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Der nachfolgende Beitrag ist Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Fleiner gewidmet. Thomas Fleiner war nicht nur Staatsrechtslehrer und passionierter Verfechter guter Gesetzgebung, sondern bis zuletzt – und vor allem – ein treuer Freund. Ich habe ihm sehr vieles zu verdanken, insbesondere würde ich ohne ihn wohl nicht die spannenden Projekte LexFind, LexWork und Intlex verantworten dürfen.
Thomas Fleiner ist am 24. November 2023 gestorben. Ich bin mir sicher, dass er diesen Beitrag mit viel Freude gelesen hätte.
Das wohl prominenteste Datum in Erlassen ist das Beschlussdatum (auch «vom-Datum» oder schlicht «Datum» genannt). Dieses befindet sich immer gleich nach bzw. unterhalb des Titels.
Das Beschlussdatum entspricht in aller Regel nicht dem Datum des Inkrafttretens. Es wird in der chronologischen Sammlung meistens immer doppelt erwähnt: Einerseits unterhalb des Titels und andererseits am Schluss des Erlasses bei den Signaturen (wo auch Ort und Datum angegeben sind). Da die Unterschriften zu den formellen Aspekten des jeweiligen Beschlusses gehören und nicht das materielle Recht betreffen, werden diese in der systematischen Sammlung nicht abgedruckt. Aus den gleichen Gründen werden auch Ort und Datum entfernt.
Welches Datum wird als Beschlussdatum verwendet?
Das Beschlussdatum bezeichnet das Datum, an dem der Erlass in seiner ursprünglichen Form beschlossen worden ist, d.h. jenes Datum, an dem der Inhalt vom zuständigen politischen Organ verbindlich festgelegt worden ist. Die Definition in den Gesetzestechnischen Richtlinien des Bundes lautet wie folgt:
«Jeder Erlass trägt ein Datum. Es ist das Datum, an dem der Erlass vom erlassenden Organ verabschiedet wurde, und zwar der Grunderlass, nicht die späteren Änderungen. Dieses Datum kann sowohl in der AS als auch in der SR unter dem Titel abgelesen werden
(«vom …»).» (GTR Randziffer 21)
Bei Gesetzen entspricht dies in der Regel dem Datum der Schlussabstimmung im Parlament, d.h. grundsätzlich der zweiten Lesung bzw. der Schlussabstimmung im Zweitrat auf Bundesebene. Bei Verordnungen oder anderen Erlassen der Exekutive entspricht es dem Datum der Verabschiedung.
Wird ein Erlass nachträglich mittels Teilrevision verändert, wird das Beschlussdatum nicht angepasst, da sich diese Angabe immer auf die erste Fassung eines Erlasses bezieht. Einzig bei Totalrevisionen, bei denen ein neuer Erlass zum gleichen Thema verabschiedet und gleichzeitig der bisherige Erlass aufgehoben wird, wird das Beschlussdatum ersetzt. Dies lässt sich dadurch erklären, dass in einem solchen Fall ein alter durch einen neuen Erlass ersetzt wird.
Das Beschlussdatum wird auch bei Teilrevisionen festgehalten. Dieses «kleine Beschlussdatum» wird jedoch nur in der chronologischen Rechtssammlung, bei der Publikation der Änderung unterhalb des Titels der Mutation, abgedruckt. In der systematischen Sammlung erscheint es in der Änderungstabelle; beim Bund und der Minderheit der Kantone, die immer noch Änderungsfussnoten verwenden, wird es in diese aufgenommen.
Folglich soll das Beschlussdatum den Zeitpunkt festhalten, an welchem der Inhalt eines Erlasses vom politisch zuständigen Organ erstmals festgelegt worden ist.
Bei den Verfassungen besteht eine unterschiedliche Praxis bezüglich des Datums, das als Beschlussdatum verwendet wird: Der Bund sowie die Kantone Bern, Uri, Obwalden, Nidwalden, Solothurn, Basel-Landschaft, Appenzell-Ausserrhoden, St.Gallen, Graubünden, Tessin, Neuenburg, Genf und Jura weisen als Beschlussdatum das Datum der Volksabstimmung aus.
Hingegen verwenden die Kantone Zürich, Luzern, Schwyz, Zug, Freiburg, Basel-Stadt, Schaffhausen, Aargau, Thurgau, Waadt und Wallis als Beschlussdatum – analog zu den Gesetzen – das Datum der Schlussabstimmung im Parlament.
Die beiden Landsgemeinde-Kantone Glarus und Appenzell-Innerrhoden verwenden als Beschlussdatum das Datum der Landsgemeinde.
Auch bei Gesetzen und anderen referendumsfähigen Erlassen ist die Praxis unterschiedlich:
Teilweise verwenden bzw. verwendeten die Kantone auch bei Gesetzen und interkantonalen Vereinbarungen, die Gegenstand von Volksabstimmungen waren, als Beschlussdatum das Datum der Volksabstimmungen. Dies ist derzeit Praxis u.a. in den Kantonen Zürich (bei Volksinitiativen), Bern, Uri (der immer noch das obligatorische Gesetzesreferendum kennt), Solothurn und St. Gallen. Bis zur Abschaffung des obligatorischen Referendums bestand diese Praxis auch im Kanton Graubünden.
Beispiel aus dem Kanton Solothurn:
Wie der Name schon sagt, soll mit dem Beschlussdatum das Datum des Beschlusses festgehalten werden. Unter Beschluss wird die Handlung verstanden, die einen bestimmten Sachverhalt in einer bestimmten Weise regelt. Dabei geht es nach vorliegender Auffassung um die Kompetenz – im Unterschied zur reinen Genehmigung –, eine Regelung zu erarbeiten oder einen Vorschlag abändern zu können.
Eine Volksabstimmung ist jedoch prinzipiell nicht geeignet, einen Beschluss zu formulieren, da sie aufgrund ihrer Natur nur binär, mit «ja» oder «nein», ausgehen kann. Einem Referendum, sei es fakultativ oder obligatorisch wie bei den Verfassungen, kommt daher immer der Charakter einer «Genehmigung» eines im Vorfeld getroffenen Beschlusses und weniger jener eines eigenständigen Beschlusses zu. Soll mit dem Beschlussdatum effektiv das Datum festgehalten werden, an welchem der Wortlaut festgelegt wurde, so muss konsequenterweise dieses Datum verwendet werden, auch wenn eine Volksabstimmung stattgefunden hat. Mit anderen Worten sollte nie das Datum des Volksentscheids als Beschlussdatum genannt werden.
Bei Verfassungsänderungen, die auf eine Behördenvorlage zurückgehen, sollte deshalb – analog zu Gesetzen – das Datum der Schlussabstimmung verwendet werden. Bei Initiativen findet in der Regel keine Schlussabstimmung statt bzw. wird der Wortlaut nicht in einer parlamentarischen Auseinandersetzung festgelegt. Doch auch in diesem Fall müsste das Datum der Festlegung des Wortlauts verwendet werden, d.h. jenes der Publikation der Vorprüfung, nach welcher der Text nicht mehr verändert wird und die Unterschriften gesammelt werden können.
Verschiedene Kantone (insbesondere Freiburg, Waadt und Wallis) erlassen auch bei Volksinitiativen einen Beschluss des Parlaments mit der Abstimmungsfrage und verwenden anschliessend dieses Datum als Beschlussdatum. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Kanton Thurgau bei Volksinitiativen als Beschlussdatum das Datum des Entscheids des Grossen Rats über die Gültigkeit der Initiative angibt.
Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Fixierung des Textes verhindert ausserdem die eher ungelenken und missverständlichen Formulierungen, wie sie z.B. im Bundesbeschluss über eine neue Bundesverfassung vom 18. Dezember 1998 (BBl 1999 I 162) bei «vom» enthalten ist:
Und in Fussnote 2:
So betrachtet, wird die aktuelle Bundesverfassung mit dem falschen Datum zitiert: Anstelle des 18. Aprils 1999 sollte eher der 18. Dezember 1998 verwendet werden.
