auf das Lachen und Glücklichsein wollten sie ebenfalls nicht sonderlich viel Energie verwenden – eher geschäftsmäßig wird der Erfolg gefeiert.
(2) Es fällt außerdem auf, dass der Ausdruck, anders als in der soeben genannten dominanten Verwendungsweise, auch positiv evaluierend i.S.v. «sachlich», «professionell», «ernst», «unaufgeregt» vorkommt. Denotativ unterscheiden sich diese Verwendungen kaum von der zuvor genannten (deutlich häufigeren) Variante, allerdings wird die durch den Ausdruck aufgerufene «Unaufgeregtheit» oder «Sachlichkeit» hier positiv bewertet:
Betont geschäftsmäßig sitzt Merkel am Mittag in ihrem Sessel auf der Regierungsbank, macht sich Notizen in ihren Unterlagen, während ihr SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ein paar Unfreundlichkeiten an den Kopf wirft.
(3) Wiederum negativ, jedoch in zugespitzter Form i.S.v. «berechnend» oder «kühl» ist der Ausdruck ebenfalls in Texten neueren Datums anzutreffen. Häufig tritt in diesen Fällen auch eine finanzielle Gewinnabsicht hinzu:
So hat Evelyn auch den Amerikaner Frank kennen gelernt, einen Orangenexporteur, der sie umschwärmt, aber dabei recht geschäftsmäßig vorgeht, weil ihm Geld doch mehr bedeutet als Liebe.
(4) Kotextuell vereindeutigt wird der Gebrauch des Ausdrucks beim Sprechen über Bekleidungskonventionen, wo er im Sinne von «einer Regel oder sozialen Norm entsprechend» gebraucht wird:
Georgios Papandreou trug geschäftsmäßig Anzug und Krawatte, doch er stand auf einer Insel in der Sonne.
Die dramatischen Worte scheinen gar nicht zu passen zu der geschäftsmäßig gekleideten Frau, die am Mittwoch mitten in Brüssel eine internationale Konferenz eröffnete.
(5) Das für den Fachsprachenbereich bereits diskutierte, in der Rechtsauslegung weitgehend konsensuell zurückgewiesene Merkmal der «finanziellen Gewinnabsicht» findet sich in gemeinsprachlichen Kontexten bisweilen sogar als Hauptbedeutung von geschäftsmäßig. Der Ausdruck beschreibt so allgemeiner gesprochen eine Tätigkeit, die «in großem Umfang betrieben» wird, so dass man diese Variante von geschäftsmäßig auch zusammenfassend als «nach der Art eines Unternehmens» paraphrasieren könnte:
Etliche wurden von geschäftsmäßig agierenden Banden eingeschleust, viele andere verschaffen sich Eintritt mit Hilfe ganz normaler Visa.
Wo Daten allerdings geschäftsmäßig zusammengetragen, gespeichert und unter Hinzunahme weiterer Daten ausgewertet werden, sei dies ein schwerer Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen.
Interessanterweise wird das Merkmal der Wiederholung und zeitlichen Dauer in der Gemeinsprache explizit und eigens neben geschäftsmäßig realisiert. Wo Sprecher die fachsprachliche Hauptbedeutung von geschäftsmäßig in der Gemeinsprache realisieren möchten, müssen sie dies durch die Beifügung eines anderen Ausdrucks tun. Dies ist ein sehr starkes Indiz dafür, dass geschäftsmäßig den in der Fachsprache letztlich allein entscheidenden Bedeutungsaspekt in der Gemeinsprache gar nicht (oder wenigstens allein nicht ausreichend) realisiert:
den Männern wird vorgeworfen, fortgesetzt und geschäftsmäßig mit Bakterien und Chemiegiften verseuchte Muscheln in den Lebensmittelhandel gebracht zu haben.
(6) Zu dieser Überlegung passt der Befund, dass das fachsprachliche Hauptmerkmal der «Dauerhaftigkeit» oder «Wiederholung» im gemeinsprachlichen Korpus nur (!) in Ko(n)texten vorkommt, die explizit auf juristische Sachverhalte rekurrieren. In den allermeisten Fällen kommt der Ausdruck dann auch mit (metasprachliche Bezugnahmen markierenden) Anführungszeichen oder erläuternden Sprachthematisierungen vor:
Nach bisheriger Auslegung gilt schon die mehrfache kostenlose Rechtsberatung als «geschäftsmäßig» und damit verboten.
Sie gelte auch für den, der ohne größere Gewinnabsichten wiederholt Bücher «geschäftsmäßig» verkaufe.
