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Die Landsgemeinde fasziniert und polarisiert. Wenn in Glarus und in Appenzell einmal im Jahr Tausende Stimmberechtigte unter freiem Himmel zusammenkommen, um gemeinsam über die wichtigsten politischen Fragen ihres Kantons zu entscheiden, wird die andernorts stets irgendwie abstrakte Demokratie sicht- und greifbar – und dies mit ihren Sonnen- wie auch mit ihren Schattenseiten. Auch, aber nicht nur im meteorologischen Sinn. Zumindest in der Schweiz gibt es kaum ein Stichwort, das zuverlässiger zu einem kontroversen Gespräch über Grundfragen der liberalen Demokratie führt: zu einer Diskussion über das Verhältnis zwischen «Masse» und «Elite», die Wege der politischen Meinungsbildung, das demokratische Versprechen des gleichen Mitspracherechts für alle, Ausschluss und Zugehörigkeit, das Stimmgeheimnis, soziale Kontrolle, die Rolle von Medien und Parteien oder über das Verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und Staat. Mit diesen und weiteren Fragen haben sich in den letzten Jahren zunehmend auch empirische Studien auseinandergesetzt, die die Stärken und Schwächen der Landsgemeindedemokratie in ihrer heute gelebten Form zu erfassen suchten (Gerber und Mueller 2017; Gerber et al. 2016; Schaub 2008, 2016; Blum und Köhler 2006).
Eine vergleichsweise simpel erscheinende Frage aber ist bis heute weitgehend unbeantwortet geblieben: Wie hoch ist die Stimmbeteiligung an Landsgemeinden? Weil die Mehrheitsverhältnisse an der Landsgemeinde in aller Regel geschätzt und nicht gezählt werden, gibt es dazu kaum offizielle Zahlen – für den Kanton Glarus, mit über 26 000 Stimmberechtigten eine der grössten existierenden Versammlungsdemokratien weltweit, sogar überhaupt keine. Im vorliegenden Beitrag präsentieren wir erstmals Zahlen zur Stimmbeteiligung an der Glarner Landsgemeinde sowie zu deren Entwicklung über die Zeit und ordnen diese demokratietheoretisch sowie im Vergleich zu anderen Versammlungs- und Urnendemokratien ein.1
Die Landsgemeinde ist eine Form der Versammlungsdemokratie und damit zunächst einmal schlicht ein Verfahren zur Organisation der Entscheidfindung in der Demokratie. Gegenüber ihrem heutzutage üblicheren Gegenstück, dem Urnenverfahren, zeichnet sie sich dadurch aus, dass die Stimmberechtigten sich versammeln, ihre Stimme also alle gleichzeitig und am selben Ort abgeben. Die Stimmabgabe ist somit zeitlich und örtlich gebunden: Wer mitbestimmen will, der muss am Landsgemeindesonntag zur richtigen Zeit auf dem Versammlungsplatz im Kantonshauptort anwesend sein. In der Regel wird dabei vor der Abstimmung eine gemeinsame Beratung durchgeführt, bei der alle Stimmberechtigten das Wort ergreifen und ihre Argumente darlegen können. Abgestimmt wird durch offenes Handerheben. Weil eine Zählung der erhobenen Hände viel Zeit beanspruchen würde – und auch aus Tradition –, wird in aller Regel darauf verzichtet und die Mehrheitsverhältnisse werden geschätzt.
Heute existiert diese Form der demokratischen Entscheidfindung auf Kantonsebene nur noch in Glarus und Appenzell Innerrhoden. In Innerrhoden nehmen die Stimmberechtigten sämtliche kantonalen Sachabstimmungen und Wahlen an der Landsgemeinde vor. In Glarus sind es alle Sachabstimmungen und die Wahlen in die Gerichte, wohingegen die Regierungsrats- und Ständeratswahlen hier seit 1971 an der Urne stattfinden.
Stärker als auf kantonaler Ebene ist die Versammlungsdemokratie auf Gemeindeebene verbreitet: Rund vier Fünftel der noch 2222 Gemeinden in der Schweiz kennen eine Gemeindeversammlung (Ladner 2018b). Im Kanton Schwyz kommen die Stimmenden auch auf Ebene der sechs Bezirke jeweils in Bezirksversammlungen zusammen. Ausserhalb der Schweiz existieren Gemeindeversammlungen mit verbindlichen Entscheidbefugnissen in über 1000 Towns in den Neuenglandstaaten der USA («Town Meetings») sowie in rund zwanzig Kleingemeinden in Schleswig-Holstein.
Nachdem die Landsgemeinde im 13. Jahrhundert in den Urschweizer Orten entstanden war, bestand sie bis ins 19. Jahrhundert in insgesamt acht Kantonen. Während sie in Glarus und Innerrhoden bis heute einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung geniesst (Gerber et al. 2016, 37–39), haben in Zug (1847), Schwyz (1847), Uri (1928), Nidwalden (1996), Appenzell Ausserrhoden (1997) und Obwalden (1998) Volksmehrheiten nach Jahrhunderten ihre Abschaffung beschlossen. Die Gründe dafür waren vielfältig und immer auch kantonsspezifisch (siehe etwa Schaub 2016, 86–112; Helg 2007, 26–42), aber eine Reihe von Argumenten wurde bei allen Landsgemeindeabschaffungen zumindest in den 1990er-Jahren vorgebracht: das Fehlen des Stimmgeheimnisses, die Ungenauigkeit der Resultatermittlung durch Abschätzen, unspezifisch «mangelnde Modernität», ungleiche Teilnahmemöglichkeiten und eine generell niedrigere (geschätzte) Stimmbeteiligung im Vergleich zu Urnenabstimmungen.
Dass die Höhe der Stimmbeteiligung als Indikator für das Funktionieren der Demokratie interpretiert wird, ist keine Erfindung von Landsgemeindekritikern. Vielmehr ist die Partizipationsrate sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft regelmässig Gegenstand von Debatten zum Zustand von Demokratien. Die demokratische Bedeutung einer hohen Stimmbeteiligung ergibt sich aus mindestens vier verschiedenen Argumentationen:
- Erstens verleiht eine hohe Beteiligung einem Abstimmungsergebnis in der öffentlichen Wahrnehmung eine stärkere Legitimität.
- Zweitens und damit verbunden ist bei (sehr) niedrigen Beteiligungsraten die Gefahr grösser, dass die Gruppe der Stimmenden nicht repräsentativ ist für die gesamte Stimmbevölkerung und dass es zu Zufallsmehrheiten beziehungsweise zu Volksentscheiden kommt, die an den Präferenzen der – schweigenden – Volksmehrheit vorbeigehen.
- Drittens können niedrige Beteiligungsraten als Zeichen für einen schwachen Rückhalt der Demokratie überhaupt gedeutet werden. Gerade diese Deutung kann dann im Sinn einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung die Stabilität und Legitimität des Systems über eine einzelne Abstimmung hinaus schwächen.
