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Werkstattberichte DOI: 10.38023/1e432d1c-688b-4d91-af10-37332f3ba5b5

Gelingensbedingungen für die Nutzung von Evaluationsergebnissen

Good Practice bei der «Evaluation Familienrat Zentralschweiz»

  • Zitiervorschlag: Pia Gabriel-Schärer, Gelingensbedingungen für die Nutzung von Evaluationsergebnissen, LeGes 31 (2020) 3
  • In diesem Beitrag wird erörtert, wie bei der «Evaluation Familienrat Zentralschweiz 2019» die nutzungsorientierte Haltung umgesetzt wurde. Planung und Durchführung der Evaluation werden beschrieben und dabei einige Gelingensbedingungen und Herausforderungen benannt. Es kann gezeigt werden, dass die Nutzung der Ergebnisse dann besonders gut gelingt, wenn die Beteiligten und Betroffenen von Beginn weg involviert und regelmässig über den Zwischenstand informiert werden. Als nichtintendierter Prozessnutzen verbesserte sich die fachliche Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten.


    1. Einleitung

    [1]

    Welche Faktoren begünstigen die Nutzung der Ergebnisse einer Evaluation und wie können diese beeinflusst werden? Diese Fragen treiben Evaluationsfachleute schon lange und immer von Neuem um. Bereits in Studien der 1970er- und 1980er-Jahre wurde festgestellt, dass Evaluationsergebnisse oftmals unbeachtet blieben (Brandt 2007, 192). Gerade wenn es darum geht, knappe Ressourcen für eine Evaluation optimal einzusetzen, wird eine nutzungsorientierte Vorgehensweise vorgeschlagen. «Eine Evaluation, deren Ergebnisse durch die Praxis nicht genutzt werden, ist Verschwendung» (Schahrzad & Mäder 2014, 3). Auch in den Standards der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft SEVAL (2016) wird erläutert, dass eine qualitativ gute Evaluation sich an der Nützlichkeit messen kann, indem sie sich am Evaluationszweck und an den Informationsbedürfnissen der intendierten Nutzerinnen und Nutzer orientiert. Es finden sich auch konkrete Empfehlungen, wie Beteiligte und Betroffene eingebunden werden können, um die Nutzung der Ergebnisse zu fördern. Was können Evaluatorinnen und Evaluatoren dazu beitragen, dass die Ergebnisse und Erkenntnisse einer Evaluation nicht in einer Schublade verschwinden, sondern genutzt werden? Michael Q. Patton (2013) gibt uns in seiner Checkliste Hinweise auf die Wichtigkeit von Klärungen in der Planungsphase einer Evaluation. So sind im Vorfeld Personen zu identifizieren, die den Prozess und die Ergebnisse nutzen werden. Mit ihnen gemeinsam werden die konkreten Fragestellungen geschärft und die intendierte Nutzung der Ergebnisse vereinbart. Die Wahrscheinlichkeit für die Nutzung kann erhöht werden, wenn die Nutzenden den Evaluationsprozess verstehen und dafür «Ownership» empfinden.

    [2]

    Auch wenn das Ziel klar erscheint, ist die Umsetzung in der Praxis alles andere als einfach. Es sind einige Herausforderungen zu bewältigen, beispielsweise bei der Motivationsarbeit für die Beteiligung am Prozess, bei der Klärung von unterschiedlichen Interessen an der Evaluation oder am heterogenen Bedarf an Informationen. Auch ist an realistischen Einschätzungen zu arbeiten, was die Evaluation bieten kann und welche Erwartungen nicht erfüllt werden können.

    [3]

    Bei der Evaluation des «Familienrates Zentralschweiz» wurde im Planungsprozess dafür gesorgt, dass mit den Ergebnissen tatsächlich weitergearbeitet wird, sowohl in der Praxis wie im Fachdiskurs an der Fachhochschule. In diesem Fall ist die Nutzung der Ergebnisse in hohem Mass gelungen. Der vorliegende Artikel beschreibt den Prozess und zeigt beispielhaft auf, wie die Nutzungsorientierung dabei sichergestellt wurde.

    2. Von der Idee zur Planung der Evaluation «Familienrat Zentralschweiz»

    [4]

    In der Praxis der Sozialen Arbeit erweist es sich als schwierig, belastete Familien bei der Suche nach Problemlösungen partizipativ einzubinden. Im Kontakt mit Behörden wird nicht selten von Seiten der betroffenen Familienmitglieder von Entmündigung gesprochen. In einigen Fällen erlebt sich die Familie als zu wenig involviert in die Entscheide, beispielsweise bei Fragen von Massnahmen für die Sicherung des Kindeswohls. Hier bietet sich das Verfahren «Familienrat» oder «Family Group Conference» an, welches in Neuseeland entwickelt wurde (Früchtel & Roth, 2017). Familien werden unterstützt, zusammen mit einem erweiterten Familiennetzwerk selbst Lösungen für ihre Schwierigkeiten zu entwickeln. Das Ziel dabei ist, dass Eltern, Kinder, Verwandte, Freunde und Bekannte aktiv Lösungen gestalten und dafür auch Verantwortung übernehmen. Es gibt eine grosse Bandbreite von Themen und Problemstellungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, die sich grundsätzlich für einen Familienrat eignen, so beispielsweise Besuchs- und Sorgerechtsfragen, Belastungen aufgrund psychischer Erkrankungen, Aus- oder Eintrittsplanung aus und in Institutionen, Delinquenz, Problemstellungen in der Schule.

