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Die öffentliche Verwaltung erbringt – durch die politische Führung und gesetzliche Vorgaben legitimiert – vielfältige Leistungen. Neben dem Vollzug von Geboten und Verboten bietet sie auch Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen an, die einen individuell-persönlichen Nutzen stiften sollen. Neben der Privatwirtschaft steht zunehmend auch die öffentliche Hand unter starkem Einfluss der gesteigerten Erwartungen seitens dieser Adressatinnen und Adressaten an die Qualität und Zugänglichkeit. Dabei geht es um mehr als die Digitalisierung von bestehenden Prozessen wie z. B. digitale Baubewilligungen (Schedler/Demaj, 2017, 10). Im Vordergrund steht die grundlegende Ausrichtung der zu erbringenden Dienstleistung und letztlich auch die damit verbundene Arbeits- und Vorgehensweise.
Behörden müssen sich als kosteneffiziente Dienstleister verstehen, die sich an den sich ändernden Bedürfnissen der Bevölkerung und Unternehmen orientieren. Jedoch unterscheiden sich die Rahmenbedingungen der öffentlichen Hand stark von jenen der freien Wirtschaft. So sind die institutionellen Besonderheiten im föderalistischen Staatsaufbau der Schweiz mit seinen drei Staatsebenen von einer besonderen Komplexität durchzogen. Sowohl die gesetzlich vorgegebene Einbindung bestimmter Stakeholder (Scholl/Scholl, 2014, 165) und der in vielen Aspekten durch das Legalitätsprinzip eingeschränkte Spielraum als auch die Null-Fehler-Kultur kennzeichnen die öffentlich-rechtliche Aufgabenerfüllung und wirken innovationshindernd. Trotzdem steigen in diesem Umfeld die Innovationsgeschwindigkeit und Dynamik von Veränderungsprozessen (Billert et al., 2019, 433).
Zur Verbesserung der Innovationskraft haben vor allem privatwirtschaftliche Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor seit einiger Zeit neue Instrumente wie SCRUM, Kanban, Design Thinking, aber auch Arbeitsflexibilität und selbstführende Teams getestet und konnten damit Erfolge erzielen. Gerade der nutzerzentrierte Ansatz des Design Thinking hat als Problemlösungsmethode in den technischen Disziplinen und vor allem der Software-Industrie an Relevanz gewonnen (Buchanan, 1992, 5; Pereira/Russo, 2018, 776). Als Reaktion auf die Forderung nach einem innovativen Staat haben Behörden angefangen, ebenfalls mit Design-Thinking-Ansätzen zu experimentieren (u. a. Blomkamp, 2018, 730). In der Schweiz wird erst punktuell davon Gebrauch gemacht. Das Staatslabor in Bern hat hier eine Pionierrolle übernommen. Eine weitergehende Verbreitung im politischen bzw. öffentlichen Bereich würde eine flexiblere, weniger planbare und damit unsicherere Vorgehensweise bei der Entwicklung von politischen bzw. verwaltungsspezifischen Lösungen und Angeboten bedingen (Lewis et al., 2020, 114). Dies stösst in der Praxis (noch) auf Skepsis.
Unter Design Thinking versteht man im Allgemeinen einen menschen-zentrierten («human-centred») Ansatz im Rahmen des Innovationsprozesses. Dieser bedient sich vom Werkzeugkasten von Designern, um die Bedürfnisse von Personen, die Anforderungen und die Möglichkeiten der zu erarbeiteten Lösung besser ausschöpfen zu können (Brown, 2008, 85). Das methodische Vorgehen allein reicht hingegen nicht, es braucht auch eine entsprechende Mentalität dazu, die Experimente, Scheitern und einen Fokus auf die menschlichen Werte zulässt (Brenner et al., 2016, 8; Hehn, 2020, 20ff.).
