Tagungsberichte

36. Forum für Rechtsetzung vom 24. Oktober 2019

Zusammenfassung

Noëlle Köchli
Noëlle Köchli

Zitiervorschlag: Noëlle Köchli, 36. Forum für Rechtsetzung vom 24. Oktober 2019, LeGes 30 (2019) 3


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Der Nachmittag begann mit dem Vortrag von Karl-Marc Wyss1, der sich im Rahmen seiner Dissertation2 mit der vorläufigen bundesrechtlichen Umsetzung eidgenössischer Volksinitiativen auf dem Verordnungsweg auseinandergesetzt hat. So werden seit den 1980er-Jahren immer häufiger Vorgaben für eine vorläufige Umsetzung einer Volksinitiative im Initiativtext selbst formuliert. Aktuell finden sich in der Bundesverfassung (BV, SR 101) vier solcher Vorgaben.3 Am Beispiel der eidgenössischen Volksinitiative gegen die Abzockerei (Minderinitiative) hat Herr Wyss seinen Untersuchungsgegenstand veranschaulicht. Die Übergangsbestimmung in Artikel 197 Ziffer 10 BV lautet wie folgt: «Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen erlässt der Bundesrat innerhalb eines Jahres nach Annahme von Artikel 95 Absatz 3 durch Volk und Stände die erforderlichen Ausführungsbestimmungen.» In der Folge erliess der Bundesrat die Verordnung vom 20. November 2013 gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV; SR 221.331; AS 2013 4403). Die ordentliche Umsetzung wird schliesslich erst in der derzeit hängigen Aktienrechtsrevision im Obligationenrecht erfolgen (Botschaft vom 23. Nov. 2016, BBl 2017 399).

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Nach dieser Einleitung zeigte Wyss die Vielschichtigkeit der Thematik auf, die gleich mehrere umstrittene und heikle Rechtsfragen aufwirft. So sieht beispielsweise die Zweitwohnungsinitiative einen suspensiv bedingten Auftrag zur vorläufigen Umsetzung vor. Der Bundesrat ist ermächtigt und verpflichtet, vorübergehend Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg zu erlassen, wenn drei Jahre nach der Annahme der Volksinitiative noch keine Ausführungsgesetzgebung in Kraft getreten ist. Die vorläufige und mittlerweile wieder ausser Kraft gesetzte Verordnung vom 22. August 2012 über Zweitwohnungen (AS 2012 4583) trat auf den 1. Januar 2013 in Kraft, obwohl die Suspensivbedingung erst ab dem 11. März 2014 eingetreten ist. Damit stellt sich die umstrittene Frage, ob der Bundesrat die Verordnung für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 11. März 2014 gestützt auf die allgemeine Vollzugskompetenz in Artikel 182 Absatz 2 BV erlassen durfte. Mittels Auslegung kam Herr Wyss zum Schluss, dass Artikel 182 Absatz 2 BV den Bundesrat nicht dazu ermächtigt, eine Verordnung vor Eintritt der Suspensivbedingung zu erlassen, und dass diese somit ohne Verfassungsgrundlage erlassen wurde. Weiter erläuterte er das Spannungsfeld zwischen Artikel 164 Absatz 1 BV (inklusive der besonderen Gesetzesvorbehalte wie z.B. in Art. 31 Abs. 1 BV) und der vorläufigen Umsetzung auf dem Verordnungsweg. Die Spannung besteht darin, dass wichtige rechtsetzende Bestimmungen vorübergehend bloss auf Verordnungsstufe geregelt werden (z. B. Sanktionsbestimmungen in der VegüV).

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Danach präsentierte der Referent mögliche Beweggründe der Initiantinnen und Initianten, weshalb diese eine vorläufige Umsetzung in ihren Initiativen überhaupt vorsehen. Dabei steht die Überlegung im Vordergrund, dass dadurch eine höhere Erfolgsaussicht auf Umsetzung resultiert, nicht zuletzt, weil beim Bundesrat eine bessere Zurechenbarkeit der politischen Verantwortung erfolgen kann als beim Parlament.

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Schliesslich beleuchtete Wyss auch die Gefahren, die das Phänomen der vorläufigen Umsetzung bergen kann. So besteht die Gefahr der Schwächung der Rechte von Volk und Ständen, da eine Verlagerung der Rechtsetzungskompetenz weg vom Parlament erfolgt. Der Bundesrat wird dabei zu einer Art Ersatzgesetzgeber. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil das vorläufige Verordnungsrecht oft lange gilt und dieses die spätere Gesetzgebung des Parlaments erheblich präjudizieren kann.

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Zum Schluss des Vortrages wies der Referent darauf hin, dass die Thematik der vorläufigen Umsetzung uns in Zukunft immer häufiger beschäftigen könnte und daher verstärkt in den öffentlichen Diskurs aufgenommen werden sollte.