In der Bundesverfassung von 1874 wurde übrigens wieder ein anderes Beschlussdatum verwendet: Das «offizielle Beschlussdatum» (d.h. «vom-Datum») vom 29. Mai 1874 bezeichnet das Datum der Erwahrung der Abstimmung und nicht jenes der Volksabstimmung, die am 19. April 1874 durchgeführt worden ist. Das eigentliche Beschlussdatum, d.h. die Verabschiedung des Textes durch das Parlament, war der 31. Januar 1874 (National- und Ständerat) (Vgl. AS N.F. [Neue Folge, d.h. ab 1874] 1 S. 37 ff).
Verschiedentlich existieren noch heute Erlasse mit Doppel- oder sogar Mehrfachdaten. In der Regel handelt es sich dabei um interkantonale oder internationale Vereinbarungen, die erst mit Zustimmung aller Parteien beschlossen werden konnten. Als Beispiele können genannt werden:
- Gegenrechtsvereinbarung zwischen den Kantonen Zürich und Waadt über die Befreiung von der Erbschafts- und Schenkungssteuer, vom 26. Mai/14. Juli 1982 (ZH 672.621)
- Seedammvertrag zwischen den Kantonen St. Gallen, Schwyz und Zürich und der Schweizerischen Südostbahn, vom 4./9./11./18. Juni 1938 (SZ 442.411.1) oder
- Notenaustausch vom 23. August 1978/10. Januar 1979 betreffend die Anwendung zwischen der Schweiz und der Republik Nauru des Abkommens vom 3. Dezember 1937 zwischen der Schweiz und Grossbritannien über Zivilprozessrecht (SR 0.274.185.791)
In solchen Fällen muss jedoch beachtet werden, dass eine Vereinbarung, die zwischen zwei Kantonen bzw. Staaten getroffen wird, analog zum Vertragsschluss im Privatrecht, mit der Willensäusserung eines Kantons bzw. Staates noch keinerlei Wirkung entfalten kann. Denn wenn nur eine Partei einen Vertrag annimmt, ist der Vertrag noch gar nicht zustande gekommen. Erst mit dem Beschluss (Zustimmung) der zweiten Partei wird der Vertrag abgeschlossen. In diesem Sinne können Doppel- bzw. Mehrfach-Beschlussdaten gar nicht existieren.
Bei bilateralen Verträgen ist deshalb immer der Beschluss des zweiten Kantons entscheidend, weshalb stets dieses Datum verwendet werden sollte. Bei Verträgen mit mehr Parteien ist entscheidend, ab wann die Quorumsvoraussetzungen für das Inkrafttreten erreicht sind (vgl. unten Ziff. 1.3.2). Bei Verträgen, bei denen Mehrfachdaten verwendet werden, ist regelmässig die Zustimmung aller beteiligen Kantone erforderlich, weshalb dort ebenfalls das letzte Datum verwendet werden sollte.
Heute kommen mehrfache Beschlussdaten aber nur noch in jenen Kantonen (und im Bund) vor, die ihre Erlasse noch nicht voll digitalisiert verwalten, da in der digitalen Welt Beschlussdaten ohnehin eindeutig sein müssen.
Im Bereich des interkantonalen Rechts können weitere Besonderheiten beobachtet werden. Dabei ist zwischen dem eigentlichen Vertragsrecht und dem interkantonalen Ausführungsrecht zu unterscheiden:
Interkantonales Ausführungsrecht wird von interkantonalen Organen gestützt auf eine Grundlage in einer interkantonalen Vereinbarung erlassen (vgl. Art. 48 Abs. 4 BV). Dort ist die entsprechende Organisation durch die Vereinbarung zur direkten Rechtsetzung legitimiert. Die Kantone müssen das so erlassene Recht auch nicht genehmigen, sondern nur publizieren. Dieses Recht verhält sich hinsichtlich des Beschluss- und Inkrafttretens analog zum innerkantonalen Recht: Beschluss- und Inkrafttretensdatum richten sich nach dem Beschluss des interkantonalen Organs.
Das eigentliche multilaterale Vertragsrecht, z.B. die Konkordate von regionaler oder schweizweiter Tragweite, wie jene über Seilbahnen (Konkordat über die nicht eidgenössisch konzessionierten Seilbahnen und Skilifte, Intlex iSR 7.8-1.1), Schule (z.B. Konkordat über die Schulkoordination, iSR 4.2-1.1), Hooligans (Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, iSR 5.3-1.3) usw. werden in der Regel an einer Sitzung durch ein Gremium, beispielsweise eine Konferenz, beschlossen und stehen anschliessend den Kantonen zum Beitritt offen.
Praxisgemäss wird in solchen Fällen das Datum der Festsetzung des Wortlauts durch das Gremium als Beschlussdatum verwendet, was – auf den ersten Blick – auch der allgemeinen Definition des Beschlussdatums entspricht. Allerdings besteht ein Unterschied zum innerkantonalen Recht darin, dass den interkantonalen Gremien, im Gegensatz zu Parlamenten oder anderen politischen Behörden, keine Rechtsetzungskompetenz zukommt. Sie können nur Vorschläge erarbeiten, denen die innerkantonalen Organe «beitreten» können.
Im Zeitpunkt der Festsetzung des Wortlauts entsteht somit keinerlei rechtsetzende Wirkung. Die eigentliche rechtsetzende Wirkung setzt erst dann ein, wenn die Kantone beitreten bzw. das notwendige Quorum erreicht ist, das für ein Inkrafttreten erforderlich ist.
Theoretisch könnten die Parlamente auch den Wortlaut eines Vereinbarungs-Vorschlags abändern oder Bestimmungen vom Beitritt ausschliessen, da sie – im Gegensatz zu einer reinen Genehmigung (vgl. oben Ziff. 1.2) – nicht an den Wortlaut gebunden sind und kraft Rechtsetzungskompetenz das Recht frei definieren können. Es ist jedoch ständige Praxis der Kantone, dass der eigentliche Wortlaut nicht abgeändert wird, dies wohl auch deshalb, weil ansonsten das Verfahren stark erschwert würde.
Allerdings finden sich in den Beitrittserlassen auch konkretisierende Bestimmungen zu Vereinbarungen, so beispielweise zu den Vollzugszuständigkeiten innerkantonaler Behörden, seltener sogar Ausschlüsse von einzelnen Bestimmungen (vgl. z.B. der Kanton Schaffhausen beim Konkordat über die Schulkoordination, iSR 4.2-1.1, der die im Konkordat vorgesehene Regelung betreffend das Schuleintrittsalter und den Beginn des Schuljahres nicht übernommen hat.). Ebenfalls ist es möglich, dass die Kantone nicht alle Änderungen einer Vereinbarung übernehmen oder nur gewissen Bereichen einer Vereinbarung beitreten (vgl. dazu z.B. die Interkantonale Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE), iSR 8.7-1.1). Allenfalls riskiert jedoch ein Kanton, der von einer Vereinbarung abweicht, dass die anderen Kantone in der Folge den Beitritt verweigern1.
Zusammengefasst werden interkantonale Vereinbarungen nicht von interkantonalen Gremien, sondern erst mit dem Beitritt der Kantone «beschlossen». Deshalb sollte nicht das Datum des Beschlusses des interkantonalen Gremiums verwendet werden. Stattdessen sollte vielmehr das Datum des kantonalen Beitrittsbeschlusses als Beschlussdatum der Vereinbarung verwendet werden, da die zuständige Behörde an diesem Tag beschlossen hat, das interkantonale Recht anzuwenden.