Die Nutzerzentrierung bzw. Menschenzentrierung ist ein Kernkonzept in der Dienstleistungsentwicklung (z. B. Stickdorn/Schneider, 2011). In der Literatur sind hinsichtlich der Bedürfnisabklärung bei möglichen Zielgruppen mehrere Herausforderungen erkannt worden – insbesondere der fehlende Einbezug der nutzenden Person selbst und der enge Fokus auf die Sicht der entwickelnden Person, was wiederum zu einer fehlenden Kreativität führt (Inayat et al., 2015). Vor allem in Weiterbildungskursen, aber auch in der praxisorientierten Literatur wurden die möglichen Vorteile des Einbezugs von Design Thinking in den Dienstleistungsentwicklungsprozess mehrfach herausgestrichen. Wie dies jedoch institutionalisiert und organisatorisch verankert wird, bleibt oftmals noch unklar (Beyhl/Giese, 2016, 54; Vetterli et al., 2013, 2; Hehn, 2020).
Die Forschung sieht durchaus den Sinn und Nutzen für einen Einsatz von Design Thinking im öffentlichen Sektor (Mintrom/Luetjens, 2016, 391), u. a. in der Entwicklung von sozialen Innovationen im Gesundheitsbereich (Valentine et al., 2017, 763). Besonders das bessere Verständnis der Problemstellung und der Kundenperspektive (bzw. Bürgerperspektive) wird als grosser Vorteil des Design Thinking betrachtet (Chambers, 2003; Fung, 2006, 68). Es stellt sich jedoch nach wie vor die Frage, wie dieser nutzerzentrierte Ansatz in der öffentlichen Verwaltung (und Politik) konkret umgesetzt werden kann (Ruhe et al., 2022, 393).
Die Entwicklung von neuen Dienstleistungen und Lösungen unter Berücksichtigung der Menschen (bzw. deren Bedürfnisse) wird in unterschiedlichen Forschungszweigen untersucht. Sie sind in den Fachgebieten des Managements, der Ingenieurwissenschaften und der Design-Disziplinen zu finden (Brenner et al., 2016, 6). In der Literatur werden mehrere Ausprägungen des Design Thinking diskutiert. So wird ein traditionelles, aus Design-Berufen kommendes Konzept einem auf die Industrie adaptierten Modell gegenübergestellt (eine Übersicht in Badke-Schaub et al., 2010). Im dienstleistungsorientierten Design Thinking steht nicht mehr allein die gestaltende Person im Mittelpunkt, vielmehr werden zusätzlich viele unterschiedliche Personen in den Innovations- und Entwicklungsprozess integriert.
Obschon zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand strukturelle Unterschiede bestehen, z. B. die Ausrichtung am Gemeinwohl und die monopolistische Marktstellung (Gisler et al., 2001), wird eine Betrachtung der Bürgerinnen und Bürger als Kundinnen und Kunden schon länger diskutiert. Bereits in den 1990er-Jahren wurde im Rahmen der New Public Management-Reformen deren stärkerer Einbezug gefordert und als Prinzip in die Organisationsentwicklung und Verwaltungsstrukturen eingearbeitet (Möltgen/Lorig, 2009, 232). Die aktuelle Modernisierungswelle soll zusätzlich auf Basis von datengetriebenen Technologien mehr Kundenorientierung und Effizienz im öffentlichen Handeln ermöglichen (Schedler et al., 2019, 14).