Die Bundesregierung erlässt für Unternehmen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, durch Rechtsverordnung …
Aus den beiden letztgenannten Beobachtungen könnte man vorsichtig die (zugespitzte) These ableiten, dass sich die fachsprachlich-terminologischen und gemeinsprachlichen Bedeutungen von geschäftsmäßig tendenziell gegenseitig ausschließen. Dies ist insofern bemerkenswert, als bei Ausdrücken, die in beiden Domänen gebraucht werden, die fachliche Bedeutung typischerweise als Teilmenge der gemeinsprachlichen zu beschreiben ist: Fachsprachliche Bedeutungsfixierungsversuche greifen üblicherweise auf die unreglementierte Vielfalt gemeinsprachlicher Verwendungsmöglichkeiten eines Ausdrucks zurück, indem sie einen relevanten Aspekt isolieren und normieren. Im Falle von geschäftsmäßig scheint der fachsprachliche Gebrauch eine so starke eigenständige Prägung erhalten zu haben, dass die semantische Schnittmenge zwischen beiden Konventionen völlig verschwunden ist.
Die explorative Korpusauswertung und der Vergleich von Fach- und Gemeinsprachkorpora zeigt einen sehr unterschiedlichen Gebrauch des Ausdrucks geschäftsmäßig in der Fach- und Gemeinsprache Deutschlands:
- In der juristischen Fachsprache dominiert (vermutlich schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts) eine prototypische Lesart des Ausdrucks geschäftsmäßig. Sie lässt sich paraphrasieren als eine «Tätigkeit, die in erwartbarer Weise musterhaft vollzogen wird». Eine solche Tätigkeit findet sich regelmäßig im Kontext gewerblicher (gewerbsmäßiger) und/oder auf Gewinnschöpfung zielender Rahmenhandlungen, sie ist aber (zumindest prototypisch) nicht mit dieser identisch.
- Im nicht-fachsprachlichen Gebrauch (vor allem in der Presse) findet sich die juristische Lesart zwar auch (nämlich bei der Wiedergabe oder Thematisierung des fachsprachlichen Gebrauchs), aber prototypisch ist eine andere: eine als geschäftsmäßig markierte Tätigkeit bezeichnet eine Handlung, die «nüchtern-rational», zuweilen auch – pejorativ konnotiert – «distanziert, kühl, lieblos» erfolgt.
Über die konkreten Ergebnisse hinaus illustriert die vorliegende Fallstudie den Mehrwert einer computergestützten (nicht: computergesteuerten!) hermeneutischen Sprachgebrauchsanalyse auf Basis kontrolliert ausgewählter Sprachdaten für die juristische Praxis. Sie zeigt, dass Wörterbücher (vgl. Kap. 3) als Quelle zur Einordnung sprachlicher Ausdrucksverwendungen oft eine grobe Orientierung bieten können, jedoch keine evidenzbasierte Untersuchung ersetzen. Wörterbücher basieren meist auf nicht vergleichbaren (zuweilen auch völlig unklaren) Datengrundlagen, ihre Verwendung setzt daher zumindest eine linguistische Methodenkritik voraus (vgl. ausführlich: Mouritsen 2010). Im vorliegenden Fall unterscheiden die Wörterbücher nicht einmal zwischen Gemein- und Fachsprachgebrauch.
Eine rechtslinguistisch fundierte, evidenzbasierte Auswertung sprachlicher Ausdrucksverwendungen ist jedoch unabdingbar nicht nur für eine zuverlässige Rechtsprechung, sondern auch für die Rechtsetzung. Die empirische Kenntnis des Bedeutungsspektrums eines Ausdrucks ermöglicht Legisten, in der «Normtextprognose» (Vogel 2012, 401; in der Literatur oft verkürzt als «Subsumption ex ante» beschrieben) potentielle Lesarten eines Normtextes zu antizipieren und ggf. Missverständnisse – wie sie auch im vorliegenden Rechtsfall vor dem Bundesverfassungsgericht Gegenstand sind – durch geeignete Legaldefinitionen oder anderweitig abgrenzende und kontextualisierende Formulierungen zu vermeiden. Eine computergestützte Rechtslinguistik und Rechtshermeneutik kann auf diese Weise zu mehr Rechtssicherheit und juristischer Methodentransparenz beitragen.