    [5]

    Das lebensweltorientierte Verfahren sieht verschiedene standardisierte Schritte vor, wie die Familie gemeinsam mit einem erweiterten Familienkreis individuelle Lösungsansätze (er-)finden und erproben kann. Ausgangspunkt eines Familienrats ist eine sogenannte Sorgeerklärung, in der die auftraggebende Stelle ihre Besorgnis formuliert und Mindestanforderungen festhält, welche die Familie in Zukunft zum Wohle des Kindes erfüllen sollte. Eine ausgebildete Familienratskoordinationsperson organisiert mit der Familie den Rat und unterstützt sie darin, den Kreis der Familie zu erweitern und dadurch Ressourcen im sozialen Umfeld einer Familie zu aktivieren. Im eigentlichen Familienrat mit einer sogenannte «Family-only-Phase» wirken mehrere nahestehende Personen (z.B. Freunde, Nachbarn, Onkel, Tanten, Paten, Grosseltern) bei der Lösungsfindung mit und entwickeln einen Hilfeplan, der schriftlich festgehalten wird. Die Familienratskoordinatorin oder der Familienratskoordinator ist während der «Family-only-Phase» nicht involviert, er oder sie tritt erst wieder bei der sogenannten Planabnahme aktiv in den Prozess ein. Der vom erweiterten Familiennetzwerk erarbeitete Plan wird von offizieller Seite (auftraggebende Behörde wie z.B. Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB) abgenommen, sofern dieser der Sorgeerklärung und den rechtlichen Erfordernissen (z.B. betreffend Kindesschutz) entspricht. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Plan zur Überarbeitung an die Familie zurückgegeben. Der schlussendlich genehmigte Hilfeplan kann zu nachhaltigen Veränderungen führen, da dieser von allen Beteiligten mitgetragen und verantwortet wird. Das Verfahren zielt auf Ressourcenförderung, soll subsidiäre Hilfen ermöglichen und damit behördliche Massnahmen verringern (Hauri & Rosch, 2018). In einem Folgerat wird die Umsetzung des Plans überprüft und verankert. Die Familie erhält so eine Möglichkeit, eigene, passgenaue Lösungen für familiäre Krisensituationen zu entwickeln, bevor eine behördliche Massnahme erfolgt.

    [6]

    Anders als im niederländischen, skandinavischen und deutschen Raum (Früchtel & Hampe-Grosser, 2010) hat sich der Familienrat als Verfahren in der Schweiz bislang noch nicht etablieren können. Es gibt einzelne Stellen wie z.B. Familiensupport Bern West1 oder Solokes2 in Solothurn, die den Familienrat als ein mögliches Verfahren für die ambulante Unterstützung von Familien in ihrem Angebot aufführen. Gemäss Wiess (2019, 39) kommen in der Schweiz jährlich schätzungsweise zwischen 30 und 50 Familienräte zustande. Genauere Daten oder ein schweizweites Monitoring fehlen. Eine Pionierin des Verfahrens Familienrat in der Schweiz ist Christa Quick, die seit einigen Jahren Familienräte im Raum Bern umsetzt und sich in der Ausbildung für Familienratskoordinatorinnen und -koordinatoren an der Berner Fachhochschule3 engagiert. Quick (2018, 202) fasst die Wirksamkeit eines Familienrats wie folgt zusammen:

    «Es ist bestechend, welche Erfolge der Familienrat seit Jahren in diversen Ländern erzielt. Die Betroffenen erfahren sich als selbstwirksam, wenn sie gemeinsam mit Menschen, die ihnen wichtig sind und nahestehen, ihre Probleme besprechen und Lösungen erarbeiten. Sie sind dann mit ihren Sorgen nicht mehr allein! Von diesem Mehrwert profitieren sowohl die Betroffenen als auch die Fachkräfte. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass mit einem Familienrat der Grundstein für eine verbesserte Kommunikation und eine bessere Zusammenarbeit zwischen Fachleuten und Betroffenen gelegt werden kann.»
    [7]

    In der Schweiz liegen noch keine empirisch abgestützten Daten über die Umsetzung und die Wirkung von Familienräten vor. Zwei Masterstudierende haben eine interessante Vorstudie erstellt (Hirter & Kuhn 2018), in der sie erste Leitideen für eine empirische Datensammlung erarbeitet haben (Hirter & Kuhn 2019). Evaluationen wurden bis dahin noch keine durchgeführt.

    [8]

    Die Fachstelle Kinderbetreuung Luzern4, die als Fachstelle für das Pflegekinderwesen und für ambulante Familienbegleitung in der Zentralschweiz tätig ist, hatte 2015/16 in einer Testphase erste Erfahrungen mit dem Verfahren «Familienrat» gemacht und diese intern ausgewertet. Die Fachstelle entschloss sich anschliessend, eine Pilotphase (2017/18) zu lancieren und diese durch die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit wissenschaftlich begleiten und evaluieren zu lassen. Mit der Evaluation sollten Grundlagen für die Entscheidungsfindung erarbeitet werden, ob die Fachstelle den Familienrat definitiv als neues Angebot in die Abteilung ambulante Familienbegleitung aufnehmen soll. Ausserdem interessierte die Fachstelle, bei welchen Ausgangslagen das Verfahren erfolgreich angewendet werden kann und ob es notwendig ist, das Verfahren an zentralschweizerische Gegebenheiten anzupassen, um seine Praktikabilität zu erhöhen. Aus den ersten Erfahrungen in der Testphase hatte sich gezeigt, dass die Zusammenarbeit mit den auftraggebenden Stellen wie z.B. der KESB stärker in den Fokus genommen werden müsste als bisher. Die Evaluation sollte Erkenntnisse liefern, was eine Behörde braucht, um das Verfahren Familienrat in Betracht zu ziehen. Die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit stieg in die Zusammenarbeit mit der Fachstelle ein. Für die Pilotphase Familienrat 2017/18 und die Evaluation wurden eine Projektorganisation aufgebaut und ein Evaluationskonzept erarbeitet, welches von Beginn weg die Nutzungsorientierung berücksichtigte, wie sie im Evaluationsstandard A4 der SEVAL beschrieben wird: «Eine Evaluation wird so geplant und durchgeführt und ihr Fortschritt sowie ihre Ergebnisse werden so kommuniziert, dass die Beteiligten & Betroffenen angeregt werden, sich angemessen an der Evaluation zu beteiligen und sowohl den Evaluationsprozess als auch die Evaluationsergebnisse zu nutzen.» (SEVAL 2016, 4).

    [9]

    Es war herausfordernd, bereits vor dem Start der Evaluation zu klären, wer wie und in welchem Umfang in die Projektorganisation und die Evaluation eingebunden werden soll. Es waren viele und sehr unterschiedliche Akteurinnen und Akteure im Pilotprojekt involviert, und es war zu klären, wer mit wie vielen Ressourcen bei der Evaluation beteiligt werden soll.