Zwar muss gemäss dem Legalitätsprinzip jegliches staatliche Handeln gesetzlich begründet sein und die Dienstleistungsangebote und demzufolge auch die Markt- bzw. Kundenorientierung sind daher durch die gesetzlichen Leitplanken vorgegeben. Gewisse Angebote werden zum «Zwangskonsum» verordnet (z. B. Wasser- und Abwassergebühren). Nichtsdestotrotz muss sich die öffentliche Verwaltung in vielen Bereichen auch marktspezifische und betriebswirtschaftliche Fragen stellen, weil die Digitalisierung viele Angebote verändert und damit Alternativangebote zu den staatlichen ermöglicht (z. B. Online-Stellenvermittlungen; Graf/Stern, 2018, 43ff.). Zudem ändern sich die Ansprüche von Bürgerinnen und Bürgern an die Service- und Leistungsqualität von Verwaltungen aufgrund demographischer Veränderungen und wirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Trends (Dienstleistungsgesellschaft, Digitalwirtschaft) (Dietrich et al., 2018, 81). Auch im Wettbewerb der Standorte um mobile Fachkräfte und Firmen sind werthaltige öffentliche Leistungen mitentscheidend (Brüesch et al., 2017, 18). Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, sich mit den Chancen und Herausforderungen der kundenorientierten Verwaltung auseinanderzusetzen.
Der nutzerzentrierte Ansatz des Design Thinking ist gekennzeichnet durch folgende Merkmale (Brenner et al., 2016, 8f.; Brown, 2008):
- durch einen Fokus auf die menschlichen Bedürfnisse
- unkonventionelles Denken in einem möglichst interdisziplinären (Projekt-)Team
- Ausprobieren und schnelles Scheitern
- Einsatz von Prototypen, um eine Idee zu testen
Im Zentrum steht der Fokus auf die menschlichen Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Präferenzen (Brown, 2008, 8). Das Verstehen der Nutzenden kann durch die Integration möglichst unterschiedlicher Anspruchsgruppen erreicht werden. Im Verwaltungskontext können dies je nach Politikbereich unterschiedliche Interessensgruppen, Verwaltungsfachleute, Bürgerinnen und Bürger sowie Politikerinnen und Politiker sein. Hier gilt es, mit unterschiedlichen Methoden die Sichtweise dieser Stakeholder möglichst eingehend zu verstehen. Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteuren aus Verwaltung, privaten Organisationen und Einwohnerschaft ist gemäss Theorie ein wichtiges Element eines wirkungsvollen «Policy-Making» (Sørensen/Waldorff, 2014, 4). Die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams ohne ausgeprägte Hierarchien erlaubt es allen Beteiligten, ihre Sichtweisen einzubringen. Dies steigert die Motivation. Darüber hinaus führt die Vielfalt der Perspektiven zu neuen Ideen und somit zu Chancen für Innovationen. Das Bestreben, das zu lösende Problem eng einzugrenzen und zu durchdringen, bleibt dabei von zentraler Bedeutung. Während des Ausarbeitungsprozesses bleibt die Methodik stets offen für Anpassungen aufgrund von neuen Informationen und Erkenntnissen. Die Entwicklungsarbeit konzentriert sich stets auf die konkrete Anwendung.
Der Design-Thinking-Prozess folgt einem Ablauf, der sich iterativ wiederholen kann und folgende Bestandteile beinhaltet: (1) Problemraum definieren, (2) Bedürfnisse identifizieren, (3) Lösungsraum definieren, (4) Ideen kreieren, (5) Prototypen entwickeln und (6) Anwendung testen (ME310, 2010) (Abb. 1).
Abbildung 1: Design-Thinking-Prozess basierend auf ME310, 2010.
Hehn (2020, 21f.) beschreibt den Design-Thinking-Prozess wie folgt: Beim Definieren des Problemraums ist eine gründliche Untersuchung des Kontexts notwendig, indem alle relevanten Akteure einbezogen und sämtliche gesammelte Informationen zu einem entsprechenden Blickwinkel gesammelt werden. Diese sollten sowohl Bedürfnisse als auch Erkenntnisse berücksichtigen. Das Benennen eines Lösungsraums fördert Ideen und ermutigt zur Konzeption von Prototypen, die einer Bewertung und Prüfung durch Nutzende unterzogen werden. Dieser Zyklus wird mehrmals wiederholt, bis schliesslich eine finale Lösung präsentiert werden kann. Rückmeldungen der testenden Personen werden als Verbesserungen während des Prozesses unmittelbar in die Praxis umgesetzt. Jeder Durchlauf spornt die Kreativität an und fördert schnelles Lernen durch Versuch und Irrtum.