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Der zweite Vortrag des Nachmittags von Jacqueline Cortesi-Künzi4 behandelte die Thematik der Auslagerung von Bundesaufgaben und insbesondere deren Anforderungen an die Gesetzesgrundlage. Einleitend erfolgte eine Begriffsklärung der Auslagerung: So ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, ob eine Aufgabe überhaupt zur Auslagerung geeignet ist oder ob es sich um eine sogenannte Ministerialaufgabe handelt, bei der den Staat eine Erfüllungsverantwortung trifft, die durch die Zentralverwaltung wahrgenommen werden muss. Liegt eine Auslagerungseignung vor und wird vom Staat eine Gewährleistungsverantwortung wahrgenommen, so liegt eine Auslagerung vor. Gibt der Staat sogar seine Gewährleistungsverantwortung auf, so spricht man von einer Vollprivatisierung, die aber nicht Thema des Vortrages bildete. Weiter sind bei der Auslagerung zwei Fallgruppen von Aufgabenträgern zu unterscheiden: Eine Aufgabe kann entweder auf eine vom Bund gesetzlich geschaffene, verselbstständigte Organisationseinheit übertragen werden (in der Regel eine Anstalt oder AG) oder auf einen externen privaten Träger (Beleihung «Dritter»). Bei der ersten Fallgruppe bleibt der Bund Eigner der dezentralen Verwaltungseinheit oder AG und übt auch Steuerungsfunktionen aus, bei der Beleihung «Dritter» hingegen nicht. Dort beschränkt sich die Tätigkeit des Bundes auf eine blosse Aufsicht.

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In Artikel 178 Absatz 3 BV finden sich die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Auslagerung: So muss es sich um eine Verwaltungsaufgabe handeln, also eine Aufgabe, die der Bund aufgrund einer gesetzlichen Grundlage wahrnimmt. Weiter muss die Auslagerung im Gesetz vorgesehen sein. Schliesslich sind die Verwaltungsaufgaben auf Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts zu übertragen, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen.

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Anschliessend präsentierte Cortesi-Künzi eine von der Eidgenössischen Finanzverwaltung erarbeitete «Check-Liste» zur Ausgestaltung einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage für eine Auslagerung. So sind in der gesetzlichen Grundlage folgende Punkte zu regeln:

  1. Definition der übertragenen Aufgaben (Delegationsumfang)
  2. Umschreibung des Aufgabenträgers
  3. auf die Aufgabenübertragung anwendbares Verfahren
  4. Rechtsform der Aufgabenübertragung (i.d.R. Vertrag bzw. Leistungsauftrag, evtl. Verfügung)
  5. eventuell besondere Rechte und Pflichten des Aufgabenträgers
  6. Quersubventionierungsverbot (Pflicht zur Spartenrechnung)
  7. Rechtsbeziehung zu Kunden/Rechtsunterworfenen (Zivilrecht oder öffentliches Recht)
  8. Verfügungskompetenz (wenn diese nicht explizit geregelt wird, liegt keine Verfügungskompetenz vor)
  9. Datenschutz
  10. Amtshilfe
  11. Finanzierung (evtl. Abgeltungen)
  12. Aufsicht des Bundes über die Aufgabenerfüllung
  13. Transparenz der Aufgabenerfüllung gegenüber der Öffentlichkeit
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Des Weiteren machte die Referentin bezüglich des auf die Aufgabenübertragung anwendbaren Verfahrens auf das totalrevidierte Bundesgesetz vom 21. Juni 2019 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB; BBl 2019 4505) und die damit einhergehenden Änderungen im Subventionsgesetz vom 5. Oktober 1990 (SuG; SR 616.1; BBl 2019 4505, hier 4550) aufmerksam, da dort ein neuer Mechanismus entstehen wird. Die Änderungen treten voraussichtlich auf den 1. Januar 2021 in Kraft. Das neue BöB sieht in Artikel 9 vor, dass bei der Übertragung öffentlicher Aufgaben spezialgesetzliche Bestimmungen vorgehen, somit auch das SuG als Spezialgesetz. Dabei gibt das SuG die Kriterien für die Ausgestaltung der Regelung über die Abgeltungen im Spezialerlass vor, wenn mehrere Anbieter zur Aufgabenübertragung zur Verfügung stehen. Ansonsten läuft das Vergabeverfahren nach BöB ab, sofern im Spezialerlass über das Auswahlverfahren nichts anderes vorgesehen ist. Artikel 15b SuG sieht drei solcher Vorbehalte vor, wobei das SuG insbesondere Anwendung findet nach Abschluss des Auswahlverfahrens.