    3. Projektorganisation zur Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer in den Evaluationsprozess

    [10]

    Die Steuerung des Projekts oblag dem Leiter der Fachstelle Kinderbetreuung Luzern und der Leiterin des Instituts Sozialpädagogik und Bildung der Hochschule Luzern (Autorin des vorliegenden Artikels). Sie waren beide gleichwertig für die strategische Ebene, die inhaltliche Zielsetzung, die zeitliche Planung und die Ressourcen zuständig. Die Fachstelle ermöglichte den Zugang zur Praxis, die Hochschule den Zugang zur Wissenschaft. Zwischen Fachstelle und Hochschule wurde für die Projektzeit eine Zusammenarbeitsvereinbarung getroffen. Für die Pilotphase wurden eine Begleit- und eine Echogruppe eingesetzt. Abbildung 1 zeigt die Projektorganisation. Die Zusammensetzung und Funktion der verschiedenen Organe präsentierte sich wie folgt:

    [11]

    Die Projektsteuerung lag beim Leiter der Fachstelle und der Leiterin des Instituts der Hochschule. Die beiden Personen verantworteten, wie oben erwähnt, die strategische Ebene und kümmerten sich um Ressourcenfragen.

    [12]

    Die Projektgruppe übernahm die operative Steuerung und die Umsetzung des Evaluationsprojekts. Sie umfasste zwei Fachpersonen aus der Fachstelle und eine aus der Hochschule mit folgenden Funktionen: Erstens die Projektleitung der Fachstelle, welche die Projektorganisation und die Einbindung des Themas in den Betrieb sicherstellte. Zweitens eine Fachperson, welche auf der Fachstelle das Thema Familienrat verantwortete und mit den zuweisenden Praxisstellen (z. B. KESB) die Umsetzung des Verfahrens plante. Drittens eine Fachperson der Hochschule, die für die Erarbeitung und Umsetzung des Evaluationskonzeptes verantwortlich und bei der Weiterentwicklung des Verfahrens beratend beteiligt war. Sie hat selber die Ausbildung zur Familienratskoordinatorin absolviert und waltete als Bindeglied zur Wissenschaft. Die Projektgruppe leistete die Hauptarbeit bei der Evaluation. Sie entwickelte das Evaluationskonzept, setzte dieses um, wertete die Daten aus und verfasste den Evaluationsbericht. Sie war zuständig für die Vorbereitung der Kommunikation und Diskussion des jeweiligen Projektstandes bei den Treffen mit der Begleit- bzw. der Echogruppe.

    [13]

    Das Team Familienrats-Koordinatorinnen und -koordinatoren umfasste drei ausgebildete Familienratskoordinatorinnen und -koordinatoren der Fachstelle, welche die geplanten Familienräte umsetzten. Für den Evaluationsprozess waren sie wichtige Informationsträgerinnen und -träger und konnten bei der Weiterentwicklung des Verfahrens wertvolle Impulse geben.

     

     

    Abbildung SEQ Abbildung 1 Projektorganisation Familienrat Pilotphase 2018 (eigene Darstellung)

    [14]

    Als sehr zentral erwies sich die Einbindung der Zusammenarbeitspartnerinnen und -partner aus der Praxis (KESB Luzern, KESB Kriens, KESB Luzern Land, KESB Obwalden, Stadt Luzern – Abteilung Kind, Jugend und Familie sowie Berufsbeistandschaft Kriens). Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Praxisorganisationen waren die eigentlichen Schlüsselpersonen in ihrer Rolle als Auftraggebende von Familienräten. Sie hatten unter den in die Evaluation involvierten Beteiligten den grössten Informationsbedarf und wurden bei jedem Treffen der Begleitgruppe sorgfältig über den Stand des Projekts informiert.

    [15]

    Die oben beschriebenen vier Gruppen wurden als Begleitgruppe der Pilotphase installiert (vgl. Abbildung 1). Es waren diejenigen Stakeholder, die gemäss Patton (2013, 4) als die vorranging vorgesehenen Nutzerinnen und Nutzer der Evaluationsergebnisse bezeichnet werden konnten. Sie wurden in der Planungsphase bestimmt und zur Förderung der Nutzungsorientierung der Evaluation in den Evaluationsprozess aktiv eingebunden. Die Begleitgruppe traf sich zu drei Zeitpunkten der Evaluation und konnte regelmässig und zeitnah über den Verlauf des Pilotprojekts und der Evaluation informiert werden. Während der gesamten Dauer der Pilotphase konnten so aus den unterschiedlichen Perspektiven Feedbacks zu aktuellen Fragen gegeben werden und immer wieder hilfreiche und relevante Informationen in die Durchführung der Evaluation einfliessen.

    [16]

    Für eine zusätzliche fachliche Reflexion mit Interessierten aus der Wissenschaft wurde eine Echogruppe Hochschule Luzern – Soziale Arbeit installiert. Mitglieder waren Fachpersonen aus verschiedenen Themengebieten der Hochschule wie Sozialpädagogik, Sozialarbeit oder Kindes- und Erwachsenenschutz. Über die Mitglieder der Echogruppe konnten relevante und aktuelle Forschungsergebnisse in das Projekt einfliessen. Diese Echogruppe traf sich unabhängig von der Begleitgruppe zu drei Zeitpunkten. Die beiden Mitglieder der Hochschule aus der Projektsteuergruppe und der Projektgruppe fungierten als Bindeglied.

    [17]

    Bei der komplexen Projektorganisation zeigten sich zwei grosse Herausforderungen. Einerseits war die Terminfindung schwierig. Dies ist bei grösseren Gruppen nicht aussergewöhnlich. Es zeigte sich jedoch, dass auch bei langfristiger Planung kurzfristige Notfälle aus dem Alltagsgeschäft die Teilnahme von einzelnen Personen verhinderte und so selten die gesamte Gruppe anwesend sein konnte. Andererseits gab es einige personelle Veränderungen aufgrund von Funktionswechseln, aufgrund von Mutterschaftsurlaub und -vertretung oder weil im Verlauf des Projekts aufgrund von neu gewecktem Interesse weitere Fachpersonen aus der Praxis dazustiessen. Eine gute Dokumentation der Inputs und die Protokollierung der Diskussionen erwiesen sich als sehr nützlich und unabdingbar für den Projektverlauf.