Das Forschungsprojekt «Plus 65» der FH Graubünden untersucht das zivilgesellschaftliche Engagement von Senioren und Seniorinnen, ihre Bedürfnisse und vertieft dabei insbesondere die Rolle der Gemeinde. Dabei war es das Projektziel, einen Beitrag zu leisten, dass in der Alterspolitik die Freiwilligenarbeit von älteren Menschen stärker berücksichtigt und damit ein potenzialorientierter Fokus in der kommunalen Alterspolitik eingenommen wird. Eine schweizweite, repräsentative Befragung von rund 580 Personen im Alter von 55 bis 85 Jahren sowie anschliessend durchgeführte Validierungsinterviews mit Expertinnen und Experten aus Gemeinden, Unternehmen und Wissenschaft haben Erkenntnisse zur Motivation, zu den Tätigkeiten und der Rolle der Gemeinde in der lokalen Förderung des freiwilligen Engagements hervorgebracht.
Neben einer klassischen Studie wurde auch eine Toolbox für die Gemeinden entwickelt: ein Werkzeugkasten, damit die Gemeinden ihre Alterspolitik vor Ort gezielt weiterentwickeln können. Diese Toolbox «Plus 65» soll den Gemeinden mit einem flexiblen Vorgehensmodell helfen, ihre Alterspolitik kreativer und potenzialorientierter auszugestalten. Die Plus-65-Toolbox basiert auf der Design-Thinking-Methode und leitet den Entwicklungsprozess an – von der ersten Idee bis hin zur konkreten Umsetzung von Massnahmen, um Seniorinnen und Senioren politisch und gesellschaftlich stärker in das Gemeindeleben zu integrieren und deren Potenzial besser für Freiwilligenarbeit zu nutzen. Der Fokus liegt auf dem lokalen Handlungs- und Entscheidungsraum der Gemeinde.
Die Plus-65-Toolbox basiert auf der kreativen Methodik des Design Thinking und begleitet den gesamten Entwicklungsprozess – von der Entwicklung einer Idee bis zur konkreten Umsetzung von Massnahmen. Ihr vorrangiges Ziel besteht darin, ältere Menschen in die Gemeinschaft noch stärker zu integrieren und ihr Potenzial für freiwillige Tätigkeiten auf innovative Weise zu erschliessen. Dabei richtet sie ihren Fokus besonders auf den lokalen Handlungsspielraum und die Entscheidungsprozesse innerhalb der Gemeinde. Eine möglichst divers zusammengestellte Projektgruppe mit Vertretern der Gemeinde, Behörden, Altersorganisationen und Seniorinnen und Senioren aus der Bevölkerung konstituieren ein Projektteam. Die Toolbox basiert auf einem Vorgehensmodell von vier Workshops von ca. zwei bis drei Stunden und durchläuft die Schritte Anstossen und verstehen, Beobachten und verdichten, Ideen finden und entwickeln sowie Testen und überarbeiten (Abb. 2). An diesen vier Workshops orientiert sich das ganze Vorgehen bei der Entwicklung der Massnahmen (Roadmap), wobei die Methodik genügend flexibel ist und auch mehr oder weniger Workshops eingeplant werden können.
Abbildung 2: Vorgehensmodell anhand von vier Workshops.