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Schliesslich zeigte Cortesi-Künzi anhand einiger Beispiele aus der Praxis auf, dass die Anforderungen an die Gesetzesgrundlage in der Praxis oft noch nicht erfüllt sind und dass eine Vereinheitlichung der Gesetzgebungspraxis anzustreben ist.

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Den Abschluss der Vortragsreihe des 36. Rechtsetzungsforums bildete das Referat von Nina Gammenthaler5. Sie berichtete über ein Projekt des Bundesamts für Umwelt (BAFU), in dem ein Managementkonzept für Vollzugshilfen erarbeitet wurde mit dem Ziel, diese Dokumente zu aktualisieren, zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Denn die Tatsache, dass das BAFU vielfältige Aufgaben in den unterschiedlichsten Themenbereichen wahrnimmt, spiegelt sich auch in der Anzahl Vollzugshilfen wider. So werden über 250 Vollzugshilfen vom BAFU herausgegeben.6 Da insbesondere auch die Kantone als Hauptadressaten den Wunsch nach einer Optimierung der Vollzugshilfen äusserten, wurde 2016 das Projekt «Management Vollzugshilfen» gestartet.

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Dabei musste in einem ersten Schritt die Problematik der Begrifflichkeiten und des rechtlichen Stellenwerts einer Vollzugshilfe geklärt werden. So führte die uneinheitliche Betitelung der Publikationen zu einem «Begriffswirrwarr», der die Einordnung einer Publikation erschwerte. Daher wurde beschlossen, alle Vollzugshilfen sowie die Mitteilungen an Gesuchstellende unter den Oberbegriff «Umwelt-Vollzug» zu fassen. Rechtlich einzuordnen sind die Vollzugshilfen als Verwaltungsverordnungen, die sich primär an die kantonalen Vollzugsbehörden richten. Sie fördern eine einheitliche Vollzugspraxis, indem sie die unbestimmten Rechtsbegriffe von Gesetzen und Verordnungen sowie die eingeräumten Ermessensspielräume konkretisieren. Berücksichtigen die Vollzugsbehörden die Vollzugshilfen, so können sie davon ausgehen, dass sie das Bundesrecht rechtskonform vollziehen. Dabei sind aber auch von der Vollzugshilfe abweichende Lösungen der Kantone möglich, sofern diese ebenfalls rechtskonform sind.

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Zur Erreichung des Projektziels – Aktualisierung, Vereinfachung und Vereinheitlichung – umfasste das Managementkonzept für die Vollzugshilfen drei Massnahmen:

  1. Eine Massnahme war die Anpassung des Leitfadens für die Publikationen Umwelt-Vollzug. Es handelt sich dabei um eine interne Weisung, die sich in erster Linie an die federführenden Fachabteilungen richtet. Der Leitfaden schreibt unter anderem vor, dass bei neuen Publikationen ein Bedarfsnachweis erfolgen muss; er definiert die Prozesse und enthält auch inhaltliche Anforderungen an die Publikationen.
  2. Als weitere Massnahme wurde ein Aktualisierungsplan erstellt, der eine Bestandsaufnahme aller Publikationen im Bereich Umwelt-Vollzug enthielt. Dabei wurde in einer Tabelle bei jeder einzelnen Vollzugshilfe die Einordnung vorgenommen, ob sie aufzuheben, zu überarbeiten, zu überführen oder ob sie weiterhin gültig und aktuell ist.
  3. Schliesslich wurde ein regelmässiges Reporting eingeführt, das heisst: Jede gültige und aktuelle Publikation ist nun alle vier Jahre von den Fachabteilungen zu überprüfen. Somit ist das Projekt zur Daueraufgabe geworden.

Noëlle Köchli, Bundesamt für Justiz, noelle.koechli@bj.admin.ch.


  1. 1 Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bern.
  2. 2 Die Dissertation «Die vorläufige bundesrechtliche Umsetzung eidgenössischer Volksinitiativen auf dem Verordnungsweg» wird im Frühling 2020 im Dike Verlage erscheinen. Eine Publikation der wichtigsten Erkenntnisse (Zusammenfassung) ist zudem für die Ausgabe 3/2019 von LeGes geplant.
  3. 3 1. August-Initiative (Art. 196 Ziff. 9 BV); Zweitwohnungsinitiative (Art. 197 Ziff. 9 BV); Minderinitiative (Art. 197 Ziff. 10 BV); Masseneinwanderungsinitiative (Art. 197 Ziff. 11 BV).
  4. 4 Fürsprecherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Rechtsdienst Eidgenössische Finanzverwaltung, Sektion Allgemeines Recht.
  5. 5 Stellvertretende Sektionschefin des Rechtsdiensts 1, Bundesamt für Umwelt.
  6. 6 Verzeichnis über alle aktuellen und gültigen Vollzugshilfen des BAFU: www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/recht/vollzugshilfen-des-bafu.html.
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