    4. Evaluationskonzept

    [18]

    Die Evaluation des Pilotprojekts «Familienrat Zentralschweiz» stützte sich auf Erfahrungen aus der Testphase und wurde für die zu evaluierende Zeitspanne massgeschneidert geplant. Im Evaluationskonzept wurden Gegenstand, Zweck, Fragestellung und Nutzung geklärt, so dass diese für alle Beteiligten transparent waren (vgl. SEVAL, 2016, Standard B1). Der Gegenstand der Evaluation war der «Familienrat Zentralschweiz» und dessen Umsetzung. Der Zweck der Evaluation war ein zweifacher. Einerseits wollte die Fachstelle Erkenntnisse darüber erhalten, wie gut das Verfahren in der Zentralschweiz umgesetzt werden kann. Diese summative, bilanzierende Evaluation sollte Entscheidungsgrundlagen liefern, ob das Verfahren «Familienrat» zukünftig definitiv in die Angebotspalette der Fachstelle aufgenommen werden soll. Andererseits sollten formative, entwicklungsorientierte Ergebnisse aus der Evaluation Hinweise liefern, wie das Verfahren an lokale Gegebenheiten angepasst werden müsste. Die Evaluationsfragestellungen lauteten entsprechend: Wie praktikabel ist das Verfahren «Familienrat» in der Zentralschweiz? Welche Anpassungen an lokale Gegebenheiten sind notwendig? Wie könnte das Verfahren weiterentwickelt werden? Diese Fragestellungen wurden in einzelne Fragen unterteilt und fassbar gemacht (Dietrich & Waldispühl, 2019, 11–12).

    [19]

    Die nutzungsorientierte Haltung der Evaluatorinnen war bei der Konzipierung hilfreich. Evaluatorinnen und Auftraggeber haben den Fokus der Evaluation gemeinsam geschärft und die Fragestellungen auf die Schlüsselstellen des Verfahrens fokussiert. Diese waren aus der Testphase und aus der Fachliteratur bekannt. Anspruchsvolle Zwischenschritte sind z.B. die Indikation des Verfahrens, die Erreichbarkeit der Zielgruppe, die Klärung der Zusammenarbeit zwischen Auftraggebenden und Anbietenden, aber auch die Formulierung einer Sorgeerklärung oder die Planabnahme. Im Evaluationskonzept wurde festgehalten, dass die Ergebnisse adressatengerecht aufbereitet werden sollen und eine möglichst breite Nutzung der Erkenntnisse zu planen sei (vgl. SEVAL 2016, Standards C3 und C6).

    [20]

    Die Komplexität des Gegenstandes «Familienrat» ist in Abbildung 2 sichtbar. Diese lehnt sich strukturell am Programmbaum von Beywl et al. (2017, 23) an und diente der Fokussierung der Evaluation.

     

     

    Abbildung SEQ Abbildung 2 Beschreibung des Gegenstandes «Familienrat» (eigene Darstellung)

    [21]

    Aufgrund der Erfahrungen aus der Testphase war zu erwarten, dass die Anzahl durchgeführter Familienräte während der einjährigen Pilotphase eher klein sein könnte. Aus diesem Grund wurde eine Vollerhebung geplant, mit einer möglichst umfassenden Sicht auf den Gegenstand. Zusätzlich wurde aufgrund der Erfahrungen der Testphase entschieden, auch die geplanten, aber schlussendlich nicht umgesetzten Familienräte in die Evaluation einzubeziehen. Die Testphase hatte gezeigt, dass bereits nach der Informationsphase positive «Outcomes» sichtbar werden können. Nur schon die Tatsache, dass die Behörde der Familie vorschlägt, einen Familienrat zu prüfen, kann dem System Familie Vertrauen und Energie geben, welche in den folgenden Prozessen genutzt werden können. Wirkungen sind aufgrund der Haltung «Wir können es aus eigener Kraft» von Beginn weg aufgetreten. Auch bei diesen sogenannt «abgebrochenen» Familienräten waren wichtige Hinweise für die Beantwortung der Evaluationsfragestellungen zu erwarten.

    [22]

    Es wurde ein Methodenmix angewendet und es wurden qualitative sowie quantitative Daten aus verschiedenen Perspektiven erhoben und analysiert. Die Fachpersonen der Stellen, die den Familienrat in Auftrag gegeben haben, wurden mit Leitfadeninterviews befragt. Familienratskoordinationspersonen, Familienmitglieder und beteiligte Personen aus dem erweiterten Familienkreis füllten einen Fragebogen mit geschlossenen und offenen Fragen aus, ausserdem wurden vorhandene Dokumente wie Sorgeerklärungen, Protokolle der durchgeführten Familienräte inkl. Planabnahme, Protokolle der Begleit- und Echogruppe sowie das Projekttagebuch der Projektleitung kriteriengestützt analysiert. Die Evaluatorinnen konnten auf bereits bestehende Befragungsinstrumente aus Deutschland und aus dem Netzwerk Bern zurückgreifen5, die auf den zentralschweizerischen Kontext adaptiert und weiterentwickelt wurden (Dietrich & Waldispühl, 2019, 48–63).

    5. Umsetzung der nutzungsorientierten Evaluation

    [23]

    Die Evaluation konnte gemäss Konzept umgesetzt werden. Eine Herausforderung bestand darin, dass die Anzahl der geplanten und durchgeführten Familienräte unter den Erwartungen blieb. Schlussendlich konnte die Umsetzung des Verfahren «Familienrat» anhand des Datenmaterials von elf Familiensituationen systematisch dokumentiert und evaluiert werden. Die Daten stammten von fünf vollständig durchgeführten Familienräten und von sechs geplanten, aber nicht umgesetzten Familienräten, da sich die Familie nach der Vorbereitungsphase bewusst für ein anderes Vorgehen entschieden hat. Die Daten aus den Interviews, den Fragebögen und den vorhandenen Dokumenten wurden kriteriengestützt analysiert sowie qualitativ und quantitativ ausgewertet. Dank der mehrperspektivischen Betrachtung und dem Methodenmix konnte die Sichtweise von beteiligten Familien, Behörden und Familienratskoordinatorinnen und -koordinatoren in der Evaluation differenziert erfasst und dargestellt werden (Dietrich, 2020; Dietrich & Waldispühl, 2019).