In den Workshops kommen Design-Thinking-Instrumente zum Einsatz und die Teilnehmenden erleben dabei einen kreativen und strukturierten Prozess zur Lösung komplexer Probleme in der Freiwilligenarbeit vor Ort sowie zur Entwicklung innovativer Ideen zu deren Verbesserung. Diese Instrumente dienen als leistungsstarke Werkzeuge, um den Workshop-Teilnehmenden dabei zu helfen, neue Perspektiven zu gewinnen, ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen (in diesem Falle der Seniorinnen und Senioren) zu entwickeln und kreative Lösungen zu generieren. Jeder der vier im Vorgehensmodell verankerten Workshops beinhaltet eine Inhalt-und-Konzept-Karte, welche die Ziele, erwarteten Ergebnisse und die einzelnen Aktivitäten für den Workshop skizziert, sowie eine Drehbuch-und-Methodik-Karte, die für jeden Workshop einen Ablaufplan mit verschiedenen Methoden für die Bearbeitung vorschlägt (Abb. 3).
Abbildung 3: Karten für Workshops.
Bezüglich der Methoden bedient sich die Toolbox bei gängigen Instrumenten des Design Thinking. Während diese in der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung in der Privatwirtschaft seit Jahren einen grossen Nutzen erzielen, können diese in adaptierter Form auch im öffentlichen Bereich eingesetzt werden. Folgende ausgewählte Elemente wurden in der Plus-65-Toolbox verwendet:
- Interviews: Teilnehmerinnen und Teilnehmer führen Interviews mit Nutzenden oder Stakeholdern, um deren Bedürfnisse und Herausforderungen zu verstehen. Im konkreten Fall sind dies in diesem Anwendungsfall Seniorinnen und Senioren und unter Umständen auch Gemeindevertreter. Die Seniorinnen und Senioren sind die Nachfrager (nach einem freiwilligen Engagement) und die Gemeinde ist die Anbieterin von Instrumenten und Angeboten zur Förderung desjenigen. Mit diesen Interviews wird nicht nur das Verständnis für die Sichtweise der Zielgruppe gestärkt, sondern auch das Mitgefühl geschaffen, um die Ideenentwicklung in die Wege zu leiten.
- Persona-Entwicklung: Basierend auf den Erkenntnissen aus den Interviews erstellen die Teilnehmer sogenannte Personas, steckbriefartige Beschreibungen von typischen Zielpersonen, um die Zielgruppe besser zu verstehen und deren Bedürfnisse und Wünsche zu visualisieren. Dadurch schärft sich im Projektteam das Verständnis einzelner Zielpersonen und bei der Ideenentwicklung kann mit den Personas im Hinterkopf ein passenderes Instrument entwickelt werden.
- Brainstorming: In kreativen Brainstorming-Sessions werden Ideen ohne jegliche Einschränkungen gesammelt. Hier geht es darum, Quantität über Qualität zu stellen, um einen Ideenpool zu schaffen. Es bedarf gerade in Behörden einer besonderen Disziplin, auch Ideen zuzulassen, die auf den ersten Blick (z. B. aus regulatorischen Gründen) als unmöglich taxiert werden. Dadurch kann ausserhalb der gängigen Denkbarrieren (out-of-the-box-thinking) nach kreativen und unorthodoxen Lösungen gesucht werden. Mittels Mind Mapping können entsprechende Ideen auch gut gesammelt und miteinander verknüpft werden.
- Kundenreise: Die Kundenreise, im Marketing vor allem als «Customer Journey» bekannt, ist ein Konzept zum Beschrieb des Gesamtverlaufs der Interaktionen und Erfahrungen, die ein Kunde mit einem Unternehmen, einem Produkt oder einer Dienstleistung während des gesamten Kaufprozesses und darüber hinaus macht. Im Kontext der Plus-65-Toolbox wird sie eingesetzt, um die Kundenperspektive (in diesem Fall die Sicht der Nutzenden der Dienstleistungen, sprich der Seniorinnen und Senioren) besser zu verstehen und zu analysieren. Dabei wird darauf geachtet, wie die Seniorinnen und Senioren mit der Dienstleistung in Berührung kommen (sog. «Touchpoints»). Das Konzept kann Behörden und Gemeinden dabei helfen, ihre Zielgruppen besser zu erreichen und ihre Kommunikations- und Informationsmassnahmen zu überdenken (vgl. Abb. 4).
