Im Dezember 2016 fand an der Universität Innsbruck ein vom Institut für Europarecht und Völkerrecht in Zusammenarbeit mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich und dem Zentrum für Demokratie in Aarau veranstaltetes Kolloquium zum Thema «Demokratische Kontrolle völkerrechtlicher Verträge: Perspektiven aus Österreich und der Schweiz» statt. Das von Prof. Dr. Andreas Th. Müller und Prof. Dr. Werner Schroeder herausgegebene Buch enthält elf Tagungsbeiträge.
Eingangs legt Christian Ranacher, Leiter des Verfassungsdienstes des Landes Tirol, die Mitwirkung von Nationalrat und Bundesrat am Abschluss von Staatsverträgen in Österreich dar, wobei er sich in erster Linie mit der verfassungsrechtlich vorgesehenen Mitwirkung des Nationalrates – d.h. der Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments – befasst. Interessant für Leserinnen und Leser aus der Schweiz ist zuerst einmal die Feststellung, dass in Österreich seit jeher «Staatsverträge eine dem Gesetz gleichgestellte Form der Rechtserzeugung» (S. 9) sind und deshalb auch Gesetze im Sinne von Art. 18 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) darstellen. Dabei meint der im österreichischen Verfassungsrecht verwendete Begriff des «Staatsvertrages» dasselbe wie der im schweizerischen Verfassungsrecht gebräuchliche Begriff des «völkerrechtlichen Vertrages» (etwa in Art. 166 Abs. 2 Bundesverfassung der Schweiz. Eidgenossenschaft, BV).
Die Genehmigung durch den Nationalrat und damit die parlamentarische Mitwirkung ist nach Art. 50 Abs. 1 B-VG für zwei Kategorien erforderlich: Die eine Kategorie betrifft Staatsverträge, durch die das Primärrecht der EU geändert wird. Die Genehmigung solcher Änderungen verlangt parlamentsrechtlich eine qualifizierte Mehrheit (vgl. Art. 50 Abs. 4 B-VG). Die andere Kategorie besteht aus den politischen Staatsverträgen und aus Staatsverträgen, die gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Inhalt haben. Erfasst werden damit Staatsverträge, die aufgrund des in Art. 18 B-VG verankerten Legalitätsprinzips über eine innerstaatliche Regelung in Gesetzesform bedürfen. Nach Art. 50 Abs. 5 B-VG sind der Nationalrat und der Bundesrat von der Aufnahme von Verhandlungen über einen Staatsvertrag zu informieren. Diese Informationspflicht ist allerdings mit keinen besonderen parlamentsrechtlichen Mitwirkungsrechten verbunden. Die Mitwirkung des Nationalrates erfolgt daher formal in erster Linie mit der Genehmigung von Verträgen, wobei die Genehmigung nach der Unterzeichnung des Vertrages, wie in der Schweiz auch, keine Befugnis für nachträgliche inhaltliche Änderungen beinhaltet. Immerhin kann der Nationalrat aber Vorbehalte anbringen oder interpretative Erklärungen abgeben. Der österreichische Bundespräsident hat anlässlich der Ratifikation des Staatsvertrages das Genehmigungserfordernis des Vertrages zu prüfen. Soweit allerdings der Abschluss eines Staatsvertrages ein «Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union» (vgl. Art. 23e Abs. 1 B-VG) darstellt, ist dem Nationalrat (und dem Bundesrat, falls die Interessen der Länder betroffen sind) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wodurch Einfluss auf die Vertragsverhandlungen genommen werden kann. Ranacher wirft abschliessend zu Recht die Frage auf, ob diese weitergehenden parlamentarischen Mitwirkungsrechte nicht bei allen gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Staatsverträgen angezeigt wären. Angesichts der in Österreich geltenden rechtlichen Gleichstellung von Staatsverträgen und Gesetzen müsste man das wohl bejahen.