- Viertens sehen insbesondere partizipatorische Demokratietheorien (Barber 1984; Pateman 1970) den individuellen Abstimmungsakt nicht nur als Mittel zum Zweck der Mitbestimmung eines politischen Ergebnisses, sondern als Wert an sich, weil er für die Stimmenden Selbstentfaltung und gesellschaftliche Integration bedeute. Dieser Wert wird nur in dem Mass realisiert, in dem Stimmberechtigte auch tatsächlich von ihrem Recht Gebrauch machen.
Freilich gibt es auch Argumente, die die Bedeutung einer hohen Stimmbeteiligung aus einer demokratietheoretischen Sicht relativieren und andere Aspekte in den Vordergrund rücken. Wir diskutieren diese im Schlusskapitel dieses Beitrags.
Amtliche, gesicherte Daten zur Stimmbeteiligung an der Glarner Landsgemeinde gibt es keine. Der Grund dafür ist, dass die Mehrheitsverhältnisse im Ring in Glarus ausschliesslich durch Abschätzen bestimmt werden; so schreibt es die Kantonsverfassung (Art. 67) fest. Vorhanden sind generelle Schätzungen der Glarner Staatskanzlei, die von «normally about 6000 to 8000 voters, which correspond to a turnout of 20% to 30%» ausgeht und als höchste bis dahin erreichte Teilnehmerzahl 13 000 Stimmende im Jahr 2001 schätzt (Dürst 2004, 5). Vermutlich nahmen diese groben Schätzungen die Bauplanungen des Landsgemeinderings als Grundlage, der beim Szenario «Normalbedarf» 7600 Personen und beim Szenario «dichtgedrängt» 11 200 Personen Platz bieten soll.2
Den vielleicht aufwändigsten Versuch zur Bestimmung der Glarner Teilnehmerzahlen unternahm bisher Stähle (2010, 16), der im Rahmen seiner Maturarbeit ein Foto von einem Ausschnitt des Rings aus dem Jahr 2010 auszählte und das Ergebnis auf die Grösse des gesamten Rings hochrechnete; er kam mit dieser Methode auf 5500 Teilnehmende. Vereinzelte Schätzungen der Teilnehmerzahlen lassen sich ausserdem in der Presse finden, die wohl ihrerseits die Angaben der Staatskanzlei zur Grundlage nahm (6000 Teilnehmende 1996 gemäss The Economist vom 21. Dezember 1996; 8000 Teilnehmende im Mai 2007 gemäss Le Temps vom 25. April 2009; 14 000 Teilnehmende im November 2007 gemäss Tages-Anzeiger vom 26. November 2007). Die Landsgemeinden vom November 2007, als der im Vorjahr gefällte Entscheid zur grossen Gemeindefusion nochmals zur Abstimmung kam, und von 2001, als über ein grosses Strassenbauprojekt entschieden wurde, gelten in Glarus gemeinhin als die bestbesuchten der Geschichte; die Stimmbeteiligung an diesen beiden Versammlungen belief sich gemäss den genannten Schätzungen auf 50 bis 55 Prozent.
In den übrigen Kantonen ist die Datenlage zur Landsgemeindeteilnahme nur teilweise besser: In Appenzell Ausserrhoden war eine Auszählung der Stimmen ebenso ausgeschlossen wie in Glarus. Schätzungen gingen hier von jeweils 3500 bis 6000 Teilnehmenden (20–45 Prozent) vor der 1990 erfolgten Einführung des Frauenstimmrechts und von rund 7000 (20 Prozent) im Jahr 1996 aus (Bendix 1993, 55, 115; Küng 1990, 60; Kommission Frauenstimmrecht / Landsgemeinde 1988, 13; Carlen 1996, 21). In Appenzell Innerrhoden, Nid- und Obwalden ist beziehungsweise war eine Auszählung ausnahmsweise möglich, wenn eine Schätzung kein zweifelsfreies Urteil über die Mehrheitsverhältnisse erlaubt. Weil eine Auszählung sehr lang dauert und die Mehrheitsverhältnisse oft augenfällig sind, wird von dieser Möglichkeit aber nur sehr selten Gebrauch gemacht – seit 1965 gab es in den drei Kantonen zusammen nur 18 Auszählungen (vgl. Helg 2007, 214–216; Landsgemeindeprotokolle). In Nidwalden wurde zudem in jedem Landsgemeindeprotokoll eine behördliche Schätzung der jeweiligen Teilnehmerzahl festgehalten, in Obwalden gibt es amtliche Schätzungen für die Landsgemeinden 1990–1998 (Kanton Obwalden 1998, 10). Gemäss den verfügbaren Angaben scheint sich in Appenzell Innerrhoden die Stimmbeteiligung in einem Rahmen von 2000 bis 4000 Teilnehmenden (20–35 Prozent) zu bewegen, in Nidwalden waren es demnach 1400 bis 7000 (5–30 Prozent) und in Obwalden 1300 bis 5000 (6–30 Prozent).
Besser dokumentiert sind in der Schweiz die Gemeindeversammlungen. Die Stimmbeteiligung an ihnen ist in der Regel deutlich tiefer als jene, die für die Landsgemeinden geschätzt wird. Dabei zeigt sich für die Gemeindeversammlungen ein starker Zusammenhang zwischen Gemeindegrösse und Stimmbeteiligung: Während in den kleinsten Gemeinden (< 249 Einwohner) durchschnittlich noch über 20 Prozent der Stimmberechtigten die Gemeindeversammlungen besuchen, beträgt die durchschnittliche Beteiligung in Gemeinden mit über 5000 Einwohnern nur zwei bis vier Prozent. Über die letzten Jahrzehnte sind die Partizipationsraten für alle Gemeindegrössen kontinuierlich und recht stark gesunken (Ladner 2018b; Ladner 2016, 32–42).
Ein vergleichbarer Zusammenhang zwischen Gemeindegrösse und Beteiligungsraten besteht auch in den US-amerikanischen Town Meetings, wobei in den kleinsten Gemeinden hier Beteiligungen über 30 Prozent und in den grösseren Gemeinden immerhin noch solche über 5 Prozent üblich sind (Bryan 2004, 79; Zimmerman 1999, 165).
Weil an der Glarner Landsgemeinde weder die Stimmen noch die Anwesenden gezählt werden, mussten wir auf andere Möglichkeiten zurückgreifen, um die Beteiligung zu messen. Wir behalfen uns mit der Auswertung von Fotografien des Landsgemeinderings.
Bei der Recherche konzentrierten wir uns einerseits auf das neue Jahrtausend. Für die Jahre ab 2005 konnten wir für fast jede Landsgemeinde digitale Fotografien in ausreichender Qualität finden.3 Um einen Vergleich zu früheren Zeiträumen zu ermöglichen und zudem die Auswirkungen des Frauenstimmrechts auf die Landsgemeindebeteiligung zu untersuchen, suchten wir im Landesarchiv des Kantons Glarus andererseits Fotos aus den Jahren vor und nach dessen Einführung 1971. Bei diesen handelte es sich grösstenteils um Negative, die das Landesarchiv freundlicherweise für uns digitalisierte.
Nicht alle Bilder eignen sich gleich gut für eine Auswertung. Bei der Auswahl der zu analysierenden Fotos stützten wir uns auf drei Kriterien:
- Bildqualität: Je höher die Auflösung und die Schärfe eines Bildes, desto besser.