    [24]

    Zwischenstand und Herausforderungen der Evaluation wurden regelmässig mit der Begleitgruppe diskutiert. Dadurch wurden bereits während der Evaluation Klärungsprozesse zum Ablauf des Verfahrens «Familienrat» in Gang gesetzt. Durch die Visualisierung des Familienrats als Gegenstand der Evaluation wurde dieser bei den beteiligen Behördenmitgliedern und zukünftig Nutzenden besser fassbar. Dies war insofern sehr wichtig, als dass das Verfahren «Familienrat» für einige noch Neuland und mit etwas Skepsis verbunden war. Die regelmässige Darstellung des Prozessverlaufs weckte bei allen Stakeholdern echtes Interesse an den Schlussergebnissen. Ausserdem wurde im Dialog klar, wie die Ergebnisse aufbereitet werden sollten, damit die Chance steigt, dass die primären Nutzenden diese im Arbeitsalltag tatsächlich implementieren könnten (Patton 2013, 14). Im Austausch mit ihnen wurde deutlich, wie wichtig eine klare und einfach verständliche Information über das innovative Verfahren «Familienrat» ist. Das Insiderwissen der Fachstelle wurde immer wieder in eine verständlichere Sprache übersetzt. Im Austausch mit der Begleitgruppe entstanden parallel zum Evaluationsprozess Ideen, wie die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Fachstelle optimiert werden könnte. Auch die Diskussion über persönliche Haltungsfragen fand statt. Diese nicht intendierten Prozessnutzen sind ein grosser Gewinn der Evaluation. Die Praxisorganisationen sind nach Abschluss der Evaluation für die Umsetzung der Ergebnisse äusserst wichtige Partnerinnen und Partner, die es sehr geschätzt haben, von Beginn weg eingebunden zu sein. Sie beabsichtigten, sich weiterhin regelmässig zum fachlichen Austausch zu treffen.

    6. Ergebnisse und deren Nutzung

    [25]

    Die Evaluation «Familienrat Zentralschweiz» beschreibt differenziert die Planungs- und Umsetzungsprozesse bei der Anwendung des Verfahrens, benennt die unterschiedlichen Rollen und Zuständigkeiten und zeigt, dass der Familienrat ein vielseitig einsetzbares Verfahren sowohl in hochkomplexen, schwierigen wie auch in niederschwelligen Ausgangslagen ist. Ein Familienrat entfaltet bereits zu Beginn des Verfahrens Wirkung: durch das Vertrauen in die Kräfte des erweiterten Familiensystems werden Handlungsmöglichkeiten und Widerstandskräfte mobilisiert. Die Antworten der befragten Personengruppen waren sowohl in Bezug auf die Sicherstellung des Kindeswohls wie auch auf die Wirksamkeit des Verfahrens mehrheitlich positiv. Eine Verbesserung von einzelnen Familiensituationen konnte gezeigt werden (Dietrich, 2020; Dietrich & Waldispühl, 2019).

    [26]

    Die Evaluation lieferte bilanzierende Grundlagen für die Entscheidung der Fachstelle, das Verfahren Familienrat als Angebot aufzunehmen, und generierte Erkenntnisse für die Weiterentwicklung des Verfahrens. Somit konnte die Evaluation die beiden anvisierten Zwecke erfüllen. Die Ergebnisse der Evaluation konnten von der Fachstelle und der Fachcommunity vielseitig genutzt werden und gaben Anstoss für Folgeprojekte.

    6.1. Entscheid der Fachstelle Kinderbetreuung Luzern

    [27]

    Die beteiligte Fachstelle Kinderbetreuung Luzern entschied gegen Ende der Evaluation, noch vor dem Vorliegen des definitiven Berichts, das Verfahren «Familienrat» in ihre Angebotspalette aufzunehmen. Es lagen bereits während der laufenden Evaluation genügend Fakten auf dem Tisch, die als Argumentarium genutzt werden konnten. Im seinem Jahresbericht 2018 erläuterte der Leiter der Fachstelle den Nutzen der Evaluation wie folgt (Immoos, 2019):

    «Wir starteten im Sommer 2015 das Projekt Familienrat mit dem Ziel zu evaluieren, ob diese Methodik als neue präventive Möglichkeit oder als Lösungsweg bei schwierigen Kindsschutzfragen eingesetzt werden kann. (…) Eine erste (interne) Evaluation erfolgte im Sommer 2017. Im Herbst 2017 konnten wir die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, als Projektpartnerin gewinnen. Sie führte die Schlussevaluation durch und begleitet auch die Verfahrensweiterentwicklung. (…) Inzwischen haben wir den Familienrat als neues Angebot in die ambulante Abteilung integriert. Aus Sicht Kosten-Nutzen ist das Verfahren Familienrat attraktiv und könnte unter der ambulanten Familienarbeit bzw. sozialpädagogischen Familienbegleitung im Rahmen des SEG 6 subsummiert werden. Es handelt sich ebenfalls um eine ambulante Interventionsform mit Wirkungen analog der aufsuchenden Familienarbeit und eröffnet eine neue Option, mit Kindeswohlgefährdungen umzugehen.»
    [28]

    Die gemeinsame Planung der Evaluation mit der Fachstelle Kinderbetreuung Luzern, die im Vorfeld getätigten Klärungen hinsichtlich Ziel und Zweck sowie die laufenden Informationen zum Stand der Umsetzung der Evaluation haben sich in dem Sinne ausbezahlt, als dass die Ergebnisse tatsächlich für die bilanzierende Einschätzung genutzt werden konnten. Die Evaluation lieferte die notwendige Argumentation für eine datengestützte Entscheidung.