Im Beitrag von Andreas Glaser, Professor an der Universität Zürich und Vorsitzender der Direktion des Zentrums für Demokratie Aarau, und von Carla Müller, ehem. Mitarbeiterin am Lehrstuhl Glaser, wird die Mitwirkung der Schweiz. Bundesversammlung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge behandelt. Nach einer Darstellung der historischen Entwicklung auf Bundesebene wird die Rechtslage de lege lata seit dem Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 dargelegt. Anhand von zwei Beispielen (Luftverkehrsabkommen Schweiz-Deutschland, Amtshilfeabkommen Schweiz-USA) werden die Konflikte zwischen Bundesversammlung und Bundesrat illustriert. Anschliessend werden der Verlauf des ordentlichen Vertragsschlussverfahrens – bei dem ein Staatsvertrag der parlamentarischen Genehmigung bedarf (vgl. Art. 166 Abs. 1 i.V.m. 184 Abs. 2 BV) – und des vereinfachten Vertragsschlussverfahrens – bei dem der Vertragsschluss kraft Gesetz oder Staatsvertrag dem Bundesrat übertragen ist – kurz erläutert.
Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer parlamentarischen Genehmigung wird zu Recht auf das Soft Law hingewiesen. In der Schweiz ist das Soft Law, welches nicht unmittelbar verbindlich ist, bisher als in der Kompetenz des Bundesrates liegend angesehen worden. Es sind aber Fälle denkbar, in denen angesichts der politischen Tragweite eine parlamentarische Mitwirkung angezeigt wäre. Die Aussenpolitische Kommission des Ständerates begründet ihr Postulat vom 12. November 2018 [18.4104] «Konsultation und Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law» denn auch mit der «breiten Kontroverse um die vom Bundesrat angekündigte Zustimmung zum Uno-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration)».
Die Autoren schliessen ihren Beitrag mit einem Ausblick auf mögliche «Reformoptionen» und erwähnen die Möglichkeit einer verbindlicheren Einbindung des Parlaments in laufende Verhandlungen, eine Konsultationspflicht des Bundesrates bei Empfehlungen und Beschlüssen der OECD sowie die Ausweitung des obligatorischen Staatsvertragsreferendums auf völkerrechtliche Verträge, die materiell Verfassungsrecht betreffen (vgl. Postulat Caroni vom 15. Juni 2015, 15.3557), wie etwa die EMRK.
Der Beitrag von Glaser und Müller übernimmt relativ unkritisch den in der Schweiz immer wieder verwendeten Begriff von der «Aussenpolitik zu gesamter Hand», womit das Zusammenwirken von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten umschrieben wird. Der Begriff an sich ist wenig aussagekräftig. Er ist zudem durch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Zuweisung klarer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten an die verschiedenen staatlichen Behörden für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben und die Ausübung ihrer Funktionen relativiert. Auch findet leider keine Auseinandersetzung statt mit gewissen Begleiterscheinungen bei einer weitergehenden parlamentarischen Mitsprache, etwa mit der Frage eines effizienten Verfahrens oder des Umgangs mit Interessensvertretungen im Parlament (Lobbying).
Der Beitrag von Andreas Th. Müller, Assoziierter Professor am Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck, befasst sich mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre demokratischen Grenzen in Österreich. Zuerst wird der wesentliche Inhalt von Art. 9 Abs. 1 B-VG erläutert, wonach durch Gesetz oder genehmigten Staatsvertrag einzelne Hoheitsrechte auf andere Staaten oder zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden können. Eine solche Übertragung ist deshalb problematisch, weil die übertragenen Hoheitsrechte künftig dem nationalen Gesetzgeber entzogen bleiben. Da eine Übertragung von Hoheitsrechten durch einfache Gesetze erfolgt, kann sie durch spätere Gesetze gleicher Stufe geändert oder eingeschränkt werden. Es gilt somit auch hier der Grundsatz der lex posterior, wonach der Gesetzgeber Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber ändern kann (das deutsche Bundesverfassungsgericht hat dazu den Begriff des «Grundsatzes der parlamentarischen Diskontinuität» geprägt; vgl. BVerfG Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12). In Österreich (und in Deutschland) begründet der Grundsatz von pacta sunt servanda nämlich keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, Staatsverträge uneingeschränkt zu beachten.