- Bildwinkel: Je höher die Kamera über dem Ring positioniert war, desto besser.
- Anteil der erfassten Teilnehmenden: Je weniger Teilnehmende vom Bildrand abgeschnitten oder von Bäumen o. ä. verdeckt werden, desto besser.
Insgesamt wählten wir für die Auswertung 40 Fotos aus 28 Jahren aus, davon 17 aus den Jahren 2001 bis 2017 und 23 aus der Zeit davor. Eine Liste aller ausgewerteten Fotos findet sich im Anhang (Tabelle 2).
Die Fotos wurden mithilfe der von der University of Central Florida entwickelten Software Human Detector ausgewertet. Dieses Programm ist darauf spezialisiert, Personen in grossen Menschenmengen zu unterscheiden und zu zählen. Dabei verwendet es unter anderem Eindrücke von der Umgebung eines Objekts und schätzt (mögliche) Verdeckungen durch andere Personen, um die Schätzgenauigkeit zu verbessern (CRCV 2018; Idrees et al. 2015). Weil die Fotoaufnahmen des Landsgemeinderings jeweils von einer Seite aus aufgenommen sind, sodass die Personen im Hintergrund aufgrund der Perspektive kleiner sowie dichter positioniert erscheinen als jene im Vordergrund, und weil die Teilnehmer einander auf den Bildern oft teilweise verdecken, erscheint die Software für unsere Zwecke sehr gut geeignet. Das Beispielbild in Abbildung 1 legt nahe, dass die Software die variierende Dichte gut zu erkennen vermag.
Abbildung 1: Visualisierung der Funktionsweise der Human-detector-Software: Fotografie der Landsgemeinde 1975 (links) und Darstellung der von der Software gemessenen Dichte (rechts). Bildquellen: Landesarchiv des Kantons Glarus; University of Central Florida.
Da wir uns lediglich für die Zahl der stimmberechtigten Landsgemeindeteilnehmer (und nicht für Gäste oder Passanten) interessieren, schnitten wir die Fotos zunächst so zu, dass lediglich Personen im Ring zu sehen sind. Dabei behandelten wir eine Person im Zweifelsfall jeweils als Teilnehmerin, etwa wenn jemand ausserhalb des Rings, aber innerhalb der Absperrung stand. Sicherheitskräfte hingegen wurden nach Möglichkeit aus dem Bild geschnitten. Die (nicht stimmberechtigten) Kinder und Jugendlichen, die sich jeweils um die Rednerbühne versammeln, schnitten wir aus technischen Gründen nicht aus, berücksichtigten ihre Präsenz aber bei der Auswertung (siehe Rz. 22).
Nach der Bearbeitung der Bilder testeten wir die Zuverlässigkeit des Programms, indem wir 12 Fotos des Rings jeweils sowohl durch die Software als auch durch verschiedene Personen von Auge unabhängig voneinander auszählen liessen. Es handelte sich teilweise um zufällig ausgewählte Fotos und teilweise um solche, bei denen uns die Softwareergebnisse besonders auffällig erschienen. Wegen der zweiten Gruppe von Fotos gibt der Test denn auch eher eine Obergrenze an, wie stark die Abweichungen ausfallen können, und weniger einen repräsentativen Wert für die durchschnittlichen Abweichungen bei sämtlichen Bildern. Insgesamt nahmen wir 22 Zählungen mit menschlichem Auge vor («Handzählungen»). Tabelle 1 im Anhang fasst den Vergleich zwischen den Ergebnissen der Software und der Handzählungen zusammen. Es zeigt sich, dass der Human Detector meistens, aber nicht immer, weniger Personen zählt. Die Abweichung zwischen dem Durchschnitt der Handzählungen und der Software beträgt im Mittel 720 Personen oder 29,4 Prozent, wobei dieser Wert stark von einzelnen Ausreissern in die Höhe getrieben wird (der Median liegt bei 339).4 Allerdings liegen auch die Handzählungen teilweise weit auseinander. Bei den Bildern, für die mehrere Handzählungen vorliegen, beläuft sich die durchschnittliche Differenz zwischen diesen auf 17,2 Prozent. Die durchschnittliche Abweichung zwischen den Handzählungen und den Ergebnissen des Human Detector für dieselben Bilder liegt mit 18,7 Prozent auf ähnlichem Niveau.
Der Vergleich zeigt, dass die Auswertung mit nennenswerten Unschärfen verbunden ist. Bei einer detaillierten Interpretation einzelner Jahreswerte sollte man entsprechende Vorsicht walten lassen. Gleichzeitig gibt der Vergleich keinen Anlass zur Annahme, dass die Computerzählung weniger zuverlässig wäre als die Zählung von Hand. Der Human Detector erscheint aufgrund der Ergebnisse als hinreichend zuverlässig, um jedenfalls die Grössenordnung der Teilnehmerzahlen zu bestimmen.
In einem weiteren Schritt nahmen wir gezielte Korrekturen vor, um einigen systematischen Problemen zu begegnen, die die Aussagekraft der Rohwerte der Software beeinträchtigen. So ist die Qualität der Resultate des Programms von der Qualität der Bilder abhängig. Einige der verwendeten Fotos sind weniger scharf als andere, entsprechend ist es (auch bei einer manuellen Zählung) schwieriger, Personen zu erkennen. Auch ist bei allen Fotos ein (kleinerer oder grösserer) Teil der Anwesenden vollständig verdeckt, sei es durch eine andere Person, einen Lautsprecher, einen Baum oder die Rednerbühne. Bei einzelnen Fotos sind zudem kleine Teile des Rings nicht im Bild. Diese Faktoren berücksichtigten wir, indem wir die Resultate des Programms jeweils um die folgenden Komponenten korrigierten:
- Zunächst subtrahierten wir vom Ergebnis die Leute im Ring, die nicht stimmberechtigt sind, namentlich Kinder und Jugendliche sowie offizielle Gäste. Die Kinder und Jugendlichen um die Rednerbühne zählten wir von Hand ab; zur Berücksichtigung der offiziellen Gäste subtrahierten wir jeweils pauschal 20 Personen.
- Bei jenen Bildern, auf denen Teile des Rings fehlen oder von Bäumen verdeckt sind, nahmen jeweils beide Autoren eine einzelfallweise Schätzung der nicht sichtbaren Anteile vor. Den durchschnittlichen Prozentsatz addierten wir zum Softwareergebnis; es handelt sich dabei um Zuschläge von maximal 15 Prozent des Softwareergebnisses.
- Tests mit Bildern unterschiedlicher Auflösung ergaben, dass die Qualität der Aufnahmen einen wesentlichen Einfluss darauf hat, wie viele Personen die Software erkennt. Zudem gehen wir, gestützt auf unsere Erfahrungen aus der manuellen Auszählung von Fotos, davon aus, dass je nach Kamerawinkel ein nennenswerter Teil der Teilnehmer so weit von anderen Personen verdeckt sind, dass sie von der Software (aber auch vom menschlichen Auge) nicht erkannt werden. Dies berücksichtigten wir, indem wir in Abhängigkeit von der Bildqualität und dem Winkel das Softwareergebnis jeweils um 15 bis 30 Prozent nach oben anpassten.