Man kann zwar durchaus auch argumentieren, dass das interkantonale Recht bereits auf interkantonaler Ebene beschlossen und die Beitritte der Kantone nur eine Genehmigung darstellen. Dies entspricht auch der kantonalen Publikationspraxis und hat den Vorteil, dass die Beschlussdaten von interkantonalen Vereinbarungen (meistens!) in allen Kantonen gleich lauten. Neben der fehlenden Rechtsetzungskompetenz des entsprechenden Gremiums haben diese Beschlussdaten jedoch auch die Besonderheit, dass sie bei einem nachträglichen Beitritt eines Kantons weit in der Vergangenheit liegen und deshalb zu Verwirrung führen können.
Jedenfalls ist bei genauer Untersuchung der Beschlussdaten im interkantonalen Kontext offensichtlich, dass das klassische Konzept des Beschlussdatums und dessen Handhabung in der Praxis nicht ganz zueinander passen.
Die optimale Lösung für die Publikation des interkantonalen Rechts liegt aber ohnehin nicht in der Optimierung der kantonalen Publikationen, sondern in einer zentralen Publikation des interkantonalen Rechts für alle Kantone, da dadurch Widersprüche zwischen den kantonalen Publikationen vermieden werden (vgl. dazu Ivanov/Roth 2013, S. 201 ff.).
Im Portal Intlex (www.intlex.ch) sind bereits heute die massgebenden Vereinbarungen der Kantone erfasst, die dieses Projekt unterstützen (derzeit Zug, St. Gallen, Wallis, Graubünden, Thurgau und Schaffhausen). Ziel dieses Projekts ist es, das interkantonale Recht der beteiligten Kantone widerspruchsfrei darstellen zu können.
Im Zusammenhang mit dem Beschlussdatum ist festzustellen, dass Intlex insbesondere aus den obenstehenden Gründen den Begriff des Beschlussdatums vermeidet und stattdessen (derzeit) den Begriff des «ersten Beitritts» verwendet. Möglicherweise wird bei Intlex künftig auch das Datum des Beschlusses des Kantons verwendet, der zur Gültigkeit der Vereinbarung führt, d.h. der Zeitpunkt, ab dem die Inkrafttretensbedingungen erfüllt sind. Voraussetzung dafür ist jedoch eine präzise Erhebung der Beitrittsdaten, die derzeit aufgrund der teilweise lückenhaften Publikation des interkantonalen Rechts der Kantone noch nicht immer möglich ist.
Das Beschlussdatum verdankt seine prominente Darstellung in den Erlassen den Ursprüngen unserer modernen Erlasspublikation, ab ca. 1803. Bereits damals wurde es gleich unterhalb des Titels erwähnt (vgl. dazu die Online-Publikationen der chronologischen Gesetzessammlungen der Kantone Graubünden und Wallis, die bis in diese Zeit zurückreichen2 oder die Gesetzessammlung des Kantons Obwalden, die bis 1899 erfasst ist3).
Seinerzeit war ein separates Inkrafttretensdatum eher unüblich; vielmehr traten die Erlasse meistens mit deren Verabschiedung in Kraft (referendumspflichtige Erlasse ausgenommen). Dieses «sofortige Inkrafttreten» stellte eine pragmatische Lösung dar, die bis heute immer noch anzutreffen ist (vgl. dazu unten Ziff. 3.6).
Wann genau das vom Beschlussdatum unabhängige Inkrafttreten aufgekommen ist, kann im vorliegenden Aufsatz nicht abschliessend beantwortet werden. Jedenfalls stellen Inkrafttretensbestimmungen auch in den ersten Ausgaben der AS (Neue Folge) bei nicht referendumspflichtigen Erlassen eine grosse Ausnahme dar und wenn das Inkrafttreten erwähnt wurde, traten die Erlasse meistens «sofort» in Kraft.
Zusätzlich gilt zu bedenken, dass es im 19. Jahrhundert kaum Teilrevisionen gab. Die Totalrevision wurde viel häufiger angewendet, zumal es ja seinerzeit auch keine systematischen Sammlungen gab und man nur chronologische Sammlungen kannte.
Das Beschlussdatum war damals wichtiger als heute, weil damit recht häufig auch das Inkrafttreten gemeint war und sich die Frage nach dem «Stand» (vgl. dazu unten Ziff. 2) gar nicht stellte. Es musste nur die richtige Totalrevision gefunden werden.
Jedenfalls kann festgestellt werden, dass die Nennung des Beschlussdatums unterhalb des Titels in der Schweiz bereits seit der Mediation üblich zu sein scheint.
Eine der wichtigsten Funktionen des Beschlussdatums liegt in seiner Verwendung bei der Erlasszitierung.
Grundsätzlich sehen alle (dem Autor bekannten) Zitierregeln vor, dass Erlasse immer mit Titel und Beschlussdatum genannt werden sollen. Als Beispiel können die Zitierregeln des Bundesgerichts erwähnt werden4:
«Beim erstmaligen Zitieren eines Erlasses werden folgende Elemente aufgeführt: Erlassform, Datum des Erlasses, vollständiger Titel oder offizieller Kurztitel, in Klammern die offizielle Abkürzung und die Fundstelle (SR-Nummer) des Erlasses, getrennt durch ein Semikolon.»
Die offensichtliche Frage, die sich stellt, lautet: Ist die Angabe des Beschlussdatums für die Zitierung effektiv hilfreich oder nicht?
Die Zitierregeln gehen offensichtlich davon aus, dass Erlasse mit demselben Titel anhand des Beschlussdatums auseinandergehalten werden können bzw. müssen. Allerdings hilft das in der heutigen Zeit nur noch bedingt: Nur eine kleine Zahl von Erlassen wird regelmässig mittels Totalrevision erneuert. Als Beispiele können der «Kantonsratsbeschluss über die Verteilung der Sitze auf die sechs Kantonsratswahlkreise» (LU 11) oder «jährliche Erlasse» wie z.B. die «Verordnung zur Prämienverbilligung für das Jahr 2024» von Nidwalden (NW 742.111) genannt werden.
Anstelle der Totalrevision wird heutzutage viel öfter das Instrument der Teilrevision verwendet, um Erlasse zu ändern. Da sich aber das Beschlussdatum bei einer Teilrevision nicht ändert, hilft dessen Angabe nicht bei der Auswahl einer bestimmten Fassung. Je öfter ein Erlass teilrevidiert wird, desto mehr verliert das Beschlussdatum an Aussagekraft. Als Beispiel kann auf Bundesebene – als Gesetz mit einer nicht übermässigen Änderungshäufigkeit – das Verwaltungsverfahrensgesetz (
Schliesslich lässt das Beschlussdatum mit den heutigen Inkrafttretensregelungen (vgl. unten Ziff. 3) auch keinen Schluss mehr auf das Inkrafttreten zu.
Die aktuellen Zitierregeln sind deshalb veraltet und sollten modernisiert werden. Entscheidend für eine eindeutige Zitierung wäre die Angabe der jeweiligen Entität (z.B. Bund oder der jeweilige Kanton), sofern diese nicht eindeutig aus dem Kontext ersichtlich ist, der systematischen Nummer als «Identifikator» des Erlasses und des «Standdatums» als Versionsselektion. Da Titel, Kurztitel und Abkürzungen im Rahmen einer Teilrevision geändert werden können, sind diese nicht eindeutig (vgl. dazu Roth 2020, Ziff. 6). Da sie aber immer den Kontext des jeweiligen Zitats erhellen, sollte mindestens eines dieser Elemente für die Zitierung ebenfalls verwendet werden.
Vor dem Hintergrund seiner schwindenden Bedeutung, insbesondere bei der juristischen Recherche, stellt sich schliesslich die Frage, ob die Erwähnung des Beschlussdatums unterhalb des Titels heute noch sinnvoll bzw. zeitgemäss ist. Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, ist vielmehr das Standdatum der entscheidende Faktor für die Definition einer bestimmten Fassung. Das Beschlussdatum könnte daher ohne Weiteres aus dem Kopf des Erlasses gestrichen werden. Dadurch würde auch kein Informationsverlust eintreten, da sichergestellt ist, dass es weiterhin im Erlass zu finden ist: in der chronologischen Sammlung bei den Signaturen und in der systematischen Sammlung in der Änderungstabelle, soweit eine solche vorhanden ist.