Lorenz Langer, Lehrbeauftragter an der Universität Zürich, befasst sich mit der demokratischen Kontrolle von Kompetenzübertragungen an inter- und supranationale Institutionen in der Schweiz. Nach Art. 140 Abs. 1 Bst. b BV unterliegt der Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften obligatorisch dem Staatsvertragsreferendum. Diese Bestimmung sagt zwar nichts über die parlamentarische Mitwirkung aus. Allerdings unterliegen im Bund nur Akte der Bundesversammlung einem Referendum, nicht jedoch Akte des Bundesrates. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass die Bundesversammlung einen Staatsvertrag, der einem obligatorischen Referendum untersteht, vorab behandelt haben muss. Die Feststellung von Langer, das schweizerische Verfassungsrecht kenne kein direktes Pendant zu Art. 9 B-VG (S. 65), welcher die parlamentarische Mitwirkung bei der Übertragung von Hoheitsrechten regelt (vgl. auch oben), ist daher nur formal richtig.
Langer spricht schliesslich die interessante und politisch umstrittene Frage einer demokratischen Kontrolle bei einer Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen durch staatsvertragliche Organe an. So wird in der Politik bspw. wiederholt die weitgehende Auslegung der EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kritisiert, die dazu führe, dass sich das aktuelle Verständnis des Vertragstextes in manchen Bereichen vom ursprünglichen Verständnis entfernt habe. Im Übrigen hält Langer aber zu den Bilateralen fest, dass EU-Recht nur übernommen werde, soweit es zur Zeit der Unterzeichnung bestanden hat, womit eine dynamische Weiterentwicklung ausgeschlossen sei. Langer stellt fest, dass das Staatsvertragsreferendum als statisches Instrument beim Abschluss eines Vertrags funktioniere, aber für Fragen der dynamischen Weiterentwicklung nicht geeignet sei. Er kommt zum Schluss, dass Staatsverträge notwendigerweise mit einem gewissen demokratischen Kontrollverlust einhergehen (S. 79).
Daniel Möckli, Professor an der Universität Zürich, geht in seinem Beitrag den völkerrechtlichen Verpflichtungen als Grenzen für Volksabstimmungen in der Schweiz nach. Inhaltlich geht es enger als es der Titel vermuten liesse in erster Linie um die Zulässigkeit und die Umsetzung von Volksinitiativen, die in einem Spannungsverhältnis zu völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen können. Behördenvorlagen sind jedoch nicht Thema des Beitrags. Nach einer kurzen Einleitung zum Institut der Volksinitiative und Ausführungen zum zwingenden Völkerrecht als Grenze des Initiativrechts (vgl. Art. 139 Abs. 3 BV) werden die vom Bundesrat in seinen Berichten zum Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht unterbreiteten Reformvorschläge behandelt. Dazu gehört der Vorschlag, die Vorprüfung von Volksinitiativen auf die Frage der Vereinbarkeit mit Völkerrecht auszudehnen oder die heute dem Parlament übertragene Zuständigkeit zur Gültig- resp. zur Ungültigerklärung von Volksinitiativen auf andere, insb. richterliche Behörden, zu übertragen. Nach Möckli ist die Zuständigkeit der Bundesversammlung «rechtsstaatlich problematisch», weil die Frage der Gültigkeit einer Volksinitiative «nach rein rechtlichen Gesichtspunkten» zu beurteilen sei, weshalb nicht «eine politisch denkende und handelnde Behörde das letzte Wort haben» solle (S. 88). Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass über die Gültigkeit der Volksinitiative als Instrument des Volkes dessen Vertreter entscheiden sollen. Bisher hat das Parlament bei der Ungültigerklärung grosse Zurückhaltung angenommen. Rechtlichen Überlegungen kam jeweils ein hoher Stellenwert zu und die vorberatenden Kommissionen liessen sich in solchen Fragen vom Bundesamt für Justiz beraten. Im Übrigen bleibt offen, inwiefern das Bundesgericht geeigneter für die Ungültigerklärung von Volksinitiativen sein soll. Die Auslegung und Interpretation eines Volksbegehrens erfolgt nicht völlig losgelöst vom jeweiligen Kontext und ist daher keine «rein rechtliche» Angelegenheit. In anderem Zusammenhang – mit seinen Urteilen zum kantonalen Wahlrecht – hat sich das Bundesgericht auf einen schmalen Pfad zwischen Recht und Politik begeben (vgl. Caroni/Sägesser, Gastkommentar in NZZ vom 5. Juni 2018, S. 11), weshalb seine Rechtsprechung von Rechtsprofessoren auch schon als verfassungspolitisch bezeichnet worden ist (vgl. Georg Müller, SJZ 2015/4, S. 103).