- Jeweils zwei Prozent addierten wir für Teilnehmer, die von Lautsprechern, Stangen sowie der Bühne verdeckt sind. Ab dem Jahr 2010 sowie im Jahr 1977, als die Rednerbühne durch ein Dach ergänzt wurde, erhöhten wir diesen Zuschlag auf vier Prozent.
Tabelle 2 im Anhang zeigt für alle ausgewerteten Bilder auf, welche Korrekturen wir gegenüber dem Softwareergebnis im Einzelnen vorgenommen haben. Generell haben wir die Korrekturen im Zweifelsfall eher grosszügig angesetzt, sodass wir davon ausgehen, dass die Teilnehmerzahl nach Vornahme der Korrekturen eher etwas überschätzt als unterschätzt wird.
Eine andere Problematik besteht darin, dass die Zahl der Anwesenden im Ring während einer Landsgemeinde beträchtlich schwanken kann. Manche Stimmberechtigte verlassen den Ring während der Versammlung (z. B. weil gerade ein Geschäft diskutiert wird, das sie wenig interessiert) oder erscheinen erst in deren Verlauf. Diesem Umstand trugen wir Rechnung, indem wir von der gleichen Landsgemeinde Bilder mit unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkten verwendeten, wo solche in ausreichender Qualität vorhanden waren. In diesen Fällen bezifferten wir die Teilnehmerzahl jeweils auf den Durchschnitt der ermittelten Werte. Weil auf fast allen Bildern auch die Uhr der Stadtkirche oder des Zaunschulhauses sichtbar ist, lässt sich für diese Jahre auch abschätzen, wie sich die Beteiligung im Verlauf der Landsgemeinde verändern kann.
Die Ergebnisse der Bildauswertung sind in der Abbildung 2 zu sehen, die detaillierten Werte können der Tabelle 2 im Anhang entnommen werden. Auffallend sind zunächst die unerwartet niedrigen Teilnehmerzahlen. Auch nach der Korrektur der von der Software ermittelten Werte (siehe Abschnitt 3.2) liegt die Beteiligung im Allgemeinen deutlich unter den bisher üblichen Schätzungen von 20 bis 30 Prozent beziehungsweise 6000 bis 8000 Teilnehmenden. Der Höchstwert seit Einführung des Frauenstimmrechts liegt bei 3858 Teilnehmenden oder 17,5 Prozent der Stimmberechtigten (1972), in der Zeit davor bei 3163 Teilnehmenden (1954) beziehungsweise 30,0 Prozent (1968). In den von uns untersuchten Jahren seit der Jahrtausendwende beteiligten sich nie mehr als 3586 beziehungsweise 13,8 Prozent der Stimmberechtigten. Der niedrigste Wert wurde 1984 erreicht, als 1602 oder 6,9 Prozent der Stimmberechtigten im Ring waren.
Die durchschnittliche Beteiligung über den gesamten untersuchten Zeitraum hinweg beträgt gut 15 Prozent, wobei sie 1954–1971 bei durchschnittlich 26,1 Prozent lag, 1972–1985 bei 11,6 Prozent und 2001–2017 im Durchschnitt noch bei 10,0 Prozent.
Abbildung 2: Entwicklung der Stimmbeteiligung an der Glarner Landsgemeinde, in Prozent.
Betrachtet man die Entwicklung der Beteiligung über die Jahre hinweg, sticht der deutliche Rückgang anfangs der 1970er-Jahre ins Auge. Die naheliegende Erklärung dafür ist die Einführung des Frauenstimmrechts, die 1971 beschlossen wurde und 1972 in Kraft trat. Während sich dadurch die Zahl der Stimmberechtigten mehr als verdoppelte, stieg die Zahl der Teilnehmenden an der Landsgemeinde kaum an.
Das Phänomen ist, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit, auf der nationalen Ebene ebenfalls bekannt. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts ging die Beteiligung bei nationalen Volksabstimmungen und Wahlen um 5 bis 10 Prozentpunkte zurück. Die Forschung erklärt diesen Rückgang mit der politischen Sozialisation: Die Frauen, die das Stimmrecht nicht hatten, als die gleichaltrigen Männer es erhielten, beteiligten sich auch nach dem Erhalt der politischen Rechte deutlich seltener. Hingegen zeigt sich bei jüngeren Generationen kein Unterschied zwischen den Geschlechtern, weshalb der «gap» zwischen Männern und Frauen kontinuierlich schrumpft beziehungsweise sich bei den jüngsten Altersgruppen teilweise sogar umkehrt (Sciarini et al. 2016; Heidelberger 2018, 28–39).
Es ist plausibel, dass eine ähnliche Entwicklung auch an der Landsgemeinde stattgefunden hat, wobei dies näher zu untersuchen wäre.5 Gleichwohl hat die Beteiligungsrate nie mehr das Niveau von vor 1972 erreicht. Offenbar sind also noch andere Faktoren dafür verantwortlich, dass die Beteiligung über die Zeit gesunken ist. Denkbar ist, dass sich der gesellschaftliche Wertewandel in der Entwicklung niederschlägt, der auch als Erklärung für die gesunkene Beteiligung an nationalen (Urnen-)Abstimmungen herangezogen wird. Die politische Partizipation wird demnach weniger als früher als Bürgerpflicht betrachtet. Die Individualisierung hat zugenommen, die soziale Kontrolle ist schwächer, gleichzeitig gewinnen andere Formen der Beteiligung an Bedeutung (Linder und Mueller 2017, 79).
Ein weiterer möglicher Einflussfaktor ist der generelle Anstieg der Anzahl Stimmberechtigter. Gründe für den Anstieg sind nebst der Einführung des Frauenstimmrechts die zweimalige Senkung des Stimmrechtsalters (von 20 auf 18 Jahre 1980 und auf 16 Jahre 2007) sowie das Bevölkerungswachstum. Auf Gemeindeebene weisen Versammlungsdemokratien mit mehr Bürgerinnen und Bürgern generell tiefere Beteiligungsraten auf, was damit erklärt wird, dass in grossen Gemeinschaften die soziale Kontrolle schwächer und der wahrgenommene Einfluss des Einzelnen geringer ist (Ladner 2016; Bryan 2004).