Das Standdatum ist ebenfalls ein augenfälliges Datum, da es in der systematischen Sammlung jeweils auf der ersten Seite erwähnt wird (i.d.R. folgt es gleich auf das Beschlussdatum). Heute versehen der Bund sowie alle Kantone bis auf Zürich, Schwyz, Schaffhausen und Jura die Erlasse mit einem Standdatum.
Das Standdatum bezeichnet (fast) immer das Datum, an welchem die letzte Änderung in einem Erlass in Kraft getreten ist. Mit anderen Worten kann aus diesem Datum geschlossen werden, ab wann eine Erlassversion anwendbar ist.
Das Portal LexFind (www.lexfind.ch) verwendet als Standdatum stets das Datum in diesem Sinn, weshalb es von den Angaben des Bundes und der Kantone abweichen kann. LexFind weist das Standdatum auch für die Erlasse jener Kantone aus, die dieses Datum nicht führen.
Die Angabe des Standdatums beim Bund ist bei genauer Betrachtung missverständlich:
Bis zum 1. März 2007 verwendete der Bund als «Standdatum» das Datum der letzten Publikation in der AS und nicht jenes des letzten Inkrafttretens5. Zwar bereinigt der Bund seit einigen Jahren die Standdaten nach altem Muster, doch kann es heute noch hin und wieder sein, dass man auf ein solches «altes» Standdatum trifft (vgl. z.B. Verordnung über die Abgasemissionen von Motorfahrrädern; SR 741.435.4). In diesen Fällen muss anhand der Fussnoten geprüft werden, ob das Standdatum auch dem Inkrafttreten einer Änderung entspricht oder nicht.
Bei Staatsverträgen vergibt der Bund jeweils ein neues Standdatum, wenn der Geltungsbereich (Änderung bei den Staaten, die einem Staatsvertrag bei- bzw. ausgetreten sind) nachgeführt worden ist. Dies widerspricht der Definition des Standdatums, da mit der Änderung des Geltungsbereichs sich der materielle Inhalt einer Norm nicht verändert. Änderungen bei der Nachführung des Geltungsbereichs ändern immer dieselbe Fassung und es entsteht keine neue, weshalb das Standdatum gleich bleiben sollte. Das Standdatum bei Staatsverträgen kann somit entweder das Inkrafttreten der letzten Änderung oder die letzte Nachführung des Geltungsbereichs bedeuten. Was damit genau gemeint ist, muss jeweils im Text recherchiert werden.
Schliesslich vergibt der Bund auch ein neues Standdatum, wenn eine formelle Berichtigung in der AS publiziert worden ist (vgl. z.B. die «Verordnung über Fernmeldeanlagen», SR 784.101.2, die am 15. Januar berichtigt worden ist). Auch dies ist falsch, da eine formelle Berichtigung ex tunc wirkt: Wenn beispielsweise wie bei der obenerwähnten «Verordnung über Fernmeldeanlagen» per 1. Januar 2024 eine neue Fassung publiziert wird, die am 15. Januar 2024 berichtigt wird, gilt die Berichtigung bereits ab dem 1. Januar 2024, da der politische Willen zu jenem Zeitpunkt bestanden hatte, jedoch unzureichend bzw. fehlerhaft wiedergegeben war. Mit anderen Worten gilt die Regelung gemäss der Berichtigung von Anfang an und das «fehlerhafte» Recht kommt nie zur Anwendung. Allfällige vor der Berichtigung bereits vorgenommene Verwaltungshandlungen müssen entsprechend korrigiert werden. Eine Fassung mit dem Standdatum der Berichtigung kann es daher nicht geben. Eine berichtigte Fassung trägt deshalb auch dasselbe Standdatum wie die zunächst fehlerhafte Fassung. Der Hinweis auf die Berichtigung sollte aber in der neuen Fassung selbstverständlich enthalten sein.
Bei der Publikation der Kantonsverfassungen in der SR weicht der Bund ebenfalls vom eigentlichen Standdatum ab: Dort bezeichnet das Standdatum nicht etwa das Inkrafttreten der letzten Änderung, sondern das Datum des letzten Gewährleistungsbeschlusses. Allerdings muss die Gewährleistung vom Inkrafttreten unterschieden werden, da sie bloss über eine deklaratorische Wirkung verfügt (vgl. Ruch 2014). Da der Bund die Kantonsverfassungen zudem erst mit dem Gewährleistungsbeschluss konsolidiert publiziert, weicht nicht nur das Standdatum von den kantonalen Publikationen ab, sondern unter Umständen – und viel gefährlicher – sogar der Wortlaut.
Die Publikation des Bundes der Kantonsverfassungen ist deshalb erheblich unzuverlässiger als jene des betreffenden Kantons, weshalb von deren Verwendung dringend abzuraten ist.
Der Bund sollte in Zeiten der – meist tagesaktuellen – elektronischen Publikation der Kantone diesen alten Zopf aufgeben und auf die Publikation der Kantonsverfassungen in der SR verzichten.
Im Portal LexFind können deshalb insbesondere die Standdaten bei den Erlassen des Bundes aufgrund der genannten Besonderheiten von den Angaben des Bundes abweichen.
In den Kantonen besteht eine einheitliche Praxis hinsichtlich des Standdatums: Es wird stets das Inkrafttretensdatum der letzten Änderung des Erlasses angegeben.
LexFind verwendet als Standdatum ebenfalls ausschliesslich das Datum der letzten Änderung eines Erlasses.
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Inkrafttreten würde den Umfang dieses Beitrags sprengen, weshalb vorliegend nur einzelne Aspekte wiedergegeben werden können (vgl. ausführlicher Roth 2011, S. 215 ff.).
Das Inkrafttreten meint den Zeitpunkt, ab dem ein Erlass angewendet bzw. vollzogen werden kann oder darf. Es bildet, neben der Publikation, die zweite Voraussetzung, damit das Recht angewendet bzw. durchgesetzt werden kann. Wenn Recht in Kraft getreten, aber nicht publiziert worden ist, kann dem Einzelnen die Unkenntnis dieses Rechts nicht vorgeworfen werden. Demgegenüber muss der Staat auch in Kraft stehendes unpubliziertes Recht natürlich kennen und gegen sich gelten lassen. So gesehen bedeutet das Inkrafttreten zunächst auch die Verbindlichkeit des Rechts gegenüber dem Staat (vgl. dazu Roth 2011, S. 220).
Wird nur ein Datum genannt, treten die Erlasse immer am Tagesbeginn (d.h. 0:00 Uhr) in Kraft. Das Inkrafttreten kann auch mit einer Zeitangabe versehen sein. Als Beispiel dazu kann die «Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine» (SR 946.231.176.72) genannt werden, die am 4. März 2022 um 18:00 Uhr in Kraft trat. Ob und wie solche Zeitangaben effektiv durchgesetzt werden, kann dahingestellt bleiben. Jedoch kann festgestellt werden, dass die Inkrafttretensbestimmung der (inzwischen aufgehobenen) «Verordnung zur Gewährung von Krediten und Solidarbürgschaften infolge des Coronavirus» (SR 951.261, bzw. AS 2020 1077) eigentlich einen Pleonasmus darstellte:
Dass die Erlasse überhaupt das Inkrafttreten regeln, hat in der Schweiz zwei Gründe:
Zunächst gibt es den Fall, wo Erlasse einem Referendum unterstehen oder einer anderen Genehmigung unterliegen. In diesen Konstellationen kann der Erlass nicht sofort in Kraft treten: Entweder wird die Exekutive beauftragt, das Inkrafttreten zu bestimmen oder das Inkrafttreten wird so festgelegt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach das Genehmigungsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen ist.