Theo Öhlinger, em. Professor an der Universität Wien, befasst sich in seinem Beitrag mit dem Völkerrecht als Grenze für Plebiszite in Österreich. Nach österreichischem Verfassungsrecht sind Volksbegehren zu Staatsverträgen und Volksabstimmungen über parlamentarisch zu genehmigende Staatsverträge ausgeschlossen. Als zulässig wären sog. Volksbefragungen nach Art. 49b B-VG zu betrachten, wobei die Wirkung solcher Abstimmungen lediglich konsultativer Art ist und die Behörden nicht bindet. Der Beitrag geht in der Folge auf eine themenbezogene Beurteilung von Volksbefragungen ein.
Werner Schroeder, Professor am Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck, legt die parlamentarische Mitwirkung an Handelsabkommen aus EU-Perspektive dar. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments bei Freihandelsabkommen ausgeweitet und heute kann das Parlament in der Praxis ein solches Abkommen auch inhaltlich beeinflussen. Damit gehen die Befugnisse des Europäischen Parlaments weiter als jene vieler nationaler Parlamente in Bezug auf Abkommen der Mitgliedsstaaten. Letzteren fehlen vor allem die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Aushandlung von Abkommen der EU. Mit dem Beitrag von Schroeder ist jener von Botschafter Helmut Tichy verbunden, der das Völkerrechtsbüro im Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres leitet und Professor am Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck ist. Sein Beitrag besteht in der Form eines Kommentars über die parlamentarische Mitwirkung an Handelsabkommen, weshalb an dieser Stelle darauf verwiesen wird.
Charlotte Sieber-Gasser, Oberassistentin an der Universität Luzern, befasst sich mit dem «Andocken» – d.h. dem Beitritt – der Schweiz an Handelsabkommen der EU. Diese Abkommen gehen i.d.R. über die WTO-Minimalstandards hinaus und regeln auch handelsverwandte Bereiche wie Umwelt, Menschenrechte oder Biotechnologie, wohingegen sich die Schweizer Freihandelsabkommen an den WTO-Abkommen orientieren und nur vereinzelt weitere Regelungsbereiche umfassen. Da die neuen EU-Handelsabkommen nicht mehr statisch sind, sondern durch die vertraglich eingesetzten Organe weiterentwickelt werden können, würde die Schweiz riskieren, dass sie bei einem Beitritt zu einem bestehenden Abkommen dessen Weiterentwicklung übernehmen müsste, die aber möglicherweise nicht ihren Interessen entspricht oder Auswirkungen auf die nationale Gesetzgebung haben kann. Dabei weist Sieber-Gasser darauf hin, dass die Anpassung eines Bundesgesetzes zwar dem fakultativen Referendum unterliegt (vgl. Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV), wobei ein erfolgreiches Referendum offen lasse, ob nur die gesetzliche Umsetzung abgelehnt werde, oder ob auch das Abkommen gekündigt werden solle (S. 153).