Nebst dem generell niedrigen Beteiligungsniveau ist auch bemerkenswert, dass die beiden Landsgemeinden, die in Glarus gemeinhin als die bestbesuchten der Geschichte gelten – die von 2001 und die ausserordentliche Landsgemeinde im November 2007 – mit 2677 respektive 2984 Teilnehmenden zwar eine leicht überdurchschnittliche Beteiligung, aber keine Spitzenwerte aufweisen. Dazu gilt es die Einschränkung zu wiederholen, die unsere Datengrundlage generell betrifft (siehe Rz. 24): Die uns zur Verfügung stehenden Fotografien sind jeweils Momentaufnahmen, wohingegen im Verlauf einer Landsgemeinde die Zahl der im Ring Anwesenden sichtbar schwanken kann. So stammt im Fall der Landsgemeinde 2001 die einzige verwertbare Aufnahme vom Beginn der Landsgemeinde (10:10 Uhr), während das umstrittenste und wohl am stärksten mobilisierende Traktandum jenes Jahrs erst deutlich später behandelt wurde. Unser Bild vom November 2007 wurde ganz zu Beginn der Landsgemeinde (9:47 Uhr) und damit kurz vor der Eröffnung der Debatte zum umstrittensten Geschäft aufgenommen. Es ist also gut möglich, dass in diesen beiden Jahren höhere Spitzenwerte erreicht wurden als von uns erfasst – jedoch kaum in dem Ausmass, dass sie auch nur in die Nähe der bisher kolportierten Schätzungen (bis zu 14 000 Teilnehmer für 2007) gekommen wären (siehe dazu auch Rz. 32). Insgesamt sehen wir jedenfalls keinen Anlass zur Annahme, dass unsere Werte die tatsächliche Beteiligung wegen den zeitlichen Schwankungen systematisch unterschätzen, haben wir doch für die verschiedenen Jahre ganz unterschiedliche Uhrzeiten abgedeckt; es ist ebenso wahrscheinlich, dass wir einige Zeitpunkte mit besonders geringer Präsenz nicht erfasst haben.
Für sechs Landsgemeinden verfügen wir über jeweils zwei oder mehr Bilder von ausreichender Qualität, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommen worden sind. Dies erlaubt uns eine grobe Annäherung an die Frage, wie stark die Schwankungen während dem Verlauf einer Landsgemeinde sein können. Die bei weitem grösste Differenz resultiert im Jahr 1974, für das wir beim um 9:56 Uhr aufgenommenen Bild 3358 Personen ermittelt haben, beim um 12:18 Uhr aufgenommenen Bild hingegen nur 1836. Die Differenz beträgt hier 83 Prozent des niedrigeren Werts. In den Jahren 1963, 1970 und 1976 ermittelten wir Differenzen von 20 bis 40 Prozent. In den Jahren 1971, 2006, 2008 und 2014 betrug die Differenz zwischen dem schlechtestbesuchten und dem bestbesuchten Aufnahmezeitpunkt jeweils zwischen 2 und 9 Prozent. Die Ergebnisse bestätigen die Alltagsbeobachtung, dass die Beteiligung im Verlauf einer Landsgemeinde beträchtlich schwanken kann. Sie legen aber auch nahe, dass sich die Teilnehmerzahl im Lauf einer Versammlung wohl nur in Ausnahmefällen um mehr als das Anderthalbfache verändert.
In weiteren Analysen haben wir untersucht, ob sich die Unterschiede zwischen einzelnen Jahren mit bestimmten Einflussfaktoren erklären lassen. Diese Analysen sind indes mit Vorsicht zu lesen: Zwar vermögen die von uns ermittelten Beteiligungsdaten wohl die Grössenordnung zuverlässig anzugeben. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Jahren werden jedoch von Schwankungen der Bildqualität sowie Veränderungen der Teilnehmerzahlen im Verlauf einer Versammlung überlagert. Es gibt also ein relativ grosses Datenrauschen und die Analyse kann lediglich eine Annäherung vornehmen. Dieser Vorbehalt ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen.
Konkret untersuchten wir, ob sich in bivariaten Korrelations- oder in multivariaten linearen Regressionsanalysen ein statistischer Zusammenhang der Beteiligungsrate eines Jahrs mit folgenden Faktoren feststellen lässt:
- dem Wetter,
- der Geschäftsfülle der Landsgemeinde (gemessen an der Anzahl Traktanden sowie an der effektiven Versammlungsdauer in Minuten),
- der Umstrittenheit der behandelten Vorlagen (gemessen an der Anzahl Reden zum redeträchtigsten Traktandum, an der Anzahl Reden während der gesamten Landsgemeinde, an der Anzahl der an der Landsgemeinde gestellten Anträge sowie an der Anzahl von Abstimmungen, bei denen der Landammann wegen knapper Mehrheitsverhältnisse mehrfach ausmehren liess),
- dem Frauenstimmrecht,
- dem Jahr (als Indikator für den gesellschaftlichen Wandel).
In allen geprüften Kombinationen und Varianten von Modellen wies nur eine Variable einen beständigen statistischen Zusammenhang zur Stimmbeteiligung auf: das Frauenstimmrecht.6 Der in Kapitel 4.1 geschilderte Zusammenhang wird durch das Modell also gestützt. Einen negativen Zusammenhang zur Beteiligung weisen auch das Jahr und die Zahl der Stimmberechtigten auf, wobei der Zusammenhang für diese beiden Variablen nur in einzelnen Modellen knapp signifikant ausfällt.7 Dies bestätigt den Eindruck, dass die Beteiligung über die Zeit hinweg unabhängig vom Frauenstimmrecht tendenziell sinkt.
Hingegen bestätigt sich die oft gehörte Erwartung nicht, dass das Wetter die Beteiligung beeinflusse. Auch für die anderen untersuchten Faktoren lässt sich kein signifikanter Zusammenhang finden. Ob sie alle effektiv keinen Einfluss auf die Landsgemeindebeteiligung haben, können wir aber aus zwei Gründen nicht abschliessend sagen. Erstens ist zu vermuten, dass die wahrgenommene Bedeutung der traktandierten Geschäfte durchaus einen massgeblichen Einfluss auf die Beteiligung hat, dass jedoch die von uns verwendeten Operationalisierungen (Anzahl Reden, Anträge und knappe Abstimmungen) nicht genau abzubilden vermögen, wie die Stimmberechtigten die Wichtigkeit der Traktanden beurteilen. Zweitens ist es denkbar, dass die ermittelten Daten zur Stimmbeteiligung aus den oben erwähnten methodischen Gründen für die Ermittlung einzelner Einflussfaktoren nicht genügend genau sind, dass also das Datenrauschen allfällige feinere Zusammenhänge übertönt (siehe Kapitel 3.2).
Wie unsere Untersuchung gezeigt hat, ist die Beteiligung an der Glarner Landsgemeinde deutlich niedriger als bisher angenommen; seit der Jahrtausendwende schwankt sie um den Wert von 10 Prozent. Im Vergleich zu anderen Versammlungsdemokratien steht Glarus damit mittelmässig da – jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die oft ebenfalls auf Schätzungen beruhenden Angaben zu den anderen Fällen zutreffend sind.