- Prototyping: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erstellen schnelle Prototypen ihrer Ideen, sei es in Form von Modellen, Skizzen oder Mock-Ups. Diese Prototypen dienen dazu, Ideen greifbar zu machen und frühzeitig Feedback zu sammeln. Es braucht einen gewissen Mut, direkt nach der Lösungsfindung in die «Produktion» eines Prototyps zu gehen – aber das ist genau der Sinn des Konzepts: Schnell produzieren, schnell scheitern und schnell verbessern. Ein Prototyp kann dabei aus einfachen Mitteln bestehen: Eine Zeichnung auf Papier, ein in Powerpoint erstellter Plan oder ein aus Karton, mit Legosteinen oder anderen Materialien erstelltes Objekt.
- Testing: Die Prototypen werden getestet, um zu sehen, wie Nutzer darauf reagieren. Dieses iterative Feedback ermöglicht es, Ideen zu verfeinern und weiterzuentwickeln. Je nach Endprodukt muss der Prototyp mit unterschiedlichen Personen getestet werden. Diese sollten zum Workshop hinzugezogen werden, damit sie den Prototypen testen können. Unter Umständen muss der Workshop für den Test auch an einem speziellen Ort durchgeführt werden. Zum Beispiel kann das Konzept eines Generationenraums direkt vor Ort getestet werden.
Abbildung 4: Abbildung einer Kundenreise.
Die Anwendung dieser Instrumente in Workshops fördert nicht nur die Kreativität und Zusammenarbeit der Teilnehmenden, sondern auch die Entwicklung von Lösungen, die tatsächlich auf den Bedürfnissen der Nutzenden basieren. Design-Thinking-Instrumente helfen, den Workshop-Prozess zu strukturieren und die Teilnehmenden auf eine Reise der Entdeckung, Ideenfindung und Innovation mitzunehmen. Die Anleitungskarten in der Plus65-Toolbox enthalten einen QR-Code, der auf die zugehörige Webseite plus65.fhgr.ch verlinkt. Dort sind für die einzelnen Arbeitsschritte Zusatzmaterialien wie z. B. Arbeitsblätter verfügbar.
Aufgrund der Vielfalt der Nutzenden stehen öffentliche Verwaltungen oft vor der Herausforderung, mit teilweise widersprüchlichen Anforderungen an ihre Dienstleistungen umzugehen. Hinzu kommen strukturelle und organisatorische Gegebenheiten, wie beispielsweise ausgeprägte Entscheidungshierarchien und formelle Verfahren, welche die Umsetzung einer nutzerzentrierten Herangehensweise erschweren. Es stellt sich die Frage, wie ein zeitgemässer Ansatz hin zur Nutzerorientierung im Design von Dienstleistungen in der öffentlichen Verwaltung verankert werden kann und welche Auswirkungen dies auf Leistungs- und Wirkungsbeurteilung im Sinne einer Evaluation hat.
Das Beispiel aus der kommunalen Alterspolitik zeigt auf, dass mit einem flexiblen Vorgehensmodell durchaus moderne Methodiken zum Einsatz kommen können. Dabei geht es vor allem um die Ideenentwicklung und Ausarbeitung (Zielkonkretisierung). Sobald die Lösungen durch Design-Thinking-Ansätze (und andere innovative Kreativ-Methoden) erarbeitet worden sind, werden diese in der Verwaltung umgesetzt (Abb. 5).
Abbildung 5: Design Thinking eingebettet in der politischen und betrieblichen Steuerung (Modell in Anlehnung an Thom/Ritz, 2008; Ritz/Sinelli, 2013).