Die Forschungsgruppe «Computergestützte Sozio- und Diskurslinguistik» an der Universität Siegen untersucht unter der Leitung von Prof. Dr. Friedemann Vogel die Formen und Funktionen sprachlicher Kommunikation in verschiedenen gesellschaftlichen Domänen, insb. in Politik, Recht und Medien. Im Vordergrund ihrer Arbeit steht das Zusammenspiel von sprachlicher Variation, Wissenskomplexen (Alltags- und Fachwissen) und sozialen Asymmetrien als wesentliche Konstituenten von Diskursen. Zu diesem Zweck nutzt und entwickelt sie qualitative und quantifizierende, computergestützte Methoden der maschinellen Sprachverarbeitung. Mitautoren der vorliegenden Studie sind Benjamin Bäumer M.A., Dr. des. Fabian Deus, Jan Rüdiger M.A., Felix Tripps M.A. und Prof. Dr. Friedemann Vogel. Nähere Informationen unter www.diskurslinguistik.net; Kontakt: friedemann.vogel@uni-siegen.de
- Baumann, Antje, 2015, Bedeutung in Gesetzen: Wie man eine spezielle Textsorte mit korpuslinguistischen Mitteln verständlicher machen könnte, in: Friedemann Vogel (Hg.): Zugänge zur Rechtssemantik. Interdisziplinäre Ansätze im Zeitalter der Mediatisierung zwischen Introspektion und Automaten, Berlin/New York, S. 254–274.
- Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), 1978, Goethe-Wörterbuch, Stuttgart.
- Busse, Dietrich, 1989, Was ist die Bedeutung eines Gesetzestextes? Sprachwissenschaftliche Argumente im Methodenstreit der juristischen Auslegungslehre – linguistisch gesehen, in: Friedrich Müller (Hg.): Untersuchungen zur Rechtslinguistik. Interdisziplinäre Studien zu praktischer Semantik und strukturierender Rechtslehre in Grundfragen der juristischen Methodik, Berlin, S. 93–148.
- Busse, Dietrich, 2001, Semantik der Praktiker. Sprache, Bedeutungsexplikation und Textauslegung in der Sicht von Richtern, in: Friedrich Müller (Hg.): Neue Untersuchungen zur Rechtslinguistik, Berlin, S. 34–81.
- geschäftsmäßig, 2018, in: Dudenredaktion (Hrsg.): Das Bedeutungswörterbuch (5. Aufl.), Berlin, S. 446.
- geschäftsmäßig, 2019, in: Dudenredaktion (Hrsg.): Das Synonymwörterbuch (7. Aufl.), Berlin, S. 437.
- Geschäftsmäßiges Handeln, 2017, in: Creifelds, Carl; Cassardt, Gunnar: Rechtswörterbuch (22. Aufl.), München, S. 564.
- Hamann, Hanjo, 2015, Der «Sprachgebrauch» im Waffenarsenal der Jurisprudenz. Die Rechtspraxis im Spiegel der quantitativ-empirischen Sprachforschung, in: Friedemann Vogel (Hg.): Zugänge zur Rechtssemantik. Interdisziplinäre Ansätze im Zeitalter der Mediatisierung zwischen Introspektion und Automaten. Berlin, New York, S. 184–204.
- Hamann, Hanjo; Vogel, Friedemann, 2017, Die kritische Masse – Aspekte einer quantitativ orientierten Hermeneutik am Beispiel der computergestützten Rechtslinguistik, in: Marcel Schweiker, Joachim Hass, Anna Novokhatko und Roxana Halbleib (Hg.): Messen und Verstehen in der Wissenschaft. Interdisziplinäre Ansätze. Unter Mitarbeit von Paul Kirchhof, Wiesbaden, S. 81–95.
- Köbler, Gerhard, 1995, Deutsches Etymologisches Wörterbuch. Stuttgart.
- Lee, Thomas R.; Mouritsen, Stephen C., 2018, Judging Ordinary Meaning, in: The Yale Law Journal (127), S. 788–879.
- Liszt, Franz von, 1881, Das deutsche Reichsstrafrecht auf Grund des Reichsstrafgesetzbuchs und der übrigen strafrechtlichen Reichsgesetze. Berlin.
- Mouritsen, Stephen C., 2010, The Dictionary Is Not a Fortress: Definitional Fallacies and a Corpus-Based Approach to Plain Meaning, in: Brigham Young University Law Review, S. 1915–1980.
- Mouritsen, Stephen C., 2011, Hard Cases and Hard Data: Assessing Corpus Linguistics as an Empirical Path to Plain Meaning, in: The Columbia. Science and Technology Law Review (8), S. 156–205.