Appenzell Innerrhoden weist und Appenzell Ausserrhoden wies Beteiligungsraten an der Landsgemeinde auf, die zwei- oder dreimal höher sind als jene in Glarus (siehe auch oben Abschnitt 2.3). Oder anders gesagt: Obwohl Glarus mehr als doppelt so viele Stimmberechtigte hat wie Appenzell Innerrhoden, ist die Anzahl Landsgemeindeteilnehmer in Innerrhoden nicht niedriger, sondern eher höher. In den beiden einzigen Jahren seit der Einführung des Frauenstimmrechts, in denen sich der Innerrhoder Landammann aufgrund knapper Mehrheitsverhältnisse für eine Auszählung der Stimmen entschied, beteiligten sich 3164 (2004) respektive 3919 (2013) Stimmberechtigte, was einer Stimmbeteiligung von jeweils über 30 Prozent entspricht. In Nid- und Obwalden waren Teilnahmeraten an den Landsgemeinden unter 10 Prozent hingegen ebenfalls üblich. Allerdings schwankten die Beteiligungszahlen in den beiden Unterwaldner Kantonen von Jahr zu Jahr deutlich stärker als in Glarus, und einzelne Landsgemeinden wurden hier von über einem Viertel der Stimmberechtigten besucht.8 Die Mittelwerte der behördlichen Schätzungen liegen für Nidwalden in den Jahren 1990–1996 bei gut 14 Prozent, für Obwalden 1990–1998 bei gut 12 Prozent (Protokolle der Nidwaldner Landsgemeinde; Kanton Obwalden 1998, 10). Dieser Vergleich illustriert im Übrigen, dass die Akzeptanz der Landsgemeinde in der Bevölkerung offenbar mehr von anderen Faktoren abhängt als davon, wie stark die Beteiligung daran ist: In Glarus ist die Landsgemeinde bis heute nie ernsthaft in Frage gestellt worden und geniesst einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung,9 obwohl offenbar nur ein kleiner Teil tatsächlich regelmässig daran teilnimmt. Demgegenüber nahmen in Nid- und Obwalden und vor allem in Ausserrhoden mehr Stimmberechtigte an der Landsgemeinde teil, dennoch entschieden sich Volksmehrheiten in diesen drei Kantonen in den 1990er-Jahren an der Urne für eine Abschaffung der Landsgemeinde.
Die Partizipation an der Glarner Landsgemeinde ist aber immerhin höher als an vielen Gemeindeversammlungen. So erreichen schweizweit nur Gemeinden mit unter 1000 Einwohnern eine durchschnittliche Beteiligungsrate von über 10 Prozent; bei Gemeinden ab 5000 Einwohnern liegt diese deutlich unter 5 Prozent (Ladner 2018b; Ladner 2016, 36–42). An den Versammlungen der drei Glarner Gemeinden beteiligten sich von 2011 bis 2017 durchschnittlich 5,9 Prozent (Glarus Süd), 4,8 Prozent (Glarus) beziehungsweise 3,8 Prozent (Glarus Nord) der Stimmberechtigten.10 Die Gründe für die vergleichsweise stärkere Mobilisierungskraft der Landsgemeinden gegenüber den Gemeindeversammlungen können hier nicht vertieft untersucht werden. Möglicherweise schätzen viele Stimmberechtigte die Bedeutung der kantonal zu entscheidenden Geschäfte höher ein als die der kommunalen. Ein Teil der grösseren Mobilisierungskraft der Landsgemeinde ist sicher auch damit zu erklären, dass sie als Staatsakt, Kristallisationspunkt kantonaler Identität und gesellschaftliches Ereignis wesentlich stärker symbolisch aufgeladen ist als eine Gemeindeversammlung;11 dies drückt sich auch, aber nicht nur in einem festlicheren Rahmen und dem parallel stattfindenden Jahrmarkt aus. Auch die Versammlungszeit – Sonntagvormittag im Fall der Glarner Landsgemeinde, im Unterschied zu den meist abends abgehaltenen Gemeindeversammlungen – könnte förderlich wirken.
Mit Partizipationsraten von rund 10 Prozent weist die Glarner Landsgemeinde eine deutlich schlechtere Beteiligung auf als Urnenabstimmungen. So geben an den eidgenössischen Abstimmungen, die an der Urne abgehalten werden, rund viermal mehr Glarnerinnen und Glarner ihre Stimme ab als an der Landsgemeinde (durchschnittlich 39 Prozent im Zeitraum 2010–2017). Und in den vier Nachbarkantonen von Glarus gehen bei jenen Abstimmungen, an denen analog zur Landsgemeinde ausschliesslich kantonale Geschäfte zu entscheiden sind, durchschnittlich etwa 30 Prozent der Stimmberechtigten zur Urne (Mittelwert der Abstimmungen in Uri, Schwyz, Graubünden und St. Gallen 2010–2017). Die Glarner Landsgemeinde ist damit kein Sonderfall: Sowohl für die kantonale (Schaub 2016, 461–466) als auch für die kommunale Ebene (Ladner 2011, 65–67, Kübler und Rochat 2009, 5–7; Bryan 2004, 130, 280) ist hinlänglich dokumentiert, dass die Partizipation an Bürgerversammlungen in aller Regel klar niedriger ausfällt als an Urnengängen.
Naheliegende Erklärungen dafür sind, dass eine Landsgemeindeteilnahme im Vergleich zu Urnenabstimmungen die Verfügbarkeit an einem fixen Ort und Zeitpunkt (keine Flexibilität, wann und wo die Stimme abgegeben werden kann), einen grösseren Zeitaufwand (Versammlungsdauer und Reiseweg) und eine grössere körperliche Anstrengung (mehrstündiges Stehen oder Sitzen ohne Lehne, Ausgesetztheit gegenüber der Witterung) bedeutet. Zudem ist davon auszugehen, dass das Fehlen des Stimmgeheimnisses manche von einer Landsgemeindeteilnahme abhält, die sich nicht exponieren wollen oder können. Eine denkbare Alternativerklärung, nämlich dass die Glarner Stimmberechtigten unabhängig vom Stimmabgabeverfahren stimmfaul seien, greift zu kurz: Zwar beteiligen sich die Glarnerinnen und Glarner tatsächlich auch an – eidgenössischen – Urnenabstimmungen etwas seltener als ihre Nachbarkantone und der Rest der Schweiz,12 doch die Differenz ist viel zu gering, als dass sich die niedrigen Werte an der Landsgemeinde hauptsächlich damit erklären liessen.
Unsere Untersuchung zur Stimmbeteiligung an der Landsgemeinde Glarus zeigt, dass deutlich weniger Personen an der Versammlung teilnehmen als bisher angenommen. Im langjährigen Schnitt seit der Einführung des Frauenstimmrechts beteiligen sich nur gut 10 Prozent der Stimmberechtigten an der Landsgemeinde, mit eher leicht sinkender Tendenz.
Nun kann man sich fragen, ob es überhaupt ein Problem darstellt, wenn relativ wenige Stimmbürgerinnen und -bürger von ihren politischen Rechten Gebrauch machen. Auf individueller Ebene wird das Stimmrecht heute zwar gemeinhin «weniger als staatsbürgerliche Pflicht denn als politisches Recht betrachtet, das auch die Freiheit einschliesst, es nicht zu gebrauchen» (Linder und Mueller 2017, 348).13 Auf kollektiver Ebene aber stellt sich die Frage, ob die Qualität der Demokratie nicht darunter leidet, wenn sich nur ein Zehntel der Stimmberechtigten an Abstimmungen beteiligt. Folgende Punkte gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten:
Zunächst bedeutet eine Stimmbeteiligung von 10 Prozent nicht, dass sich nur 10 Prozent der Bürgerinnen und Bürger politisch beteiligen. Untersuchungen zu Urnenabstimmungen, etwa im Kanton Genf, zeigen, dass über den Zeitraum von fünf Jahren – bei einer durchschnittlichen Beteiligungsrate von unter 50 Prozent – 90 Prozent der Stimmberechtigten an mindestens einer Abstimmung teilnehmen. Allerdings tun das nur etwa 10 Prozent bei jeder einzelnen Abstimmung (Sciarini et al. 2016). Die grosse Mehrheit der Stimmberechtigten sind selektiv Teilnehmende: Sie beteiligen sich, wenn sie am Thema interessiert sind. Es ist davon auszugehen, dass es auch in Glarus Personen gibt, die regelmässig an der Landsgemeinde teilnehmen, und eine (grössere) Gruppe, die zwar nicht immer, aber ab und zu und je nach traktandierten Vorlagen abstimmen geht.