Aus einer institutionellen Sicht darf Design Thinking nicht losgelöst von der Organisationseinheit betrachtet werden – ansonsten bleiben die daraus entwickelten Massnahmen isoliert und verpuffen in ihrer Wirkung (Peters, 2018). Es braucht die Bereitschaft der Politik und Verwaltung, neue Wege zu gehen. Dies wiederum bedingt eine Offenheit gegenüber neuen Methoden und eine innere Überzeugung, dass mitunter fachfremde Personen von aussen wertvolle Inputs geben können. Gerade Politikbereiche und Dienstleistungen, die eine breite Bevölkerung ansprechen, sind prädestiniert für den Einbezug von Vertreterinnen und Vertretern aus verschiedenen Anspruchsgruppen. Dazu zählt die Alterspolitik. Aber auch Themen aus der Kinder- und Jugendförderung, Sport- und Kulturförderung, Raum- und Zukunftsentwicklung sowie Freizeitangebote eignen sich für ein agiles Vorgehen mithilfe von Design Thinking.
Für die Evaluation hat dies mehrere Auswirkungen: So wird eine Leistungs- und Wirkungsbeurteilung im kleinen Rahmen bereits im Dienstleistungs-Entwicklungsprozess via Prototyping (Phase 4 in Abb. 2) durchgeführt. Diese Feedback-Schlaufen wirken als Ad-hoc-Evaluation und werden insbesondere den SEVAL-Standards A4 (Nutzungsorientierung) und A5 (Angemessenes Verhältnis von Aufwand und Nutzen) gerecht. Die Nutzenden testen im Prototyping mit wenig Aufwand und niederschwellig die ersten Modelle der zu entwickelnden Dienstleistung gleich selbst und sollen den Wirkungsgrad auf der Output- und Outcome-Ebene verbessern. Dies müsste in einer besseren betrieblichen und später auch in der politischen Leistungs- und Wirkungsbeurteilung erkennbar sein (Abb. 5). Es bleibt zu klären, wie Evaluierende mit dem Umstand umgehen, dass eine Massnahme bzw. Dienstleistung bereits in ihrem Entwicklungs- bzw. Entstehungsprozess mehrfach getestet und damit vor-evaluiert wird.
Des Weiteren verändert die Nutzerzentrierung in der Entwicklung das ordentliche, periodische Evaluationsverfahren, das im politischen Prozess angegliedert ist. Dabei wird die Grenze zwischen der öffentlichen Verwaltung als «Erschafferin» und den Kundinnen und Kunden als Nutzende einer Dienstleistung fliessender. Diese Hybridisierung führt zu einer höheren Komplexität der Wirkungszusammenhänge, da mehr Personen mit unterschiedlichen Rollen an der Gestaltung der Massnahmen involviert sind. Diese Mitwirkung – im Service Design «Co-Creation» genannt – teilt die Verantwortung somit auf mehrere, mitunter auch verwaltungsexterne Akteure auf. Die herkömmliche Evaluation, die ein Förderprogramm resp. eine öffentliche Dienstleistung hinsichtlich der tatsächlichen Wirkungen überprüft, geht von einer strikteren Trennung von Leistungserbringenden und Nutzniessenden aus. Im nutzerzentrierten Vorgehen entwickeln letztere ebenfalls mit. Dies ist bei einer Evaluierung vor allem hinsichtlich der Beteiligung der Beteiligten und Betroffenen (SEVAL-Standard A3) zu berücksichtigen.
Design Thinking findet in der privatwirtschaftlichen Arbeitswelt zunehmend Anwendung und ist im öffentlichen Sektor erst vereinzelt umgesetzt. Da das konkrete Anwendungssetting sehr stark variiert, ist der Nutzen, den Design Thinking und andere Methoden erbringen, sehr schwierig zu messen. Mangelndes Wissen und wenige Anwendungsbeispiele können zu unrealistischen Annahmen führen (Minstrom/Luetjens, 2016, 399).