    [29]

    Die Evaluation zeigte die Wichtigkeit einer geklärten Finanzierung für das Verfahren «Familienrat». Ein Kostendach von CHF 5000 bis 5500 bzw. durchschnittlich 30 Stunden war in der Regel ausreichend für die Durchführung eines Familienrats. Während der Pilotphase wurden diese Kosten von der Fachstelle übernommen. Nach der definitiven Aufnahme des Angebots gibt es hierzu noch offene Fragen. Die Kostenübernahme muss vor einer Anfrage an die Familie geklärt sein und ist kantonal verschieden geregelt. Im Rahmen eines KESB-Verfahrens sind die Kosten Teil der Verfahrenskosten. Wer die Kosten in anderen Settings übernimmt, konnte nach der Evaluation noch nicht abschliessend geklärt werden.

    6.2. Praktikabilität des Verfahrens

    [30]

    Die Evaluation beschrieb die Planungs- und Umsetzungsprozesse eines Familienrats differenziert und benannte die Erfolgsfaktoren und die Hindernisse. Das Verfahren hat sich in den bestehenden Strukturen als praktikabel erwiesen. Die gute Zusammenarbeit von Auftraggebenden und der Fachstelle, welche den Familienrat anbietet, erleichterte die Arbeit mit den Familien. Dazu gehörten auch klare Zuständigkeiten und die Klärung der verschiedenen Rollen. Eine zentrale Erkenntnis betreffend Praktikabilität des Verfahrens war die grosse Wichtigkeit der Planungs- bzw. Abklärungsphase vor der Durchführung eines Familienrates. In dieser Phase erfolgten wichtige Klärungsprozesse, welche die Entscheidung für oder gegen einen Familienrat vorbereiteten. Diese Klärungen fanden einerseits mit den auftraggebenden Behörden statt, andererseits mit der involvierten Familie. Diese konnten nach den Informationsgesprächen selber entscheiden, ob sie einen Familienrat in ihrer Situation anwenden möchte oder nicht. In dieser Phase der Klärung und der Entscheidungsfindung fanden aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Verfahren Familienrat bereits Veränderungen im Familiensystem statt. Die Möglichkeit, sich zu informieren und sich dann für oder gegen einen Familienrat zu entscheiden, wurde als Empowerment und Selbstwirksamkeit erlebbar. Die positive Wirkung eines geplanten Verfahrens konnte aufgrund der Evaluation sichtbar gemacht werden. «Die Situationen zeigen, dass bereits mit der Anfrage an die Familie ein Prozess im Familiensystem ausgelöst und die Familie angeregt wird, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen» (Dietrich & Waldispühl 2019, 23). Die Evaluation konnte die Bedeutung des sogenannten «Vorschussvertrauens» in die Eigenkräfte das Familiensystem aufzeigen.

    [31]

    Interessant war auch die Erkenntnis, dass aufgrund der Evaluation keine Indikatoren-Liste für oder gegen das partizipative Verfahren entstanden ist. Grundsätzlich sind Familienräte in allen Ausgangslagen durchführbar (z. B. Erziehungsschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen des Kindes, Paarkonflikte, Besuchsrechtkonflikte, Gewalt, psychische Erkrankung der Eltern, Integrationsprobleme). In der Evaluation konnten jedoch Voraussetzungen benannt werden, wie beispielsweise die Möglichkeit einer minimalen Netzwerkerweiterung für alle beteiligten Kernfamilienmitglieder, die Bereitschaft, diese Kernfamilie zu öffnen und über die bestehende Sorge zu reden. Dies bedeutete auch Fragen zu Scham, Angst, Bedenken, Unsicherheiten aufzugreifen und zu thematisieren (Dietrich & Waldispühl 2019, 33). Hindernisse waren im Gegenzug, wenn die Familie Angst hatte, anderen zu Last zu fallen, Angst vor einer Begegnung mit Konfliktparteien oder zu grosse Bedenken hatte, alleine Lösungen finden zu müssen. Bei akuten Gefährdungssituationen wurde das Verfahren als nicht geeignet betrachtet, da es zeitaufwendig sein kann, bis die Familie und ihr Netzwerk organisiert und handlungsfähig sind (ebd. 20).

    6.3. Weiterentwicklung des Verfahrens

    [32]

    Aufgrund der Evaluation liessen sich einige Hinweise für die Weiterentwicklung des Verfahrens ableiten. Für eine breitere Anwendung des Verfahrens «Familienrat» ist noch mehr und noch besseres Informationsmaterial notwendig. Zielgruppenspezifische Unterlagen, welches die Abläufe und Wirkungen des Verfahrens klarer darstellen, könnten sowohl bei der Gewinnung von auftraggebenden Behörden mithelfen, als auch in der Zusammenarbeit mit den Familien den Klärungsprozess unterstützen. Die Evaluatorinnen empfehlen als Schwerpunkt für die Weiterentwicklung des Verfahrens eine Ausweitung der Vorbereitungsphase. Hier sei einerseits die Zusammenarbeit mit den Auftraggebenden zu intensivieren, denn es braucht gute Informationen und einen Haltungswechsel:

    «Eine enge Zusammenarbeit und Begleitung der Auftraggebenden von Beginn an, d. h., bereits vom Moment der Anfrage seitens Auftraggebenden, ob ein Familiensystem als geeignet für einen Familienrat eingeschätzt wird, braucht es die Unterstützung des Anbietenden in Form von Austausch, Rücksprache und Fallcoaching. Der Haltungswechsel von hoher behördlicher Verantwortung und Vorgaben für Lösungen für die Familiensysteme zurück zur Rückgabe von Verantwortung an die Familie und ihr Unterstützungssystem löst einen intensiven, eigenen Prozess und Diskurs aus, der teilweise auch mit der Überwindung und dem Zurückstellen von eigenen Befürchtungen verbunden ist. (….) Sowie die sorgfältige Besprechung von Sorgeerklärung, Mindestanforderungen und Planabnahme» (Dietrich & Waldispühl 2019, 41).

    [33]

    Die in der Vorbereitungsphase investierte Zeit ist für den weiteren Prozessverlauf hilfreich. Die vorliegende Evaluation beruht auf einer kleinen Datenmenge von fünf komplett durchgeführten Familienräten und den Daten von sechs weiteren Familien, die bis mindestens zum Informationsgespräch gelangt sind. In diesen Fällen hat sich das Verfahren als tauglich erwiesen und bedarf weniger einer Anpassung als vielmehr einer vielfältigeren Umsetzung. Gutes Informationsmaterial könnte behilflich sein, das Angebot als eine von verschiedenen Möglichkeiten für ambulante Unterstützung in unterschiedlichen Bereichen der Sozialen Arbeit selbstverständlich werden zu lassen.