Aus demokratietheoretischer Sicht ist eine tiefe Beteiligung vor allem dann ein Problem, wenn die Teilnehmerschaft systematisch anders zusammengesetzt ist als die Gesamtheit der Stimmberechtigten – insbesondere wenn die verzerrte Zusammensetzung dazu führt, dass Abstimmungen anders ausfallen, als wenn sich alle daran beteiligt hätten. Für nationale Urnenabstimmungen hat Lutz (2004) festgestellt, dass bei tiefen Beteiligungen die Verzerrung stärker und die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ein anderes Ergebnis resultiert, als wenn alle Stimmberechtigten teilgenommen hätten; insbesondere schlechtgebildete, wenig verdienende und jüngere Personen sind bei niedrigen Beteiligungen noch stärker untervertreten als ohnehin. Eine tiefe Beteiligung erhöht damit die Gefahr, dass wesentliche Teile der Bevölkerung nicht gehört und im politischen Prozess nicht oder zu wenig berücksichtigt werden. Dies wiederspricht dem demokratischen Anspruch, dass alle, die betroffen sind, gleichermassen mitentscheiden sollen.
Allerdings ist offen, inwiefern sich diese für Urnenabstimmungen festgestellten Zusammenhänge auf die Versammlungsdemokratie übertragen lassen. Die Beteiligung in Versammlungsdemokratien scheint nämlich nicht den gleichen beziehungsweise gleich starken Verzerrungen zu unterliegen wie jene in Urnensystemen (siehe auch Bryan 2004; Smith 2009, 39–48). So haben Gerber et al. (2016) für die Landsgemeinde Glarus in ihrer Umfrage festgestellt, dass die Teilnahmewahrscheinlichkeit nicht signifikant durch Bildung, Einkommen oder Alter beeinflusst wird, wohl aber durch das Geschlecht. Zu ähnlichen Resultaten kommen Stadelmann-Steffen und Dermont (2015) in ihrem Vergleich von Gemeindeversammlungen und Urnenabstimmungen in der Berner Gemeinde Bolligen.
In jedem Fall ist die Stimmbeteiligung natürlich nur eines von mehreren Kriterien, an denen die Qualität einer Demokratie zu messen ist. So bringt die Versammlungsdemokratie auch gewichtige Vorteile mit sich, beispielsweise wesentlich stärker ausgebaute direktdemokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten oder den – jedenfalls formell – denkbar egalitären Zugang zum Meinungsbildungsprozess in Form des allgemeinen Rederechts. Für eine Gesamtbeurteilung braucht es darum eine Abwägung solcher Vorteile gegenüber dem Nachteil der schwachen Beteiligung und weiteren Nachteilen wie dem fehlenden Stimmgeheimnis oder der in der Regel schwächeren Gewaltenkontrolle in Landsgemeindesystemen (Schaub 2016). Wie stark die niedrige Stimmbeteiligung in einer solchen Gesamtabwägung ins Gewicht fällt, ist letztlich keine wissenschaftliche Frage, sondern eine, die nur die Glarnerinnen und Glarner – aber je für sich auch die Stimmberechtigten von Urnen- und anderen Versammlungsdemokratien – beantworten können, wenn sie über die Ausgestaltung der Spielregeln für ihre demokratische Mitwirkung entscheiden.
Auch wenn man die bemerkenswert niedrige Stimmbeteiligung an der Glarner Landsgemeinde also nicht zu dramatisieren braucht, stellt sich die Frage, ob und wie sich die Stimmbeteiligung positiv beeinflussen liesse. Dabei ist den Bedingungen der Versammlungsdemokratie Rechnung zu tragen, in der einer zeitlichen und/oder örtlichen Flexibilisierung der Stimmabgabe enge Grenzen gesetzt sind, wenn nicht ihre spezifischen demokratischen Stärken geopfert werden sollen (Schaub 2016, 515–516).
Ansätze zur Verbesserung der Stimmbeteiligung gehen in verschiedene Richtungen. Die naheliegendste Massnahme ist, die Stimmberechtigten durch Anreize an die Urnen beziehungsweise Versammlungen zu locken. Anreize können entweder positiv oder negativ sein. Die letztere Variante ist in der Form des Stimmzwangs bekannt. Einst recht verbreitet, gibt es dieses negative Anreizsystem in der Schweiz heute nur noch im Kanton Schaffhausen. Dort müssen Stimmberechtigte, die an einem Urnengang nicht teilnehmen, eine Busse von 6 Franken bezahlen. Die Beteiligung liegt infolgedessen bei nationalen Abstimmungen durchschnittlich rund 20 Prozentpunkte höher als im Rest des Landes. Auch in internationalen Vergleichen zeigt sich, dass der Stimmzwang die Beteiligungsraten erheblich zu erhöhen vermag (Lijphart 1997, 8–10).
Ein anderer Weg sind positive Anreize. Hierbei werden Bürgerinnen und Bürger belohnt, wenn sie ihre politischen Rechte ausüben. Bei Gemeindeversammlungen werden zuweilen Essen oder andere kleine Geschenke geboten, um die Stimmberechtigten anzulocken. Ob dies die Beteiligung wirklich zu verbessern vermag, ist indes offen. Zwar berichten einige Gemeinden von erhöhten Teilnehmerzahlen. Andererseits ergab eine Umfrage in der zürcherischen Gemeinde Richterswil, dass Bürgerinnen und Bürger wenig von Geschenken halten und ihre Motivation, an der Gemeindeversammlung teilzunehmen, durch solche materiellen Anreize eher vermindert als gestärkt wird (Haus et al. 2016). Ob man den Erfahrungsberichten von Gemeindevertretern oder Umfrageresultaten mehr Glauben schenkt: Ein Allheilmittel können Belohnungen im Hinblick auf die politische Partizipation kaum sein.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Kosten für die Stimmabgabe zu reduzieren. Glarus kennt dies in Form des kostenlosen öffentlichen Verkehrs am Landsgemeindesonntag und der kostenlosen Kinderbetreuung während der Versammlung. Eine andere Option, um den «Preis» für die Teilnahme an der Landsgemeinde zu senken, wäre die Erhöhung des heute minimalen Komforts im Ring – beispielsweise durch die Installation von Rückenlehnen an den Sitzplätzen oder durch die Überdachung eines Teils des Rings zum Schutz vor Regen und Sonne.