Rechtlich ist diese Frage jedoch klar, weil sich das Referendum gegen das betreffende Gesetz, aber eben gerade nicht gegen das Abkommen richtet, welches nicht Gegenstand des Referendums ist. Die Kündigung eines internationalen Abkommens liegt nach bisherigem Verständnis beim Bundesrat, weil es sich um einen völkerrechtlichen Vorgang handelt (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 25. Februar 2015 zur Ip. Schneider-Schneiter vom 12. Dezember 2014 [14.4249] «Schutz der Rechte der Stimmbevölkerung»). Allerdings haben die Staatspolitischen Kommissionen des Nationalrates und des Ständerates im Jahr 2016 beschlossen, einen Erlassentwurf auszuarbeiten, wonach die Zuständigkeit zur Kündigung eines Abkommens jener für den Abschluss folgen soll. Anfangs 2018 fand eine Vernehmlassung über den Vorentwurf vom 16. November 2017 zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative «Kündigung und Änderung von Staatsverträgen. Verteilung der Zuständigkeiten» [16.456] statt.
Der Tagungsband schliesst mit einem Beitrag von Stephan Michel, Chef der Sektion Staatsverträge in der Direktion für Völkerrecht des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), über neuere Tendenzen im Bereich völkerrechtlicher Vereinbarungen und ihre Auswirkungen auf die innerstaatlichen Verfahren. Michel erwähnt eine zunehmende Zahl technischer Vereinbarungen, eine steigende Änderungskadenz, die oft inhaltliche Komplexität von Abkommen, neue Formen von Vereinbarungen (Memorandum of Unterstanding, Instrumente des Soft law), die Möglichkeit, dass multilaterale Abkommen auch bilaterale Abkommen ändern können und das Auftreten neuer Akteure wie nicht-staatliche Organisationen oder untergeordnete Verwaltungseinheiten bei technischen Vereinbarungen. Er wirft die Frage auf, wie gewährleistet werden könne, dass Parlament und Volk hinreichende Kenntnis über die Tragweite eines Vertrages haben, weil die Publikation des Vertragstextes alleine oft nicht ausreichend sei (S. 161).
Die Information des Parlaments ist allerdings das eine. Sie erfolgt mit der Botschaft des Bundesrates und mit weiteren Unterlagen, die bei Bedarf den vorberatenden Kommissionen von der Bundesverwaltung zur Verfügung gestellt werden. Der Meinungsbildungsprozess im Parlament kann daher als ausreichend betrachtet werden. Das andere ist die Information durch staatliche Stellen im Vorfeld von Volksabstimmungen, die nur unter Einhaltung gewisser Informationsgrundsätze erfolgen darf. Die Verhältnismässigkeit des Informationshandelns kann in Frage gestellt sein, wenn – wie im Zusammenhang mit der Abstimmung über den UNO-Beitritt der Schweiz im Jahr 2002 – ein Kredit im Umfang von CHF 1.2 Mio. für Informationsmassnahmen vorgesehen wird.
Zu Recht verweist Michel schliesslich darauf, dass die Forderungen nach einem vermehrtem Einbezug des Parlaments vor der Vertragsunterzeichnung mitunter mit dem Fortschreiten eines Verhandlungsprozesses in Konflikt geraten können.
Gesamthaft beinhaltet der Tagungsband auf rund 160 Seiten interessante Darlegungen und Überlegungen zum Miteinbezug des Parlaments beim Abschluss und der Weiterentwicklung völkerrechtlicher Verträge in Österreich und der Schweiz. Die sich stellenden Fragen sind nicht grundverschieden, obwohl sich die beiden Staaten hinsichtlich ihrer Rechtstradition, der Kompetenzen der verschiedenen staatlichen Organe, der Zugehörigkeit zur EU oder mitunter dem Rechtsverständnis unterscheiden. Von besonderem Interesse wäre gewesen, wenn neben Österreich und der Schweiz auch das Fürstentum Liechtenstein mit einem Referat an der Tagung vertreten gewesen wäre. Die Rechtsordnung des Fürstentums Liechtensteins ist sowohl durch das österreichische als auch durch das schweizerische Rechtsverständnis beeinflusst, was eine willkommene zusätzliche Sicht bedeutet hätte.
Thomas Sägesser, Dr. iur., Fürsprecher, Zug.