Etwas intransparent sind in diesem Zusammenhang Formulierungen, wie «tritt mit der Genehmigung durch xy in Kraft», die insbesondere im kommunalen Recht anzutreffen sind, da in solchen Fällen oft das Datum der Genehmigung schlecht dokumentiert wird und zumindest eine leichte Rückwirkung provoziert wird, indem zwischen Genehmigung und Publikation noch mehrere Tage vergehen können.
Sodann stellt das Inkrafttreten seit jeher auch ein Instrument des Übergangsrechts dar, welches die Transition vom bisherigen zum neuen Recht erleichtern soll. Bereits in den frühen Publikationen findet sich das Inkrafttreten auch teilweise unter dem Titel «Übergangsbestimmungen» (vgl. z.B. das «Extrapostreglement der schweizerischen Eidgenossenschaft», AS 1 (N.F.) 387). Das Recht soll so vorhersehbar werden und es soll allen Akteuren die Möglichkeit gegeben werden, sich an das neue Recht anzupassen (vgl. dazu unten Ziff. 3.5).
Der Terminus «Inkrafttreten» hat sich im Lauf der Zeit verändert und muss vom Begriff der «Rechtskraft» unterschieden werden.
Gemäss den ersten Ausgaben der AS wurde sehr oft der Zeitpunkt der formellen Gültigkeit eines Erlasses festgehalten, d.h. das Datum der Feststellung, dass das Rechtsetzungsverfahren abgeschlossen ist (vgl. dazu unten Ziff. 5). Dies wurde seinerzeit mit «tritt in Kraft» bezeichnet. Die Anwendbarkeit (i.S. des heutigen Inkrafttretens) hingegen wurde mit Ausdrücken wie «vollziehbar» oder «wirksam» bezeichnet.
Die viel verwendete Formel lautete damals im Inkrafttretensbeschluss folgendermassen:
«Vorstehender, unterm 9. Heumonat 1874 öffentlich bekannt gemachter Bundesbeschluß wird hiemit gemäß Art. 89 der Bundesverfassung in Kraft und vom 8. Weinmonat 1874 an als vollziehbar erklärt.» AS 1 (N.F.) 135)
In der Inkrafttretensbestimmung im Gesetz fand sich folgende Formulierung:
«Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Publikation dieses Gesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.» (AS 1 (N.F.) 493)
Bereits damals war aber auch die heute noch übliche Terminologie anzutreffen:
«Dieser Beschluß tritt sofort in Kraft. Der Bundesrath ist mit der weitern Vollziehung desselben beauftragt.» (AS 1 (N.F.) 587)
Die Kantone Basel-Stadt und St. Gallen verwenden teilweise bis heute noch diese alten Begriffe der «Wirksamkeit» oder des «Vollzugsbeginns». Gemeint ist aber stets das Inkrafttreten gemäss der aktuellen Terminologie des Bundes und der übrigen Kantone.
Das Inkrafttreten existiert – analog zum Beschlussdatum – in zwei Ausprägungen: Einerseits das Inkrafttreten der ersten Version eines Erlasses und andererseits jenes der Teilrevisionen.
Das Inkrafttreten der ersten Version eines Erlasses findet sich in der systematischen Sammlung immer in der Änderungstabelle des Erlasses (sofern Änderungstabellen geführt werden). Im Bund und in einigen Kantonen wird das Inkrafttreten der ersten Fassung oft auch in den Schlussbestimmungen innerhalb eines Artikels bzw. Paragraphen angegeben. Dies ist insofern falsch, als es sich beim Inkrafttreten nicht um materiellen Inhalt einer Rechtsnorm handelt, sondern dieses einen formellen Aspekt des Beschlusses wiedergibt. Dass das Inkrafttreten kein materieller Inhalt sein kann, liegt auch deshalb auf der Hand, weil es absurd wäre, die Inkrafttretensbestimmung nachträglich zu ändern (vgl. dazu auch Roth 2013, Ziff. 4.5.2). Das Inkrafttreten wird deshalb in der chronologischen Sammlung in den meisten Kantonen einheitlich unter Ziffer IV angegeben.
Das Inkrafttreten von Teilrevisionen findet sich in den systematischen Sammlungen ausschliesslich in den Änderungstabellen bzw., wenn solche fehlen, in den Änderungsfussnoten.
Wie bereits erwähnt, kann mit dem Inkrafttreten der Übergang vom alten Recht zum neuen Recht abgefedert werden bzw. können sich die Rechtsunterworfenen dank dem Inkrafttreten auf das neue Recht einstellen. Das Inkrafttreten ist jedoch nicht das einzige Instrument des Übergangsrechts. Dasselbe Ziel verfolgen auch Übergangsbestimmungen, die direkt in die Erlasse eingearbeitet werden.
Wenn beispielsweise eine neue Norm ein bestimmtes Verhalten unter Strafe stellen will, kann die Vorhersehbarkeit für den Einzelnen dadurch erreicht werden, dass die neue Norm erst später, d.h. eine gewisse Zeit nach deren Publikation, in Kraft tritt; die Norm kann aber auch sofort in Kraft treten und mit einer Übergangsregelung versehen werden, wonach die Übertretung der Norm erst nach einer definierten Zeit bestraft wird. Beide Regelungen führen zum gleichen Resultat.
Die übergangsrechtlichen Aspekte des Inkrafttretens fallen vor allem beim «gestaffelten Inkrafttreten» auf. Dabei werden Teile eines Beschlusses zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft gesetzt.
Ob Übergangsbestimmungen oder ein «gestaffeltes Inkrafttreten» verwendet werden, hat Auswirkungen auf die Darstellung in der systematischen Rechtssammlung: Da in der systematischen Rechtssammlung nur Bestimmungen enthalten sind, die zu einem bestimmten Stichtag (Stand-Datum) in Kraft stehen, erscheinen gestaffelte Inkrafttreten dort in Form von mehreren Fassungen. Tritt von einem neuen Erlass zunächst nur eine Bestimmung in Kraft, erscheint in der systematischen Sammlung vorerst nur ein «Rumpf-Erlass». Dieser wird erst mit Inkrafttreten der übrigen Bestimmungen komplettiert.
Da diese Darstellung weniger leserfreundlich ist, sollte – wenn immer möglich – auf das gestaffelte Inkrafttreten verzichtet werden.
Ein Beispiel einer solch leserunfreundlichen Publikation lieferte letztes Jahr der Bund mit dem neuen Informationssicherheitsgesetz (ISG; SR 128). Dort trat zunächst ein einziger Artikel (Art. 87) am 1. Mai 2022 in Kraft, während alle übrigen Bestimmungen am 1. Januar 2024 in Kraft traten. D.h. in der SR wurde zuerst nur ein einzelner Artikel des Gesetzes publiziert und der Rest folgte später. Ob die Staffelung in diesem Fall zwingend war, lässt sich zumindest bezweifeln: Der einzige in Kraft getretene Artikel beinhaltete lediglich die Kompetenz an den Bundesrat, völkerrechtliche Vereinbarungen auf dem Gebiet der Informationssicherheit abzuschliessen. Da solche Vereinbarungen auf das neue ISG abgestimmt werden mussten, hätte die einfachere Lösung sicherlich darin bestanden, kein gestaffeltes Inkrafttreten zu verwenden, sondern das ganze Gesetz per 1. Januar 2024 in Kraft zu setzen. In diesem Fall hätte der Bundesrat diese Vereinbarungen aber auch bereits schon vor dem Inkrafttreten verhandeln, aber erst mit Inkrafttreten des ISG abschliessen können.
Jedenfalls sollte beim gestaffelten Inkrafttreten, wie auch sonst im Bereich der Rechtsetzung, immer kritisch hinterfragt werden, ob die an den Tag gelegte Komplexität effektiv benötigt wird oder ob auch einfachere und verständlichere Lösungen ebenfalls sachgerecht wären. Die allgemein in der Rechtsetzung festzustellende Tendenz zu einer unnötigen Komplexität, sollte insbesondere auch beim Inkrafttreten zurückgebunden werden.
Für die Rechtsuchenden wären gute Übergangsbestimmungen einfacher zu verstehen als komplexe gestaffelte Inkrafttreten (zur Gestaltung des Übergangsrechts vgl. im Einzelnen Fleiner-Gerster 1985, S. 126 ff.). Wie aber auch Thomas Fleiner schon feststellte, kann auch das gestaffelte Inkrafttreten Lösungen für komplexe übergangsrechtliche Probleme bieten (Fleiner-Gerster 1985, S. 133). In diesem Fall ist das gestaffelte Inkrafttreten als Beschluss von mehreren Erlassänderungen «uno actu» zu verstehen (vgl. Roth 2011, S. 234).
Eine weitere Komplexität, die den Rahmen dieses Beitrags jedoch sprengen würde, ist die in einzelnen Kantonen bestehende Praxis des «gemeindeweisen Inkrafttretens». Dies ist namentlich im Kanton Nidwalden im Bereich des Baurechts der Fall: Dort gelten bestimmte Teile des neuen Baugesetzes und dessen Verordnung erst für gewisse Gemeinden (vgl. dazu das Planungs- und Baugesetz [NW 611.1], die Planungs- und Bauverordnung [NW 611.11] und insbesondere den «Regierungsratsbeschluss über das Inkrafttreten der Planungs- und Baugesetzgebung» [NW 611.111]).
Wie erwähnt, können Erlasse auch «sofort» in Kraft treten.
Einige Kantone sehen in ihren Publikationsgesetzen auch Bestimmungen vor, wonach Erlasse nach einer bestimmten Frist nach der Publikation in Kraft treten, wenn nichts anderes vermerkt ist, z.B. fünf Tage in Basel-Stadt, vgl. § 5 im «Gesetz über Publikationen im Kantonsblatt und über die Gesetzessammlung des Kantons Basel-Stadt» (BS 151.200), oder am folgenden Tag in Genf, vgl. Art. 14 im «Loi sur la forme, la publication et la promulgation des actes officiels» (GE B 2 05). Wichtig ist, dass in solchen Fällen das Inkrafttreten in geeigneter Form mindestens in den Rechtssammlungen dokumentiert wird, damit es langfristig nachvollziehbar bleibt.
Das «sofortige Inkrafttreten» ist bis heute recht verbreitet. Meistens handelt es sich um ausführende Erlasse der Exekutive oder anderer Behörden. Von den rund 13’750 neuen oder totalrevidierten Erlassen, die zwischen 2008 bis Januar 2024 über alle Kantone und den Bund (ohne Staatsverträge des Bundes) hinweg in Kraft traten, sind rund 850 (6.3%) sofort in Kraft getreten. Diese Inkrafttreten verteilen sich unter den Kantonen wie folgt:
Kanton | Neue Erlasse/ Totalrevisionen | Davon «sofort» in Kraft | Prozent |
CH | 1887 | 33 | 1.7% |
ZH | 785 | 15 | 1.9% |
BE | 489 | 16 | 3.3% |
LU | 433 | 6 | 1.4% |
UR | 210 | 11 | 5.2% |
SZ | 198 | 13 | 6.6% |
OW | 389 | 25 | 6.4% |
NW | 452 | 46 | 10.2% |
GL | 290 | 17 | 5.9% |
ZG | 451 | 10 | 2.2% |
FR | 938 | 158 | 16.8% |
SO | 225 | 14 | 6.2% |
BS | 488 | 9 | 1.8% |
BL | 502 | 13 | 2.6% |
SH | 234 | 11 | 4.7% |
AR | 177 | 14 | 7.9% |
AI | 216 | 74 | 34.3% |
SG | 652 | 75 | 11.5% |
GR | 236 | 1 | 0.4% |
AG | 309 | 15 | 4.9% |
TG | 220 | 1 | 0.5% |
TI | 708 | 27 | 3.8% |
VD | 618 | 26 | 4.2% |
VS | 529 | 19 | 3.6% |
NE | 897 | 155 | 17.3% |
GE | 713 | 22 | 3.1% |
JU | 364 | 28 | 7.7% |
Erlasse können auch rückwirkend in Kraft treten. In der Regel liegt in diesen Fällen das Inkrafttretensdatum vor dem Beschlussdatum. Es kann jedoch auch in anderen Konstellationen zu faktisch rückwirkendem Inkrafttreten kommen, so beispielsweise, wenn eine Gemeindeversammlung ein Reglement beschliesst und dieses der Genehmigung durch den Kanton unterliegt. In solchen Fällen kann oft beobachtet werden, dass der Gemeinderat das Reglement auf einen Zeitpunkt vor der Genehmigung des Kantons in Kraft setzt, der jedoch nach dem Datum des Beschlusses liegt. Solche «faktisch rückwirkenden Inkrafttreten» sind bei einer alleinigen Betrachtung der systematischen Sammlung nur schwierig zu erkennen.
Grundsätzlich muss das Inkrafttreten immer dann als «rückwirkend» bezeichnet werden, wenn es vor der Publikation in der chronologischen Sammlung liegt.
In der Schweiz ist das rückwirkende Inkrafttreten keine Seltenheit. Von den oben erwähnten rund 13’750 neuen und totalrevidierten Erlasse zwischen 2008 bis Januar 2024, ist bei insgesamt 1’303 Erlassen (rund 8.6%) ein rückwirkendes Inkrafttreten festzustellen. Dabei wurden nur Erlasse berücksichtigt, deren Beschlussdatum nach dem Inkrafttreten lag, unter Ausschluss rückwirkender Teilrevisionen.
Die Verteilung unter den Kantonen ist dabei recht unterschiedlich:
Kanton | Neue Erlasse/ Totalrevisionen | Davon rückwirkend | Prozent |
CH | 1887 | 19 | 1.0% |
ZH | 785 | 48 | 6.1% |
BE | 489 | 15 | 3.1% |
LU | 433 | 24 | 5.5% |
UR | 210 | 19 | 9.0% |
SZ | 198 | 12 | 6.1% |
OW | 389 | 57 | 14.7% |
NW | 452 | 49 | 10.8% |
GL | 290 | 25 | 8.6% |
ZG | 451 | 31 | 6.9% |
FR | 938 | 138 | 14.7% |
SO | 225 | 17 | 7.6% |
BS | 488 | 37 | 7.6% |
BL | 502 | 59 | 11.8% |
SH | 234 | 23 | 9.8% |
AR | 177 | 5 | 2.8% |
AI | 216 | 12 | 5.6% |
SG | 652 | 137 | 21.0% |
GR | 236 | 15 | 6.4% |
AG | 309 | 3 | 1.0% |
TG | 220 | 7 | 3.2% |
TI | 708 | 55 | 7.8% |
VD | 618 | 91 | 14.7% |
VS | 529 | 92 | 17.4% |
NE | 897 | 154 | 17.2% |
GE | 713 | 83 | 11.6% |
JU | 364 | 42 | 11.5% |
Im Durchschnitt treten die Erlasse rund 95 Tage rückwirkend in Kraft, wobei der «Rekordhalter» die «Gegenrechtsvereinbarung zwischen den Kantonen Solothurn und Waadt über die Befreiung von der Erbschafts- und Schenkungssteuer» (SO 614.352.103, im Kanton Waadt nicht publiziert) ist, die am 30. Oktober 2018 beschlossen worden ist, um per 1. Januar 2015 in Kraft zu treten.
Das zeitliche Ausmass des rückwirkenden Inkrafttretens verteilt sich wie folgt (jeweils Anzahl Erlasse):
Wie erwähnt, ist eine Rechtsnorm für den Einzelnen nur dann verbindlich, wenn sie auch publiziert ist. Dies entschärft grundsätzlich die Problematik des rückwirkenden Inkrafttretens.
So wäre es unvorstellbar, wenn zum Beispiel die allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen rückwirkend heruntergesetzt würde und dann alle Personen gebüsst würden, die das neue Recht gar nicht kennen konnten. Weniger problematisch sind hingegen begünstigende Regelungen, wie namentlich rückwirkende Lohnerhöhungen.
Dennoch birgt jedes rückwirkende Inkrafttreten das Risiko mindestens indirekter belastender Rückwirkungen, weshalb – selbst bei begünstigenden Regelungen – immer sorgfältig analysiert werden muss, dass keine Rechte von Dritten beeinträchtigt und keine Rechtsungleichheiten geschaffen werden (vgl. Roth 2011, S. 240).
Schliesslich sollten auch Inkrafttretensdaten, die weit in der Zukunft liegen, insbesondere bei Teilrevisionen vermieden werden. Denn wird das Inkrafttreten weit in die Zukunft verlegt, kann der Erlassgeber gar nicht wissen, wie sich die zu regelnden Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens entwickeln werden (in diesem Sinne auch Fleiner-Gerster 1985, S. 133).
Zudem besteht die Möglichkeit, dass der jeweilige Erlass bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens erneut geändert wird und die geänderten Bestimmungen im zukünftigen Zeitpunkt bereits einen anderen Wortlaut aufweisen oder die geänderten Bestimmungen gar nicht mehr existieren. Möglicherweise wird auch der gesamte Erlass bis zum Inkrafttreten der Änderung ganz aufgehoben.
Beispiele für weit in der Zukunft liegende Inkrafttreten sind die Lärmschutzverordnung des Bundes (SR 814.41), die im Mai 2021 per 1. Januar 2025 geändert wurde oder das neue Gerichtsorganisationsgesetz des Kantons Graubünden (GR AGS 2024-003), das im Juni 2022 beschlossen wurde, um (weitgehend) per 1. Januar 2025 in Kraft zu treten und sich darüber hinaus dadurch auszeichnet, dass es an über zehn unterschiedlichen Stichtagen gestaffelt in Kraft tritt bzw. treten wird.
Es ist deshalb zu postulieren, das Inkrafttretensdatum wieder näher an den Beschlusszeitpunkt zu rücken. Auch gegen «sofortige Inkrafttreten» kann nichts eingewendet werden, falls kein Übergangsrecht benötigt wird oder dieses in sinnvollen Übergangsbestimmungen festgehalten werden kann.
Verschiedene kantonale Erlasse unterstehen einer Genehmigungspflicht durch den Bund. Im Bereich des kommunalen Rechts besteht, je nach Kanton, eine sehr ausgedehnte Pflicht zur Genehmigung von kommunalen Vorschriften durch den Kanton. So müssen beispielsweise im Kanton Basel-Landschaft fast alle kommunalen Reglemente durch den Kanton genehmigt werden. Grundsätzlich wirken solche Genehmigungen konstitutiv, d.h. ein Erlass kann nicht in Kraft treten, wenn diese nicht vorliegt.
Einzig im Fall der Kantonsverfassungen besteht, wie bereits erwähnt (vgl. oben Ziff. 2.1), eine spezielle Genehmigungspflicht durch die Bundesversammlung, die deklaratorisch wirkt und somit das Inkrafttreten nicht verhindert.
Verschiedentlich werden in den Gesetzessammlungen auch Genehmigungsdaten abgedruckt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Genehmigungen auch effektiv in den Gesetzessammlungen erscheinen sollten. Wie eingangs erwähnt, wirken Genehmigungen grundsätzlich konstitutiv, d.h. ein Erlass bzw. eine Änderung kann nicht in Kraft treten, wenn eine Genehmigung noch ausstehend ist. Da Erlasse ohnehin erst dann publiziert werden können, wenn das Inkrafttreten feststeht und keine Hinderungsgründe für ein Inkrafttreten mehr bestehen, kann aus der Publikation geschlossen werden, dass alle Genehmigungen erteilt worden sind. Die Angabe des Genehmigungsdatums ist somit überflüssig.
Wenn eine Gemeinde oder ein Kanton Genehmigungsdaten aufführt, aber diese fehlerhaft oder nicht vollständig sind, stellt dies keinen Publikationsfehler dar, denn entscheidend ist nicht die Angabe im Erlass, sondern die Korrektheit des durchgeführten Verfahrens. Auch in solchen Fällen kann aus der Publikation auf die Gültigkeit des Erlasses geschlossen werden.
Eine Genehmigung bezieht sich immer auf einen Beschluss, wie er in der chronologischen Sammlung publiziert wird und einen oder mehrere Erlasse neu erstellt, ändert oder aufhebt. Die Erlasse in der systematischen Sammlung sind aber nie Gegenstand einer Genehmigung, sondern immer das Resultat der Erlasskonsolidierung (vgl. dazu Roth 2013, Ziff. 4.1 ff.).
Deshalb sollten Genehmigungen – wenn überhaupt – nur als Anmerkung in der chronologischen Sammlung beigefügt werden und in der systematischen weggelassen werden.
Wie bereits erläutert, stellen der Beschluss und die Genehmigung zwei unterschiedliche Handlungen dar: Mit dem Beschluss wird der Inhalt eines Erlasses festlegt, während mit der Genehmigung die Zustimmung zu einem bestimmten Inhalt erteilt wird. Insbesondere im kommunalen Recht kann jedoch beobachtet werden, dass diese Begriffe nicht systematisch auseinandergehalten bzw. missverständlich verwendet werden. So findet sich regelmässig die Formulierung, dass ein Reglement vom Gemeinderat am Datum X beschlossen und am Datum Y von der Gemeindeversammlung genehmigt worden sei.
Wie bereits im Zusammenhang mit dem Beschlussdatum erwähnt, wird der Beschluss von dem für die Regelung einer bestimmten Materie kompetenten Organ vorgenommen, während die Genehmigung von einer übergeordneten Behörde erteilt wird. Auch wenn zunächst ein untergeordnetes Organ einen Vorschlag erarbeitet hat, wird dieser immer vom zuständigen Organ beschlossen und nicht etwa «genehmigt». Konkret bedeutet dies, dass, wenn eine Gemeindeversammlung für den Erlass eines Reglements zuständig ist, die Annahme des zuvor durch den Gemeinderat erarbeiteten Vorschlags keine Genehmigung darstellt, sondern den eigentlichen Beschluss. Dieses Auseinanderhalten ist auch deshalb wichtig, weil die Beschlusskompetenz naturgemäss nur einem einzigen Organ zukommen kann und nicht mehreren. Auch im Bereich des interkantonalen Rechts kann beobachtet werden, dass «Genehmigung» und «Beschluss» nicht sauber getrennt werden (vgl. oben Ziff. 1.3.2).
Verschiedentlich trifft man in den Gesetzessammlungen auch die Begriffe «Promulgation», «Erwahrung» oder «Rechtskraft» an. Gemeint ist eigentlich immer das Datum der Feststellung, dass das Verfahren der Rechtsetzung abgeschlossen ist und keine Hindernisse für das Inkrafttreten bestehen. Die Terminologie ist nicht über alle Kantone identisch und nur noch wenige Kantone verwenden diese heute noch.
Im Allgemeinen wird unter Promulgation die Feststellung der Gültigkeit eines Gesetzes nach unbenutzter Referendumsfrist bzw. nachdem feststeht, dass kein Referendum gültig zu Stande gekommen ist. Die Erwahrung kommt dann zum Zug, wenn eine Abstimmung durchgeführt wurde und der Erlass angenommen worden ist. Die Rechtskraft kommt schliesslich insbesondere dann zum Zug, wenn die Fristen für die Einreichung von Beschwerden gegen einen Erlass verstrichen sind (vgl. ausführlicher Roth 2011, S. 222). All diesen Begriffen gemeinsam ist die Tatsache, dass diese Daten – jedenfalls aus langfristiger Sicht bzw. aus der Sicht der Rechtsetzung (und des Autors) – unerheblich sind und rein behördeninterne Vorgänge protokollieren. Analog zu den Angaben zu Genehmigungen (vgl. oben Ziff. 4.1) sollten auch diese Daten – wenn überhaupt – nur in der chronologischen Sammlung vermerkt werden und in der systematischen Sammlung weggelassen werden.
Zum Schluss gilt es noch eines der wichtigsten Daten überhaupt zu erwähnen: Das Publikationsdatum. Das Faszinierende daran ist, dass es – im Gegensatz zu allen anderen Datumsangaben – in den Dokumenten der Rechtssammlungen (i.d.R.) nicht aufgeführt wird. So findet es sich auf Bundesebene weder in der SR (ausgenommen bei Berichtigungen) noch in der AS. Es kann einzig der Internetseite der AS (bzw. früher einem Deckblatt) entnommen werden. In den kantonalen Angeboten ist das Datum der Veröffentlichung ebenfalls (i.d.R.) nur auf den Internetseiten, nicht jedoch in den Dokumenten der chronologischen Sammlung enthalten.
Die fehlende Angabe in den Dokumenten dürfte darauf zurückzuführen sein, dass im Zeitpunkt der Vorbereitung der Dokumente noch nicht klar ist, wann genau diese effektiv in den chronologischen Sammlungen publiziert werden.
Das Datum der Publikation ist für die Rechtsunterworfenen allerdings sehr wichtig, da es die Rechtsverbindlichkeit auslöst: Ab der Publikation greift die «Kenntnisfiktion» bzw. müssen die Rechtsunterworfenen das Recht gegen sich gelten lassen, sofern es tatsächlich in Kraft getreten ist (vgl. Roth 2013, Ziff. 2.3.1). Wenn folglich eine Rechtsnorm trotz Inkrafttretens (oder allenfalls aufgrund rückwirkenden Inkrafttretens) nicht publiziert wurde, kann sie dem Einzelnen nicht entgegengehalten werden.
Die Publikation bringt zum Ausdruck, dass sämtliche Voraussetzungen für die Gültigkeit und die Richtigkeit des jeweiligen Beschlusses erfüllt sind, da ansonsten keine Veröffentlichung erfolgen könnte. Dies ergibt sich insbesondere auch e contrario aus der bereits erwähnten «Kenntnisfiktion» des Rechts: Wenn der Einzelne das publizierte Recht kennen muss, muss es auch gültig sein.
Auch Publikationsfehler muss der Staat gegen sich gelten lassen: Bis zur Publikation einer formellen Berichtigung bleibt der Staat an das fehlerhafte Recht gebunden und muss sich mögliches «Fehlverhalten» der Rechtsunterworfenen gefallen lassen. Umgekehrt haftet er auch für Nachteile, die den Rechtsunterworfenen durch das fehlerhafte Recht entstanden sind und muss auf falschem Recht basierende Vollzugshandlungen korrigieren.
Nihilistisch betrachtet führt die Publikation dazu, dass die Angaben zu Beschlussdatum, allfälligen Volksabstimmungen, Genehmigungen, Rechtskraft usw., mit Ausnahme des Inkrafttretens, unerheblich sind:
Es gilt, was publiziert ist.
Oder um es in Anlehnung – an den von Thomas Fleiner gerne zitierten – Thomas Hobbes zu formulieren:
Publicatio, non veritas facit legem!
1. Als Beschlussdatum sollte in allen Erlassen immer das Datum verwendet werden, an dem der politische Beschluss des dafür zuständigen Organs für die Festlegung des Erlasstextes ergangen ist.
2. Volksabstimmungen sollten als «Genehmigung» betrachtet werden, die keinerlei Einfluss auf das Beschlussdatum haben.
3. Bei der Zitierung von Erlassen sollte auf die Angabe des Beschlussdatums verzichtet werden, da es kaum für den Verweis auf eine konkrete Fassung taugt. Stattdessen sollte ein Erlasszitat besser die Entität (Bund oder entsprechender Kanton), die systematische Nummer und das Standdatum und den Titel, Kurztitel oder Abkürzung beinhalten.
4. Das Standdatum sollte immer das Datum des Inkrafttretens der letzten Änderung angeben. Der Bund sollte seine diesbezügliche Praxis überdenken, da sie für Rechtsuchende schwer nachzuvollziehen ist.
5. Die Inkrafttretensdaten gehören nicht zum materiellen Recht und sollten deshalb nicht in Form einer Schlussbestimmung in der Artikelstruktur des Erlasses wiedergegeben werden, sondern in der Änderungstabelle (bzw. beim Bund und bei den Kantonen ohne Änderungstabellen in einer Fussnote) festgehalten werden.
6. Gestaffelte Inkrafttreten, Inkrafttreten, die weit in der Zukunft liegen oder rückwirkende Inkrafttreten sollten vermieden werden. Mit einer entsprechenden Planung und sinnvollen Übergangsbestimmungen dürften sich solche Hilfskonstrukte oft vermeiden lassen.
7. Angaben zu Genehmigungen, Erwahrung oder Promulgation sind überflüssig, da diese Handlungen ohnehin konstitutiv sind und Erlasse gar nicht in Kraft treten können, bevor diese vorliegen. Falls diese Informationen trotzdem dokumentiert werden sollen, dann nur in der chronologischen Sammlung, da sich diese Handlungen stets auf einen Beschluss, wie er in der chronologischen Sammlung publiziert wird, und nie auf einen konsolidierten Erlass der systematischen Sammlung beziehen.
8. Um sicherzustellen, dass die jeweils korrekte Rechtsgrundlage verwendet wird, sollte im Rahmen der Rechtsanwendung immer auch geprüft werden, wann die Publikation erfolgt ist.
Marius Roth, Dr. iur., Direktor des Zentrums für Rechtsinformation – ZRI, Zürich und Projektleiter LexFind www.lexfind.ch, LexWork und IntLex www.intlex.ch, marius.roth@zri.ch.
- Fleiner-Gerster, Thomas (1985): Wie soll man Gesetze schreiben?, Bern 1985.
- Ivanov, Daniela / Roth, Marius (2013): Verbesserungsmöglichkeiten im Bereich der Publikation des interkantonalen Rechts, in: LeGes 24 (2013) 1.
- Roth, Marius (2011): Die Veröffentlichung von Rechtsnormen in der Schweiz, Zürich/St.Gallen 2011.
- Roth, Marius (2013): Aktuelle Anforderungen an amtliche Sammlungen, in: LeGes 24 (2013) 1.
- Roth, Marius (2020): Zu den Titeln, Kurztiteln und Abkürzungen von Erlassen, in: LeGes 31 (2020) 3.
- Ruch, Alexander (2014): N. 18 zu Art. 51 BV, in: Ehrenzeller, Bernhard / Schindler, Benjamin / Schweizer, Rainer J. / Vallender, Klaus A. (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014.
- 1 Als Beispiel kann die neue interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB, iSR 7.4-1.2) erwähnt werden: In diesem Fall verweigerten die Vereinbarungskantone dem Kanton Bern den Beitritt, weil er eine abweichende Rechtswegregelung (zweistufigen statt nur einstufigen Beschwerdeverfahren) in seinem Beitrittsgesetz vorschreiben wollte (vgl. Art. 3 und 4 im Gesetz über den Beitritt zur Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IvöBG; BE 731.2).
- 2 Vgl. https://www.gr-lex.gr.ch/app/de/chronology/change_documents und https://lex.vs.ch/app/fr/chronology/change_documents.
- 3 Vgl. https://gdb.ow.ch/app/de/chronology/change_documents.
- 4 Vgl. https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/Reglemente/01_Zitierregeln_2021_d.pdf.
- 5 Vgl. https://www.fedlex.admin.ch/de/cc/explanations-cc.