- Müller, Henning Ernst, 2015, Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe – Ist § 217 StGB ein «schlechtes Gesetz»? Beck-Blog, Online verfügbar unter: https://community.beck.de/2015/11/07/strafbarkeit-der-gesch-ftsm-igen-suizidbeihilfe-ist-217-stgb-ein-schlechtes-gesetz, zuletzt geprüft am 19. Juli 2017.
- Rudlof, Michael, 2018, Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB n.F.), Berlin.
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- Vogel, Friedemann, 2012b, Das Recht im Text. Rechtssprachlicher Usus in korpuslinguistischer Perspektive, in: Ekkehard Felder, Marcus Müller und Friedemann Vogel (Hg.): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin, S. 314–353.
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- Vogel, Friedemann; Christensen, Ralph; Pötters, Stephan, 2015, Richterrecht der Arbeit – empirisch untersucht. Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Textanalyse am Beispiel des Arbeitnehmerbegriffs, Berlin.
- Vogel, Friedemann; Hamann, Hanjo; Gauer, Isabelle, 2017, Computer-Assisted Legal Linguistics: Corpus Analysis as a New Tool for Legal Studies, in: Law & Social Inquiry (LSI) 43 (4), S. 1340–1363. Online verfügbar unter http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/lsi.12305/full, zuletzt geprüft am 15. Okt. 2017.
- 1 In der Schweiz firmiert die hier als prototypisch ermittelte Fachbedeutung unter dem Ausdruck gewerbsmässig (Danke an Markus Nussbaumer für diesen Hinweis); vgl. etwa die Bedeutungsparaphrase der Gewerbsmässigkeit in der Schweizer (Straf)Rechtsprechung als «deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufs aus[ge]übt» (BGE 123 IV 113, 116 f.).
- 2 http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP18/678/67860.html (19. Juli 2019).
- 3 http://CorpusExplorer.de (24. Juli 2019).
- 4 Kookkurrenzen sind Wörter, die im statistischen Sinne überzufällig häufig gemeinsam mit dem Zielausdruck verwendet werden.
- 5 Eine Konkordanz (auch Keywords in Kontext = KWIC) ist die zeilenweise (und damit auch sortierbare) Darstellung eines Suchausdrucks gemeinsam mit seiner unmittelbaren sprachlichen Umgebung.
- 6 https://www.dwds.de/wb/gesch%C3%A4ftsm%C3%A4%C3%9Fig (19. Juli 2019).
- 7 http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=geschaeftsmaeszig (19. Juli 2019).
- 8 http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=GWB&lemma=geschaeftsmaessig (22. Juli 2019).
- 9 https://www.koeblergerhard.de/derwbhin.html (19. Juli 2019).
- 10 Groß- und Kleinschreibung wurden zusammengezählt.
- 11 Diese und folgende Frequenzwerte werden zur besseren Vergleichbarkeit in «pro Millionen Token» angegeben; ein Token bezeichnet dabei eine konkrete Ausdrucksform (ein Wort oder auch ein Satzzeichen). Hierbei sind zwei Dinge zu beachten: 1. «pro Millionen Token» ist eine relative Zahl - d. h.: Der tatsächlich gemessene/ausgezählte Frequenzwert (absolut) wird durch die Gesamt-Token-Anzahl dividiert (und damit in Relation gesetzt) und mit einer Millionen multipliziert (zur besseren Lesbarkeit). 2. Es gibt mehrere Effekte, die die relative Frequenz bei DeReKo erhöhen (2A. In DeReKo existieren Mehrfachbelege, da Pressetexte enthalten sind und diese z. B. eine Agenturmeldung zitieren bzw. weitestgehend mit dieser identisch sind. 2B. DeReKo erlaubt nur den Zugriff auf Textausschnitte, dadurch sinkt die Gesamt-Token-Anzahl während die relative Frequenz ansteigt. 2C. Die einzelnen Jahre weisen eine unterschiedliche Gesamt-Token-Anzahl auf. Dies führt in den Jahren 19851995 zu einer erhöhten Wertstreuung.) - Diese und weitere Effekte beeinflussen zwar die relative Frequenz, können aber insbesondere für die qualitative Analyse vernachlässigt werden.
- 12 JuReKo wird aktuell um weitere Texte ab 2015 ergänzt. Daher liegt die Gesamt-Token-Anzahl für JuReKo 2015 aktuell noch unter dem Durchschnitt der Jahre ab 2000.
- 13 Abrufbar unter: https://books.google.com/ngrams (19. Juli 2019).
- 14 Die Zusammensetzung von Google-Books und damit die Datengrundlage der Ngrams-Datenbanken ist nicht überprüfbar.
- 15 Diesen Hinweis verdanken wir Tonio Walter (Regensburg).