An einem anderen Punkt setzt die staatsbürgerliche Erziehung an, nämlich bei der Förderung der politischen Bildung. Hier dürfte tatsächlich Potenzial liegen. Nebst den staatlichen Institutionen sind hier die Erziehungsberechtigten und die Zivilgesellschaft gefragt, indem sie angehende – und auch erwachsene – Stimmberechtigte auch zu Hause und in der Freizeit über politische Themen informieren und, vor allem, in Diskussionen einbeziehen.
Ein letzter, aber wichtiger Punkt betrifft den Inhalt demokratischer Entscheide. Die Bedeutung der Fragen, über die abgestimmt wird, dürfte für die Beteiligung zentral sein. Niemand mag drei Stunden im Regen stehen, wenn nur über Ausführungsgesetze zu Bundesgesetzen gesprochen wird. Aus Sicht der Kantone stellt sich hier das grundsätzliche Problem, dass die Bedeutung kantonaler Politik vor allem im Verhältnis zur Bundespolitik in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat.14 Das Potenzial zur Erhöhung der Beteiligung wäre hier – abgesehen von der kaum mehrheitsfähigen Einführung des Stimmzwangs – wohl am höchsten, doch ist die Umsetzung am schwierigsten: Um mehr Kompetenzen in die Hände der Kantone zurückzuführen, müsste zwangsläufig auf nationaler Ebene angesetzt und ein sehr langfristiger, tiefgreifender Trend umgekehrt werden.
Tabelle 1: Ergebnisse der Reliabilitätstests für die softwaregestützte Auswertung der Fotos: Als (PDF).
Tabelle 2: Ausgezählte Bilder und Stimmbeteiligungswerte für die Glarner Landsgemeinde 1954–2017: Als (PDF).
Hans-Peter Schaub, Dr. rer. soc.; Projektleiter bei Année Politique Suisse, Universität Bern, sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Parlamentsdiensten des Kantonsrats Zürich; Autor des Buches «Landsgemeinde oder Urne – was ist demokratischer?»; hans-peter.schaub@ipw.unibe.ch
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- 1 Verschiedene Personen waren uns beim aufwändigen Sammeln und Auswerten der Bilder eine grosse Unterstützung. Ihnen sei an dieser Stelle besonders gedankt: dem Glarner Landesarchiv und speziell Martin Jenny für die Digitalisierung aller von uns verwendeten Negative aus den Archivbeständen; Kishan Athrey und Mubarak Shah von der University of Central Florida für die Vornahme der Softwareauswertungen; Anuraaga Keller, David Kübli, Lisa Marti und Zora Föhn vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern für die grosse Unterstützung bei den Handzählungen; sowie den in der Endnote 3 genannten Personen für die grösstenteils kostenlose Zurverfügungstellung geeigneter Landsgemeindefotografien.
- 2 Berichte der Baudirektion an den Regierungsrat des Kantons Glarus vom 3. November 1971 und vom 9. Dezember 1971, Protokoll der Landratssitzung vom 2.2.1972 inklusive beigelegter Projektskizze.
- 3 Die Bilder wurden uns von den folgenden Privatpersonen, Fotografen und Unternehmen zur Verfügung gestellt: Pascal Mora, Hans Kaspar Schiesser, Samuel Trümpy, Fridolin Walcher, Südostschweiz Glarus und Keystone.
- 4 Bilder, bei denen die Ergebnisse der Zählungen sehr stark voneinander abweichen, berücksichtigten wir in der weiteren Auswertung nicht. Dazu zählten unter anderem zwei von Drohnen aus der Vogelperspektive aufgenommene Fotos der Landsgemeinde 2014, mit deren Auswertung die Software offensichtlich Mühe hatte.
- 5 Allerdings hat eine Umfrage unter Glarner Stimmberechtigten 2016 ergeben, dass Männer nach wie vor deutlich häufiger an der Landsgemeinde teilnehmen als Frauen (Gerber et al. 2016, 11–14).
- 6 Interessierten stellen wir diese und alle weiteren detaillierten Analyseergebnisse auf Anfrage gerne zur Verfügung (E-Mail an hans-peter.schaub@ipw.unibe.ch oder an lukas.leuzinger@gmx.ch).
- 7 Diese Aussage bezieht sich auf den Zeitraum nach 1972. Für den gesamten Zeitraum lassen sich diese beiden Variablen gar nicht sinnvoll auswerten, da ihr Einfluss dann weitgehend durch das Frauenstimmrecht bestimmt wird.
- 8 An den Abstimmungen, bei denen es zu einer genauen Auszählung der Stimmen kam, beteiligten sich in Obwalden zwischen 6 Prozent (1254 Stimmende im Jahr 1993) und 27 Prozent (4943 Stimmende im Jahr 1986), in Nidwalden zwischen 5,5 Prozent (1407 Stimmende im Jahr 1995) und 21,4 Prozent (5117 Stimmende im Jahr 1990).
- 9 In der Umfrage von Gerber et al. (2016, 37-39) gaben 93% der 764 antwortenden Glarner Stimmberechtigten an, die Landsgemeinde zu unterstützen. Zwar war die Umfrage nicht repräsentativ und dürfte den Unterstützungsgrad etwas überschätzen, aber es gab keine Teilgruppe (etwa Junge, Linke, Rechte, Frauen oder seltene LandsgemeindeteilnehmerInnen) unter den Befragten, in welcher die Zustimmung zur Landsgemeinde weniger als 80% betragen hätte.
- 10 Sowohl prozentual (14,4 Prozent) als auch in absoluten Zahlen (1010 Stimmberechtigte) erreichte die Gemeindeversammlung vom 22. November 2013 in Glarus Süd die stärkste Beteiligung. Den Minusrekord hält sowohl prozentual (0,9 Prozent) als auch absolut (100 Stimmberechtigte) die Gemeindeversammlung vom 17. Juni 2011 in Glarus Nord.
- 11 Recht regelmässig ist von Gemeindepolitikern im Glarnerland denn auch die Vision zu hören, die Gemeindeversammlungen zu «kleinen Landsgemeinden» aufzuwerten.
- 12 2010–2017 betrug die durchschnittliche Stimmbeteiligung bei allen eidgenössischen Abstimmungen in Glarus 39 Prozent, in den vier Nachbarkantonen 46 Prozent und gesamtschweizerisch 48 Prozent. Im Durchschnitt lag die Stimmbeteiligung in Glarus also 7 Prozentpunkte tiefer als in den Nachbarkantonen. Weil in Glarus der potenziell mobilisierende Effekt kantonaler Vorlagen entfällt (da diese mit Ausnahme der Wahlen an der Landsgemeinde entschieden werden), ist ein Vergleich lediglich jener eidgenössischen Urnengänge, die nicht mit kantonalen Wahlen oder Abstimmungen kombiniert waren, noch etwas zuverlässiger: Hier beträgt die durchschnittliche Abweichung gegenüber den Nachbarkantonen 6 Prozentpunkte.
- 13 Gemäss der Glarner Kantonsverfassung (Art. 21 Abs. 2) ist die Teilnahme an der Landsgemeinde «Bürgerpflicht», allerdings gibt es keine Sanktionen bei Nichterfüllung der Pflicht.
- 14 Siehe Mueller und Dardanelli (2017) zur Entwicklung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen sowie Ladner (2018a) zu den Unterschieden bei der Wahlbeteiligung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden.