Contributions scientifiques DOI: 10.38023/51beec45-c002-4459-bc29-1978271d4013

Abgrenzung von Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht in der Rechtsetzung

Notwendigkeit oder theoretische Turnübung?

Benjamin Schindler
Benjamin Schindler

Proposition de citation: Benjamin Schindler, Abgrenzung von Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht in der Rechtsetzung, LeGes 35 (2024) 1

Droit public et droit privé sont différenciés depuis l’Antiquité. Malgré cette longue tradition, personne n’est parvenu jusqu’à aujourd’hui à établir en théorie une distinction précise entre ces domaines du droit. Renoncer radicalement à cette différenciation ne serait guère sensé. Elle est l’expression de l’utilité avérée de disposer de réglementations adaptées à différentes formes de problèmes. Les législateurs de la Confédération et des cantons ont tenu compte de cet impératif, en optant soit consciemment pour l’affectation d’une réglementation à un domaine du droit déterminé, soit pour l’élaboration attentive de solutions taillées sur mesure.


Table des matières

1. Rechtswissenschaft

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Die Allegorie der Gerechtigkeit wird traditionell mit Schwert und Waagschale dargestellt. Ein besonders eindrückliches und schönes Beispiel findet sich in Bern mit dem 1543 von Hans Gieng († 1562) errichteten Gerechtigkeitsbrunnen. Das Schwert steht für die Iustitia correctiva oder die strafende Gerechtigkeit. Die Waagschale für die Iustitia distributiva oder die verteilende oder ausgleichende Gerechtigkeit. Beide Attribute stehen damit auch für die Rolle der Obrigkeit in zwei zentralen Rechtsgebieten: Dem Strafrecht einerseits und dem Zivilrecht anderseits (vgl. Hofmann 2018, 27 ff.). Die Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Rechtsgebieten ist somit eine Thematik, mit der sich die Menschen schon lange beschäftigen. Bevor die Abgrenzung im Schweizer Recht der Gegenwart und deren Sinnhaftigkeit näher beleuchtet werden, soll daher ein horizonterweiternder Blick in die Vergangenheit geworfen werden.

a. Ulpian und das Erbe des römischen Rechts

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Der klassische Text schlechthin, wenn es um die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht geht, stammt von Ulpian († 223 oder 228) und steht ganz zu Beginn seiner Digesten. Ulpians Digesten wurden unter dem oströmischen Kaiser Justinian im Jahr 533 zusammengestellt. Es handelt sich um eine Kompilation unterschiedlicher Rechtstexte, die durch kaiserliche Promulgation normative Kraft erlangten. Der zentrale Satz darin lautet: «Huius studii duae sunt positiones, publicum et privatum. Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem.» (D. 1.1.1.2 [Ulp. 1 inst.]; Kaser 1986, 6). («Für dieses Studium [der Rechtswissenschaft] gibt es zwei Ansatzpunkte. Das öffentliche und das private Recht. Das öffentliche Recht ist das, welches den Zustand des römischen Gemeinwesens betrifft, das Privatrecht das, welches den Nutzen der einzelnen Bürger betrifft.») In diesem Text kommt die bis heute anzutreffende Interessentheorie zum Ausdruck, wonach das massgebliche Unterscheidungskriterium die Interessen sind, die mit einer Rechtsnorm verfolgt werden. Geht es um die Interessen von Individuen, handelt es sich um Privatrecht. Stehen die Interessen der Gemeinschaft im Zentrum, so ist es öffentliches Recht. Im Hochmittelalter wurden die Digesten von Rechtsgelehrten mit Randbemerkungen (sog. Glossen) versehen. Eine dieser Glossen ist aufschlussreich, weil sie treffend darauf hinweist, dass auch das öffentliche Recht dazu diene, private Interessen zu schützen und umgekehrt natürlich auch ein funktionierendes Privatrecht im öffentlichen Interesse liege (Ad. singulorum zu Dig. 1.1.1.2.; Kummer 1944, 48). Damit werden bereits früh kritische Fragezeichen hinter ein vermeintlich eindeutiges Unterscheidungskriterium bei der Abgrenzung der Rechtsgebiete gesetzt.

b. Gralshüter kategorischer Unterscheidungen

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Die antiken Digesten wie die mittelalterlichen Glossen markieren zwei Grundpositionen, die sich bis heute in der einen oder anderen Akzentuierung finden. Die eine beharrt auf einer kategorialen Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht und hütet diese wie einen heiligen Gral; die andere will das Trennungsdogma mit bilderstürmerischem Eifer vom Sockel stürzen. Zu den Klassikern der neueren Zeit gehört für die kategoriale Trennung der deutsche Strafrechtler, Rechtsphilosoph und zeitweilige Justizminister der Weimarer Republik Gustav Radbruch (1878–1949). Er vertrat die Ansicht, dass sich die Abgrenzung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht aus der Natur der Sache ergebe, nämlich daraus, ob die Rechtsnorm das «Zusammenleben der Einzelnen» (Radbruch 1932, 221) regelt oder aber die Organisation der Gemeinschaft. Dabei war er der Überzeugung, dass diese Unterscheidung jeder Rechtsordnung im Grundsatz eigen sei, da sie unabhängig vom positiven Recht bestehe: «Die Begriffe ‹privates› und ‹öffentliches Recht› sind nicht positiv-rechtliche Begriffe, die einer einzelnen positiven Rechtsordnung ebenso gut fehlen könnten, sie gehen vielmehr logisch jeder Rechtserfahrung voran und verlangen für jede Rechtserfahrung von vorneherein Geltung. Sie sind apriorische Rechtsbegriffe.» (Radbruch 1932, 220 [Hervorhebung im Original]).

c. Bilderstürmer und radikale Forderungen

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Die Gegenposition vertrat zur gleichen Zeit mit Vehemenz der Österreicher Hans Kelsen (1881–1973). Für ihn war die Unterscheidung aus einer rechtspositivistischen Perspektive nichts anderes als ein menschliches Konstrukt und damit der Beliebigkeit des Gesetzgebers ausgeliefert: «Dieser Einbruch der Politik in die Rechtslehre wird aufs verhängnisvollste von einer rechtstheoretischen Unterscheidung begünstigt, die zu den fundamentalsten Prinzipien der modernen Rechtswissenschaft gehört. Es ist der Unterschied von privatem und öffentlichem Recht. Obgleich dieser Gegensatz das Rückgrat der ganzen rechtstheoretischen Systematik bildet, ist es schlechthin unmöglich, auch nur eine einigermaßen einheitliche Darstellung dessen zu geben, was durchschnittlich mit der Unterscheidung von privatem und öffentlichem Rechte gemeint wird.» (Kelsen 1925, 80). Kelsen kritisierte besonders, dass sich hinter vermeintlich theoretisch-kategorialen Unterscheidungen meist politische Wertungen versteckten und dass die Autonomie des Privatrechts auch deshalb mit solcher Heftigkeit verteidigt werde, weil diese die Grundlage der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sei (Kelsen 1934, 124; vgl. auch Krüper 2020, 77). Mit Blick auf den rechtspolitischen Charakter der Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht sind sich übrigens Radbruch und Kelsen durchaus einig. Für Radbruch war zwar in Stein gemeisselt, dass es eine Grenze zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht gibt. Das sah Kelsen anders. Aber auch für Radbruch war nicht a priori vorbestimmt, wo diese Grenze genau verlaufen soll. Vielmehr könne diese Grenze je nach Rechtsordnung und Epoche anders gezogen werden (Radbruch 1932, 221).

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Aus diesen theoretischen Vorüberlegungen lassen sich drei Kernaussagen destillieren: Zuerst einmal die Erkenntnis, dass seit der Antike ein Bedürfnis nach Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht zu bestehen scheint. Zweitens aber auch die Erkenntnis, dass selbst wenn wir eine a priorische Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht anerkennen, die Grenze der Unterscheidung nicht nach einem eindeutigen und klaren Kriterium vorherbestimmt ist. Drittens schliesslich, dass der Grenzverlauf zwischen den Rechtsgebieten von Land zu Land und Epoche zu Epoche verschieden verlaufen kann und auch Ausdruck von politischen Wertungen und Machtverhältnissen ist: Das Aufkommen eines eigenen Ius Publicum – vor allem auch des Verwaltungsrechts – lief nämlich parallel mit dem Erstarken professioneller staatlicher Strukturen in der Frühen Neuzeit (vgl. Jakab/Kirchmair 2019, 346). Der Liberalismus wiederum betonte die Gestaltungsfreiheit des Individuums und damit den schützenden Rahmen für diese Privatautonomie, nämlich das Privatrecht. Das öffentliche Recht diente demgegenüber vor allem als Schranke gegenüber einer ausgreifenden Staatlichkeit im Sinne der «red light-theory» (Harlow/Rawlings 2022, 7). Der Sozialstaat schliesslich bediente sich des öffentlichen Rechts als zentrales und positiv-gestaltendes Steuerungsinstrument zur Durchsetzung seiner Ziele («green light-theory»: Harlow/Rawlings 2022, 32) und drängte dadurch das von Privatautonomie geprägte Zivilrecht zurück.

2. Rechtsanwendung: Notwendigkeit kategorialer Unterscheidungen

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Wenden wir uns nach diesen historisch-theoretischen Eingangsüberlegungen der praktischen Rechtsanwendung im heute geltenden Schweizer Recht zu: So schwierig eine kategoriale Abgrenzung theoretisch sein mag, so unabdingbar und zwingend ist sie im Bereich der Rechtsanwendung (Bydlinski 1994, 330). Dies aus mindestens drei Gründen: Da ist zuerst einmal die Kompetenzabgrenzung im Bundesstaat. Sie knüpft an Begriffe wie «Zivilrecht» oder «Strafrecht» an (Art. 122 und 123 der Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999; BV; SR 101). Und bei Kompetenzfragen gibt es keine halben Sachen. Entweder der Bund ist zuständig zur gesetzlichen Normierung einer Rechtsfrage oder die Kantone. Zweitens braucht es Klarheit bei der Zuständigkeit der Verwaltungs- und Justizbehörden: Muss ich ein Anliegen vor die ordentlichen Gerichte bringen oder ist dafür eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht zuständig? Und selbst beim Bundesgericht, wo am Ende alle Verfahren zusammenlaufen, muss der Rechtsstreit einem Teilrechtsgebiet zugeordnet werden können (Art. 72, 78 und 82 Bundesgerichtsgesetz vom 17. Mai 2005; BGG; SR 173.110). Auch hier gibt es nur ein Entweder-oder. Schliesslich und drittens benötigt die Rechtsanwendung Klarheit bei der Frage des anwendbaren materiellen Rechts, vor allem aber beim Verfahrensrecht: Kann ich etwa in einem Verfahren schweigen und mich auf den nemo tenetur-Grundsatz berufen (Art. 113 Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007; StPO; SR 312.0) oder bin ich umgekehrt zur Mitwirkung verpflichtet (Art. 160 Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008; ZPO; SR 272 und Art. 13 Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968; VwVG; SR 172.021)? In all diesen Fällen brauchen diejenigen, die das Recht anwenden, Eindeutigkeit. Nicht zuletzt auch mit Blick auf unterschiedliche methodische Ansätze, die sich in den Teilrechtsgebieten herausgebildet haben (vgl. Krüper 2020, 79 ff.; Schäfers 2018, 283 ff.). Aus einer theoretischen Warte mag die Scheidung der Teilrechtsgebiete als hoffnungsloses Unterfangen, als «outmoded» (Harlow 1980, 265) und als «genetischer Fehler in der DNA» von Rechtsordnungen erscheinen (Jakab/Kirchmair 2019, 365). Denjenigen, die das Recht täglich in Advokatur, Verwaltung oder Justiz anwenden, helfen diese ebenso scharfsinnigen wie dekonstruktivistischen Überlegungen indes nicht weiter. Denn sie müssen wissen, in welcher Schublade des positiven Rechts sie ihre Rechtsfrage oder ihren Rechtsstreit unterzubringen haben (vgl. Bydlinski 1994, 330).

3. Rechtsetzung

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Was bedeutet die theoretische Offenheit einerseits und das eminente praktische Bedürfnis nach Eindeutigkeit anderseits für die Rechtsetzung? Lassen wir hierfür einen Juristen zu Wort kommen, der im Privatrecht wie im öffentlichen Recht gleichermassen zu Hause war und der nicht nur über ein profundes theoretisches Wissen verfügte, sondern als Leiter der Justizabteilung (dem Vorgänger des heutigen Bundesamtes für Justiz) die politischen und praktischen Herausforderungen in der Rechtsetzung bestens kannte. Walther Burckhardt (1871–1939) hielt in seinem Kommentar zu Art. 64 der Bundesverfassung von 1874 (Bundeskompetenz im Zivilrecht) folgendes fest: «Was heute der Vertragsfreiheit überlassen ist, muss vielleicht morgen polizeilich eingeschränkt oder verstaatlicht werden […]. Darüber hat aber jeweilen der Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des öff[entlichen] I[nteresses] in vernünftiger Abwägung zu entscheiden; die Entscheidung kann ihm nicht durch eine begriffliche, gewissermassen mechanisch anzuwendende Formel (über das was privates und was öff[entliches] Recht ist) abgenommen werden.» (Burckhardt 1931, 586). Und später fügte er diesen Überlegungen hinzu: «Man muss sich hier, wie bei allen begrifflichen Auseinandersetzungen, vor blossem Wortstreit hüten. […] Nochmals sei aber bemerkt: nicht darauf kommt es an, was man öffentliches und privates Recht nennt, sondern darauf, welche sachlichen Unterscheidungen zu machen sind.» (Burckhardt 1939, 136, 140). Aus diesen beiden Zitaten lassen sich drei Aussagen herausschälen:

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Erstens: Es ist das positive Recht und damit der Gesetzgeber, der über die Zuordnung zu einer Teilrechtsordnung entscheidet. Es gibt hier keine begrifflich-eindeutigen Vorgaben. Oder bildlich gesprochen: Der Gesetzgeber findet keine vordefinierten Schubladen der Zuordnung, sondern hat diese als Möbelschreiner selbst zu zimmern. Er ist es, der die Zahl, die Grösse und die Anordnung der Schubladen bestimmt.

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Zweitens: Zuordnungsentscheide des Gesetzgebers sind zwangsläufig politischer Natur. Damit ist die latente Gefahr verbunden, dass ideologisch-emotionale Motive in den Vordergrund rücken. Sei es die pauschale Abwehrhaltung gegenüber «mehr Staat» und die Befürchtung, das Privatrecht könnte zurückgedrängt werden. Oder umgekehrt die Angst vor «privater Willkür», dem rauen Wind des freien Marktes und damit verbunden der Ruf nach der schützenden Hand des Staates (kritisch gegenüber dieser Polarisierung Bullinger 1968, 112). Emotionale Befürchtungen lassen sich wohl nie ausräumen, doch im Zentrum stehen sollte vielmehr eine «vernünftige Abwägung» mit Blick auf die Konsequenzen der Unterscheidung.

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Drittens: Massgeblich sind letztlich die sachlichen Unterscheidungen, die es zu machen gilt bzw. die Frage nach den konkreten rechtspraktischen Folgen einer Zuordnung. Diese sollte der Gesetzgeber vor Augen haben, wenn er Trennlinien zwischen den Teilrechtsgebieten zieht oder Zuordnungen vornimmt.

a. Unterscheidung als typologische Orientierungshilfe

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Vor diesem Hintergrund möchte ich beliebt machen, aus der Steuerungssicht des Gesetzgebers die Unterscheidung zwischen Privatrecht, Verwaltungsrecht und Strafrecht als Typologie zu begreifen (vgl. Bydlinski 1994, 327, 333, 335; Gygi 1956, 2). Die Typologie beruht auf der Grundannahme, dass es ein Bedürfnis nach Differenzierung im Recht gibt und dass diese Differenzierung auch Ausdruck eines über viele Generationen gespeicherten Erfahrungsschatzes ist: Unterschiedliche rechtliche Problemlagen verlangen nach unterschiedlichen gesetzgeberischen Lösungsansätzen. Privatrecht, öffentliches Recht und Strafrecht sind sich gegenseitig ergänzende Auffangordnungen, die bestimmte Regulierungslösungen für typische Problemkonstellationen bereithalten (vgl. Schmidt-Assmann 1995, 7 ff.; Somek 2020, 19 ff.). Bildlich erscheint diese Typologie somit nicht als Kommode mit drei Schubladen, sondern vielmehr als sanfte, präalpine Hügellandschaft. Die Hügelkuppen symbolisieren idealtypische Fälle, die traditionell für ein bestimmtes Teilrechtsgebiet stehen: So der Kaufvertrag oder das Testament für das Privatrecht (Art. 184 ff. Obligationenrecht vom 30. März 1911; OR; SR 220 und Art. 467 ff. Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907; ZGB; SR 210), die behördliche Erteilung einer Baubewilligung für das öffentliche Recht (Art. 22 Raumplanungsgesetz vom 22. Juni 1979; RPG; SR 700) oder die Bestrafung eines Tötungsdelikts für das Strafrecht (Art. 111 ff. Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937; StGB; SR 311.0). Hier stellt sich auch aus Sicht des Gesetzgebers kaum die Frage der Zuordnung. Zuweisungen sind aber dort nötig, wo wir es mit weniger typischen Fällen zu tun haben; in der Talsohle muss ein Wegweiser deutlich machen, welcher Hügel zu erklimmen ist. Die Typologie kann zudem dort als Orientierungshilfe dienen, wo sich ein gegenseitig-ergänzender Regulierungsansatz aufdrängt, bei dem Normen aus dem Zivilrecht, dem öffentlichen Recht und dem Strafrecht aufeinander abgestimmt werden sollen. Zu denken ist an ungleiche Löhne für Mann und Frau oder aggressive Telefonwerbung für Versicherungsverträge. Soll der Gesetzgeber hier im Arbeitsvertragsrecht und Versicherungsvertragsrecht Änderungen vornehmen? Sollen zusätzlich verwaltungsrechtliche Vorschriften erlassen werden und eine Aufsichtsbehörde aktiv intervenieren können? Oder ist der diagnostizierte Missstand gar so gravierend, dass die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit erhalten sollen, strafend einzugreifen? Das ist selbstverständlich zuerst einmal eine rechtspolitische Frage. Die Rechtsetzungslehre sollte aber die massgebenden rechtlichen Konsequenzen und damit auch die Vor- und Nachteile der einen oder anderen Lösung aufzeigen können. Der Entscheid bleibt damit im Kern eine rechtspolitische Wertung, wird aber dank der Rechtsetzungslehre auch zur informierten Abwägungsentscheidung.

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Eine Typologie betont einerseits das Charakteristische, eben das Typische. Anders als bei der Kategorienbildung anerkennt sie aber auch atypische Fälle und Mischformen. Diese werden nicht pathologisiert oder im Interesse der Reinheit der Lehre ignoriert. Bei atypischen Fällen ist entweder eine bewusste Zuordnung vorzunehmen – denkbar ist aber auch die Schaffung einer gesetzgeberischen Sonderlösung. Oder bildlich gesprochen das Zimmern einer eigenen Schublade.

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Rückt man das Charakteristische ins Zentrum, so kann das Privatrecht als dasjenige Teilrechtsgebiet umschrieben werden, das den rechtlichen Rahmen für privatautonome Rechtsgestaltung schafft (vgl. Burckhardt 1936, 224; Ders., 1944, 31, 59). Der Staat nimmt zwar auch hier durchaus steuernd Einfluss, er tut dies aber durch generell-abstrakte Normen auf Gesetzesstufe (vgl. Bydlinski 1994, 343), die einen zwingenden Rahmen und eine dispositive Auffangordnung für private Rechtsgestaltung bereitstellen. Innerhalb dieses Rahmens sind private Rechtssubjekte die Hauptakteure, die sich auf Augenhöhe begegnen (etwa beim klassischen Kaufvertrag), doch kennt das Privatrecht durchaus auch Subordinationsverhältnisse (etwa beim Arbeitsvertrag). Die Handlungsformen, die das Recht bereitstellt, sind in erster Linie der zweiseitige Vertrag, aber auch einseitige Anordnungen sind dem Privatrecht nicht fremd (letztwillige Verfügung), wie auch die Möglichkeit der Bündelung privater Interessen in den Formen der Personen- und Kapitalgesellschaften. Kennzeichnend ist hier, dass die Initiative bei der inhaltlichen Rechtsgestaltung und bei der zivilprozessualen Rechtsdurchsetzung typischerweise bei den beteiligten Privaten liegt. Im Zentrum steht deren frei geäusserter Wille (vgl. Art. 1 OR) bzw. deren Verfügungsmacht über den Streitgegenstand (Art. 58 ZPO). Der Staat tritt vor allem dann als Akteur in Erscheinung, wenn Geschäfte einer besonderen Form bedürfen (z.B. Art. 184, 498, 657 ZGB), wenn es eine strukturell schwache Seite zu schützen gilt (z.B. Art. 328 ff. OR) oder die Justiz schlichtend und urteilend für Rechtsfrieden unter Privaten zu sorgen hat.

[14]

Das Verwaltungsrecht bildet die Grundlage umfassender staatlicher Steuerung und Aufgabenerfüllung unter primärer Vollzugsverantwortung der öffentlichen Verwaltung (vgl. Merkl 1927, 78 f.). Die staatliche Steuerung erfolgt in erster Linie präventiv durch generell-abstrakte Vorgaben auf ganz unterschiedlichen Normstufen und durch ein breites Spektrum konkretisierender Handlungsformen und Verwaltungsaktivitäten. Anders als im Privatecht geschieht die Rechtsgestaltung in viel geringerem Umfang durch private Akteure. Vielmehr ist es die öffentliche Verwaltung, die auf Grundlage und im Rahmen rechtlicher Vorgaben öffentliche Interessen verfolgt und die primäre Verantwortung für die Rechtsgestaltung trägt. Die Hauptakteurin ist somit die Verwaltung, die den Privaten vielfach (aber keineswegs überall) hoheitlich begegnet. Die oft ins Zentrum gerückte Handlungsform des Verwaltungsrechts ist denn auch die hoheitlich-einseitige Verfügung (vgl. Art. 5 VwVG). Daneben besteht aber ein reiches Spektrum weiterer Handlungsformen, die vom Vertrag, über Warnungen und Empfehlungen, Pläne oder die schlichte Leistungserbringung reichen. Die Initiative für die Rechtsgestaltung wie auch die Rechtsdurchsetzung im Rahmen des öffentlichen Verfahrens liegt in der Regel bei der Verwaltung (vgl. § 37 des Luzerner Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 1. Januar 1973; VRG; SRL 40). Unter Umständen kann aber auch den Privaten eine bedeutende Rolle zukommen, etwa in Bewilligungsverfahren. Und mit der Schaffung der Verwaltungsjustiz wurde den Privaten die Möglichkeit gegeben, Rechtsstreitigkeiten mit der Verwaltung vor ein unabhängiges Gericht zu tragen. Kernaufgabe der Verwaltungsjustiz ist es, die Verwaltungstätigkeit nachträglich am Kontrollmassstab des Rechts zu prüfen und sich widerstreitende private wie öffentliche Interessen gegeneinander abzuwägen.

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Das Charakteristikum des Strafrechts ist schliesslich, dass die Verfolgung von gesellschaftlich besonders geächtetem Verhalten mit dem Mittel der Strafe oder Massnahme im Zentrum steht (vgl. Burckhardt 1931, S. 593; Ders. 1939, 145). Die staatliche Steuerung erfolgt in erster Linie reaktiv durch Bestrafung bestimmter, formell-gesetzlich genau umschriebener Delikte (vgl. Art. 1 StGB), wodurch indirekt aber auch eine präventive Wirkung erzielt wird. Die Inhaltsgestaltung erfolgt durch Strafbehörden auf formell-gesetzlicher Grundlage. Hauptakteure sind Strafbehörden, die den von der Strafverfolgung betroffenen Privaten hoheitlich gegenübertreten. Die Handlungsformen bestehen in erster Linie aus Strafbefehlen und Urteilen. Der Strafprozess ist daher geprägt von einer aktiven Rolle der Strafbehörden und weitreichenden Untersuchungsmöglichkeiten (vgl. Art. 6 StPO). Gleichsam als Kompensation geniessen beschuldigte Personen einen sehr weitreichenden Schutz (vgl. Art. 3 StPO), können sich im Verfahren weitgehend passiv verhalten (Art. 113 StPO) und gelten im Zweifel als unschuldig (Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950; EMRK; SR 0.101 und Art. 10 StPO). Kernaufgabe der Strafjustiz ist es schliesslich, sich nach freier Würdigung aller Beweismittel über Schuld oder Unschuld auszusprechen und die mit Blick auf den Einzelfall angemessene Strafe oder Massnahme auszusprechen.

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Diese Typologie macht deutlich, dass sich das jeweilige Kern-Charakteristikum nicht immer auf denselben Aspekt bezieht (vgl. Burckhardt 1939, 144). Ist es im Privatrecht die Inhaltsgestaltung durch Private, rückt im Verwaltungsrecht das Vollzugsorgan öffentliche Verwaltung ins Zentrum und im Strafrecht ist es die Strafe als Sanktion. Man mag darin eine Schwäche der Typologie erblicken. Die divergierenden Kernmerkmale sind aber dem Umstand geschuldet, dass die unterschiedlichen Teilrechtsgebiete nicht auf dem Reissbrett eines Architekten entstanden sind, sondern vielmehr das Ergebnis eines historischen Wachstumsprozesses sind, bei dem sich politische, gesellschaftliche und rechtskulturelle Einflüsse überlagert haben. Sodann macht die Typologie deutlich, dass es gerade wegen der unterschiedlichen Kernmerkmale kein alleiniges Abgrenzungskriterium geben kann und dass die Interessentheorie für sich genommen kaum zur trennscharfen Abgrenzung taugt. Denn öffentliche Interessen werden in unterschiedlicher Ausprägung in jedem Teilrechtsgebiet verfolgt, wie umgekehrt auch die Interessen der Individuen und deren Schutz überall zu beachten sind.

b. Handlungsspielräume bei Zuordnung und Ausgestaltung

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Die hier beschriebene Typologie dient nur beschränkt als Abgrenzungshilfe für die Rechtsanwendungspraxis. Vielmehr soll sie dem Gesetzgeber Orientierung bieten, die richtige Schublade bei der Zuordnung einer Rechtsfrage zu finden. Doch wie frei sind die Gesetzgeber bei dieser Zuordnung? Und wie frei ist der Gesetzgeber, wenn er neue und massgeschneiderte Schubladen für atypische Problemlagen zimmern will? Die Antwort auf diese Frage präsentiert sich verschieden, je nachdem, ob der Bund, der Kanton oder eine Gemeinde gesetzgeberisch tätig wird. Für den Bund ist entscheidend, dass er über eine Rechtsetzungskompetenz verfügen muss (Art. 3 und 42 BV), die er im Zivil- und Strafrecht umfassend hat (Art. 122 und 123 BV) und im Verwaltungsrecht, soweit eine Einzelermächtigung vorliegt. Gerade die Kompetenz im Strafrecht wirft aber immer wieder Fragen auf, da sich dieses Teilrechtsgebiet kaum über einen bestimmten Regelungsinhalt eingrenzen lässt. Das Strafrecht schützt ein breites Spektrum an Rechtsgütern, die auch Gegenstand privatrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Vorschriften sind (Vermögen, Freiheit, Familie, öffentliche Gesundheit, öffentlicher Verkehr, öffentlicher Frieden, Amts- und Berufspflichten). Typisches Merkmal des Strafrechts ist vielmehr der spezifische Sanktionsmechanismus der Strafe. Rein theoretisch könnte der Bund somit nahezu jeden Lebenssachverhalt regeln, solange er die Norm nur strafrechtlich sanktioniert. Der politische Gestaltungsspielraum des Bundes bei der Ausübung seiner Strafrechtskompetenz ist daher beträchtlich und wird weniger durch begriffliche Abgrenzungen als durch föderale Rücksichtnahme in Schranken gehalten (vgl. Burckhardt 1931, 593 f.).

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Bei der Zuordnung einer Rechtsfrage zum Privatrecht und Strafrecht haben die Kantone und Gemeinden auf den ersten Blick kaum Spielräume, wird dieser doch einseitig durch das Bundesrecht eingeengt. Kantone scheinen somit einzig befugt, dort öffentlich-rechtliche Vorschriften zu erlassen, wo der Bund noch nichts geregelt hat. Bei genauerem Hinsehen ist der Spielraum der Kantone (und punktuell auch der Gemeinden) dennoch erheblich. Einerseits räumt das Bundesrecht den Kantonen ausdrücklich die Möglichkeit ein, im Bereich des Bundesprivatrechts öffentlich-rechtliche Vorschriften zu erlassen (vgl. etwa Art. 6 Abs. 2, Art. 664 Abs. 3, Art. 688 ZGB; Art. 61, Art. 257e Abs. 4, Art. 342 OR) und auch im Übertretungs- und Verwaltungsstrafrecht können die Kantone gesetzgeberisch aktiv werden (Art. 335 StGB). Schliesslich können die Kantone die Grenzziehung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht auch insofern beeinflussen, als sie auf verwaltungsrechtliche Vorschriften in einem Bereich ganz oder teilweise verzichten. Die Frage wird damit implizit zu einer privatrechtlichen. Etwa dann, wenn der Kanton auf den Erlass staatskirchenrechtlicher Vorschriften verzichtet (vgl. Art. 72 Abs. 1 BV) und sich die Kirchen auf privatrechtlicher Grundlage organisieren müssen. So ist die protestantische Kirche des Kantons Genf als privatrechtlicher Verein organisiert – auch wenn sie sich nominal eine «Verfassung» gibt (Art. 1 Constitution de l’Eglise protestante de Genève vom 26. April 2012). Ähnlich ist die Rechtslage, wenn Kantone für Bestattungsunternehmungen oder das Gebäudeversicherungswesen keinerlei Vorgaben machen. Während etwa im Kanton Bern das Verhältnis zwischen Bestattungsunternehmen und ihren Kundinnen und Kunden alleine durch Bundesprivatrecht geregelt wird, unterstehen Bestatter in den Kantonen Waadt und Tessin einer gewerbe- und gesundheitspolizeilichen Aufsicht durch den Kanton. In vielen Nordostschweizer Kantonen sind Private vom Bestattungsmarkt vollständig ausgeschlossen, da der Kanton das Bestattungswesen zum staatlichen Monopol erklärt hat (vgl. BGE 143 I 388; Schindler 2023, 586 ff.). Verschiedene Kantone sehen zudem Übertretungsstrafnormen vor, etwa für das unbefugte Beseitigen oder Bestatten einer Leiche. Eine ähnliche föderale Vielfalt besteht bei den Gebäudeversicherungen: Während die Kantone Genf, Tessin, Wallis und Appenzell Innerrhoden (ohne Bezirk Oberegg) es ganz dem freien Markt überlassen, ob Gebäude gegen Elementarschäden versichert werden, sehen die Kantone Uri, Schwyz und Obwalden eine Kontrahierungspflicht mit einer Privatversicherung vor. Alle anderen Kantone hingegen schreiben den Abschluss einer obligatorischen Versicherung bei einer staatlichen Gebäudeversicherungsanstalt vor (vgl. BGE 124 I 25). Der Kanton Freiburg schliesslich setzt hinter das öffentlich-rechtliche Versicherungsobligatorium noch ein strafrechtliches «Ausrufezeichen», indem er Verstösse gegen die Versicherungspflicht gar mit Strafe belegt (Art. 129 Gesetz über die Gebäudeversicherung, die Prävention und die Hilfeleistung bei Brand und Elementarschäden vom 9. September 2016; SGF 732.1.1).

c. Varianten und Techniken der Zuordnung und Ausgestaltung

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Bund und Kantone haben somit nicht nur erhebliche Spielräume, indem sie eine Rechtsfrage einer bestimmten Materie zuordnen, sie haben durchaus auch Raum für Kreativität, wie sie eine solche Zuordnung oder aber eine massgeschneiderte Lösung zwischen den Teilrechtsgebieten konkret ausgestalten. Leider geschehen solche Zuordnungen und Sonderlösungen aber oftmals nicht mit der notwendigen Sorgfalt und Klarheit. Auf eine eindeutige Zuordnung sind die rechtsanwendenden Behörden wie auch die von einer Regelung betroffenen Privaten indes angewiesen. Ist die Anwendung des materiellen Rechts oder die Zuständigkeit der rechtsanwendenden Behörden nicht ausreichend klar, führt dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Es macht daher Sinn, gerade bei Fragen, die nicht idealtypisch und offensichtlich zuordenbar sind, klare Wegweiser aufzustellen, damit die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender wissen, welchen Hügel sie erklimmen sollen. Diese integralen Zuweisungen zum Privatrecht, Verwaltungsrecht oder Strafrecht mögen vielleicht nicht in jedem Fall als sachgerechte Ideallösung erscheinen. Eine klare Zuweisung hat indes den Vorteil, dass die «Spielregeln» im jeweiligen Teilrechtsgebiet etabliert sind und auf die jeweils «bewährte Lehre und Überlieferung» (Art. 1 Abs. 3 ZGB) Rückgriff genommen werden kann. Diese Klarheit fehlt in aller Regel, wenn sich der Gesetzgeber für eine massgeschneiderte Sonderlösung entscheidet. Die Anforderungen an die Normierungsdichte steigen daher, je weiter sich ein solches Regulierungsregime von idealtypischen Mustern entfernt. Besonders ausgeprägt ist das Bedürfnis nach expliziten Vorschriften in Fragen der Zuständigkeiten, beim Verfahrensrecht und beim Rechtsschutz.

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Beim Aufstellen von Wegweisern haben sich folgende Regelungstechniken bewährt:

  • Integrale Zuordnung eines Rechtsverhältnisses zu einer Teilrechtsordnung: Ein bestimmter Lebenssachverhalt wird damit integral einer etablierten Teilrechtsordnung zugewiesen. So bestimmt etwa Art. 11 Abs. 1 Postorganisationsgesetz vom 17. Dezember 2010 (POG; SR 783.1): «Die Rechtsbeziehungen der Post richten sich nach den Vorschriften des Privatrechts.» Oder Art. 5 Abs. 2 der Innerrhoder Behördenverordnung vom 15. Juni 1998 (GS 170.010; BehV): «Für vorsätzlich oder grobfahrlässig dem Gemeinwesen zugefügten Schaden haften Behördenmitglieder zivilrechtlich nach den Bestimmungen des Obligationenrechts.»
  • Partiale Zuordnungen von Rechtsverhältnissen zu unterschiedlichen Teilrechtsgebieten: Gewisse Teilaspekte eines rechtlich relevanten Sachverhalts können einem Rechtsgebiet zugewiesen werden, z.B. indem die (ordentliche) Zivil- und Strafgerichtsbarkeit für zuständig erklärt wird, obwohl es sich materiell um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit handelt (vgl. Art. 13bis Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons St. Gallen vom 7. Dezember 1959 [VG; sGS 161.1]: «Der Zivilrichter beurteilt die öffentlich-rechtliche Klage.»; vgl. auch Art. 33 Abs. 1 Bst. d Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BGerR; SR 173.110.131], wonach medizinische Staatshaftungsfälle von der Ersten zivilrechtlichen Abteilung behandelt werden).
  • Wahlmöglichkeit zwischen Teilrechtsgebieten: Will der Gesetzgeber den rechtsanwendenden Organen die Möglichkeit einräumen, je nach Bedürfnissen eine Frage dem einen oder anderen Regulierungsregime zu unterstellen, kann er einen solchen Ermessensspielraum einräumen (vgl. § 49 Abs. 2 Gemeindegesetz des Kantons Aargau vom 19. Dezember 1978 [GG; SAR 171.100]: «Die Anstellung auf Grund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages bleibt den Gemeinden vorbehalten.»).
  • Abstimmung der Teilrechtsordnungen durch koordinierte Bestimmungen: Vielfach anzutreffen sind Vorschriften aus dem Privatrecht, dem Verwaltungsrecht und dem Strafrecht, die denselben Lebenssachverhalt aus unterschiedlicher Perspektive regeln und bewusst aufeinander abgestimmt sind (vgl. für die Arbeitgeberbeiträge für Vorsorgeeinrichtungen: Art. 331 OR; Art. 11 ff. BVG; Art. 159 StGB).
  • Harmonisierung durch Verweisungen auf ein anderes Teilrechtsgebiet: Erscheinen die typischen Eigenarten in einem bestimmten Rechtsgebiet nicht (mehr) sachgerecht, kann durch Harmonisierung auch bewusst eine Angleichung gesucht werden. Besonders im öffentlichen Personalrecht (z.B. Art. 6 Abs. 2 Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 [BPG; SR 172.220.1]) und im Staatshaftungsrecht (z.B. Art. 12 Abs. 1 VG SG) wird als subsidiäre Auffangordnung oft auf das Privatrecht verwiesen.

4. Fazit in sieben Thesen

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Anstelle einer Zusammenfassung sollen die Ergebnisse meiner Überlegungen zur Abgrenzung zwischen Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht in sieben kurzen Thesen zugespitzt werden:

[22]

These 1: Verabschieden wir uns vom heiligen Gral einer kategorialen Unterscheidung; aus einer theoretischen Perspektive wird es nie gelingen, eine eindeutige Trennlinie zwischen den Teilrechtsgebieten zu finden.

[23]

These 2: Verabschieden wir uns umgekehrt aber auch vom Bildersturm, der einer Abgrenzung von Privatrecht, öffentlichem Recht und Strafrecht jede Rechtfertigung abspricht; denn ohne Bilder sind wir im kaum übersehbaren Meer staatlicher Rechtsvorschriften orientierungslos.

[24]

These 3: Akzeptieren wir die Unterscheidung zwischen den Teilrechtsgebieten als historisch gewachsen und positivrechtlich verankert.

[25]

These 4: Versuchen wir, in der Unterscheidung einen historisch gebildeten Erfahrungsschatz im Umgang mit unterschiedlichen legislatorischen Herausforderungen und Steuerungsbedürfnissen zu erkennen.

[26]

These 5: Bemühen wir uns aus Sicht der Rechtsetzungslehre um eine pragmatisch-funktionale Typologie. Die drei Teilrechtsgebiete repräsentieren Idealtypen, die bewährte Standardlösungen bereithalten. Eine ideologisch aufgeladene Entgegensetzung der verschiedenen Teilrechtsgebiete ist jedoch wenig zielführend. Vielmehr sind diese als sich gegenseitig ergänzende Auffangordnungen zu betrachten.

[27]

These 6: Wo es sachgerecht erscheint, sollte sich die Rechtsetzung um klare und möglichst «typische» Zuordnungen bemühen. Auch wenn dies mit Blick auf den Regelungsgegenstand nicht immer ideal erscheinen mag. Eindeutige Zuweisungen sind aber verbunden mit einem Zugewinn an Rechtssicherheit.

[28]

These 7: Die Rechtsetzung kann für besondere Konstellationen auch «atypische» Sonderlösungen entwickeln, doch steigt dadurch die Verantwortung, detailliert und eindeutig zu regulieren (insb. in den Bereichen Zuständigkeit, Verfahren und Rechtsschutz).


Prof. Dr. Benjamin Schindler, Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen.

Erweiterte Fassung eines Referats vor der Schweizerischen Gesellschaft für Gesetzgebung vom 23. Juni 2023 im Berner Rathaus. Der Stil eines mündlichen Referats wurde teilweise beibehalten. Meinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Julia Koch und Julia Tichler danke ich herzlich für die Unterstützung bei der Recherche und der redaktionellen Überarbeitung des Beitrags.


Literaturverzeichnis

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  • Somek, Alexander (2020): Kategoriale Unterscheidung von Öffentlichem Recht und Privatrecht?, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 79/2020, S. 7 ff.

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