    6.4. Fachdiskurs und Folgeprojekte

    [34]

    Die Ergebnisse aus der «Evaluation Familienrat Zentralschweiz 2019» wurden einerseits im Kreis mit der Begleit- und der Echogruppe präsentiert und diskutiert. Andererseits wurde der Dialog mit dem Netzwerk Familienrat Schweiz lanciert. An einer Fachtagung Ende 20197 wurden die Erkenntnisse vorgestellt und mit einer interessierten Fachöffentlichkeit diskutiert. Dank internationalen Referentinnen konnten die Ergebnisse aus der Zentralschweiz nicht nur in den Kontext der übrigen Deutschschweiz gestellt, sondern auch mit Erkenntnissen in Deutschland und Österreich verglichen werden. Im Rahmen der Fachtagung wurde die Gründung des Vereins «FamilienRat Schweiz» formal unterzeichnet und öffentlich gemacht. Der Verein ist aus einem losen Netzwerk entstanden und hat sich das Ziel gesetzt, das Verfahren Familienrat in der Schweiz stärker zu verbreiten, ein Monitoring der Umsetzung aufzubauen und Informationsmaterial zum Verfahren Familienrat zur Verfügung zu stellen. Eine Geschäftsstelle soll aufgebaut werden und eine Website ist entwickelt worden. Diese ist Anfang November 2020 online gegangen8.

    [35]

    Es bestehen Ideen, den Familienrat in weitere Themenfelder wie z. B. im Bereich Alter oder Erwachsenenschutz auszuweiten. Hierzu gibt es bereits interessante Pilotprojekte in Niederösterreich (Pflegerl & Sommer, 2017). Die zentralschweizerische Evaluation gab Anstoss für die Entwicklung von weiteren Forschungsfragen, die in Zukunft fachhochschul- und länderübergreifend bearbeitet werden. So wurde zusammen mit der Berner Fachhochschule ein Projekt zum Aufbau eines Monitorings in der deutschsprachigen Schweiz lanciert, und mit der österreichischen Partnerhochschule St. Pölten ist ein Forschungsprojekt zur Wirkung von durchgeführten Familienräten in Planung. Ausserdem konnte die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit eine weitere Evaluation des Pilotprojekts Familienrat beim Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) der Bildungsdirektion des Kantons Zürich durchführen und die empirische Datenlage in der Schweiz erweitern.

    7. Fazit

    [36]

    Zusammenfassend können aus der Evaluation des Familienrats Zentralschweiz einige Schlüsse für zukünftige nutzungsorientierte Evaluationen gezogen werden. Aus professioneller Sicht ist es eine idealtypische Ausganglage, wenn Evaluatorinnen und Evaluatoren vor dem Start der Pilotphase eines Projektes bereits in den Prozess involviert sind und die Evaluation vorausschauend geplant werden kann. So konnte bereits bei der Planung die nutzungsorientierte Haltung einfliessen. Micheal Quinn Pattons Prinzip aus der «Utilization-Focused Evaluation» (2013), dass Evaluierungen basierend auf ihrer Nützlichkeit für die primären beabsichtigten Benutzer geplant, durchgeführt und beurteilt werden sollten, konnte in der vorliegenden Evaluation weitgehend berücksichtigt werden.

    [37]

    In der Projektorganisation ist es gelungen, die unterschiedlichen Stakeholder von Beginn weg am Prozess zu beteiligen und deren Erfahrungen in die Evaluation einfliessen zu lassen. Der Aufwand für Koordination und inhaltliche Absprachen war beachtlich, hat sich jedoch aus Sicht von allen Beteiligten gelohnt. Das Interesse an der Evaluation konnte hochgehalten werden. Es hat sich bewährt, den zukünftig Nutzenden Zwischenergebnisse zu präsentieren und diese mit ihnen zu diskutieren. Während des Evaluationsprozesses konnten bereits auftauchende Fragen hinsichtlich der Planung und Umsetzung von zukünftigen Familienräten geklärt werden. Als nichtintendierter Nutzen hat sich der verstärkte Dialog positiv auf die Zusammenarbeit zwischen auftraggebenden Praxisorganisationen und den Fachstellen ausgewirkt. Ausserdem ist ein fachliches Netzwerk mit Vertreterinnen und Vertretern der Praxis, der Fachstelle und der Fachhochschule entstanden, welches das Pilotprojekt und die Evaluation überdauert.

    [38]

    Die Besonderheit des Verfahrens «Familienrat» und die Komplexität dieses Evaluationsgegenstandes konnte mit Hilfe des Programmbaums transparent gemacht werden. Interessant war, dass bereits ein Vertrauensvorschuss bei der Informationsphase im Familiensystem positive Veränderungen bewirken konnte und als Outcome «erlebte Selbstwirksamkeit» sichtbar wurde. Die Entscheidung, dass nicht nur die vollständig durchgeführten Familienräte, sondern auch die abgebrochenen evaluiert werden, führte dazu, dass sowohl Good-Practice-Beispiele wie auch Failed-Practice-Beispiele wichtige Hinweise für aktuelle und zukünftige Umsetzungen gaben.

    [39]

    Gelingensbedingungen und Erfolgsfaktoren der nutzungsorientierten Haltung waren in dieser Evaluation das gemeinsame Interesse von Praxis, Fachstelle und Fachhochschule. Die Nutzung der Erkenntnisse waren von Beginn weg im Fokus. Das Datum der Fachtagung bildete den Schlusspunkt und gleichzeitig den Ausgangspunkt für die Planung der Aufgabenpakete und Arbeitsschritte. Die Annahme, dass Evaluationen eher genutzt werden, wenn die intendierten Nutzenden möglichst früh involviert sind, konnte in der vorliegenden Evaluation bestätigt werden. Die beteiligten Nutzerinnen und Nutzer fanden die Evaluation sinnvoll, fühlten sich mitverantwortlich, fanden die Fragen relevant und waren sehr interessiert an den Resultaten.