Die Umsetzung von Design Thinking bedarf Zeit und Freiheit. Eine gewisse Veränderungsbereitschaft wird vorausgesetzt. Die Verwaltungseinheiten in der Schweiz haben indes vermehrt gezeigt, dass diese durchaus vorhanden ist – z. B. mit der Einführung des New Public Managements, den E-Government-Strukturen und der schrittweise erfolgenden Digitalisierung der Verwaltung.
Die Integration ausgewählter Bestandteile des Design Thinking in den politischen Prozess, wie im geschilderten Fallbeispiel im Rahmen eines Vorprojektes, kann bei der Ausarbeitung der politischen bzw. staatlichen Aufgaben einen guten Dienst leisten. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Design Thinking kein Allheilmittel ist. Es kann nicht die traditionelle Vorgehensweise im politischen Prozess und die damit verbundenen Ausarbeitungsschritte ersetzen. Vielmehr ist es eine Ergänzung, um die Ideenfindung partizipativer, umfassender und innovativer zu gestalten. Es geht also vielmehr um eine zweckmässige Evolution ausgewählter Instrumente und nicht um eine Revolution.
Die aus dem Forschungsprojekt «Plus 65» heraus entwickelte Toolbox bietet eine an Design Thinking angelegte methodische Vorgehensweise für die Entwicklung von Massnahmen in der kommunalen Alterspolitik. Durch diesen Einsatz verschiedener, kreativer und partizipativer Methoden innerhalb der als Workshop durchgeführten Phasen wird die Vorgehensweise als motivierend wahrgenommen. Die Arbeit in einem divers zusammengesetzten Team sowie die Abkehr von Hierarchien innerhalb des Teams führen dazu, dass alle Beteiligten ihre Perspektive einfliessen lassen können. Dadurch können innovative und unkonventionelle Ideen entstehen, die anschliessend in Form von Prototypen visualisiert und getestet werden. Dabei steht stets der Fokus auf die Bedürfnisse der «Endnutzenden» im Zentrum. Die Anwendung der Methodik ist flexibel und kann auf das Setting vor Ort angepasst werden. Eine Moderationsperson mit etwas Erfahrung sollte problemlos in der Lage sein, die entsprechenden Workshops zu leiten. Der Einsatz der in der Toolbox beschriebenen Methodiken ermöglicht ein Anpassen der Vorgehensweise und der Fragestellungen während der Durchführung.
Design-Thinking-Ansätze können jedoch im öffentlichen Sektor immer nur eine ergänzende Rolle spielen. Im aufgezeigten Beispiel dient es vor allem der Ideen- und Lösungsfindung am Anfang des politischen Prozesses, im Sinne eines Vorprojekts. Das Ergebnis kann dadurch wesentlich besser ausfallen, da die Meinung verschiedenster Akteure bereits am Anfang in den Prozess einfliessen kann. Die Realisierung solcher Elemente bei der Entwicklung von staatlichen Massnahmen ist letztlich immer davon abhängig, ob und wie die Operationalisierung von den Akteuren in den Institutionen befürwortet und umgesetzt wird (Lewis et al., 2020). In Anbetracht der möglichen Vorteile von Design Thinking, agilen Methoden und anderen methodischen Instrumenten sehen wir es als sinnvoll an, wenn bestehende Versuche, Aktionsprogramme und Best Practices gesammelt, dokumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dadurch können die Methoden und deren Anwendungsmöglichkeiten von unterschiedlichen Fachpersonen diskutiert, evaluiert und gewürdigt werden. Dadurch wird wiederum die Arbeitsweise im öffentlichen Sektor weiterentwickelt.
Dario Wellinger, Dozent für Public Management, Zentrum für Verwaltungsmanagement, Fachhochschule Graubünden.
Prof. Dr. Curdin Derungs, Professor für Public Management, Zentrum für Verwaltungsmanagement, Fachhochschule Graubünden.
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