    Prof. Pia Gabriel-Schärer, Vizedirektorin der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit und Leiterin des Instituts «Sozialpädagogik und Bildung». Kontakt: pia.gabriel.@hslu.ch.

    Ich danke Stefan Immoos, Franziska Beer und Iris Waldispühl von der Fachstelle Kinderbetreuung Zentralschweiz sowie Annette Dietrich von der Hochschule Luzern und allen weiteren Beteiligten der Begleit-und Echogruppe für die konstruktive Zusammenarbeit.


    Literatur

    • Beywl, Wolfgang Kehr, Jochen Mäder, Susanne Niestroy, Melanie (2017): Evaluation Schritt für Schritt: Planung von Evaluationen. Münster: heidelberger institut beruf und arbeit (hiba): Band 20/26 (3. Auflage, Original 2007).
    • Brandt, Tasso (2007): Sozialer Kontext der Evaluation, in: Stockmann, Reinhard (Hrsg.), Handbuch zu Evaluation. Münster: Waxmann, S. 164–194.
    • Dietrich, Annette / Waldispühl, Iris (2019): Projekt Familienrat der Fachstelle Kinderbetreuung Luzern, Evaluationsbericht. Luzern: Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. https://www.hslu.ch/de-ch/soziale-arbeit/agenda/veranstaltungen/2019/11/06/fachtagung-familienrat-2019
    • Dietrich, Annette (2020): Familienrat / Family Group Conference – ein erfolgsversprechendes Verfahren im Kindesschutz, in: Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz (ZKE) 2/2020, S. 151–162.
    • Farrokhzad, Schahrzad / Mäder, Susanne (2014): Nutzenorientierte Evaluation. Münster: Waxmann.
    • Früchtel, Frank / Roth, Erzsébet (2017): Familienrat und inklusive, versammelnde Methoden des Helfens. Heidelberg: Carl-Auer.
    • Früchtel, Frank / Hampe-Grosser, Andreas (2010): Was leisten Familienräte? Eine qualitative Auswertung von 39 Familienräten im Bezirk Berlin-Mitte, in: Zeitschrift NDV, November 2010.
    • Hauri, Andrea / Rosch, Daniel (2018): Familienrat (Family Group Conference) im Spannungsfeld zwischen methodischen Ansprüchen, verfahrensrechtlichen Möglichkeiten und Persönlichkeitsschutz, in: FamPra.ch 3/2018, S. 677–698.
    • Hirter, Livia / Kuhn, Leandra (2019): Erfahrungen mit dem Familienrat. Ergebnisse einer Vorstudie, in: BFH impuls 1/2019, S. 20–21.
    • Hirter, Livia Kuhn, Leandra (2018): Forschungsbericht zur Vorstudie Familienrat. Erfahrungen von Auftraggebenden empirisch ausgewertet. Unveröffentlichte Projektarbeit im Rahmen des Masterstudiengangs in Sozialer Arbeit.
    • Immoos, Stefan (2019): Jahresbericht 2018. Fachstelle Kinderbetreuung Zentralschweiz. www.fachstellekinder.ch
    • Patton, Michael Quinn (2013): Checkliste zur nutzungsfokussierten Evaluation (N-FE). Original (2002) wurde von Wolfgang Beywl 2006 ins Deutsche übersetzt. Aktualisierte und erweiterte Version von 2013. https://wmich.edu/sites/default/files/attachments/u350/2018/ufe-patton.pdf
    • SEVAL (2016): Evaluationsstandards der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft. https://www.seval.ch/app/uploads/2018/01/SEVAL-Standards-2016_d.pdf
    • Pflegerl, Johannes Sommer, Sabine (2017): Betreuung älterer Familienangehöriger. Die Methode der «Unterstützungskonferenz» hat Potenzial, in: Zeitschrift «beziehungsweise» Informationsdienst des österreichischen Instituts für Familienforschung. Universität Wien. www.oif.ac.ct
    • Quick, Christa (2018): Familienrat – ein durch und durch kooperatives Hilfeverfahren, in: Schwyter, René / Spillmann, Markus (Hrsg.), Grundhaltung der Kooperation. Aarau: Schiess-Beratung von Organisationen AG.
    • Wiess, Claudia (2019): Überraschende Lösungen aus eigener Kraft. Beim Familienrat versucht die Familie, selber Hilfe aus ihrem Umfeld zu organisieren, in: Fachzeitschrift CURAVIVA 4/19, S. 38–41. https://cdn-cl01.epaper.guru/content/44687424-6987-41e4-a2bb-5fe071f4cfe6/6aee7160-8e70-49a6-be53-b928dd4dcace/asset/download.pdf?sessionId=3a9cceed-8a9a-4273-9a77-77c13771d830&collectionGuid=35E0C155-AAF4-4C10-A9BE-AD2B52007D05

    1. 1 Vgl. www.familienrat-bern.ch.
    2. 2 Vgl. https://www.solokes.ch/fuer-kinder-und-ihre-eltern/.
    3. 3 Vgl. www.bfh.ch/de/weiterbildung/fachkurse/koordinatorin-koordinator-familienrat-family-group-conference/.
    4. 4 Vgl. www.fachstellekinder.ch.
    5. 5 Frank Früchtel von der Fachhochschule Potsdam hat uns seine Instrumente (FamBo 2011, 2014, 2017), die er für das Monitoring in Deutschland entwickelt hat, für die Weiterentwicklung im zentralschweizerischen Kontext zur Verfügung gestellt. Ausserdem gab es einen Fragebogen, welcher im Netzwerk Familienrat Bern entwickelt wurde und in der Testphase der Fachstelle Kinderbetreuung Luzern (2015–2017) bereits eingesetzt wurde.
    6. 6 SEG ist das Gesetz über soziale Einrichtungen des Kanton Luzern (SRL 89).
    7. 7 Hochschule Luzern (2019). Fachtagung «Familienrat/Family Group: Conference – ein partizipatives Verfahren für Familien in herausfordernden Situationen» https://www.hslu.ch/de-ch/soziale-arbeit/agenda/veranstaltungen/2019/11/06/fachtagung-familienrat-2019/?sourceurl=/fachtagung-familienrat.
    8. 8 https://familienratschweiz.ch.
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